Gustav Nachtigal
(*
23. Februar
1834
in
Eichstedt (Altmark)
; †
20. April
1885
vor der Kuste
Westafrikas
) war ein
deutscher
Afrikaforscher und Beamter im auswartigen Dienst des deutschen Kaiserreichs. Als Reichskommissar vollzog er die Grundung deutscher Kolonien in Westafrika.
Gustav Nachtigals Vater, der Pfarrer Carl Friedrich Nachtigal, starb schon 1839 an
Tuberkulose
. Nach dem Tod des Vaters wuchs Gustav Nachtigal in
Stendal
auf, wo er das
Winckelmann-Gymnasium
besuchte.
[2]
Nach dem Abitur studierte er an der
Friedrichs-Universitat Halle
, der
Julius-Maximilians-Universitat Wurzburg
und der
Koniglichen Universitat zu Greifswald
Medizin. Er wurde 1854 Corpsbursche der
Palaiomarchia
in Halle und bekam spater auch das Band der
Nassovia
(1878) sowie die
Corpsschleife
der
Pomerania
(1877).
[3]
Nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums wurde er 1858 Militararzt der
Preußischen Armee
in
Koln
.
Nach einer
Tuberkulose-Erkrankung
begab sich Nachtigal zur Genesung nach Nordafrika. Er hielt sich zunachst in
Algerien
, ab 1863 in
Tunis
auf, wo er als Feldarzt am Feldzug gegen die aufstandischen Stamme des
Maghreb
teilnahm und anschließend am Hof in Tunis
Leibarzt
des
Beys
wurde. Hier erlernte er auch die
arabische Sprache
. 1868 traf Nachtigal den Forscher
Gerhard Rohlfs
, der 1868 von
Konig Wilhelm I. von Preußen
mit der Ubergabe von Geschenken an den
Sultan
von
Bornu
im heutigen
Nigeria
beauftragt worden war. Rohlfs ubertrug diese Aufgabe an Nachtigal.
Nachtigal brach am 17. Februar 1869 von
Tripolis
aus auf, durchquerte die
Sahara
, hielt sich in
Fessan
auf und ging dann in das vorher von keinem Europaer betretene Gebiet der
Tibbu
, das Land
Tibesti
. Die dort lebenden
Teda
bedrohten Nachtigal jedoch mit dem Tod und raubten ihn aus, so dass er nach
Murzuk
fliehen musste, wo er dann den Winter verbrachte. In Murzuk traf Nachtigal mit der niederlandischen Afrikaforscherin
Alexine Tinne
zusammen. Im Juli 1870 erreichte er
Kuka
, die Residenz des Sultans von Bornu, und uberreichte diesem die Geschenke des preußischen Konigs. Nachtigal bereiste danach die
Region Kanem
und
Borkou
und kehrte im Januar 1872 wieder nach Kuka zuruck. Darauf wendete er sich nach
Bagirmi
und in die sudlichen, damals noch von
Heiden
bewohnten Gebiete. Nachdem er im Herbst 1872 wieder nach Kuka zuruckgekehrt war, reiste Nachtigal zum Fluss
Chari
im heutigen
Tschad
und von dort weiter in das
Sultanat
Wadai
(heute ostlicher Tschad). Er hatte namhaften Anteil an der Aufklarung des Schicksals des hier ermordeten
Eduard Vogel
. Im Sommer 1873 reiste er von der Hauptstadt
Abeschr
bis zur sudlichen Landesgrenze und gelangte 1874 zunachst in das Sultanat
Darfur
und im Sommer 1874 in das Sultanat
Kordofan
. Er lernte unterwegs weitere regionale Sprachen und sammelte wissenschaftliche Daten uber Geografie, Ethnografie und Sprachenkunde der durchreisten Gebiete. Schließlich erreichte Nachtigal
Khartum
, die Hauptstadt des von Agypten besetzten
Sudan
. Von hier aus reiste er entlang des
Nils
nach
Kairo
in
Agypten
und kehrte 1875 schließlich nach Deutschland zuruck. Nachtigal war bei der Dokumentation der Forschungsergebnisse bemuht, sachlich zu berichten, im Unterschied zu anderen Afrikareisenden seiner Zeit wie
Henry Morton Stanley
,
Carl Peters
oder
Hermann von Wissmann
.
Nachtigal schrieb in
Berlin
die Ergebnisse seiner Reisen nieder. Seine Publikationen machten ihn bekannt und fuhrten zu zahlreichen Ehrungen. Er wurde Vorsitzender einflussreicher geografischer Gesellschaften, wie der
Gesellschaft fur Erdkunde
und der
Afrikanischen Gesellschaft
. Außerdem war er Mitglied der
Berliner Gesellschaft fur Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte
und der
Internationalen Afrika-Gesellschaft
. Als Mitglied der Commission internationale d’exploration et de civilisation de l’Afrique centrale beriet er den belgischen Konig
Leopold II.
bezuglich der Erschließung des Kongo. Im Jahr 1878 wurde er in die
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina
gewahlt und zum Ehrenmitglied des Thuringisch-Sachsischen Vereins fur Erdkunde ernannt.
[4]
Nachtigal betrachtete seine Forschungen als Vorbereitung und Grundlage fur die Grundung eines deutschen Kolonialreiches und sprach sich fur eine Zusammenarbeit von Wissenschaft, Mission und Handel aus.
1882 trat Nachtigal in den Dienst des Kaiserreichs, als er von Reichskanzler
Otto von Bismarck
zum
Generalkonsul
in
Tunis
berufen wurde. Offizielle Berichte kritisierten, dass sich der Konsul Nachtigal zu sehr der Erforschung der islamischen Kultur Nordafrikas widme und sich nur unzureichend fur die Interessen der deutschen Exportwirtschaft einsetze.
Bismarck ernannte Nachtigal 1884 zum Reichskommissar fur
Deutsch-Westafrika
und beauftragte ihn, die vor kurzem durch hanseatische Kaufleute erworbenen Territorien und Handelsstutzpunkte in
Deutsche Kolonien
zu uberfuhren. Im Fruhjahr 1884 reiste er als kaiserlicher Kommissar mit der Drohkulisse von Kanonenbooten nach Westafrika. Er landete in
Kapitai und Koba
sowie am
Golf von Guinea
an, zeigte aber Bedenken gegenuber einer Konfrontation mit Frankreich. Am 5. Juli 1884 errichtete Nachtigal die sogenannte deutsche ?Schutzherrschaft“ uber das Gebiet von
Togoland
(heute Togo bzw. Teilgebiet von
Ghana
). Am 14. Juli stellte er
Kamerun
?unter deutschen Schutz“. Im selben Jahr beglaubigte er die teilweise betrugerisch erworbenen Rechte bzw. Landerwerbungen der Firma
Luderitz
im heutigen
Namibia
(?
Luderitzland
“). Er hielt sich noch einmal in Kamerun auf und stellte am 11. Marz 1885 das
Mahinland
unweit des
Nigerdeltas
?unter deutschen Schutz“. Um die westafrikanischen Vertragspartner zum Abschluss der Vertrage zu bewegen, drohte Nachtigal auch mit Gewalt und Geiselnahmen. In allen beanspruchten Gebieten kam es nach den Vertragsabschlussen zu Aufstanden und Protesten.
Auf der Ruckreise nach Europa erkrankte er an Tuberkulose. Er starb am 20. April 1885 an Bord des Kanonenbootes
Mowe
. Am 21. April 1885 wurde er auf
Kap Palmas
beigesetzt. 1888 wurden seine sterblichen Uberreste nach Kamerun uberfuhrt, wo ihm beim ehemaligen Gouvernementsgebaude ein Denkmal errichtet wurde.
Nachtigals Tod wahrend seiner Mission als Reichskommissar trug mit zu seiner Stilisierung als Kolonialheld bei. Er wurde zur Schlusselfigur der deutschen Kolonialpropaganda. Nach ihm wurden in Kamerun das
Kap Nachtigal
[5]
bei
Viktoria
und das
Krankenhaus von Duala
, in Togo das
Nachtigal-Krankenhaus
in
Sebbe (Togo)
sowie das Schiff
Nachtigal
benannt, das 1914 wahrend des Ersten Weltkrieges in Kamerun sank. Ein Gletscher auf der Insel Sudgeorgien
Nachtigal-Gletscher
und eine Pflanzengattung
Nachtigalia
Schinz ex Engl.
aus der Familie der
Wunderblumengewachse
tragen seinen Namen.
[6]
Die
Gesellschaft fur Erdkunde
verlieh von 1896 bis in die 1990er Jahre die
Gustav-Nachtigal-Medaille
. In Stendal wurde ihm zu Ehren westlich des Nachtigalplatzes (Ende Bahnhofsstraße) am 28. Juni 1891 eine Bronze-Buste enthullt. Im Fruhjahr 1970 musste sie einem uberlebensgroßen Standbild
Lenins
weichen. Anlasslich seines 100. Geburtstages hatte die in Stendal garnisonierte
Sowjetarmee
der Stadt das Denkmal geschenkt. Nachtigals Buste lag jahrzehntelang im Schuppen des
Altmarkischen Museums
. Auf Betreiben von
Detlev Bruning
wurde sie am 22. Dezember 1991 am alten (ruckbenannten) Platz wieder aufgestellt.
[7]
In vielen Stadten Deutschlands wurden, teilweise nach 1933 im Rahmen des
Kolonialrevisionismus
, Straßen und Platze nach Nachtigal benannt.
Seit den 2000er Jahren wird die Ehrung Nachtigals durch Denkmaler und Straßennamen in vielen Stadten Deutschlands kritisch diskutiert. In Berlin beschloss 2016 die
Bezirksverordnetenversammlung
des
Bezirks Mitte
die Umbenennung des Nachtigalplatzes
[8]
und gab 2018 bekannt, dass der Platz kunftig
Manga-Bell-Platz
benannt werden soll, nach Emily und
Rudolf Duala Manga Bell
, die eine zentrale Rolle im Widerstand des Volkes der
Duala
gegen die deutsche Kolonialherrschaft spielten.
[9]
Die Umbenennung des Platzes in Manga-Bell-Platz fand am Freitag, den 2. Dezember 2022 statt. Gleichzeitig wurde die
Luderitzstraße
in
Cornelius-Fredericks-Straße
umbenannt.
[10]
Rudolf Prietze
war der Sohn von Nachtigals Schwester Marie Luise Nachtigal. Er wurde ebenfalls Afrikaforscher und gilt als einer der Vater der modernen
Afrikanistik
.
- Sahara und Sudan
, 3 Bande, Berlin; Leipzig 1879?1889. Als Reprints erhaltlich.
Online Digitalisat der Library of Congress
- Tibesti. Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan, 1868?1874.
Hrsg. v.
Heinrich Schiffers
. Erdmann, Tubingen, Basel 1978,
ISBN 3-7711-0305-3
.
- Ueber die internationale afrikanische Gesellschaft.
In: Amtlicher Bericht der 50. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte in Munchen vom 17. bis 22. September 1877. Munchen 1877, 122?128.
- Friedrich Ratzel:
Nachtigal, Gustav
.
In:
Allgemeine Deutsche Biographie
(ADB). Band 23, Duncker & Humblot, Leipzig 1886, S. 193?199.
- Dorothea Berlin:
Ein deutsches Freundespaar aus besserer Zeit:
Rudolf Berlin
und Gustav Nachtigal.
Berlin 1928
- Theodor Bohner:
Der eroberte Erdteil. Deutsches Schicksal in Afrika um Gustav Nachtigal.
Berlin 1934
- Theodor Heuss
:
Gustav Nachtigal 1834?1885
, in ders.:
Deutsche Gestalten. Studien zum 19. Jahrhundert
. Stuttgart/Tubingen 1947, 222?229 (
PDF
)
- Ewald Banse:
Gustav Nachtigal
, in ders. (Hg.):
Unsere großen Afrikaner. Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere
. Berlin 2. Aufl. 1940, 114?150.
- Gustav Nachtigal 1869/1969.
(Bonn-)Bad Godesberg 1969
- Gedenkschrift Gustav Nachtigal. 1874?1974
(= Veroffentlichungen aus dem Ubersee-Museum Bremen. Reihe C, Band 1), Bremen 1977
- Werner Hartwig:
?Weißes Gold“ ? auf den Spuren Gustav Nachtigals
. Weltbild (Ferienjournal) 1977
- Dagmar Krone:
Gustav Nachtigal: Forschungsreisender und Kolonialeroberer
. In: Magdeburger Blatter: Jahresschrift fur Heimat- und Kulturgeschichte im Bezirk Magdeburg 1989, 52?59
- A. Tunis:
Gustav Nachtigal. Ein Philanthrop im Staatsdienst
. In:
Baessler-Archiv.
Band 44, 1996, S. 407?424.
[1]
- Claus Priesner
:
Nachtigal, Gustav.
In:
Neue Deutsche Biographie
(NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997,
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, S. 682?684 (
Digitalisat
).
- Anne-Kathrin Horstmann:
Gustav Nachtigal ? ?... ein Held fur Deutschlands Ruhm und Große“
In: Dies./
Marianne Bechhaus-Gerst
(Hrsg.):
Koln und der deutsche Kolonialismus
. Koln 2013, 89?94
- Matthew Unangst:
Men of Science and Action: The Celebrity of Explorers and German National Identity, 1870-1895
. In: Central European History 50,3 (2017), 305?327
- ↑
Nach den KKL 1910 und den KCL 1960 trug Nachtigal drei Schleifen, kein Band
- ↑
Gerhard Richter:
Stendal. Herz der Altmark
. (Stadtfuhrer). Hrsg.: Altmarkisches Museum Stendal. 3. Auflage. Volksdruckerei Stendal, 1965,
S.
2
.
- ↑
Kosener Korpslisten 1910, 208/395; 103/83; 93/553
- ↑
Verzeichnis der Mitglieder des Thuringisch-Sachsischen Vereins fur Erdkunde am 31. Marz 1885
(
Memento
vom 1. Dezember 2017 im
Internet Archive
)
- ↑
Ambasbucht
, in:
Deutsches Kolonial-Lexikon
, Band I, Leipzig 1920, S. 38.
- ↑
Lotte Burkhardt:
Verzeichnis eponymischer Pflanzennamen ? Erweiterte Edition.
Teil I und II.
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,
Freie Universitat Berlin
, Berlin 2018,
ISBN 978-3-946292-26-5
doi:10.3372/epolist2018
.
- ↑
G[unther] Niewerth:
Gustav Nachtigal ist wieder zu Hause
. Corps-Zeitung der Altmarker-Masuren 88: 1/92: SS 91 / WS 91/92, S. 20?22.
- ↑
Berliner Straßen werden umbenannt. Aus fur Kolonialisten
taz, 3. Februar 2017
- ↑
Laura Hofmann:
Neue Straßennamen furs Afrikanische Viertel gefunden.
In:
Der Tagesspiegel
.
11. April 2018,
abgerufen am 11. April 2018
.
- ↑
Susanne Memarnia: Ein Anfang ist gemacht. Dekolonisierung von Straßennamen. In: taz vom 1. Dezember 2022 ?
online abrufbar
Gouverneure der deutschen Kolonie Togo (1884?1914)