Der
Imperativ
(
lateinisch
[modus] imperativus
von
imperare
?befehlen‘; deutsch
Befehlsform
) ist ein
Modus
des
Verbs
. Er wird in erster Linie fur Aufforderungen und Befehle, oder Ratschlage und Einladungen benutzt. Er dient somit nicht zu Aussagen, sondern zum Ausdruck eines besonderen
Sprechakts
.
Der Imperativ wird oft in die Kategorie des irrealen Modus mit hineingenommen, obwohl er, anders als andere Falle des
Irrealis
, keine Aussage macht (in der Fachliteratur gilt es als denkbar, aber strittig, dass er in seiner direktiven Bedeutung auch eine Aussage uber eine noch nicht wirklich vorliegende Handlung enthalt und insofern einem irrealen Modus gleicht
[1]
).
Der Imperativ ist im
Deutschen
ein
Modus
, der nur fur die
2. grammatische Person
(den sogenannten
Adressaten
) gebildet werden kann (einschließlich der Hoflichkeitsform mit ?Sie“ in der 3. Person Plural im Konjunktiv I).
[2]
Er wird fur gewohnlich ohne
Personalpronomen
verwendet ? nur das ?Sie“ in der Hoflichkeitsform muss zwingend erscheinen.
Numerus
|
Respekt
|
Indikativ
|
Imperativ
|
Singular
|
familiar
|
Du
bist
streng.
|
Sei
nicht so streng!
|
distanziert
|
Sie
sind
streng.
|
Seien
Sie nicht so streng.
|
Plural
|
familiar
|
Ihr
seid
streng.
|
Seid
nicht so streng!
|
distanziert
|
Sie
sind
streng.
|
Seien
Sie nicht so streng.
|
Standardsprachlich umfasst der Imperativ auch den
Adhortativ
an die 1. Person Plural:
[3]
?Gehen wir!“
Der Vollstandigkeit halber sei noch die veraltete, historische Form des Imperativs mit der hoflichen Anrede ?Er/Sie“ (im Singular) angefuhrt:
[4]
Aussagesatz: ?Er/Sie
ist
streng.“
Aufforderung: ?
Sei
Er/Sie nicht so streng!“
Es gibt verschiedene Versuche, die Formen des Imperativs im Deutschen zu systematisieren. In wissenschaftlichen Abhandlungen wird nicht wie in Grammatiken behauptet, dass diese Formen auf der Basis anderer Formen (z. B. Infinitiv oder 2. Person Singular) ?gebildet“ wurden. Stattdessen wird z. B. festgestellt, dass der Imperativ fast aller deutschen Verben im
Singular
der Verbform der
2. Person Singular Prasens
ohne die Endung
-st
(und ohne das
Personalpronomen
) entspricht und dass der Imperativ aller deutschen Verben im
Plural
genau der Verbform der
2. Person Plural
entspricht.
[5]
Die Imperative der Verben
haben
,
sein
,
werden
und
wissen
und mehrere weitverbreitete umgangssprachliche Imperative entsprechen diesem Muster aber nicht im Singular.
Parallelen zwischen den Formen des Imperativs und anderen Formen sind also nicht uberall regelmaßig zu sehen. Eine weitere Unregelmaßigkeit ist, dass zwar Verben mit Ablaut in der 2. Person (z. B.
geben / du gibst
) diesen Ablaut auch im Imperativ zeigen
(Gib!)
, aber Verben mit Umlaut in der 2. Person (z. B.
du fahrst
) den Umlaut nicht im Imperativ haben
(Fahr!)
. Andererseits erklart Eisenberg: ?Nach A. Bittner ist der Vokalwechsel im Sg Imp das erste Merkmal das verlorengeht, wenn ein starkes Verb zur schwachen Flexion wechselt. So haben wir im Gesprochenen haufig schon
ess(e)
,
les(e)
,
seh(e)
,
werf(e)
, aber ausschließlich
du isst
,
liest
,
siehst
,
wirfst
.“
[5]
Numerus
|
Respekt
|
Indikativ
|
Imperativ
|
Singular
|
familiar
|
du gehst
|
geh!
|
distanziert
|
Sie gehen
|
gehen Sie!
|
Plural
|
familiar
|
ihr geht
|
geht!
|
distanziert
|
Sie gehen
|
gehen Sie!
|
Weitere Beispiele sind
du arbeitest
→
arbeite!
und
du wirfst
→
wirf!
.
Die Verben
haben
,
sein
,
werden
und
wissen
:
|
Indikativ
|
Imperativ
|
haben
|
du hast
|
hab(e)!
|
sein
|
du bist
|
sei!
|
werden
|
du wirst
|
werde!
|
wissen
|
du weißt
|
wisse!
|
Im familiaren Plural sind diese Verben regelmaßig, also identisch mit der 2. Person Plural.
