Kalkul

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Als der oder das Kalkul ( franzosisch calcul ?Rechnung“; von lateinisch calculus ? Rechenstein “, ? Spielstein “) versteht man in den formalen Wissenschaften wie Logik und Mathematik ein formales System von Regeln, mit denen sich aus gegebenen Aussagen ( Axiomen ) weitere Aussagen ableiten lassen. Kalkule, auf eine Logik selbst angewandt, werden auch Logikkalkule genannt.

Das Wort Kalkul im logischen und mathematischen Sinn ist ein Maskulinum ( der Kalkul). Kalkul im umgangssprachlichen Sinn wird auch als Neutrum ( das Kalkul, deshalb auch ?ins Kalkul ziehen“) in der Bedeutung von ?Berechnung“ oder ?Uberlegung“ verwendet. [1]

Ein Kalkul besteht aus folgenden Bestandteilen:

  • Bausteine, also Grundelemente (Grundzeichen), aus denen komplexere Ausdrucke zusammengesetzt werden. Die Gesamtheit der Bausteine des Kalkuls wird auch sein Alphabet genannt. Fur einen Kalkul der Aussagenlogik z. B. wahlt man als Bausteine Satzbuchstaben (Satzvariablen), einige Konnektive (z. B. →, ∧, ∨ und ¬) und gegebenenfalls Gliederungszeichen (Klammern). In Analogie zu naturlichen Sprachen kann man die Liste der Bausteine als ?Worterbuch“ (im Sinn einer Worterliste) des Kalkuls bezeichnen.
  • Formationsregeln , mit denen festgelegt wird, wie die Bausteine zu komplexen Objekten, die auch wohlgeformte Formeln genannt werden, zusammengesetzt werden durfen. Die Gesamtheit der von den Formationsregeln gebildeten, wohlgeformten Ausdrucke wird auch Satzmenge des Kalkuls genannt und ist eine formale Sprache uber den Bausteinen. Ein Kalkul fur die Aussagenlogik konnte zum Beispiel festlegen, dass man aus zwei bestehenden Satzen einen neuen Satz bilden darf, indem man die beiden mit einem zweistelligen Konnektiv verbindet. So sind die Formationsregeln in Analogie zur naturlichen Sprache die ?Grammatik“ des Kalkuls.
  • Transformationsregeln ( Ableitungsregeln , Deduktionsregeln ), die angeben, wie bestehende wohlgeformte Objekte (Ausdrucke, Satze) des Kalkuls umgeformt werden durfen, um neue Objekte daraus zu erzeugen. In einem logischen Kalkul sind die Transformationsregeln Schlussregeln , die angeben, wie man aus bestehenden Satzen auf neue Satze schließen kann. Ein Beispiel fur eine Schlussregel ist der Modus ponens , der erlaubt, von zwei Satzen der Form ?A → B“ und ?A“ auf den Satz der Form ?B“ zu schließen.
  • Axiome sind Objekte (Ausdrucke), die nach den Formationsregeln des Kalkuls gebildet sind und die ohne weitere Rechtfertigung, d. h., ohne eine Transformationsregel auf bereits bestehende Ausdrucke anzuwenden, verwendet werden durfen.

Von diesen Bestandteilen ist nur der letzte (die Axiome ) optional. Ein Kalkul, der Axiome beinhaltet ? egal wie viele oder wie wenige ?, wird axiomatischer Kalkul (auch ?axiomatischer Regelkalkul“) [2] genannt. Kalkule, die ohne Axiome auskommen, dafur aber meistens mehr Transformationsregeln beinhalten, werden oft als Regelkalkule (auch Schlussregelkalkule ) bezeichnet.

Ein Kalkul ordnet weder seinen Bausteinen noch den daraus erzeugten zusammengesetzten Objekten eine Bedeutung zu. Gibt man fur die von einem Kalkul erzeugten Zeichenreihen eine Interpretation an, d. h., legt man fur sie eine Bedeutung fest, spricht man von einem interpretierten Kalkul, ansonsten von einem uninterpretierten Kalkul.

