Hirse
ist eine Sammelbezeichnung fur kleinfruchtiges
Spelzgetreide
mit 10?12
Gattungen
. Sie gehoren zur
Familie
der
Sußgraser
(Poaceae). Der fruher auch mannlich gebrauchte Name Hirse stammt aus dem Altgermanischen (
ahd.
hirsa
neben
hirsi
und
hirso
) und ist von einem
indogermanischen
Wort fur ?Sattigung, Nahrung, Nahrhaftigkeit“ abgeleitet (vgl. die romische Gottin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit
Ceres
). Hirse diente bereits vor 8000 Jahren dazu,
ungesauertes
Fladenbrot
herzustellen. In China wird
Rispenhirse
seit mindestens 4000 Jahren landwirtschaftlich genutzt. Die Rispenhirse oder Echte Hirse (
Panicum miliaceum
) wurde fruher auch in
Europa
als Nahrungsmittel angebaut.
Hirsen sind, wie Mais, warme- und lichtliebende
C4-Pflanzen
.
[1]
Alle Hirsearten konnen nach der Beschaffenheit der Korner in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden:
[2]
- Sorghumhirsen
(Sorghum) mit deutlich großeren Kornern und damit auch hoheren Hektarertragen (14?17 dt/ha).
- Millethirsen
(Paniceae, auch
Echte Hirsen
oder
Kleine Hirsen
genannt). Zu diesen gehoren die meisten Gattungen, z. B. Rispenhirse (Panicum),
Kolbenhirse
(Setaria),
Perlhirse
(Pennisetum),
Fingerhirse
(Eleusine) und
Teff
(Eragrostis). Die Korner dieser Gattungen sind recht klein, die Ertrage entsprechend gering (ca. 7?9 dt/ha). Der Begriff ?Millet“ wird uberwiegend in der englischen und franzosischen Sprache verwendet. In Afrika spricht man haufig auch von
Milo
oder
Milocorn
.
Zu den kultivierten und genutzten Hirsen zahlen folgende
Arten
:
[3]
[4]
Unterfamilie
Panicoideae
:
Tribus
Andropogoneae:
[5]
ebenfalls Unterfamilie Panicoideae: Tribus Paniceae:
- Panicum
- Rispenhirse
,
Braunhirse
(
Panicum miliaceum
L.)
- Sowihirse
(auch sauwi,
Panicum hirticaule
J.Presl, syn.
Panicum sonorum
Beal). Wild gesammelt und zur Subsistenzlandwirtschaft kultiviert im sudwestlichen Nordamerika, bis Mexiko.
[6]
[7]
- Kutkihirse
(
Panicum sumatrense
Roth)
- Rutenhirse
(
Panicum virgatum
L.)
- Afezu, Merkba (
Panicum turgidum
Forssk.), (
Panicum laetum
Kunth), (
Panicum anabaptistum
Steud.), afrikanische Wildsorten, welche auch als Getreide genutzt werden.
[8]
- Australische Hirse (
Panicum decompositum
R.Br.), die Wildsorte wurde fruher von den
Aborigines
in Australien haufig genutzt.
[9]
- Setaria
- Pennisetum
- Paspalum
- Kodohirse
(
Paspalum scrobiculatum
L.), ist ein sehr trockenheitsresitentes Getreide, das auch auf nahrstoffarmen Boden wachst. Es wird in Indien, aber auch auf den Philippinen, in Indonesien, Vietnam, Thailand und in Westafrika angebaut.
- Echinochloa
- Japanhirse
, Sawahirse (
Echinochloa frumentacea
Link), wird in Agypten, Indien,
Kaschmir
und
Sikkim
angebaut und als Nahrungsmittel verwendet. In den USA, Afrika und Kanada wird es großtenteils als Futtermittel fur Vieh und als Vogelfutter genutzt.
- Japan-Huhnerhirse, auch Japanhirse (
Echinochloa esculenta
(A.Braun) H.Scholz), wird in kleinem Maßstab in Japan, China und Korea sowohl als Nahrung als auch als Tierfutter angebaut, als Grunfutter auch in Australien und den USA.
- Huhnerhirse
(
Echinochloa crus-galli
(L.) P. Beauv.), die wilde Stammform von
Echinochloa esculenta
. Wurde im Neolithikum besammelt, heute gefurchtetes Unkraut im Reis (nach FAO drittwichtigste Unkrautpflanze weltweit), nicht angebaut oder kultiviert.
[13]
- Burgu, Bourgou, Banti (
Echinochloa stagnina
(Retz.) P. Beauv.). Fruher im
Nigerdelta
als Wildgetreide geerntet, nicht kultiviert. Heute nur noch als Viehfutter.
[8]
- Schamahirse, Chindumba (
Echinochloa colona
(L.) Link), in Indien und Ostafrika, wird aber selten genutzt.
[14]
[15]
Die wilde Stammform von
Echinochloa frumentacea
.
- Antilopengras (
Echinochloa pyramidalis
(Lam.) Hitchc. & Chase.), selten genutztes Wildgetreide in Teilen Afrikas, wird nicht kultiviert.
[8]
- Digitaria
[16]
- Urochloa
- Brachiaria
- Guinea-Hirse, Kolo (
Brachiaria deflexa
(Schumach.) C.E.Hubb. ex Robyns), nur lokal in Guinea.
[17]
- Braune Hirse, Anda Cora (
Brachiaria ramosa
(L.) Stapf), nur in Sudindien kultivierte Sorte.
[14]
[15]
[17]
Unterfamilie
Chloridoideae
:
Tribus
Eragrostideae:
Die wirtschaftlich wichtigsten Hirsen sind die
Perlhirse
, die
Sorghumhirse
(auch Zuckerhirse), die
Fingerhirse
, die
Rispenhirse
, die
Kolbenhirse
und der
Teff
, auch Zwerghirse genannt.
Die Hirse ist ein sehr mineralstoffreiches Getreide. In Hirse sind
Fluor
,
Schwefel
,
Phosphor
,
Magnesium
,
Kalium
und im Vergleich zu anderen Getreiden besonders viel
Silizium
(
Kieselsaure
),
Eisen
und
Vitamin B6
enthalten.
[18]
Hirse und Sorghum konnen mit einem Gesamt
phenolgehalt
von ca. 35 bis 50 mg/100 g (
Ferulasaureaquivalente
in der Trockenmasse) sehr hohe Mengen an phenolischen Substanzen enthalten, denen uberwiegend eine gesundheitsforderliche Wirkung zugesprochen wird.
[19]
Sie verringern den
glykamischen Index
und fuhren haufig zu einer Senkung des
Blutcholesterinspiegels
. Unter Umstanden verringert sich bei regelmaßigem Konsum das Risiko des Auftretens von
Speiserohrenkrebs
(im Vergleich zur Aufnahme von Weizen und Mais).
[20]
In Hirse enthaltene
Flavonoide
(
Polyphenole
) konnen allerdings, ahnlich wie
Sojabohnen
oder
Maniok
, die Aufnahme von
Jod
aus der Nahrung behindern und so die krankhafte Vergroßerung der Schilddruse (
Struma
) fordern
[21]
[22]
.
Im Handel ublich ist die von Schalen befreite Hirse (?Goldhirse“). Es gibt daneben die ungeschalte Hirse, in der die meisten an den Schalen haftenden Mineralstoffe und Spurenelemente erhalten sind, sowie die dunkelschalige
Braunhirse
. Moglicherweise ist jedoch der
Blausauregehalt
besonders bei roher Hirse nicht ganz unbedenklich.
[23]
Hirse kann zur Herstellung
glutenfreier
Backwaren verwendet werden. In vielen Gebieten
Afrikas
und
Asiens
sind die unterschiedlichen Hirsearten Hauptnahrungsmittel, werden allerdings zunehmend durch
Mais
verdrangt.
Kolbenhirse
dient als Nahrung und in Osteuropa als Viehfutter, in Europa und Nordamerika zudem als Vogelfutter fur die Ziervogelhaltung.
Hirse ist daruber hinaus die Grundlage einiger traditioneller Biere, zum Beispiel
Dolo
in Westafrika,
Pombe
in Ostafrika und
Merisa
im Sudan. In
Athiopien
und
Eritrea
ist die Hirseart
Teff
(Eragrostis tef)
die wichtigste Nahrungspflanze der Menschen. Industriell wird Hirse von einigen spezialisierten Brauereien zur Herstellung von
glutenfreiem Bier
fur Menschen mit
Zoliakie
oder anderen Formen der
Glutenunvertraglichkeit
genutzt. In China werden aus Hirse eine Reihe von Spirituosen gebrannt, die
Baijiu
genannt werden; der bekannteste chinesische Hirseschnaps ist
Maotai
.
Fur die industrielle Nutzung ist vor allem die
Sorghumhirse
von Interesse. Neben den Samen wird bei ihr auch der
Halm
zur Herstellung von
Naturfasern
genutzt (
Faserhirse
).
In den USA werden große Hoffnungen in die
Rutenhirse
als Lieferant von
Cellulose-Ethanol
gesetzt. Die Sorghumhirse gilt aufgrund der großen und kohlenhydratreichen
Biomasse
als aussichtsreiche
Energiepflanze
zur
Biogaserzeugung
, vor allem in trockenen Lagen.
[24]
Die beiden altesten Funde von Rispenhirse in Deutschland (Nahe
Leipzig
und Kreis
Hadersleben
) stammen aus der Zeit der
Linienbandkeramik
(
Altneolithikum
5500?4900 v. Chr.).
[25]
Im Altertum und Mittelalter zahlten die unterschiedlichen Hirsearten zum meistangebauten Getreide. Durch Ausgrabungen in Mittel- und Norddeutschland ist ebenso der Hirseanbau in der vorromischen
Eisenzeit
(
Hallstatt-
und
Latenezeit
) sowie der romischen Zeit (1.?3. Jahrhundert n. Chr.) belegt.
[26]
In der fruhen
Neuzeit
wurden sie in Europa durch die Einfuhr und folgenden Anbau von Kartoffel und Mais fast vollig verdrangt. Hinweise auf Hirseanbau und -verarbeitung finden sich allerdings noch aus der Zeit nach dem
Dreißigjahrigen Krieg
.
[27]
Im Himalayagebiet wird aus verschiedenen Sorten ein schwachalkoholisches Bier gebraut. Auf dem Balkan, in der Turkei und in Zentralasien trinkt man ein schwachalkoholisches Getrank namens
Boza
, welches (ursprunglich) auf Hirsemalz basiert. Gasten des
Hunnenkonigs
Attila
wurde ausschließlich Hirse gereicht. Um die Gesundheit und Kraft zu starken, empfahl der
griechische
Philosoph
Pythagoras
die Hirse.
Hirsen spielen in Mitteleuropa fur die Ernahrung des Menschen keine große Rolle mehr, obwohl sie bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weit verbreitet waren. Da sie auch auf trockeneren und nahrstoffarmeren Boden wuchsen, galten sie als ?Hungergetreide“.
[1]
Die Zusammensetzung von Hirse schwankt naturgemaß, sowohl in Abhangigkeit von den Umweltbedingungen (Boden, Klima) als auch von der Anbautechnik (Dungung, Pflanzenschutz).
Angaben je 100 g essbarem Anteil der
Rispenhirse
,
Panicum miliaceum:
[18]
Der
physiologische Brennwert
betragt 1484
kJ
(355 kcal) je 100 g essbarem Anteil.
Weltweit wurden im Jahr 2020 laut
FAO
insgesamt etwa 89,2 Mio. t Hirse produziert. Davon entfielen 58,7 Mio. t auf
Sorghumhirsen
und 30,5 Mio. t auf Millethirsen.
[28]
Der Hektarertrag ist mit durchschnittlich 12,0
dt
/
ha
(Sorghum: 14,6 dt/ha, Millet: 9,5 dt/ha) von allen Getreidearten der geringste. Dies ist einer der Grunde, weshalb der wesentlich ertragreichere
Mais
in den traditionellen Hirseanbaugebieten immer popularer wird. Allerdings hat Hirse gegenuber Mais den großen Vorteil, dass die Ernte selbst bei sehr schlechtem Wetter fast nie komplett ausfallt.
Die produzierte Hirse wurde hauptsachlich zu Breinahrung,
Sußspeisen
und
Futtermittel
verarbeitet.
Im Jahr 2022 wurden laut der
Ernahrungs- und Landwirtschaftsorganisation
FAO weltweit insgesamt etwa 70 Mio. t Hirse geerntet.
[28]
Folgende Tabellen geben eine Ubersicht uber die 10 jeweils großten Produzenten von Sorghum- und Millethirsen weltweit.
Im Jahr 2021 wurden weltweit etwa 10,9 Millionen Tonnen Sorghum exportiert. Die großten Exporteure waren die USA (6,6 Mio. t),
Argentinien
(2,11 Mio. t) und
Australien
(1,59 Mio. t).
[29]
Um auf die Bedeutung der Hirse im Kampf gegen den
Hunger
in Afrika und Asien, die Schwierigkeiten des Anbaus in Zeiten des
Klimawandels
und um die globale und lokale Vermarktung zu fordern rief die Generalversammlung der
Vereinten Nationen
im Marz 2021 das Jahr 2023 als Internationales Jahr der Hirse aus.
[30]
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