[6]
Im distanzierten Singular und Plural sind diese Verben auch regelmaßig, d. h. in der 3. Person Plural des Konjunktivs I, welche Form nur beim Verb
sein
anders als im Indikativ (
Sie sind
) ist:
seien Sie!
.
[2]
Bei starken Verben mit Umlaut in der 2. und 3. Person Singular entfallt der Vokalwechsel beim Imperativ:
|
Indikativ
|
Imperativ
|
schlafen
|
du schlafst
|
schlaf!
|
laufen
|
du laufst
|
lauf!
|
Starke Verben mit Vokalwechsel im Imperativ konnen kein
-e
als Endung bekommen; es heißt z. B. nur
wirf!
,
gib!
und
iss!
. Bei den schwachen Verben, deren
Wortstamm
auf
-d
,
-t
,
-ig
,
-ier
oder Konsonant plus
-m
oder
-n
endet, gilt die Form mit
-e
als stilistisch besser oder einzig moglich:
[7]
[8]
In den meisten anderen Fallen ist die Endung -e beim Imperativ im heutigen Sprachgebrauch fakultativ: In Deutschland gelten
schlaf
und
schlafe
oder
mach
und
mache
als gleichwertige Parallelformen, aber im osterreichischen Standard ist das Endungs-E unublich und veraltet.
|
Indikativ
|
Imperativ
|
reden
|
du redest
|
rede!
|
warten
|
du wartest
|
warte!
|
entschuldigen
|
du entschuldigst
|
entschuldige!
|
studieren
|
du studierst
|
studiere!
|
atmen
|
du atmest
|
atme!
|
rechnen
|
du rechnest
|
rechne!
|
Bei Verben wie
rechnen
oder
atmen
, bei denen aus dem Wortstamm ein
e
entfallt (siehe
Rechen
(-regel),
Atem
), ist die Imperativform mit der Endung
-e
, also
rechne!
, die einzig mogliche Variante. Bei Verben auf
-eln
kann das
e
im Wortstamm entfallen:
sammele!
oder
sammel!
, aber auch
sammle!
.
Im
Plural
lasst man zur Bildung des Imperativs von der
2. Person Plural
nur das Personalpronomen weg, die Endung bleibt. Aus
ihr schaut
wird
schaut!
.
Um Befehle, Aufforderungen und Anweisungen zu vermitteln, muss nicht zwingend der Modus des Imperativs verwendet werden, stattdessen kann der Sprecher auf andere Verbformen und Formulierungen zuruckgreifen; teilweise verdeutlichen
Modalpartikeln
den Aufforderungscharakter.
[9]
Der
Indikativ
kann mit der Wirkung einer Aufforderung gebraucht werden, wenn Sprecher von ihrem Gegenuber erwarten, dass diese Handlung in Zukunft so realisiert wird. Beispiele:
- ?Um Neun bist du wieder zu Hause!“
- ?In Zukunft
wendest
du dich bitte direkt an mich!“
- Alternativ: ?In Zukunft
wirst
du dich direkt an mich
wenden
!“ (Futur I)
Das
unpersonliche Passiv
ist eine weitere markante Konstruktion, mit der Aufforderungen im Indikativ kommuniziert werden konnen:
- Plotzlich kommt die Mama oder der Papa ins Zimmer und bestimmt: ?Licht aus, jetzt
wird geschlafen
.“
[10]
- ?Jetzt
wird gearbeitet
, nicht
gequatscht“
, ruft sie einer kleinen Gruppe Helferinnen zu und klatscht aufmunternd in die Hande.
[11]
In Anleitungen, wie zum Beispiel Kochrezepten, die den Anwender nicht personlich anreden, sind die Arbeitsanweisungen oft nur im Infinitiv anstelle des veralteten
man nehme …
angegeben, zum Beispiel:
Gemuse putzen, waschen und vorbereiten …
In offentlichen Anzeigeschildern wird der Infinitiv oft gebraucht:
Links stehen, rechts gehen! Bitte hinten aussteigen! Im Notfall Glas einschlagen.
Auch auf Verbotsschildern ist der Infinitiv verbreitet, zum Beispiel:
Nicht rauchen!
oder
Nicht hinauslehnen!
. Im mundlichen Sprachgebrauch ist der Infinitiv als Ersatz fur den Imperativ bei echten Aufforderungen (keine Bitten und auch nicht bei langeren Satzen) allgemein ublich, zum Beispiel:
Aufpassen!
,
Hergucken!
,
Nicht faulenzen!
,
Erst denken, dann reden!
.
- Rezept: Lachsforellenfilet
waschen
,
trockentupfen
, mit Zitronensaft
betraufeln
und kurz stehen
lassen
. In der Zwischenzeit Gemuse
putzen
und in feine Streifen
schneiden
.
