Die
Geschichte der Mathematik
reicht zuruck bis ins
Altertum
und den Anfangen des
Zahlens
in der
Jungsteinzeit
. Nachweise erster Anfange von Zahlverfahren reichen ca. 50.000 Jahre zuruck.
[2]
Der
Pyramidenbau
im
Alten Agypten
vor uber 4500 Jahren mit seinen exakt berechneten Formen ist ein deutliches Anzeichen fur das Vorhandensein von bereits weitreichenden
mathematischen
Kenntnissen. Im Gegensatz zur Mathematik der Agypter, von der wegen der empfindlichen
Papyri
nur wenige Quellen existieren, liegen von der babylonischen Mathematik in
Mesopotamien
etwa 400 Tontafeln vor. Die beiden Kulturraume hatten zwar unterschiedliche
Zahlensysteme
, kannten aber beide die vier
Grundrechenarten
sowie Annaherungen fur die
Kreiszahl
. Mathematische Belege aus China sind deutlich jungeren Datums, da Dokumente durch Brande vernichtet wurden, ahnlich schlecht lasst sich die fruhe indische Mathematik datieren. Im
antiken
Europa wurde die Mathematik von den Griechen als
Wissenschaft
im Rahmen der
Philosophie
betrieben. Aus dieser Zeit datiert die Orientierung an der Aufgabenstellung des ?rein logischen Beweisens“ und der erste Ansatz einer
Axiomatisierung
, namlich die
euklidische Geometrie
. Persische und arabische Mathematiker griffen die von den Romern eher vernachlassigten griechischen, aber auch indische Erkenntnisse auf und begrundeten die
Algebra
. Von Spanien und Italien aus verbreitete sich dieses Wissen in die europaischen
Klosterschulen
und Universitaten. Die Entwicklung der modernen Mathematik (hohere Algebra,
analytische Geometrie
,
Wahrscheinlichkeitstheorie
,
Analysis
u. a.) erfolgte in Europa ab der
Renaissance
. Europa blieb bis ins 19. Jahrhundert das Zentrum der Entwicklung der Mathematik, das 20. Jahrhundert sah eine ?explosionsartige“ Entwicklung und eine Internationalisierung der Mathematik mit einem deutlichen Schwerpunkt in den USA, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg Mathematiker aus aller Welt anzogen mit einem großen Bedarf aufgrund der expansiven technologischen Entwicklung.
Die wichtigsten der wenigen erhaltenen Quellen, die uns Auskunft uber die mathematischen Fahigkeiten der Agypter geben, sind der
Papyrus Rhind
, der
Papyrus Moskau
und die sogenannte ?Lederrolle“.
Die Agypter verwendeten die Mathematik meist nur fur praktische Aufgaben wie die Lohnberechnung, die Berechnung von Getreidemengen zum Brotbacken oder
Flachenberechnungen
. Sie kannten die vier
Grundrechenarten
, so die
Subtraktion
als Umkehrung der
Addition
, die
Multiplikation
fuhrte man auf das fortgesetzte Verdoppeln zuruck und die
Division
auf das wiederholte Halbieren. Um die Division vollstandig durchfuhren zu konnen, verwendeten die Agypter
allgemeine Bruche
naturlicher Zahlen, die sie durch Summen von
Stammbruchen
und dem Bruch 2/3 darstellten. Sie konnten auch
Gleichungen
mit einer abstrakten
Unbekannten
losen. In der
Geometrie
waren ihnen die Berechnung der
Flachen
von
Dreiecken
,
Rechtecken
und
Trapezen
, (16/9)
2
als Naherung der
Kreiszahl
π (pi) und die Berechnung des
Volumens
eines quadratischen
Pyramidenstumpfs
[3]
bekannt. Archaologische Funde von Aufzeichnungen einer mathematischen
Beweisfuhrung
fehlen bis heute. Sie hatten fur Zahlen eigene
Hieroglyphen
, ab dem Jahr 1800 v. Chr. benutzten sie die
hieratische Schrift
, die mit abgerundeten und vereinfachten hieroglyphischen Schriftzeichen geschrieben wurde.
Die
Babylonier
verwendeten ein
Sexagesimal
-
Stellenwertsystem
, wenn auch mit unvollkommener Auspragung, so dass sich die Bedeutung haufig erst aus dem Zusammenhang ergab. Die erhaltenen Tontafeln sind zum Beispiel Zahlen
tabellen
fur Multiplikation, mit Kehrwerten (entsprechend ihrem Verfahren fur die Division),
Quadraten
und Kuben; nicht vorhandene Tabellenwerte konnten durch
lineare Interpolation
und Anwendung von Teilbarkeitsregeln ermittelt werden. Es gibt auch Tafeln mit Aufgaben, die zum Beispiel heutigen linearen Gleichungssystemen entsprechen oder Zinseszinsrechnungen, und Erlauterungen von Rechenmethoden. Sie verfugten uber einen
Algorithmus
zur Berechnung von
Quadratwurzeln
(
Babylonisches Wurzelziehen
) und konnten damit sogar
quadratische Gleichungen
losen. Sie kannten den
Satz des Pythagoras
und als Naherung fur die
Kreiszahl
π benutzten sie 3 oder 3+1/8. Eine
strenge Beweisfuhrung
strebten die Babylonier offenbar nicht an.
