Interventionsverbot (Volkerrecht)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
(Weitergeleitet von Intervention (Volkerrecht) )
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Interventionsverbot ist eines der Grundprinzipien des Volkerrechts . Er verbietet einem Staat die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates.

Auch wenn das Interventionsverbot schon seit dem Westfalischen Frieden durch das Prinzip der Staatssouveranitat in der Staatenordnung anerkannt war, wurde es erstmals im Jahre 1758 von Emer de Vattel in seinem Werk Le droit des gens ou principes de la loi naturelle konkret benannt. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nutzen das Interventionsverbot uberwiegend ehemalige Kolonien und aufstrebende Nationen (so die noch junge USA in der sog. Monroe-Doktrin 1823) [1] zum Schutze vor militarischer Einmischung wirtschaftlich und militarisch uberlegener Staaten.

Erst nach Grundung der Vereinten Nationen wurde der Grundsatz auch explizit auf nicht-militarische Einmischung bezogen, da nun die kriegerische Einmischung durch das in Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot verboten war und das Interventionsverbot dafur nun nicht mehr herangezogen werden musste. Seitdem wurde es nicht nur in vielen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen bestatigt (so vor allem in der Friendly Relations Declaration vom 24. Oktober 1970 [2] ), sondern auch der Internationale Gerichtshof hat in seinem Nicaragua-Urteil 1986 das Prinzip anerkannt, wenn auch nicht abschließend beschrieben. [3] Heute kommt dem Interventionsverbot wieder zusatzliche Relevanz zu, da Staaten insbesondere wirtschaftlich eng verflochten sind und somit okonomische, diplomatische und politische Einflussnahmen zur Tagesordnung gehoren, denen durch das Interventionsverbot Grenzen gesetzt werden.

Inhalt des Verbotes

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Anerkennung des Grundsatzes

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Das Interventionsverbot gilt als Volkergewohnheitsrecht . Zwar normiert die Charta der Vereinten Nationen das zwischenstaatliche Interventionsverbot nicht ausdrucklich. Es ist jedoch Konsens, dass das Interventionsverbot aus dem Grundsatz der souveranen Gleichheit der UN-Mitgliedstaaten gem. Art. 2 Nr. 1 UN-Charta abzuleiten ist. [4] Als Gewohnheitsrecht gilt es auch fur und gegen Nicht- Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen .

Elemente des Interventionsverbotes

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Das Interventionsverbot besteht aus zwei Elementen: Der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates und der Anwendung oder Androhung von Zwang. [5]

Eine innere Angelegenheit des Staates, auch ?domaine reserve“ genannt, betrifft nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs zu Nicaragua [6] zumindest das Recht des Staats, in seinen inneren und außeren Angelegenheiten grundsatzlich frei ohne außeren Zwang zu entscheiden, insbesondere in der Wahl des politischen, sozialen und kulturellen Systems und der Bestimmung der Außenpolitik. Der durch das Verbot geschutzte Bereich ist veranderbar und kann von Staat zu Staat unterschiedlich weit zu bestimmen sein. Insbesondere konnen sich Staaten durch volkerrechtliche Vertrage zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, dadurch wird die Angelegenheit internationalisiert und ist dann nicht mehr nur Sache des Staates selbst.

Wann unzulassiger Zwang vorliegt, ist noch immer umstritten und stellt die ?eigentliche Kernproblematik“ [7] des Interventionstatbesttandes dar. Sowohl die Abgrenzung zum Gewaltverbot als auch zum zulassigen Druck (gelegentlich auch Interzession genannt) ist noch nicht abschließend geklart. [8]

Adressaten des Verbotes sind nur Staaten. Handeln Private, zum Beispiel multinationale Unternehmen , konnen sie nicht fur einen Verstoß gegen das Interventionsverbot verantwortlich gemacht werden. Moglicherweise sind ihre Handlungen aber einem Staat im Rahmen der Staatenveranwortung zuzurechnen. [9]