Ein Kalkul bildet sozusagen einen fest abgeschlossenen Handlungsspielraum. Das Schachspiel mit den Figuren (Axiome) und Zugregeln (Schlussregeln) bietet, wie Spiele im Allgemeinen, ein anschauliches Beispiel. Ein vorgegebenes Ziel (z. B. Gewinn des Spiels, Losung eines ? politischen ? Konflikts, Finden eines Weges aus dem Labyrinth ) gehort jedoch nicht zum Kalkul.

Kalkule in der Logik

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In der Logik sind Kalkule prazise definiert: Axiome sind dort Formeln (Aussagen), Transformationsregeln sind Ersetzungsschemata uber den Formeln. Der Begriff des Schließens spielt in der Logik eine zentrale Rolle, und so versucht man den semantisch definierten Folgerungsoperator (siehe Tautologie ) durch den syntaktisch definierten Ableitungsoperator nachzubilden, der die Anwendung von Schlussregeln symbolisiert.

Ein Kalkul heißt

korrekt ,
wenn sich in ihm nur semantisch gultige (allgemeingultige) Formeln ableiten lassen. (Es darf aber ohne Weiteres sein, dass es semantisch gultige Formeln gibt, die in dem Kalkul nicht ableitbar sind.)
Formal ausgedruckt: Wenn fur alle Formeln und fur alle Formelmengen gilt:
vollstandig ,
wenn sich in ihm alle semantisch gultigen Formeln ableiten lassen. (Es kann aber ohne Weiteres sein, dass sich in dem Kalkul auch solche Formeln ableiten lassen, die nicht semantisch gultig sind.)
Formal ausgedruckt: Wenn fur alle Formeln und fur alle Formelmengen gilt:
adaquat ,
wenn er sowohl vollstandig als auch korrekt ist, d. h. wenn ?sich die Begriffe der Beweisbarkeit und der Ableitbarkeit im Kalkul mit den jeweiligen Begriffen der Allgemeingultigkeit und der logischen Folgerung decken“. [3]
widerspruchsfrei ,
wenn sich in ihm kein Widerspruch ableiten lasst (wenn es unmoglich ist, eine Formel und ihre Negation aus nicht widerspruchlichen Pramissen abzuleiten).
konsistent ,
wenn in ihm mindestens eine Formel nicht ableitbar ist.
Bemerkung: Widerspruchsfreiheit und Konsistenz decken sich in der klassischen Logik und intuitionistischen Logik .
Begrundung: Wenn ein Kalkul widerspruchsfrei ist, ist es z. B. unmoglich, sowohl als auch zu beweisen. Das heißt, dass es mindestens eine Formel gibt (namlich oder ), die nicht ableitbar ist. Wenn der Kalkul andererseits nicht widerspruchsfrei ist und sich sowohl als auch ableiten lassen, dann lasst sich ex falso quodlibet jede beliebige Formel ableiten (diese Schlussform gilt sowohl in der klassischen als auch in der intuitionistischen Logik).

Es gibt logische Systeme bzw. allgemein formale Systeme, fur die sich adaquate Kalkule aufstellen lassen, zum Beispiel die klassische Logik. Andere formale Systeme sind ihrer Natur nach so beschaffen, dass es nicht moglich ist, einen Kalkul aufzustellen, der vollstandig und korrekt ist (z. B. Pradikatenlogik hoherer Stufe ).

Fur die Aussagenlogik gibt es in Gestalt der Wahrheitstabellen ein semantisches Entscheidungsverfahren (siehe Entscheidungsproblem ), mit dem sich fur alle Formeln und Argumente deren aussagenlogische Gultigkeit bzw. Ungultigkeit eindeutig ermitteln lasst, ohne dass die jeweilige Formel bzw. das jeweilige Argument in einem Kalkul abgeleitet werden musste. Insofern ist fur aussagenlogische Fragestellungen die Verwendung eines Logikkalkuls nicht erforderlich. [4]

Demgegenuber gibt es schon fur die allgemeine Pradikatenlogik weder semantische noch syntaktische Entscheidungsverfahren; hier ist es zum Nachweis der Gultigkeit eines Arguments daher erforderlich, es in einem geeigneten Kalkul herzuleiten. Gelingt die Ableitung, dann ist das Argument als gultig erwiesen; gelingt die Ableitung nicht, dann sagt das nichts uber die Gultigkeit des Arguments aus: Es konnte ungultig sein, es konnte aber auch die Suche nach einem geeigneten Beweis nicht grundlich genug gewesen sein.