Die Mathematik der
griechischen Antike
teilt sich in vier große Perioden:
[4]
- Ionische Periode (Ionische Philosophie/
Vorsokratiker
:
Thales
,
Pythagoras
,
Anaxagoras
,
Demokrit
,
Hippokrates
,
Theodoros
) von 600 bis 400 v. Chr.
- Athenische Periode (
Sophisten
,
Platon
,
Aristoteles
,
Theaitetos
,
Eudoxos von Knidos
,
Menaichmos
,
Deinostratos
,
Autolykos von Pitane
) von 400 bis 300 v. Chr.
- Alexandrinische Periode
(
Euklides
,
Aristarchos
,
Archimedes
,
Eratosthenes
,
Nikomedes
,
Apollonios
) von 300 bis 200 v. Chr.
- Spatzeit (
Hipparchos
,
Menelaos
,
Heron von Alexandria
,
Ptolemaus
,
Diophant von Alexandrien
,
Pappos
) von 200 v. Chr. bis 300 n. Chr.
Nach einer aus der Antike stammenden, aber unter Wissenschaftshistorikern umstrittenen Uberlieferung beginnt die Geschichte der Mathematik als Wissenschaft mit
Pythagoras von Samos
. Ihm wird ? allerdings wohl zu Unrecht ? der Grundsatz ?alles ist Zahl“ zugeschrieben. Er begrundete die Schule der
Pythagoreer
, aus der spater Mathematiker wie
Hippasos von Metapont
und
Archytas von Tarent
hervorgingen. Im Unterschied zu den Babyloniern und Agyptern hatten die Griechen ein
philosophisches
Interesse an der Mathematik. Zu den Erkenntnissen der Pythagoreer zahlt die
Irrationalitat
geometrischer Streckenverhaltnisse, die von Hippasos entdeckt worden sein soll. Die fruher verbreitete Ansicht, dass die Entdeckung der Irrationalitat bei den Pythagoreern eine philosophische ?Grundlagenkrise“ ausloste, da sie ihre fruheren Uberzeugungen erschutterte, wird jedoch von der heutigen Forschung verworfen. Die antike Legende, wonach Hippasos Geheimnisverrat beging, indem er seine Entdeckung veroffentlichte, soll aus einem Missverstandnis entstanden sein.
In der
Platonischen Akademie
in Athen stand die Mathematik hoch im Kurs.
Platon
schatzte sie sehr, da sie dazu diente, wahres Wissen erlangen zu konnen. Die griechische Mathematik entwickelte sich danach zu einer
beweisenden
Wissenschaft
.
Aristoteles
formulierte die Grundlagen der
Aussagenlogik
.
Eudoxos von Knidos
schuf mit der
Exhaustionsmethode
zum ersten Mal eine rudimentare Form der
Infinitesimalrechnung
. Wegen des Fehlens von reellen Zahlen und Grenzwerten war diese Methode allerdings recht unhandlich.
Archimedes
erweiterte diese und berechnete damit unter anderem eine Naherung fur die
Kreiszahl
π.
Euklid
fasste in seinem Lehrbuch
Elemente
einen Großteil der damals bekannten Mathematik (Geometrie und Zahlentheorie) zusammen. Unter anderem wird darin bewiesen, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Dieses Werk gilt als Musterbeispiel fur mathematisches Beweisen: aus wenigen Vorgaben werden alle Ergebnisse in einer Strenge hergeleitet, die es zuvor nicht gegeben haben soll. Euklids ?Elemente“ wird auch noch heute nach uber 2000 Jahren als Lehrbuch verwendet.
Im Gegensatz zu den Griechen befassten sich die antiken
Romer
kaum mit hoherer Mathematik, sie waren mehr an praktischen Anwendungen etwa im Vermessungs- und Ingenieurswesen interessiert. Die romischen Landvermesser hießen Gromatici oder
Agrimensoren
; ihre Schriften wurden im 6. Jahrhundert zu einem Sammelwerk (
Corpus Agrimensorum
) zusammengefasst. Wichtige Agrimensoren waren
Sextus Iulius Frontinus
,
Hyginus Gromaticus
und
Marcus Iunius Nipsus
. Bis zur Spatantike blieb die Mathematik weitgehend eine Domane der griechischsprachigen Bewohner des Reichs, der Schwerpunkt mathematischer Forschung lag in romischer Zeit auf Sizilien und in Nordafrika, dort vor allem in
Alexandria
. Pappos lieferte neue Beitrage zur Geometrie (auch mit ersten Resultaten zur Projektiven Geometrie), Apollonios zu
Kegelschnitten
und Diophant lieferte Beitrage zu einer geometrisch verkleideten Algebra und zur Zahlentheorie (Losung ganzzahliger Gleichung, nach ihm spater Diophantische Probleme genannt). Die letzte, namentlich bekannte Mathematikerin in Alexandria war
Hypatia
, die 415 von einem christlichen Mob getotet wurde.