[12]
- Aufforderung: Auch beim Zukunftsfonds gilt: Erst
denken
, dann Geld
ausgeben
.
[13]
Das
Partizip Perfekt
(bzw. Partizip Ⅱ) kann bei trennbaren intransitiven Verben fur Aufforderungen verwendet werden, typisch, aber nicht ausschließlich, in der Funktion eines militarischen Kommandos:
- Adjutant Carsten Gries kommandiert:
?Stillgestanden!“
[14]
- Autofahrer
aufgepasst!
Die Nauener Polizei blitzt heute mit ihrem Radarmessgerat auf der Bundesstraße 5 bei Berge.
[15]
- Aufgepasst
, jetzt folgt ein Trick!
[16]
- Hereinspaziert!
Der Schlussel steckt.
[17]
- Bei Bitten verwendet man gern hoflichere Umschreibungen im Konjunktiv II, zum Beispiel: ?Wurdest du bitte das Fenster zumachen?“ statt ?Mach bitte das Fenster zu!“
Verwandte Modi sind der
Jussiv
(Befehl an die 3. Person) und der
Adhortativ
oder der
Kohortativ
(Aufforderung an die 1. Person). Diese existieren im Deutschen nicht als eigenstandige Verbform und mussen durch Umschreibungen ausgedruckt werden.
In indirekter Rede wird in geschriebenem Standarddeutsch der Imperativ durch Modalverben im Konjunktiv I ersetzt. Bei hoflichen Bitten benutzt man z. B. ?mogen“ (z. B. ?Reg dich doch bitte nicht so auf!“ → ?Sie bat ihn (hoflich), er moge sich nicht so aufregen.“). Bei Befehlen oder Aufforderungen benutzt man z. B. ?sollen“ (z. B. ?Hort jetzt endlich auf, uber das Wahlergebnis zu diskutieren!“ → ?Er befahl ihnen (scharf), sie sollten aufhoren, uber das Wahlergebnis zu diskutieren.“).
[18]
Im
Englischen
entspricht der Imperativ dem
Infinitiv
des Verbs. Dieser grammatische Imperativ ist in der 2. Person (Singular und Plural sind dabei ununterscheidbar). Das Personalpronomen
you
(du) wird fur gewohnlich ausgelassen, kann aber benutzt werden, um den Befehl besonders zu betonen.
Verneint wird er mittels des verneinten Hilfsverbs
do
(tun): “
Don’t
touch me!”
In der Verneinung kann ebenfalls
you
eingefugt werden, um besondere Betonung auszudrucken (“
You
don’t touch these!”). In der Umgangssprache kann
you
auch nach
don’t
stehen, druckt dabei aber nicht zwangslaufig eine Betonung aus: “Don’t
you
touch these!”
Um besonderen Nachdruck auszudrucken, kann das Hilfsverb
do
auch im
affirmativen
Imperativ eingesetzt werden: “
Do
be quiet!”
In der 1. Person wird der Imperativ mit dem Verb
let
(lassen) umschrieben:
- Let
us
(Let’s)
have a drink! (druckt den Imperativ in der 1. Person Plural aus)
Die
franzosische Sprache
verfugt, wie das Deutsche, ebenfalls uber eine flektierte Verbform des Imperativs, den
imperatif
.
[19]
Der franzosische Imperativ verfugt aber uber drei anstelle von zwei Personalflektionen und wird abweichend vom Deutschen nicht mit einem Ausrufezeichen am Satzende markiert:
[19]
|
Imperativ
|
Imperatif
|
2. Ps. Sg.
|
Schau!
|
Regard
e
.
|
1. Ps. Pl.
|
Lass(t) uns schauen!
|
Regard
ons
.
|
2. Ps. Pl.
|
Schaut!
|
Regard
ez
.
|
In der 1. Person Plural ist der franzosische Imperativ aber kein Imperativ an sich, sondern bildet einen
Adhortativ
.
Die franzosische Grammatik beschreibt auch einen Imperativ Perfekt (
imperatif passe
). Damit kann ausgedruckt werden, dass ein Befehl zu einem Zeitpunkt in der Zukunft befolgt worden sein soll, weshalb er auch als
imperatif futur anterieur
bezeichnet wird. Hierzu wird eine der drei Imperativformen (
aie, ayons, ayez
bzw.
sois, soyons, soyez
) von
avoir
(haben) oder
etre
(sein) mit dem passenden Partizip Perfekt (
participe passe
) kombiniert:
|
Imperatif passe
|
Ubersetzung
|
2. Ps. Sg.
|
Sois parti(e)
a midi.
|
Sei
bis Mittag
aufgebrochen
!
|
1. Ps. Pl.
|
Soyons parti(e)s
a midi.
|
Lasst uns bis Mittag aufgebrochen sein!