In der Praxis hat sich eine Abgrenzung ?nach oben“ bezuglich bewaffneter Gewalt und ?nach unten“ hinsichtlich zulassiger Einwirkung auf andere Staaten eingeburgert. [10]

Nach oben ist das Interventionsverbot vom Gewaltverbot abzugrenzen. Die genaue Unterscheidung ist umstritten, da eine Gewaltanwendung de facto eine Intervention mit militarischer Gewalt, also gleichzeitig eine Einmischung darstellt. Da das Gewaltverbot aber genauer reglementiert und in Umfang und Anwendung prazisiert wurde, ist eine genaue Abgrenzung nicht erforderlich. Solche Falle sind durch die Regelungen bezuglich militarischer Gewalt abgedeckt, insbesondere durch das in Art. 51 der UN-Charta normierte Recht zur Selbstverteidigung . [11]

Nach unten ist die Abgrenzung ebenso umstritten. Es ist insofern klar, dass nicht jede Einflussnahme eines Staates unzulassig ist. Daher ist zwischen unzulassigem Zwang und einer zulassigen Ausubung von Druck zu unterscheiden. Weder die Handllungspraxis der Staaten noch die Judikate des Internationalen Gerichtshofes haben den Begriff des Zwangs aber klarer definiert. Im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Zwang sprach der UN-Generalsekretar davon, dass es ?im internationalen Recht keinen klaren Konsens daruber gibt, wann wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen unzulassig sind, trotz einschlagiger Vertrage, Erklarungen und Resolutionen internationaler Organisationen, die versuchen, Normen zu entwickeln, die den Einsatz solcher Maßnahmen begrenzen.“ [12] Daher lasst sich bisher in einer Grauzone nur im Einzelfall unterscheiden, wann die Grenze zur Intervention erreicht ist.

Anwendungsfalle

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Es ist generell anerkannt, dass kein Staat in einem anderen Staat auf einen Regimewechsel ( regime change ) hinwirken darf. Auch die Destabilisierung durch subversives Verhalten ist untersagt. Als Beispiel werden oft vom eigenen Territorium aus gesendete, grenzuberschreitende Rundfunkaufrufe genannt, mit denen die Bevolkerung des anderen Landes zum Sturz der eigenen Regierung aufgefordert wird. [13] Verboten ist insofern auch die Unterstutzung von Aufstandischen , etwa durch Finanzierung, Ausbildung oder Versorgung mit Waffen, wie der Internationale Gerichtshof im Nicaragua-Urteil 1986 feststellte. Auch die Parteinahme gegen die herrschende Regierung in einem Burgerkrieg ist unzulassig.

Die vorzeitige (?verfruhte“) Anerkennung eines territorialen Gebildes kann einen Verstoß gegen das Interventionsverbot begrunden, wenn der vermeintliche Staat in Wahrheit noch Bestandteil eines anderen Staates ist. [14]

Kein Konsens ist bisher gefunden, ab wann der Einsatz von Wirtschaftssanktionen , so des Wirtschaftsboykotts , die Verhangung eines Embargos oder das Einfrieren auslandischer Konten unter das Interventionsverbot fallen kann.

Das Strafanwendungsrecht regelt, ob das Strafrecht Deutschlands auf Auslandssachverhalte anwendbar ist. [15] [16] Nationales Strafrechtsdenken soll ?sich nicht zum Richter uber Sachverhalte aufschwingen, die es weder unmittelbar noch mittelbar etwas angehen.“ [17]

Geltung im Rahmen von Internationalen Organisationen

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im Rahmen der Vereinten Nationen bestimmt Art. 2 Nr. 7 der Charta der Vereinten Nationen , dass sich die Organe der Vereinten Nationen nicht in Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten einmischen durfen. Ahnliche Verbote finden sich beispielsweise in Art. 3 der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten oder Art. 2 der Charta des Verbandes Sudostasiatischer Nationen (ASEAN).