Das erste noch erhaltene Lehrbuch chinesischer Mathematik ist das
Zhoubi suanjing
. Es wurde wahrend der
Han-Dynastie
, zwischen 206 v. Chr. bis 220 n. Chr., von
Liu Hui
erganzt, da infolge der Bucher- und Urkundenverbrennungen wahrend der
Qin-Dynastie
die meisten mathematischen Aufzeichnungen zerstort waren und aus dem Gedachtnis heraus wieder aufgeschrieben wurden. Die mathematischen Erkenntnisse werden bis in das 18. Jahrhundert v. Chr. datiert. Es folgten spater bis 1270 n. Chr. weitere Erganzungen. Es enthalt außerdem einen Dialog uber den
Kalender
zwischen Zhou Gong Dan, dem Herzog von Zhou, und dem Minister Shang Gao. Fast genauso alt ist
Jiu Zhang Suanshu
(?Neun Kapitel uber mathematische Kunst“), welches 246 Aufgaben uber verschiedene Bereiche enthalt; unter anderem ist darin auch der Satz des Pythagoras zu finden, jedoch ohne jegliche Beweisfuhrung. Die Chinesen verwandten ein dezimales Stellenwertsystem aus waagerechten und senkrechten Strichen (Suan Zi, ?Rechnen mit Pfahlen“ genannt)
[5]
geschrieben; um 300 n. Chr. errechnete Liu Hui uber ein
3072-Eck
die Zahl 3,14159 als Naherung fur π.
Den Hohepunkt erreichte die chinesische Mathematik im 13. Jahrhundert. Der bedeutendste Mathematiker dieser Zeit war
Zhu Shijie
mit seinem Lehrbuch
Siyuan Yujian
(?kostbarer Spiegel der vier Elemente“), das
algebraische Gleichungssysteme
und algebraische Gleichungen vierzehnten Grades behandelte und diese durch eine Art
Hornerverfahren
loste. Nach dieser Periode kam es zu einem jahen Abbruch der Mathematik in China. Um 1600 griffen
Japaner
die Kenntnisse in der
Wasan
(Japanische Mathematik) auf. Ihr bedeutendster Mathematiker war
Seki Takakazu
(um 1700). Mathematik wurde als geheime Tempelwissenschaft betrieben.
Datierungen sind, einem Bonmot des Indologen
W. D. Whitney
zufolge, in der gesamten indischen Geschichte außerordentlich problematisch.
[6]
Die altesten Andeutungen uber geometrische Regeln zum Opferaltarbau finden sich bereits im
Rig Veda
. Doch erst mehrere Jahrhunderte spater entstanden (d. h. wurden kanonisiert) die
Sulbasutras
(?Seilregeln“, geometrische Methoden zur Konstruktion von Opferaltaren) und weitere Lehrtexte wie beispielsweise die Silpa Sastras (Regeln zum Tempelbau) usw. Moglicherweise halbwegs verlasslich datiert auf etwa um 500 n. Chr. das
Aryabhatiya
und verschiedene weitere ?
Siddhantas
“ (?Systeme“, hauptsachlich astronomische Aufgaben). Die Inder entwickelten das uns vertraute
dezimale
Positionssystem
, das heißt die Polynomschreibweise zur Basis 10 sowie dazugehorende Rechenregeln. Schriftliches Multiplizieren in babylonischer, agyptischer oder romischer Zahlnotation war außerordentlich kompliziert und arbeitete mittels Substitution; d. h. mit vielen auf die Notation bezogenen Zerlegungs- und Zusammenfassungsregeln, wahrend sich in indischen Texten viele ?elegante“ und einfache Verfahren beispielsweise auch schon zum schriftlichen Wurzelziehen finden.
Unsere Zahlzeichen (
indische Ziffern
) fur die Dezimalziffern leiten sich direkt aus der indischen
Devanagari
ab. Die fruheste Verwendung der
Ziffer 0
wird auf etwa 400 n. Chr. datiert;
Aryabhata
um 500 und
Bhaskara
um 600 verwendeten sie jedenfalls bereits ohne Scheu, sein Zeitgenosse
Brahmagupta
rechnete sogar mit ihr als Zahl und kannte negative Zahlen. Die Benennung der Zahlzeichen in verschiedenen Kulturen ist uneinheitlich: Die Araber nennen diese (adoptierten Devanagari-) Ziffern ?indische Zahlen“, die Europaer auf Grundlage der mittelalterlichen Rezeptionsgeschichte ?arabische Zahlen“ und die Japaner aus analogem Grund
Romaji
, das heißt lateinische oder romische Zeichen (zusammen mit dem lateinischen Alphabet). Unter ?
romischen Zahlen
“ verstehen Europaer wiederum etwas anderes.
Mit der
Ausbreitung des Islams
nach Osten ubernahm um etwa 1000 bis spatestens 1200 die muslimische Welt viele der indischen Erkenntnisse, islamische Wissenschaftler ubersetzten indische Werke ins Arabische, die uber diesen Weg auch nach Europa gelangten. Ein Buch des persischen Mathematikers
Muhammad ibn Musa Chwarizmi
wurde im 12. Jahrhundert in Spanien ins
Latein
ubersetzt. Die indischen Ziffern
(figurae Indorum)
wurden zuerst von italienischen Kaufleuten verwendet. Um 1500 waren sie auf dem Gebiet des heutigen Deutschland bekannt.
Ein anderer bedeutender Mathematiker war der Astronom
Bhaskara II
(1114?1185).
In der islamischen Welt bildete fur die Mathematik die Hauptstadt
Bagdad
das Zentrum der Wissenschaft. Die muslimischen Mathematiker ubernahmen die
indische
Positionsarithmetik
und den
Sinus
und entwickelten die griechische und indische
Trigonometrie
weiter, erganzten die griechische Geometrie und ubersetzten und kommentierten die mathematischen Werke der Griechen. Die bedeutendste mathematische Leistung der Muslime ist die Begrundung der heutigen Algebra. Diese Kenntnisse gelangten uber Spanien, die
Kreuzzuge
und den italienischen Seehandel nach Europa. In der
Ubersetzerschule von Toledo
etwa wurden viele der arabischen Schriften ins Lateinische ubertragen.
Folgende Phasen konnen unterschieden werden:
Unser Wissen uber die Mathematik und Astronomie (Kalenderrechnung) der Maya stammt uberwiegend aus dem
Dresdner Kodex
. Die
Maya-Zahlschrift
beruht auf der Basis 20. Als Grund dafur wird vermutet, dass die Vorfahren der Maya mit Fingern und Zehen zahlten
[7]
. Die Maya kannten die Zahl 0, aber verwendeten keine Bruche. Fur die Darstellung von Zahlen verwendeten sie Punkte, Striche und Kreise, die fur die Ziffern 1, 5 und 0 standen. Die Mathematik der Maya war hochentwickelt, vergleichbar mit den Hochkulturen im Orient. Sie verwendeten sie zur Kalenderberechnung und fur die Astronomie. Der
Maya-Kalender
war der genaueste seiner Zeit.
Das
Mittelalter
als Epoche der europaischen Geschichte begann etwa mit dem
Ende des romischen Reiches
und dauerte bis zur
Renaissance
. Die Geschichte dieser Zeit war bestimmt durch die
Volkerwanderung
und den Aufstieg des Christentums in Westeuropa. Der Niedergang des romischen Reiches fuhrte zu einem Vakuum, das in Westeuropa erst durch den Aufstieg des
Frankenreiches
kompensiert wurde. Im Zuge der Gestaltung einer neuen politischen Ordnung durch die Franken kam es zu der sogenannten
karolingischen Renaissance
. Das Wissen des Altertums wurde zunachst in Klostern bewahrt. Klosterschulen wurden im spateren Mittelalter von Universitaten als Zentren der Gelehrsamkeit abgelost. Eine wichtige Bereicherung der westeuropaischen Wissenschaft erfolgte, indem die arabische Uberlieferung und Weiterentwicklung griechischer Mathematik, Medizin und Philosophie sowie die arabische Adaption indischer Mathematik und Ziffernschreibung auf dem Weg von Ubersetzungen ins Lateinische im Westen bekannt wurden. Die Kontakte zu arabischen Gelehrten und deren Schriften ergaben sich einerseits als Folge der Kreuzzuge in den Vorderen Orient und andererseits durch die Kontakte mit den Arabern in Spanien und Sizilien, hinzu kamen Handelskontakte besonders der Italiener im Mittelmeerraum, denen zum Beispiel auch
Leonardo da Pisa
(?Fibonacci“) einige seiner mathematischen Kenntnisse verdankte.
An der Grenze zwischen dem romischen Reich und dem beginnenden Neuen steht
Boethius
(ca. 480?524). Seine Einfuhrung in die Arithmetik bildete die Grundlage fur den Unterricht dieses Faches bis zum Ausgang des Mittelalters; ebenfalls einflussreich, wenn auch in geringerem Maße, war seine Einfuhrung in die Geometrie. Im Jahre 781 berief
Karl der Große
den Gelehrten
Alkuin
von York (735?804) zum Leiter seiner Hofschule, der das Bildungswesen des Frankenreiches aufbauen sollte. Man nannte ihn auch den ?Lehrer der Westfranken“. Im ostlichen Frankenreich begrundete ein Schuler Alkuins das Schulwesen, der aus Mainz stammende
Rabanus Maurus
. Mathematische Lehrinhalte wurden gemaß der Einteilung der
sieben freien Kunste
in den vier Fachern des
Quadriviums
gelehrt:
- Arithmetik: Die Eigenschaften und Arten der Zahlen (z. B. gerade, ungerade, Primzahlen, Flachen- und Korperzahlen) sowie Proportionen und Zahlenverhaltnisse, jeweils nach Boethius, außerdem Grundkenntnisse uber griechische und lateinische
Zahlschrift
, Grundrechenarten, Fingerrechnen und im 11.?12. Jahrhundert
Abakusrechnen
, seit dem 13. Jahrhundert auch schriftliches Rechnen mit arabischen Ziffern
- Geometrie: Elemente
euklidischer
Geometrie, Mess- und Vermessungswesen, Geographie und z. T. auch Geschichte
- Astronomie: Grundkenntnisse der Ptolemaischen Astronomie und z. T. auch
Astrologie
, seit dem 10. Jahrhundert Benutzung des
Astrolabs
, außerdem
Komputistik
zur Berechnung des Ostertermins und der beweglichen Feste des Kirchenjahres
- Musik: Harmonielehre nach den Zahlenverhaltnissen der antiken
Kirchentonarten
Bekannt sind folgende in Klostern entstandenen Rechenbucher: Aufgaben zur Scharfung des Geistes Jugendlicher (um 800) (fruher
Alkuin
von York zugeschrieben), die Aufgaben aus den
Annales Stadenses
(Kloster Stade) (um 1180) und die Practica des
Algorismus Ratisbonensis
(Kloster Emmeram Regensburg) (um 1450).
Die Berechnung des Termins fur das
Osterfest
, des wichtigsten Festes des
Christentums
, spielte im Mittelalter eine große Rolle fur die Weiterentwicklung der Mathematik. Karl der Große verfugte, dass sich in jedem Kloster ein Monch mit der
Komputistik
zu befassen hatte. Dadurch sollte das Wissen um die Berechnung des
Osterdatums
sichergestellt werden. Die genaue Berechnung des Termines und die Entwicklung des modernen
Kalenders
wurde durch diese Monche weiterentwickelt, die Grundlagen ubernahm das Mittelalter von
Dionysius Exiguus
(ca. 470 bis ca. 540) und
Beda dem Ehrwurdigen
(ca. 673?735). Im Jahre 1171 publizierte
Reinher von Paderborn
eine verbesserte Methode zur Berechnung des Osterdatums.
Die fruhmittelalterlichen
Klosterschulen
wurden erst im weiteren Verlauf des Mittelalters erganzt durch die
Kathedralschulen
, die Schulen der
Bettelorden
und die Universitaten. Sie waren deshalb zunachst die einzigen Trager des antiken Kulturerbes, indem sie fur die Abschrift und Verbreitung der antiken Werke sorgten. Die Abschrift, Kommentierung und kompilierende Aufbereitung des Lehrguts blieb lange Zeit die einzige Form der Auseinandersetzung mit den Themen der Mathematik. Erst im
Hochmittelalter
entwickelte sich die in Ansatzen kritischere Methode der
Scholastik
, mit der Lehrmeinungen in ihrem pro und contra auf Widerspruche uberpruft und diese nach Moglichkeit in Ubereinstimmung mit den als grundlegend erachteten Standpunkten der kirchlichen und antiken Autoritaten aufgelost wurden.
Diese Methode wurde ab dem 12. Jahrhundert auf die Darstellungen der antiken Wissenschaft angewendet, insbesondere die des Aristoteles. Im 12. Jahrhundert wurden die Universitaten in
Paris
und
Oxford
zum europaischen Zentrum der wissenschaftlichen Aktivitaten.
Robert Grosseteste
(1168?1253) und sein Schuler
Roger Bacon
(1214?1292) entwarfen ein neues Wissenschaftsparadigma. Nicht die Berufung auf kirchliche oder antike Autoritaten, sondern das Experiment sollte die Bewertung der Korrektheit maßgeblich bestimmen. Papst
Clemens IV.
forderte Roger Bacon im Jahre 1266 auf, ihm seine Ansichten und Vorschlage zur Behebung der Missstande in der Wissenschaft mitzuteilen. Bacon verfasste als Antwort mehrere Bucher, darunter sein
Opus Maius
. Bacon wies auf die Bedeutung der Mathematik als Schlussel zur Wissenschaft hin; er befasste sich insbesondere mit der Geometrie angewendet auf die Optik. Unglucklicherweise starb der Papst, bevor ihn das Buch erreichte. Ein weiterer wichtiger Beitrag Bacons betrifft die Kalenderreform, die er einforderte, die allerdings dann erst im Jahre 1582 als
Gregorianische Kalenderreform
durchgefuhrt wurde.
Eine wichtige methodische Entwicklung in der Wissenschaft war die Quantifizierung von Qualitaten als Schlussel fur die quantitative Beschreibung von Vorgangen.
Nikolaus von Oresme
(1323?1382) war einer der ersten, die sich weitergehend auch mit der Veranderung der Intensitaten beschaftigten. Oresme untersuchte verschiedene Formen der Bewegung. Er entwickelte eine Art funktionale Beschreibung, indem er Geschwindigkeit gegen Zeit auftrug. Er klassifizierte die unterschiedlichen Formen der Bewegungen und suchte nach funktionalen Zusammenhangen.
Oresme, aber auch
Thomas Bradwardine
(1295?1349),
Wilhelm von Ockham
(1288?1348),
Johannes Buridan
(ca. 1300 bis ca. 1361) und andere Gelehrte des
Merton College
untersuchten die funktionale Beschreibung der Zusammenhange von Geschwindigkeit, Kraft, Ort, kurzum: sie beschaftigten sich mit
Kinetik
. Es wurden auch methodisch wichtige Fortschritte erzielt. Grosseteste formulierte das Prinzip der Uniformitat der Natur, demzufolge Korper gleicher Beschaffenheit sich unter gleichen Bedingungen auf gleiche Weise verhalten. Hier wird deutlich, dass schon damals den Gelehrten bewusst war, dass die Umstande, unter denen bestimmtes Verhalten betrachtet wird, zu kontrollieren sind, wenn Vergleiche angestellt werden sollen. Weiterhin formulierte Grosseteste das Prinzip der Okonomie der Beschreibung, nach dem unter gleichen Umstanden diejenige Argumentation vorzuziehen ist, die zum vollstandigen Beweis weniger Fragen zu beantworten oder weniger Annahmen erfordert. William Ockham war einer der großten Logiker der damaligen Zeit, beruhmt ist
Ockhams Rasiermesser
, ein Grundsatz, der besagt, dass eine Theorie immer so wenig Annahmen und Begrifflichkeiten wie moglich enthalten soll.
Die Gelehrten der damaligen Zeit waren oft auch Theologen. Die Beschaftigung mit geistlichen Fragen wie z. B. der Allmacht Gottes fuhrte sie zu Fragen in Bezug auf das Unendliche. In diesem Zusammenhang ist
Nikolaus von Kues
(Nikolaus Cusanus) (1401?1464) zu nennen, der als einer der ersten, noch vor
Galilei
oder
Giordano Bruno
, die Unendlichkeit der Welt beschrieb. Sein Prinzip der
coincidentia oppositorum
zeugt von einer tiefgehenden philosophischen Beschaftigung mit dem Thema Unendlichkeit.
Gegen Ende des Mittelalters entstanden die Kathedralen Europas, deren Bau ganz neue Anforderungen an die Beherrschung der Statik stellte und zu technologischen Hochstleistungen auf diesem Gebiet herausforderte. In diesem Zusammenhang wurden auch immer wieder geometrische Probleme behandelt. Ein wichtiges Lehrbuch, das die Architektur behandelt, ist das
Bauhutten
buch von
Villard de Honnecourt
.
Im Bereich der Vermessungsgeometrie wurden wahrend des gesamten Mittelalters stetige Fortschritte erzielt, besonders zu nennen sind hier im 11. Jahrhundert die Geometrie der
Geodaten
zuruckgehend auf ein Buch des
Boethius
, im 12. Jahrhundert die eher konventionelle
Geometria practica
von
Hugo von St. Victor
(1096?1141). Im 13. Jahrhundert wurde von
Levi ben Gershon
(1288?1344) ein neues Vermessungsgerat beschrieben, der sogenannte
Jakobsstab
.
Mit dem Beginn einer Wirtschaft, die nicht auf Warentausch, sondern auf Geld basiert, entstanden neue Anwendungsgebiete der Mathematik.
Dies gilt insbesondere fur Italien, das zur damaligen Zeit ein Umschlagplatz fur Waren von und nach Europa war, und dessen damals fuhrende Rolle im Finanz- und Bankwesen sich noch heute in der Verwendung von Wortern wie ?Konto“, ?brutto“ und ?netto“ auswirkt. In diesem Zusammenhang ist besonders Leonardo da Pisa, genannt
Fibonacci
, und sein
Liber abbaci
zu nennen, der nichts mit dem
Abacus
als Rechenbrett zu tun hat, sondern gemaß einem zu dieser Zeit in Italien aufkommenden Sprachgebrauch das Wort abacus oder ?abbacco“ als Synonym fur Mathematik und Rechnen verwendet. In der Mathematik Fibonaccis vollzog sich eine fur das Mittelalter singulare Synthese aus kaufmannischem Rechnen, traditioneller griechisch-lateinischer Mathematik und neuen Methoden der arabischen und (arabisch vermittelten) indischen Mathematik. Mathematisch weniger anspruchsvoll, dafur mehr an den praktischen Erfordernissen von Bank- und Kaufleuten ausgerichtet, waren die zahlreichen Rechenbucher, die als Lehrbucher zur praktischen und merkantilen Arithmetik seit dem 14. Jahrhundert in italienischer Sprache verfasst wurden.
Arabische Mathematik kam uber Spanien, wo im Zuge der
Reconquista
die
Mauren
aus Europa vertrieben wurden, und uber Handelsbeziehungen nach Europa und ihre Mathematik beeinflusste in der Folge die europaische grundlegend. Begriffe wie
Algebra
,
Algorithmus
sowie die arabischen Ziffern gehen darauf zuruck. In der Renaissance wurden die antiken Klassiker und andere Werke durch weite Verbreitung uber den Buchdruck allgemein zuganglich.
[8]
Die Kunst der
Renaissance
fuhrte zur Entwicklung der
Perspektive
(u. a.
Albrecht Durer
,
Filippo Brunelleschi
,
Leon Battista Alberti
,
Piero della Francesca
) und
Darstellenden Geometrie
und die damit zusammenhangende projektive Geometrie (
Gerard Desargues
) hatte ebenfalls im Architekturwesen ihren Ursprung. Die Entdeckungsreisen fuhrten zu Entwicklungen in
Kartographie
und Navigation (das lange akute
Langengradproblem
) und die Landvermessung (
Geodasie
) war fur die Entwicklung der Territorialstaaten von Bedeutung. Praktische Erfordernisse von Ingenieuren (nicht zuletzt militarischer Art) wie
Simon Stevin
(Dezimalbruche) und Astronomen fuhrten zu Verbesserungen der Rechentechnik, insbesondere durch Erfindung der
Logarithmen
(
John Napier
,
Jost Burgi
).
In Deutschland erklarte
Adam Ries(e)
? bekannt aus
einem verbreiteten Sprichwort
? seinen Landsleuten in der Landessprache das Rechnen, und die Verwendung der indischen Ziffern statt der unpraktischen romischen wurde popular. Im Jahr 1544 wurde in Nurnberg
Arithmetica integra
, eine Zusammenfassung der damals bekannten Arithmetik und Algebra von
Michael Stifel
, gedruckt.
[9]
In Frankreich entdeckte
Rene Descartes
, dass man Geometrie, die bis dahin nach
Euklid
gelehrt wurde, auch algebraisch beschreiben kann und umgekehrt algebraische Gleichungen geometrisch deuten kann (
Analytische Geometrie
) nach Einfuhrung eines
Koordinatensystems
. Ein Briefwechsel zwischen
Blaise Pascal
und
Pierre de Fermat
im Jahr 1654 uber Probleme von Glucksspielen gilt als Geburt der klassischen
Wahrscheinlichkeitsrechnung
.
Blaise Pascal war auch einer der Begrunder der
Kombinatorik
(
Binomialkoeffizienten
,
Pascalsches Dreieck
) und baute eine der ersten Rechenmaschinen.
Francois Viete
verwendete systematisch
Variablen
(Unbekannte) in Gleichungen. Damit wurde die Algebra weiter formalisiert. Pierre de Fermat, der hauptberuflich Richter war, lieferte wichtige Resultate zur
Variationsrechnung
und in der Zahlentheorie (Losung von algebraischen Gleichungen in den ganzen Zahlen, sogenannte
Diophantische Probleme
), insbesondere den ?
kleinen Fermatschen Satz
“ und formulierte den ?
großen Fermatschen Satz
“. Er behauptete, dass die Gleichung
keine positiven ganzzahligen Losungen hat, falls
. Am Rand seiner Ausgabe der
Arithmetica
von Diophant von Alexandrien schrieb er dazu den Satz: ?Ich habe einen wunderbaren Beweis gefunden, doch leider ist dafur der Rand zu schmal“. Jahrhundertelang suchten Mathematiker vergeblich nach diesem angeblichen Beweis. Der Beweis des Satzes gelang erst Jahrhunderte spater (1995) mit Fermat nicht zuganglichen Methoden (siehe unten). In Italien fanden
Cardano
und
Tartaglia
die algebraische Formel fur die Losungen der
kubischen Gleichung
,
Ferrari
der Gleichung 4. Grades. Die Suche nach weiteren Losungsformeln hoherer Gleichungen fand erst durch die
Galoistheorie
im 19. Jahrhundert ein Ende.
Das Problem, Tangenten an Kurven (
Differentialrechnung
) und Flachen unter Kurven (
Integralrechnung
) zu bestimmen, beschaftigte viele Mathematiker des 17. Jahrhunderts, mit wichtigen Beitragen zum Beispiel von
Bonaventura Cavalieri
,
Johannes Kepler
,
Gilles de Roberval
,
Pierre de Fermat
,
Evangelista Torricelli
, Rene Descartes,
Isaac Barrow
(mit Einfluss auf Newton) und
Christian Huygens
(der besonders Leibniz beeinflusste).
[10]
Unabhangig voneinander entwickelten
Isaac Newton
und
Leibniz
eine der weitreichendsten Entdeckungen der Mathematik, die
Infinitesimalrechnung
und damit den Begriff der
Ableitung
und des Zusammenhangs von Differential- und Integralrechnung uber den
Fundamentalsatz der Analysis
. Um der Problematik der unendlich kleinen Großen beizukommen, argumentierte Newton hauptsachlich uber Geschwindigkeiten
(Fluxionen)
. Leibniz gab eine elegantere Formulierung des
Infinitesimalkalkuls
und begrundete die Bezeichnung
sowie das
Integralzeichen
. Zwischen den beiden Mathematikern und ihren Schulern kam es spater zu einem langwierigen Prioritatsstreit,
[11]
[12]
der sich auch zu einem Gegensatz kontinentaleuropaischer und englischer Mathematik zuspitzte. Der vielseitig, aber eher philosophisch interessierte Leibniz kam zwar in Hinsicht auf mathematische Fahigkeiten nicht an den in personlicher Hinsicht sehr schwierigen und streitbaren Newton heran (Leibniz hatte zuvor in Briefwechsel mit Newton gestanden, der das so sah, dass er ihm auf diese Weise wesentliche eigene Ergebnisse zukommen ließ, die Newton nicht veroffentlicht hatte, aber unter ausgewahlten Mathematikern zirkulieren ließ), erhielt aber Unterstutzung durch kontinentaleuropaische Mathematiker, besonders den begabten Mathematikern der Familie
Bernoulli
aus der Schweiz.
Gleichzeitig legte
Isaac Newton
die Grundlagen der
theoretischen Mechanik
und
theoretischen Physik
in seinem beruhmten Hauptwerk
Philosophiae Naturalis Principia Mathematica
. Er verwendete darin zwar nicht die Sprache der Analysis, sondern formulierte seine Satze im klassischen geometrischen Stil, den Zeitgenossen war aber klar, dass er sie mit Hilfe der Analysis gewonnen hatte und in dieser Sprache wurden die theoretische Physik und Mechanik dann auch im 18. Jahrhundert ausgebaut.
Von Leibniz wiederum stammen auch Ideen zu einer universalen Algebra,
Determinanten
,
Binarzahlen
und eine
Rechenmaschine
.
