Menschlichkeit

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Der Begriff Menschlichkeit oder Humanitat (lateinisch Humanitas ) hat eine weitere und eine engere Bedeutung.

  1. Der Begriff bezieht sich in seiner weiteren Bedeutung auf ?alles, was Menschen zugehorig oder eigen ist“ (insbesondere auf das, was den Menschen von Tieren unterscheidet). In diesem Sinne bedeutet ?menschliches Verhalten“ ?jedes empirisch beobachtbare oder mogliche Verhalten von Menschen“. Dieses Verhalten zu beschreiben und zu erklaren ist vor allem Aufgabe der Humanethologie .
  2. Der Begriff ?menschliches Verhalten“ (mit Betonung des Attributs ?menschlich“) hingegen hat einen normativen Gehalt, geht also von Vorstellungen daruber aus, wie der Mensch sein solle oder angeblich seiner wahren Natur oder idealen Bestimmung nach sei. Unter dieser Voraussetzung bezeichnet das Wort ?Menschlichkeit“ in einer engeren Wortbedeutung Zuge des Menschen, die objektiv als richtig oder gut gelten, zum Beispiel Mitleid, Nachstenliebe, Gute, Milde, Toleranz, Wohlwollen, Hilfsbereitschaft. Als subjektives Ziel der Selbstveredelung wird demgegenuber auch das Streben nach harmonischem Ausgleich von Sinnlichkeit und Sittlichkeit genannt.

Die Idee, dass es die Aufgabe jedes Staates sei, die Wurde und die Rechte jedes Menschen zu garantieren, der sich auf seinem Gebiet aufhalt, ist fur Rechtsstaaten gemaß der Naturrechtslehre konstitutiv.

Umgang mit den Begriffen ?Menschlichkeit“ und ?Unmenschlichkeit“ im wertenden Sinne

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Philosophen bestimmen in der Tradition des Humanismus anhand verschiedener moralischer Kriterien eine gewisse Teilmenge des Verhaltens von Menschen als ?menschlich“. Im 18. Jahrhundert ging es um Themen wie die Frage, ?was den Menschen ausmache“ oder wie der Mensch sein solle. Das Ziel war friedvoller, gutiger, kultivierter Umgang. So sprach beispielsweise Johann Gottfried Herder davon, dass Menschlichkeit nur teilweise angeboren sei und nach der Geburt erst ausgebildet werden musse: Die Bildung zu ihr sei ?ein Werk, das unablassig fortgesetzt werden muß, oder wir sinken […] zur rohen Tierheit, zur Brutalitat zuruck.“ [1]

Den Rang seiner Menschlichkeit konne ein Mensch ? der Theorie nach ? durch seine jeweiligen Taten verkleinern ? oder vergroßern. Die humanistische Theorie zum Begriff Menschlichkeit umfasste ?gute“ Ziele wie Taten der Gute, der Menschenliebe, der Nachstenliebe, der Barmherzigkeit und des Mitgefuhls. Daneben etablierte sich im 18. Jahrhundert die Lehre von den ?unveraußerlichen Menschenrechten“.

Unmenschlichkeit

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Die begrifflichen Gegenstucke zum ?menschlichen“ Verhalten sind in der Tradition des Humanismus, das ?unerwunschte Verhalten“ und die ? Unmenschlichkeit “ ( lat. in humanitas dt. auch ? Inhumanitat ‘ als Gegenstuck zu ?Humanitat‘). Schon Cicero erklarte, dass ?[d]er rucksichtslose Mensch, der sich fur andere Menschen nicht interessiert“, ?nicht human“, sei, sondern ?unmenschlich“. Diese Zweiteilung in ?Menschlichkeit und Unmenschlichkeit“ wurde nicht nur auf das konkrete Verhalten von Menschen bezogen, sondern auch als Ausdruck der ?Wesensart“ ?unmenschlich Handelnder“ interpretiert, der zufolge sie ?Unmenschen“ seien.

Als von zentraler Bedeutung erweist sich die Frage, wer daruber entscheidet, welches Verhalten als ?unmenschlich“ gelten soll. De facto lauft diese Frage auf die Frage hinaus, wer in einem Staat uber die Macht verfugt, wertende Begriffe verbindlich zu definieren.

Umsetzung der Grundsatze des Humanismus

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Der Gedanke der Humanitat umfasst die prinzipielle Gleichheit aller Menschen jeder Herkunft und jeden Geschlechtes, die allgemeine Menschenwurde und die Achtung von Angriffskriegen. Im weiteren Sinn gebietet Humanitat auch religiose und politische Toleranz und Achtung vor dem Mitmenschen und seinen Uberzeugungen , im weiteren Sinn auch die Achtung vor Tieren und den Schutz der Natur .

Humanitat ist die Grundlage der Menschenrechte und des humanitaren Volkerrechts als Grundlage des positiven Rechts wie auch der Rechtspraxis in den einzelnen Staaten. Im Zusammenhang mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist die Idee der Humanitat von zentraler Bedeutung. In den Verfassungen der demokratischen Staaten ist die Humanitat in den Gesetzen fest verankert (siehe etwa, fur deutschsprachige Staaten, Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland , Osterreichische Verfassung , Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft , Verfassung des Furstentums Liechtenstein ).

Humanitat und das Konzept der Solidaritat sind eng mit der Tugend der Hilfsbereitschaft und deren Umsetzung als Hilfe verbunden. Beispiele sind das Engagement in sozialen Einrichtungen wie der Caritas oder der Diakonie , in einer Hilfsorganisation fur die Einhaltung der Menschenrechte, der Nachbarschaftshilfe oder dem intrastaatlichen Prinzip der Hilfsbereitschaft und Nachbarschaftshilfe als Humanitare Hilfe . Hier außert sich der Wille zur Menschlichkeit durch konkrete Hilfeleistungen wie Hilfsguter, z. B. in Form von medizinischer Hilfe.

Zugleich gibt es eine Rechtspflicht zur Hilfeleistung: Eine unterlassene Hilfeleistung stellt nicht nur einen moralisch zu verurteilenden Verstoß gegen die Menschlichkeit dar; Strafgesetzbucher definieren die unterlassene Hilfeleistung vielmehr auch als Straftatbestand .

Beispielhafte Anwendung im Schulgesetz

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§ 2 des Niedersachsischen Schulgesetzes beschreibt den Bildungsauftrag niedersachsischer Schulen folgendermaßen:

?Die Schule soll im Anschluss an die vorschulische Erziehung die Personlichkeit der Schulerinnen und Schuler auf der Grundlage des Christentums , des europaischen Humanismus und der Ideen der liberalen , demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen weiterentwickeln. Erziehung und Unterricht mussen dem Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland und der Niedersachsischen Verfassung entsprechen; die Schule hat die Wertvorstellungen zu vermitteln, die diesen Verfassungen zugrunde liegen.“ [2]

Damit sind alle niedersachsischen Lehrer dienstlich verpflichtet, ihre Schuler zu einer Einstellung und zu einem Verhalten zu erziehen, die sich an den Vorstellungen von Humanitat orientieren, die in den angefuhrten Stromungen der Geistesgeschichte entwickelt wurden. Ahnliche Vorschriften finden sich auch in den Gesetzen anderer Lander .

Geschichtliche Entwicklung

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Fur Cicero war es ein Begriff fur die ganzheitliche Bildung des Menschen. In diesem Sinne wurden in der Renaissance die studia humanitatis betrieben. Daher wird auch vom Renaissance-Humanismus gesprochen. Besonders in der Zeit der Aufklarung und der deutschen Klassik ( Johann Gottfried Herder , Johann Wolfgang von Goethe , Friedrich Schiller ) und nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der Gedanke der Humanitat neu auf.

Dann wandelte sich die Begriffsbedeutung. [3]

Mit der am 10. Dezember 1948 inkraftgetretenen, allerdings nicht rechtsverbindlichen Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte bekannten sich die Unterzeichnerstaaten dazu, die Einhaltung der Menschenrechte auf ihrem Staatsgebiet zu garantieren. Nach neueren Interpretationen des Volkerrechts gelten Humanitare Interventionen nicht mehr als illegale und illegitime ?Einmischungen in die inneren Angelegenheiten “ des Staates, der sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat.

Sicht des Evolutionaren Humanismus

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Vertreter des Evolutionaren Humanismus verweisen darauf, dass Verhalten, das mit den Begriffen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit gemeint ist, inzwischen bereits bei vielen Tierarten wissenschaftlich beobachtet und beschrieben wurden. Es seien ganz andere Eigenschaften, die tatsachlich ausschließlich beim Menschen vorkommen. Normative Ableitungen beziehungsweise Ethiken mussten sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Dies fuhrt zur evolutionaren Ethik .

Eine fruhe, ausfuhrliche Beschreibung von Kooperation, Altruismus, Gerechtigkeit und ?Sittlichkeit“ bei vielen gesellig lebenden Tierarten beschrieb Pjotr Alexejewitsch Kropotkin bereits 1902 in seinem Buch Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt und entwickelte daraufhin seine Ethik, veroffentlicht unter dem Titel Ethik. Ursprung und Entwicklung der Sitten .

Spezifisch menschlich seien Rationalitat, Vorstellungskraft, konzeptionelles Denken, seine einzigartigen Fahigkeiten zur Sammlung, Organisation und Anwendung von Erfahrungen durch eine sie weitertragende Kultur. [4]

In Hoffnung Mensch. Eine bessere Welt ist moglich. schreibt Michael Schmidt-Salomon , diese menschlichen Eigenschaften fuhrten zum technischen und medizinischen Fortschritt , sowie zur soziokulturellen Evolution . Es brauche ?einen kulturellen Transformationsprozess, der die humanen, lebensbejahenden Impulse aufgreift und die inhumanen, lebensfeindlichen Elemente abbaut“. [5]

Ein großes Risiko birgt nach Schmidt-Salomon die Tendenz des Menschen, Menschlichkeit nur gegenuber seiner In-Group zu zeigen, der Out-Group dagegen Feindseligkeit. Zwar wurde auch dieses Verhalten bereits bei Tieren (Schimpansen) beobachtet, bei Menschen sei es jedoch besonders verbreitet. [6]

Selbstgerechtigkeit der (vermeintlich) ?guten Menschen“

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Helmuth Plessner , ein Hauptvertreter der Philosophischen Anthropologie , kritisierte am ? Werte konstrukt “ des Humanismus, dass es die ?uberhebliche Auffassung“ impliziere, andere Kulturen zu missionieren und ?Menschlichkeit erst beibringen“ zu wollen. Damit knupft Plessner implizit an die Kritik Jesu von Nazaret an der Selbstgerechtigkeit der ? Pharisaer “ an. Zu beachten ist namlich, dass nach christlicher Auffassung alle Menschen ? Sunder “ sind. Folgerichtig mahnt Jesus der Bibel zufolge: ?Wer von euch ohne Sunde ist, der werfe den ersten Stein […]!“ [7]

?Herrenmoral“ statt ?Sklavenmoral“

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In der Tradition Friedrich Nietzsches wird das Festhalten an dem Gegensatzpaar ?gut/bose“ als Ausdruck einer Sklavenmoral bewertet. Es musse, wie in den Zeiten der Aristokratie (= wortlich: der ?Herrschaft der Besten“) wieder durch das Gegensatzpaar ?gut/schlecht“ ersetzt werden, wobei ein ?schlechter Mensch“ nicht etwa ein ?boser Mensch“ sei, sondern ein schlichter, einfacher Mensch, dem es an den Fahigkeiten und der Starke der Aristokraten mangele. Der ? Herrenmensch “ sei aufgrund seiner Vornehmheit befugt, alles zu tun, was ihn ?verherrliche“. [8]

Als ?Herrenmenschen“ legten Nationalsozialisten keinen Wert darauf, als ?Humanisten“ zu gelten, und verspotteten Pazifismus und christliche Nachstenliebe als Ausdruck von ? Humanitatsduselei “. So ?versprach“ Fritz Sauckel , wahrend der Zeit des Nationalsozialismus Gauleiter von Thuringen und als ?Generalbevollmachtigter fur den Arbeitseinsatz“ Koordinator des Einsatzes von Zwangsarbeitern : ?Wir werden die letzten Schlacken unserer Humanitatsduselei ablegen.“ [9] Sauckel gehorte zu den Fuhrungskraften des Nationalsozialismus, die wahrend der Nurnberger Prozesse u. a. wegen ?Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt und verurteilt sowie anschließend hingerichtet wurden.

Wiktionary: Menschlichkeit  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen
Wiktionary: Unmenschlichkeit  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise

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  1. J. G. Herder: Briefe zur Beforderung der Humanitat. Dritte Sammlung , 27. Absatz (abgerufen am 19. Dezember 2012)
  2. schure.de ( Schule und Recht in Niedersachsen ): Niedersachsisches Schulgesetz in der Fassung vom 3. Marz 1998, § 2 Abs. 1 Satz 1 ( Memento vom 10. Mai 2015 im Internet Archive )
  3. Vgl. etwa Friedrich Holderlin : Von der Humanitat Homers in Ansehung des Krieges und der Kriegfuhrenden seiner Iliade. In: Paul Stapf (Hrsg.): Friedrich Holderlin, Samtliche Werke. Berlin/Darmstadt 1956, S. 1078?1083.
  4. Julian Huxley : New Bottles for New Wine . Chatto & Windus, London 1957, Evolutionary Humanism , S.   293 (englisch, archive.org [abgerufen am 27. Mai 2023]).
  5. Michael Schmidt-Salomon: Hoffnung Mensch . Eine bessere Welt ist moglich. Piper Verlag, Munchen 2014, S. 329.
  6. Peter Kropotkin: Ethik. Ursprung und Entwicklung der Sitten. (Erstausgabe: Verlag Der Syndikalist , Berlin 1923). Vorwort von Michael Schmidt-Salomon. Alibri , Aschaffenburg 2013, ISBN 978-3-86569-160-6 , S.   12?14 .
  7. ( Johannes 8,1-11  ELB )
  8. Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Bose . 1886, Aphorismus 260
  9. Kurt Petzold / Manfred Weißbecker (Hrsg.): Stufen zum Galgen. Lebenswege vor den Nurnberger Urteilen , Leipzig 1996, S. 297?443.