  • Tobias Trautner: Die Einmischung in innere Angelegenheiten und die Intervention als eigenstandige Verbotstatbestande im Volkerrecht. Peter Lang-Verlag, 1999.
  • Menschenrechte und die Frage der ?Einmischung in innere Angelegenheiten“. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages , 16. April 2008. PDF.
  • Marco Athen: Der Tatbestand des volkerrechtlichen Interventionsverbots. Baden-Baden 2017.
  • Brun-Otto Bryde : Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln. In: Ingo von Munch (Hrsg.): Staatsrecht-Volkerrecht-Europarecht ? Festschrift fur Hans-Jurgen Schlochauer zum 75. Geburtstag am 28. Marz 1981. Berlin, New York 1981, S. 227?245.
  • Detlev Christian Dicke : Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln. Baden-Baden 1978.
  • Matthias Valta: Staatenbezogene Wirtschaftssanktionen zwischen Souveranitat und Menschenrechten. Tubingen 2019.

Einzelnachweise

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]
  1. Jurgen v. Prellwitz: Das ?Prinzip der Nichteinmischung“ als Grundlage der interamerikanischen Beziehung. Zeitschrift fur Politik 1960, S. 110?133.
  2. 2625 (XXV). | Erklarung uber Grundsatze des Volkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen (PDF), auf un.org
  3. IGH 27.6.1986 ? ICJ Reports 1986, 124, Rn. 242 ? https://www.icj-cij.org/en/case/70/judgments [Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Nicaragua/United States of America], General List No. 70
  4. Torsten Stein , Christian von Buttlar , Markus Kotzur : Volkerrecht , 14. Aufl., Munchen 2017, Rn. 635.
  5. Andreas von Arnauld : Volkerrecht , 4. Aufl., Heidelberg 2017, Rn. 351.
  6. IGH 27.6.1986 ? ICJ Reports 1986, 124, Rn. 205 ? Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Nicaragua/United States of America, General List No. 70, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/en/case/70/judgments .
  7. Marco Athen: Der Tatbestand des volkerrechtlichen Interventionsverbots. Baden-Baden 2017, S. 233.
  8. Thomas Oppermann: Nichteinmischung in innere Angelegenheiten Zur Abgrenzung der Nichteinmischung gegenuber Intervention und Interzession. Archiv des Volkerrechts 1970, S. 321?342.
  9. Torsten Stein , Christian von Buttlar , Markus Kotzur : Volkerrecht , 14. Aufl., Munchen 2017, Rn. 647.
  10. So schon fruh: Axel Gerlach : Die Intervention. Versuch einer Definition. Hamburg 1967, S. 107.
  11. Philip Kunig : Prohibition of Intervention , in: Rudiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedias of International Law, Rn. 6.
  12. Note by the Secretary-General: Economic measures as a means of political and economic coercion against developing countries. 1993, abgerufen am 15. April 2023 (englisch).
  13. Torsten Stein, Christian von Buttlar, Markus Kotzur: Volkerrecht, 14. Aufl., Munchen 2017, Rn. 647.
  14. Meinhard Schroder, In: Vitzthum, Proelß (Hrsg.), Volkerrecht , 8. Auflage 2019, S. 752.
  15. Wolfgang Zieher: Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform. Der Rechtsgrund bei Straftaten im Ausland nach §§ 5 und 6 StGB. Schriften zum Strafrecht (SR), Band 27. Duncker & Humblot, 1977. ISBN 978-3-428-04001-8 .
  16. Kai Ambos : Strafanwendungsrecht & Europaisches Strafrecht ( Memento des Originals vom 26. Dezember 2015 im Internet Archive )   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/www.department-ambos.uni-goettingen.de 2015
  17. Christoph Burchard: Intertemporales Strafanwendungsrecht: Zur Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im Demjanjuk-Verfahren. Zugleich Besprechung von LG Munchen II, Beschluss v. 2. Februar 2010 ? 1 Ks 115 Js 12496/08. HRRS 2010, S. 132, 136.