Praktische Anwendung finden logische Kalkule in der Informatik auf dem Gebiet des maschinengestutzten Beweisens .

Kalkule in der Mathematik

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In der Mathematik konnen samtliche Regelsysteme, die, richtig angewendet, zu richtigen Ergebnissen fuhren, als Kalkul bezeichnet werden.

Geschichte der Theorie des Kalkuls

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Die philosophischen Wurzeln des Kalkuls fuhrt man bis auf die Syllogistik von Aristoteles zuruck, bei der es sich um ein formales System im modernen Sinn handelt. Die Geschichte der Theorie des Kalkuls wird unterschiedlich weit zuruckverfolgt. Als eigentlicher Begrunder wird meist Leibniz genannt. [5] Ziel seiner Theorie von einer characteristica universalis war es, durch reine Anwendung von vorher bestimmten Regeln mit Hilfe von Sprache neue Erkenntnisse zu gewinnen. Fur andere knupfte Leibniz damit an die ersten Ansatze eines Logikkalkuls in der Kombinatorik von Raimundus Lullus an. [6]

Bedeutung der Kalkulisierung

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Die Kalkulisierung der Logik macht in ihrem Anwendungsbereich das logische Denken zu einer Art des Rechnens. Sie ist ein Kennzeichen der modernen Logik und macht sie zur formalen, mathematischen oder symbolischen Logik. Nach Hilbert /Ackermann dient die Kalkulisierung der logischen Folgerung ihrer Zerlegung in letzte Elemente, so dass die logische Folgerung ?als formale Umgestaltung der Ausgangsformeln nach gewissen Regeln, die den Rechenregeln analog sind, [erscheint]; das logische Denken findet sein Abbild in einem Logikkalkul“. [7]

Die mit der Kalkulisierung einhergehende Mathematisierung bringt der Logik die Vorteile der Exaktheit und Uberprufbarkeit der Mathematik. Sie ist ein Phanomen der Konvergenz zum logizistischen Programm ( Logizismus ), d. h. zur Ruckfuhrung der Mathematik auf die Logik.

Die Kalkulisierung macht die Logik fur Programmiersprachen geeignet.

Nach Paul Lorenzen besteht die Bedeutung der Kalkulisierung zunachst einmal darin, dass sie den Zirkel axiomatischer Theorien, dass sie selbst Logik voraussetzen, dadurch auflost, dass Kalkule keine Logik voraussetzen sollen. ?Fur das Begrundungsproblem, also fur die Frage[,] mit welchem Recht man gewisse Schlusse als logische Schlusse anerkennt, liefert die Kalkulisierung keine Antwort.“ [8]

Als philosophisch relevant wird angegeben, dass ein (uninterpretierter) Kalkul ?nichts Wirkliches“ sei, ?sondern nur Regeln fur unser eigenes Handeln, fur das Operieren mit Figuren, enthalt“. [9]

Das Absehen von einer Interpretation bedeutet eine methodische Entlastung von semantischen Fragen und Kontroversen. Wird das Formale absolut gesetzt, birgt die Formalisierung die Gefahr eines reduktionistischen Formalismus, d. h. zu der Annahme, dass die semantische Reinterpretation und der Wirklichkeitsbezug logischer Aussagen in einem Kalkul letztendlich willkurlich bzw. nicht gegeben ist.

  • Heinz Bachmann: Der Weg der mathematischen Grundlagenforschung. Peter Lang, Bern 1983, ISBN 3-261-05089-6 .
  1. Homberger, Sachworterbuch zur Sprachwissenschaft (2000)/Kalkul.
  2. So Regenbogen/Meyer, Worterbuch der Philosophischen Begriffe (2005)/Kalkul.
  3. Hoyningen-Huene , Logik (1998), S. 270
  4. Hoyningen-Huene, Logik (1998), S. 258.
  5. So z. B. Lorenzen, Logik, 4. Aufl. (1970), S. 62.
  6. Schulerduden, Philosophie, 2. Aufl. (2002)/Lullus.
  7. Hilbert/Ackermann, Grundzuge, 6. Aufl. (1972), S. 1.
  8. Lorenzen, Logik, 4. Aufl. (1970), S. 62.
  9. Lorenzen, Logik, 4. Aufl. (1970), S. 74.
Wiktionary: Kalkul  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen