Vorhergehende Geschichte Großbritanniens:
Geschichte des Konigreichs Großbritannien
und
Geschichte Irlands
Geschichte Großbritanniens ab
1921
:
Geschichte des Vereinigten Konigreichs von Großbritannien und Nordirland
Die
Geschichte des Vereinigten Konigreiches von Großbritannien und Irland
umfasst die Geschichte der seit dem
Act of Union 1800
unter der Herrschaft der britischen Krone zusammengefassten Territorien
England
,
Schottland
und
Irland
bis zum
Anglo-Irischen Vertrag
von 1921,
[1]
der die Unabhangigkeit
Sudirlands
einleitete.
Als Folge von Aufstanden in Irland von 1798 beschloss die britische Regierung unter
William Pitt dem Jungeren
, die formelle Unabhangigkeit Irlands endgultig zu beenden. So wurde Irland mit dem
Act of Union 1800
dem
Konigreich Großbritannien
angeschlossen, was einerseits den Verlust des irischen Parlaments, andererseits die rechtliche Einheit und damit die formelle Gleichstellung von Großbritannien und Irland zum 1. Januar 1801 nach sich zog. Es entstand das
Vereinigte Konigreich von Großbritannien und Irland
. Irland entsandte rund 100 Abgeordnete in das
House of Commons
und 28
Peers
in das
House of Lords
. Die von Pitt ebenfalls angestrebte staatsburgerliche Gleichstellung der Katholiken scheiterte am Widerstand Konig
Georgs III.
, worauf der Premierminister zurucktrat.
[2]
1802 schloss
Henry Addington
, der Nachfolger Pitts, den
Vertrag von Amiens
mit Frankreich. Dieser Friedensschluss war außerst popular, da der Krieg mit Frankreich und die mit ihm verbundene Wirtschaftskrise unter anderem zur erstmaligen Erhebung einer allgemeinen
Einkommensteuer
gefuhrt hatte. Allerdings folgte nur eine etwa einjahrige Friedenszeit, die Großbritannien zur massiven Aufrustung und zu einer erneuten Kriegserklarung an Frankreich am 18. Mai 1803 nutzte.
In der Auseinandersetzung mit
Napoleon Bonaparte
behielten die Briten in der
Schlacht von Trafalgar
1805 die Oberhand und beendeten mit ihr jede franzosische Handlungsfahigkeit zur See. In der europaischen Kriegsfuhrung zu Lande blieb Bonaparte jedoch erfolgreich. Mit der
Kontinentalsperre
schloss Frankreich 1806 alle kontinentalen Hafen fur den britischen Handel. Dies fuhrte zwar zu Arbeitslosigkeit, Lohnverfall und Preissteigerungen auf der Insel, zwang Großbritannien aber nicht in die Knie. Vor allem im Baltikum und in Portugal war die Kontinentalsperre durchlassig, zudem konnte Frankreich den Schmuggel nicht unter Kontrolle bringen. Zum Ausgleich fur die Kontinentalsperre und auch als Ersatz fur den verlorenen Absatzmarkt in den nordamerikanischen Kolonien konzentrierte sich der britische Handel zunehmend auf Sudamerika. Zudem waren mit der Unabhangigkeit der Vereinigten Staaten die Absatzmarkte fur den
Sklavenhandel
zusammengebrochen und eine immer starkere
Abolitionsbewegung
war entstanden, so dass die britische Regierung den Sklavenhandel 1807 verbot.
Wahrend Napoleon 1812 seine Krafte in der
Auseinandersetzung mit Russland
uberforderte, konzentrierte sich Großbritannien auf einen Expeditionsfeldzug nach Spanien. 1809 waren Truppen unter
Arthur Wellesley, 1. Herzog von Wellington
, dem bedeutendsten britischen Heerfuhrer dieser Zeit, auf der
Iberischen Halbinsel
gelandet und fuhrten dort gemeinsam mit Aufstandischen einen zahen Kampf gegen die Truppen Napoleons und erzielten 1813 den auf diesem Kriegsschauplatz entscheidenden Sieg. Nach der
Schlacht bei Waterloo
im Juni 1815 war Großbritannien mit seinem Gesandten
Castlereagh
auf dem
Wiener Kongress
maßgeblich an der Neuordnung Europas beteiligt, verzichtete trotz seiner starken Stellung aber auf erneuten Territorialbesitz auf dem Kontinent. Die britische Außenpolitik war in erster Linie an einer Machtbalance auf dem Festland interessiert, in der sich die dortigen Machte gegenseitig neutralisieren sollten. Daruber hinaus sollte das Prinzip des
Freihandels
den Kontinent zum Absatzmarkt fur britische Waren machen.
Wie die meisten europaischen Nationen erlebte auch Großbritannien eine Abwendung von
Klassizismus
hin zur
Romantik
. Bereits kurz nach 1700 wurden kulturelle Ruckgriffe auf das Mittelalter sowie auf Shakespeare intensiviert, die allerdings auch zuvor nie ganz verschwunden waren. Ab 1760 wurde die Lyrik des angeblichen galischen Barden
Ossian
sehr popular, kurz darauf der
Schauerroman
. Beides wurden bestimmende Elemente der britischen Romantik. Das Heroische, Pathetische, Erhabene wurde zum Leitbild der kunstlerischen Ausdrucksformen. Die romantische Literatur im Vereinigten Konigreich war vor allem historische Literatur. In der Malerei druckte sich die Romantik vor allem in der Form der
Landschaftsmalerei
in Aquarelltechnik aus.
Wahrend sich die innenpolitische Auseinandersetzung im spaten 18. und fruhen 19. Jahrhundert um die Modernisierung des Wahlrechts entspannte und in der Außenpolitik eine Reaktion auf die kontinentaleuropaischen Entwicklungen gefragt war, begann sich die
Industrielle Revolution
zu entwickeln.
Die entscheidenden technischen Neuerungen (
Spinning Jenny
,
Dampfmaschine
) waren bereits im spaten 18. Jahrhundert entwickelt worden. In den folgenden Jahrzehnten wurden sie verbessert und fanden immer weitere Verbreitung. Auch hatte sich um 1800 bereits ein
Proletariat
an den wichtigsten Industriestandorten entwickelt.
Die technischen Neuerungen veranderten auch den Arbeitsprozess. An die Stelle selbststandiger Handwerks- oder Heimarbeit im Verlagssystem trat die Fabrikarbeit mit ihren zentralen Arbeitsorten, festen Zeiten und zunehmender Kinderarbeit. Letztere wurde als Problem erkannt und ab 1819 per Gesetz zunehmend eingeschrankt. Die Arbeiter hatten sich im 18. Jahrhundert zunachst in
Combinations
, gewissermaßen Handwerkszunften, vereinigt. Diese wurden zunachst verboten. Als darauf Geheimbunde zunahmen, ließ die Regierung 1824 die Zusammenschlusse wieder zu, die schnell die Form moderner
Gewerkschaften
annahmen. Der Kampf der Arbeiterschaft fur ihre eigenen Interessen nahm vorerst eher selten die Form organisierter oder spontaner
Streiks
an, sondern außerte sich vor allem im Phanomen der
Maschinensturmer
(
Ludditen
).
Durch
Thomas Malthus
’ Schrift
Essay on the Principle of Population
von 1798 entstand erstmals eine wissenschaftliche und politische Diskussion um die demografische Entwicklung. 1801 gab es die erste moderne
Volkszahlung
in Großbritannien. In diese Zeit fallt auch ein massiver Bevolkerungsanstieg in ganz Großbritannien von etwas uber 8 Millionen 1794 auf uber 13 Millionen im Jahr 1831. Parallel zum Wachstum gab es auch eine regionale Konzentration der Einwohner in den Industrieregionen im Norden und Westen Englands, in Wales, in den Lowlands in Sudschottland und in London, das um 1800 die Marke von einer Million Einwohnern uberstieg. Das Wachsen der stadtischen Ballungsraume hatte eine Explosion der Nachfrage nach Nahrungsmitteln zur Folge, was wiederum einen Aufschwung der Landwirtschaft ausloste. Dennoch begannen auch die sozialen Probleme anzuwachsen, vor allem unter den Lohnabhangigen, also den Fabrikarbeitern und den Lohnarbeitern in der Landwirtschaft.
Der Kampf gegen Napoleon hatte eine Reihe von inneren Krisen des Vereinigten Konigreiches uberdeckt, unter anderem die Schwache des geistig umnachteten Konigs
Georg III.
, fur den ab 1810 sein Sohn regierte, der 1820 als
Georg IV.
offiziell die Krone ubernahm. Zudem hatte der Friede die Kriegsindustrie und mit ihr die gesamte
Schwerindustrie
und den Schiffbau ihrer Absatzmarkte weitgehend beraubt und die 300.000 zuruckkehrenden Soldaten mussten teilweise demobilisiert und mit Arbeitsplatzen versorgt werden. Ab 1815 ruckte zudem die Diskussion um die grundsatzliche Ausrichtung der britischen Wirtschaftspolitik in den Mittelpunkt der offentlichen Aufmerksamkeit. Dabei ging es in erster Linie um die
Corn Laws
, die Beschrankungen fur Getreideimporte, die unmittelbar den Getreidepreis steuerten. Wahrend die gesellschaftlichen Eliten, die zumeist Grundbesitzer waren und beide Hauser des Parlaments dominierten, ein Interesse an hohen Getreidepreisen hatten, forderte sowohl die anwachsende Arbeiterschaft als auch die neue Unternehmerschicht geringere Preise; letztere vor allem, um die Lohnkosten senken zu konnen.
In dieser Situation stieg die Unzufriedenheit mit der Regierung spurbar an. Im ganzen Land begannen sich politische Clubs zu bilden, Petitionsbewegungen und Demonstrationen zu formieren. 1819 wurde im
Peterloo-Massaker
eine Massenversammlung in Manchester blutig niedergeschlagen. Zu ersten Wirtschaftsreformen kam es 1822, als eine Reihe von direkten Abgaben auf Waren gesenkt wurden. In den folgenden Jahren gab es einzelne Handelsabkommen mit anderen Staaten, die die gegenseitige Absenkung von Zollen zur Folge hatten. Langsam begann sich dadurch die Wirtschaftslage zu bessern.
Außenpolitisch agierte Großbritannien nach dem Wiener Kongress zuruckhaltend. In Europa griff es durch die Beteiligung an einer Reihe von Kongressen ein, militarisch jedoch nur noch 1826 im Fall der Thronfolge in Portugal. Russland verdrangte Frankreich zunehmend als die fur bedrohlich gehaltene Macht auf dem Kontinent. Der griechische Freiheitskampf gegen das Osmanische Reich war eher ein Phanomen, das die Sympathien der Massen auf sich zog als tatsachliches Engagement der Regierung.
1827 und 1828 kam es zu mehreren schnell wechselnden Regierungen sowie jeweils zu Spaltungsprozessen innerhalb der Tories und der Whigs. Zudem begannen in diesen Jahren erneut scharfe Auseinandersetzungen um die Emanzipation der religiosen Minderheiten. 1828 wurden die
Dissenters
gleichberechtigt, 1829 die Katholiken.
[3]
Zugleich wurde der Wahlzensus massiv angehoben, um vor allem die katholischen Bauern Irlands von der Mitbestimmung fernzuhalten. Missernten sowie eine allgemeine Konjunkturkrise fuhrten dazu, dass sich in vielen Stadten die Arbeiterschaft und kleinere selbststandige Gewerbetreibenden zusammenschlossen, um gemeinsam Reformen zu fordern. Angesichts der neuen Revolution in Frankreich begann sich auch in den Eliten des Vereinigten Konigreiches Revolutionsangst auszubreiten.
Georg IV. starb 1830, auf dem Thron folgte ihm sein Bruder
Wilhelm IV.
, den Neuwahlen dazu zwangen, den reformorientierten Whig
Charles Grey
zum Premierminister zu ernennen. Wichtigstes Reformprojekt war die Neuverteilung der Wahlkreise, die oft noch ihre aus dem Mittelalter uberkommene Große hatten und der Bevolkerungskonzentration durch die Industrialisierung nicht mehr entsprachen (
rotten boroughs
). Die tiefgreifende Verfassungsreform passierte erst nach einer Unterhausauflosung und Neuwahlen sowie gewaltsamen Ausschreitungen gegen Reformgegner 1832 das Parlament. In ihr wurden 56 Wahlkreise aufgelost, 30 von zwei auf einen Abgeordneten heruntergestuft und 42 neue in den dicht besiedelten Regionen geschaffen. Der Zensus wurde nicht abgeschafft, aber gesenkt, so dass sich die Wahlerschaft in England und Wales in etwa verdoppelte, in Schottland mehr als verfunfzehnfachte. In London erhielten sogar einzelne, gut verdienende Arbeiter dadurch das Wahlrecht. An der Zusammensetzung des Unterhauses anderte die Reform jedoch wenig. Die eindeutige Mehrheit der Abgeordneten entstammte weiterhin der Landbesitzerschicht.
Weitere Reformgesetze folgten. Die Neuregelung des Armengesetzes von 1834 sollte die massiv angestiegenen Abgaben fur die Armenfursorge wieder senken und außerdem die Armenfursorge von einer lokalen und regionalen auf eine gesamtstaatliche Basis stellen. Zentrales Instrument der neuen Armenpolitik waren die flachendeckend eingerichteten
Arbeitshauser
. Bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts waren die sozialen Folgen der Industrialisierung in die Diskussion geraten, vor allem die harten Arbeitsbedingungen von Frauen und Kindern. Der Factory Act von 1833 schrankte zumindest in der Textilindustrie die Arbeitszeit von Kindern ein und setzte vor allem erstmals staatliche Kontrolleure ein, die die privaten Fabriken beaufsichtigen sollten. Zudem begann 1833 die politische Diskussion uber eine Schulpflicht, die allerdings noch nicht verwirklicht wurde. Nach den Toleranzgesetzen von 1828/29 griffen in den 1830er Jahren Reformen auch verstarkt in die
Anglikanische Kirche
selbst ein. Ab 1836 waren Eheschließungen auch außerhalb von ihr moglich, ab 1837 die Verleihung akademischer Grade. Ebenfalls ab 1836 tagte eine Kommission, die vorsichtige Verwaltungsreformen in der Kirche durchsetzte. Gegen diese staatliche Einflussnahme bildete sich mit dem
Oxford Movement
eine akademisch-theologische Gegenbewegung, die Traditionen erhalten und staatlichen sowie Laien-Einfluss zuruckdrangen wollte. 1850 durfte die katholische Kirche ihre Bistumsstruktur in England wiedererrichten.
1836 kam es zur Abfassung der
People’s Charter
und der Grundung der
Chartisten
-Bewegung, die gleiches Wahlrecht fur alle Manner und andere politische Forderungen erhob. Zwar setzten sie ihre Forderungen nicht direkt durch, doch wurde langfristig vieles in ihrem Sinne verandert. So wurden z. B. ab 1851 uberregionale
Berufsgenossenschaften
gebildet. 1846 schaffte das Kabinett
Robert Peel
die
Getreidezolle
entsprechend den Wunschen der Arbeiter wie der Industriellen ab und entschied sich damit fur
Freihandel
. Daraufhin spaltete sich ein Flugel der Tory-Partei unter
Benjamin Disraeli
ab, der die Interessen der Großgrundbesitzer vertrat.
Ab 1830 begann eine verstarkte Auswanderung in die Kolonien besonders in die Kapkolonie (Sudafrika), Kanada, Australien und Neuseeland. Deshalb erhielten die weißen Siedlungskolonien 1865 Selbstverwaltungsrechte.
1845?1849 herrscht die
Große Hungersnot in Irland
.
1865/67 kommt es zu Aufstanden in Irland, die vom Bund der
Fenier
angefuhrt wurden.
1867 fuhrte Disraeli die zweite Wahlrechtsreform durch, die zwar die Zahl der Wahler von 1,4 auf 2,5 Mill. erhohte, aber den Arbeitern auf dem Lande weiterhin das Wahlrecht vorenthielt.
1869 wurde fur Irland die Anglikanische Kirche als Staatskirche abgeschafft.
Der Einstieg Großbritanniens in dieses neue imperialistische Zeitalter lasst sich auf das Jahr 1875 festlegen. Damals kaufte die konservative Regierung
Disraeli
fur 4 Mio. Pfund die Aktienanteile des
agyptischen
Herrschers Ismail an der
Suezkanal-Gesellschaft
auf, um diesen strategisch wichtigen Handelsweg nach Indien zu sichern. Der
Suezkanal
war im November 1869 eroffnet worden.
Die gemeinsame britisch-franzosische Finanzkontrolle uber Agypten wurde mit der militarischen
Besetzung Agyptens
durch Großbritannien im Jahre 1882 beendet.
Die Angst vor der sudlichen Expansion
Russlands
war ein weiterer Faktor der britischen Politik. 1878 wurde die Insel
Zypern
besetzt, als Reaktion auf eine russische Attacke auf das
Osmanische Reich
und den
Krimkrieg
(1854 bis 1856). Auch
Afghanistan
wurde zeitweise besetzt, um dort den russischen Einfluss zuruckzudrangen. Großbritannien fuhrte in Afghanistan drei blutige und erfolglose Kriege gegen Aufstandische und heilige Krieger:
- Der erste britisch-afghanische Krieg endete mit einer der verheerendsten Niederlagen des viktorianischen Zeitalters, als die britische Armee 1842 beim Abzug aus
Kabul
durch
paschtunische
Stamme, die mit russischen Waffen ausgerustet waren, fast vollstandig ausgeloscht wurde.
- Der zweite britisch-afghanische Krieg fuhrte 1880 zu einer verheerenden Niederlage bei
Maiwand
, der Belagerung Kabuls durch die Afghanen und dem britischen Ruckzug nach
Indien
.
- Im dritten britisch-afghanischen Krieg von 1919 wurden die Briten endgultig vertrieben.
Das
Great Game
um die Vorherrschaft in
Zentralasien
endete mit einer blutigen, erfolglosen und vollig unnotigen britischen Invasion in
Tibet
(
Britischer Tibetfeldzug
November 1903 bis September 1904).
Zur selben Zeit kamen machtige Interessengruppen aus Wirtschaft und Politik zur Ansicht, dass die Bildung eines ?formellen“ Imperiums notig sei, um den Bedeutungsverlust in vielen Weltmarkten aufzuhalten (z. B.
Hochindustrialisierung in Deutschland
(1871?1914),
Geschichte der Vereinigten Staaten#Industrialisierung
).
Vor allem
Joseph Chamberlain
setzte sich vehement dafur ein. Wahrend der 1890er wurde der neue
Imperialismus
zur Leitidee der britischen Politik. Großbritannien ubernahm bald darauf die Vorreiterrolle in der Aufteilung
Afrikas
. Der neue Imperialismus entstand also nicht aus einer Position der Starke heraus, sondern war vielmehr eine Folge der Angst vor dem wirtschaftlichen Bedeutungsverlust.
1884 wurde das dritte Wahlrechtsanderungsgesetz beschlossen, nach dem in jedem Wahlkreis nur noch ein Parlamentssitz vergeben wurde.
William Ewart Gladstone
, als Fuhrer der
Liberalen Partei
Disraelis Gegenspieler, setzte sich energisch fur
Home Rule
, eine Autonomie Irlands, ein. Daruber kam es 1886 zur Spaltung der Liberalen Partei, Anfuhrer der
unionistischen
Fraktion war
Joseph Chamberlain
.
Die 1883 gebildete
Fabian Society
schloss sich mit der 1893 gegrundeten Independent Labour Party zusammen. Das Bundnis nannte sich ab 1906
Labour Party
.
Bei den
Britischen Unterhauswahlen im Oktober 1900
erzielte das
Labour Representation Committee
nur 1,8 Prozent der Stimmen. Die Wahlen fanden wahrend des wechselvollen Zweiten Burenkrieges statt. Ein großer Teil der britischen Bevolkerung war dadurch in einer patriotischen und teilweise pro-kolonialistischen Stimmung. Darunter litten vor allem die Vertreter des Labour Representation Committees, die zum großten Teil pro-Boers waren, aber auch viele liberale Kandidaten, die den zu dieser Zeit recht aggressiven britischen Imperialismus ablehnten.
1901 folgte
Eduard VII.
seiner Mutter Viktoria auf dem Thron. Er mischte sich nicht in die Regierungsgeschafte ein, so dass die spatviktorianische Politik weitgehend bruchlos fortgesetzt wurde. Veranderungen begannen sich lediglich auf dem Feld der Kolonialpolitik abzuzeichnen: Bereits ab 1880 hatte sich Großbritannien im Einvernehmen mit den USA weitgehend aus Sud- und Mittelamerika zuruckgezogen. Wahrend Indien ein stabiler Bestandteil des Imperiums blieb, kam es in den afrikanischen Kolonien wiederholt zu kleineren Krisen und Auseinandersetzungen vor allem mit Frankreich. Am bedeutendsten war der
Zweite Burenkrieg
(1899?1902), der zudem vor einer breiten Offentlichkeit die Mangel des britischen Kolonialsystems aufdeckte: Befehlshaber operierten weitgehend eigenstandig und legten dabei große Grausamkeit auch gegenuber der burischen Zivilbevolkerung an den Tag, ohne dass durchschlagende militarische Erfolge erzielt wurden.
1902 gab Großbritannien seine Bundnisfreiheit,
splendid isolation
auf und schloss mit Japan ein Flottenbundnis, 1904 dann die
entente cordiale
mit Frankreich.
Innenpolitisch profitierten die Konservativen von ihrem bei der Bevolkerung popularen imperialen Auftreten in der Außenpolitik. Allerdings schwachte sich dieser Bonus nach dem Burenkrieg ab. Die Liberalen hatten durch ihr Eintreten fur
Home Rule
eine breite Wahlerbasis in Irland gewonnen. Wichtigstes Streitthema um die Jahrhundertwende war die Handelspolitik. Nachdem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die
Freihandelspolitik
dominiert hatte, trat der wichtigste liberale Politiker
Joseph Chamberlain
fur Schutzzolle ein, die das gesamte britische Weltreich nach außen abschotten und den Handel zwischen dem Mutterland und den Kolonien fordern sollte. Auch Auseinandersetzungen um den Einfluss der Kirche auf die Schulpolitik spalteten die politischen Akteure und die Wahlerschaft. Diese Spannungen fuhrten 1900 zu einem konservativen, 1906 zu einem liberalen Erdrutsch-Sieg bei den Unterhauswahlen. Als Reaktion auf die Stimmengewinne betrieb die liberale Regierung unter
Henry Campbell-Bannerman
eine arbeiter- und gewerkschaftsfreundliche Politik mit sozialen Absicherungen wie Altersrente und Achtstundentag im Bergbau.
Ab 1908 war
David Lloyd George
der bestimmende Politiker des Vereinigten Konigreiches, zunachst als Finanz-, spater als Munitions- und Kriegsminister, ab 1916 als Premierminister. Unter ihm entwickelte sich das
Deutsch-Britische Flottenwettrusten
sowie ein schwerer Verfassungskonflikt: 1909 versuchte Lloyd George ein weiteres umfassendes Sozialversicherungspaket durchzusetzen, das vor allem durch die Besteuerung der Grundbesitzer finanziert werden sollte. Nachdem das Unterhaus das Vorhaben gebilligt hatte, lehnte das Oberhaus es ab, obwohl es dazu in Angelegenheiten der Finanzpolitik nicht berechtigt war. Mit dem Schlagwort ?Lords gegen Volk“ ließ die Regierung fur Januar 1910 Neuwahlen ausschreiben, die allerdings die Konservativen starkten, so dass sich die Liberalen nur mit Hilfe von Labour und der irischen Nationalisten an der Macht halten konnten. Darauf kam es nicht nur zu weiteren Auseinandersetzungen um die Sozialpolitik, sondern auch um die erneut vorgebrachten Forderungen nach Home Rule fur Irland sowie um eine von Lloyd George propagierte Verfassungsreform mit eingeschrankten Befugnissen fur das Oberhaus.
In dieser Lage starb Eduard VII. Sein Sohn und Nachfolger
Georg V.
erklarte, dass er den Willen des Volkes durch die Ernennung neuer Peers im Oberhaus durchsetzen werde. Als Neuwahlen im Dezember 1910 das Januar-Ergebnis bestatigten, billigte das Oberhaus angesichts der koniglichen Drohung den
Parliament Act
, der seine Rechte einschrankte. Insbesondere hatte ein Oberhaus-Veto ab 1911 nur noch aufschiebende Wirkung auf ein Gesetz, das das Unterhaus passiert hatte und die Unterhaus-Wahlperiode wurde von sieben auf funf Jahre verkurzt. 1914, im Jahr des Eintritts in den Weltkrieg, wurde dann das
Home-Rule-Gesetz
beschlossen.
Der Kriegseintritt fand die Zustimmung aller Parteien mit Ausnahme einer Gruppe der Labour Party um
Ramsay MacDonald
. In der Bevolkerung herrschte, wie in den ubrigen europaischen Staaten, eine weitgehende
Kriegsbegeisterung
.
Es gab ein
voluntary enlistment movement
; im September 1914
meldeten sich freiwillig
hunderttausende Manner.
[4]
1915 wurde eine
Allparteienregierung
gebildet. An ihrer Spitze stand
David Lloyd George
, der durch Einbeziehung der Konservativen eine breite Koalitionsregierung erreichen wollte. Die Anhanger Asquiths gingen in die Opposition, so dass die liberale Partei gespalten wurde. In den Folgejahren erlangte Lloyd George eine fast diktatorische Stellung im Kabinett und verfolgte eine Kriegspolitik, die auf eine vollstandige Niederlage des Deutschen Reichs abzielte. 1916 wurde die allgemeine
Wehrpflicht
eingefuhrt. Neben dem Einsatz der britischen Soldaten auf dem Kontinent waren vor allem die Seeblockade gegen das Deutsche Reich sowie der Einsatz der
ersten Panzer
? speziell des
Mark IV
? am Ende des Krieges die wichtigsten Beitrage des Vereinigten Konigreichs zum Sieg der Alliierten. Bis zum Ende des Krieges fielen uber 800.000 britische Soldaten. Dass der Staat fur die
Kriegswirtschaft
auf die Einbeziehung der Arbeiterschaft und der Frauen angewiesen war, fuhrte bereits wahrend des Krieges und in den Jahren danach zur politischen Emanzipierung beider Gruppen (
Frauenemanzipation
). Ab 1917 wurden in London Konferenzen mit Gesandten der
Dominions
der Commonwealth einberufen, um von ihnen weitgehendere Unterstutzung zu erhalten. Dieses Vorgehen starkte das Selbstbewusstsein in den Dominions und trug maßgeblich zur nach dem Krieg einsetzenden Unabhangigkeitsbewegung bei (siehe
Dekolonisation
und
British Empire
).
Spatestens seitdem sich 1912 abgezeichnet hatte, dass nach dem zweijahrigen Aufschub durch das Oberhaus-Veto
Home Rule
fur Irland in Kraft treten wurde, begannen Unionisten und irische Nationalisten sich zu radikalisieren und zu bewaffnen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und das personliche Eingreifen von George V. verhinderte zunachst Zusammenstoße. Mit der Kriegskoalition hatten die irischen Nationalisten ihre wichtige Stellung im Unterhaus verloren. Als zudem 1916 die in Sudirland extrem unpopulare Wehrpflicht eingefuhrt wurde, eskalierte die Lage in Irland. Ostern 1916 kam es zu einem
Aufstand
, der zwar niedergeschlagen wurde, aber einen mehrjahrigen
Guerillakrieg
zur Folge hatte.
Sinn Fein
, obwohl selbst nur unwesentlich am Aufstand beteiligt, wurde zum Sammelbecken der Unabhangigkeitsbewegung, die durch das harte Durchgreifen der britischen Truppen uberhaupt erst zu einer einheitlichen Front wurde. Bei den Unterhauswahlen
von 1918
gewann Sinn Fein 80 Prozent der irischen Mandate und bildete aus diesen Abgeordneten das
First Dail
, das erste irische Parlament seit 1801.
Eamon de Valera
wurde zum Prasidenten der Republik Irland gewahlt, und der Aufbau einer parallelen Regierungs- und Verwaltungsstruktur begann. Die britische Regierung erklarte das Dail unverzuglich fur illegal. Der folgende
Irische Unabhangigkeitskrieg
(1919?1921) fuhrte 1921 zum
Anglo-Irischen Vertrag
, der fur 26 der 32 Irischen Countys die Unabhangigkeit von Großbritannien garantierte. Aus den Provinzen
Munster
,
Leinster
, und
Connaught
, sowie drei der neun Countys von
Ulster
wurde der
Irische Freistaat
gebildet. Die sechs nordlichen Countys von Ulster bildeten
Nordirland
und blieben Teil des
Vereinigten Konigreichs von Großbritannien und Nordirland
.
Die verfassungsrechtlichen Bindungen Irlands zu Großbritannien wurden nach und nach aufgelost, bis 1949 die Republik
Irland
gegrundet wurde.
Nordirland
blieb Teil des
Vereinigten Konigreichs
und der offizielle Name anderte sich in ?
Vereinigtes Konigreich Großbritannien und Nordirland
“.
Fortsetzung der Geschichte Großbritanniens:
Geschichte des Vereinigten Konigreichs von Großbritannien und Nordirland
- Kurt Kluxen
:
Geschichte Englands. Von den Anfangen bis zur Gegenwart
(=
Kroners Taschenausgabe
.
Band 374). 5., erweiterte Auflage. Kroner, Stuttgart 2000,
ISBN 3-520-37405-6
.
- Michael Maurer:
Kleine Geschichte Englands
. Neuaufl. Reclam, Stuttgart 2002,
ISBN 3-15-009616-2
.
- Karl Oreans
:
Neuere Geschichte Englands. Entwicklung seiner Kultur-, Rechts-, Wirtschafts- u. Staatsgeschichte vom Mittelalter bis zum Weltkrieg
. Verlag Kurt Schroeder, Bonn 1921 (Bucherei fur Kultur und Geschichte; 14).
- Englands Aufstieg zur Weltmacht bis zum Frieden von Paris 1763.
S. 1?260.
- Englands Niedergang u. neuer Aufstieg zur Macht bis zum Wiener Kongress 1815.
S. 261?670.
- Der Ausbau des britischen Weltreiches im 19. und 20. Jahrhunderts bis zum Weltkrieg.
S. 671?1133.
- Andreas Rose:
Zwischen Empire und Kontinent. Britische Außenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg.
Verlag R. Oldenbourg, Munchen 2011,
ISBN 978-3-486-70401-3
.
- ↑
Text des anglo-irischen Vertrags
(englisch)
- ↑
William Pitt
(
Memento
vom 16. Juni 2012 im
Internet Archive
). Zusammenfassung von Pitts Amtszeit auf der Website des britischen Premierministers
- ↑
Kurt Kluxen:
Geschichte Englands. Von den Anfangen bis zur Gegenwart.
2. Auflage. Kroner, Stuttgart 1976,
ISBN 3-520-37402-1
, S. 538.
- ↑
Sascha Henkens:
?Das ganze Volk ist ein einziger Wille, ein einziges Herz“ ? Der ?Geist von 1914“ im internationalen Vergleich
.
Masterarbeit
. Grin Verlag, 2010,
ISBN 978-3-640-73517-4
,
Gliederung und Einleitung
;
Seite 59 ff.