|
2. Ps. Pl.
|
Soyez parti(e)s
a midi.
|
Seid bis Mittag aufgebrochen!
|
Die dem
imperatif passe
entsprechende Form (
sei aufgebrochen
) lasst sich zwar fur die 2. Person nach gleichen Regeln in der deutschen Sprache bilden, ist jedoch selten und wird nicht als eigenstandige Form gelehrt.
|
Latein
|
Ubersetzung
|
2. Ps. Sg
|
lauda!
|
lobe!
|
2. Ps. Pl.
|
laudate!
|
lobt!
|
Bei folgenden Verben existieren Kurzformen, die im
klassischen Latein
die fruheren langen Formen verdrangten, die noch im
Altlatein
ublich waren:
Verb
|
dicere
(?sagen“)
|
facere
(?machen“)
|
2. Ps. Singular
|
dic!
|
fac!
|
Ubersetzung
|
sag!
|
mach!
|
Dieser Modus wird auch als
Imperativ Futur
bezeichnet. Der Befehlscharakter ist abstrakter als beim Imperativ I, d. h. nicht auf einen zeitnah auszufuhrenden einzelnen Akt bezogen. Die Handlung wird nicht sofort erwartet, sondern zu einem spateren Zeitpunkt oder fur eine unbeschrankte Zeitdauer. Daher findet er sich insbesondere in Gesetzen, sakralen Vorschriften, Anweisungen oder auch Kochrezepten. (Im Deutschen steht hier haufig der Infinitiv, z. B. ?Den Teig uber Nacht ruhen lassen“.)
|
Latein
|
Ubersetzung
|
2./3. Ps. Sg.
|
laudato!
|
du sollst / er/sie soll loben!
|
2. Ps. Pl.
|
laudatote!
|
ihr sollt loben!
|
3. Ps. Pl.
|
laudanto!
|
sie sollen loben!
|
Ein weiteres Beispiel ist
memento
im Ausdruck ?
Memento mori
“ (?Bedenke, dass du sterben wirst“).
- ↑
Paul Portner:
Imperatives
.
Manuskript
(PDF) 2013, erscheint in: Maria Aloni, Rob van Rooij:
Handbook of Semantics
. Cambridge University Press, S. 15 (Ms.)
- ↑
a
b
[1]
- ↑
Matthias Wermke (Hrsg.), Gunther Drosdowski (Hrsg.):
Duden ? Die Grammatik
. Dudenverlag, Mannheim 2006,
ISBN 3-411-04047-5
, § 787, 791
- ↑
Matthias Wermke (Hrsg.), Gunther Drosdowski (Hrsg.):
Duden ? Die Grammatik
. Dudenverlag, Mannheim 2006,
ISBN 3-411-04047-5
, § 790
- ↑
a
b
Peter Eisenberg,
Grundriss der deutschen Grammatik
, S. 194
- ↑
Zum Verb
wissen
auch
wisset!
, zusatzlich zu
wisst!
, s.
Duden: Grammatiktabellen Deutsch
.
- ↑
Grammatik der modernen deutschen Umgangssprache, Hueber, S. 33
- ↑
Lehr- und Ubungsbuch der deutschen Grammatik, Hueber, S. 67
- ↑
Matthias Wermke (Hrsg.), Gunther Drosdowski (Hrsg.):
Duden ? Die Grammatik
. Dudenverlag, Mannheim 2006,
ISBN 3-411-04047-5
, § 1402
- ↑
EXTRA-Verlosung
. In:
Nurnberger Nachrichten
, 23. April 2009, S. 26.
- ↑
Mit rauem Ton und großem Herz ? Inge Hofe halt die Faden zusammen
. In:
Braunschweiger Zeitung
, 29. Dezember 2011.
- ↑
Essen Sie sich fit fur den Fruhling
. In:
Braunschweiger Zeitung
, 22. Februar 2013, Ressort: Verbr.
- ↑
Erst denken, dann Geld ausgeben
. In:
Berliner Morgenpost
, 16. Juni 1999, S. 5
- ↑
Konig Wilfried setzt der Konigskette ein Denkmal
. In:
Braunschweiger Zeitung
, 17. Juni 2010
- ↑
Berliner Morgenpost
, 20. Oktober 1999, S. 43
- ↑
Wilkenloh, Wimmer:
Poppenspal
[Kriminalroman]. Meßkirch, 2011
- ↑
Hrsg.: Landschulheim Schloss Heessen e. V.
Schloss Heessen
. Werbezeitung. Hamm, 2020, S. 1
- ↑
Duden. Die Grammatik.
8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim 2009. Rand-Nr. 766 / S. 527
- ↑
a
b
Renate Ricarda Timmermann:
Franzosische Grammatik
. Profund-Verlag, Plankstadt 2009,
ISBN 978-3-932651-00-7
, S. 93