Die Methoden der Infinitesimalrechnung wurden weiter entwickelt, auch wenn die Anforderungen an mathematische Strenge damals noch sehr gering waren, was einige Philosophen wie zum Beispiel
George Berkeley
scharf kritisierten. Einer der produktivsten Mathematiker jener Zeit war der Schweizer
Leonhard Euler
. Ein Großteil der heute verwendeten ?modernen“ Symbolik geht auf Euler zuruck. Neben seinen Beitragen zur Analysis fuhrte er, neben vielen anderen Verbesserungen in der Notation, als erster das Symbol
i
als eine Losung der Gleichung x
2
= ?1 ein. Die Vorgeschichte der
komplexen Zahlen
ging bis auf Cardano und andere Renaissance-Mathematiker zuruck, diese Erweiterung des Zahlbereichs bereitete aber noch lange der Vorstellungskraft der meisten Mathematiker Schwierigkeiten und ihren wirklichen Durchbruch in der Mathematik erzielten sie erst im 19. Jahrhundert, nachdem auch eine geometrische Interpretation als zweidimensionale Vektoren entdeckt wurde (
Caspar Wessel
1799,
Jean-Robert Argand
, Gauß). Von Euler stammen auch zahlreiche Anwendungen der Mathematik in der Physik und Mechanik.
Außerdem spekulierte Euler daruber, wie eine
Analysis situs
aussehen konne, der Beschreibung von Lagebeziehungen von Objekten ohne Verwendung einer Metrik (Langen- und Winkelmessung). Diese Idee wurde spater zum Theoriegebaude der
Topologie
ausgebaut. Eulers erster Beitrag dazu war die Losung des
Konigsberger Bruckenproblems
und sein
Polyedersatz
. Ein weiterer fundamentaler Zusammenhang zwischen zwei entfernten Gebieten der Mathematik, der Analysis und der
Zahlentheorie
, geht ebenfalls auf ihn zuruck. Die Verbindung von
Zeta-Funktion
und
Primzahlen
, die
Bernhard Riemann
im 19. Jahrhundert zu einer Grundlage der analytischen Zahlentheorie machte, entdeckte Euler als erster. Weitere Beitrage zur Analysis der Zeit und ihrer Anwendung stammten von den
Bernoullis
(insbesondere
Johann I Bernoulli
,
Daniel Bernoulli
),
Lagrange
und
D’Alembert
, insbesondere dem Ausbau und der Anwendung der Variationsrechnung auf die Losung vieler Probleme der Mechanik. Ein Zentrum der Entwicklung war Frankreich und Paris, wo nach der Franzosischen Revolution und unter Napoleon die Mathematik in neu gegrundeten Ingenieursschulen (besonders der
Ecole Polytechnique
) einen großen Aufschwung nahm. Mathematiker wie
Jakob I Bernoulli
am Anfang des Jahrhunderts,
Abraham de Moivre
, Laplace und
Thomas Bayes
in England bauten die
Wahrscheinlichkeitstheorie
aus.
Lagrange leistete wichtige Beitrage zur Algebra (quadratische Formen, Gleichungstheorie) und Zahlentheorie,
Adrien-Marie Legendre
zu Analysis (Elliptische Funktionen u. a.) und zur Zahlentheorie und
Gaspard Monge
zur Darstellenden Geometrie.
Ab dem 19. Jahrhundert wurden die Grundlagen der mathematischen Begriffe hinterfragt und fundiert.
Augustin-Louis Cauchy
begrundete die
-Definition des
Grenzwertes
. Außerdem legte er die Grundlagen der
Funktionentheorie
. Der enge Zusammenhang der Entwicklung von Physik und Mechanik und der Analysis des 18. Jahrhunderts blieb bestehen und viele Mathematiker waren gleichzeitig theoretische Physiker, was man damals also noch nicht trennte. Ein Beispiel fur den Zusammenhang ist die Entwicklung der
Fourieranalyse
durch
Joseph Fourier
. Eines der zentralen Themen des 19. Jahrhunderts war die Untersuchung spezieller Funktionen, besonders
Elliptischer Funktionen
und deren Verallgemeinerungen (eine wichtige Rolle spielten hier
Niels Henrik Abel
und
Carl Gustav Jacobi
) und algebraische Geometrie von Kurven und Flachen mit Verbindungen zur Funktionentheorie (u. a.
Bernhard Riemann
mit seiner Idee der
Riemannschen Flache
,
Alfred Clebsch
,
Felix Klein
und die italienische Schule bei algebraischen Flachen). Es wurden eine Fulle von Einzelresultaten auf den verschiedensten Gebieten entdeckt, deren Ordnung und strenge Begrundung aber haufig erst im 20. Jahrhundert erfolgen konnte. Ein großes Beschaftigungsfeld von Mathematikern und Quelle fur Entwicklungen in der Mathematik blieb wie im 18. Jahrhundert die
Himmelsmechanik
.
Der jung in der Folge eines Duells getotete Franzose
Evariste Galois
verwendete in seiner
Galoistheorie
Methoden der
Gruppentheorie
, um die Losbarkeit algebraischer Gleichungen zu untersuchen, was zum Beweis der allgemeinen Nichtauflosbarkeit von polynomialen Gleichungen (Grad 5 und hoher) durch
Radikale
(Wurzeloperationen) fuhrte. Dies wurde unabhangig von Niels Henrik Abel gezeigt. Auch mit Hilfe der Galoistheorie wurden einige der
klassischen Probleme der Antike
als nicht losbar erkannt, namlich die Dreiteilung des Winkels und die Verdoppelung des Wurfels (das gelang allerdings auch
Pierre Wantzel
ohne Galoistheorie). Die Quadratur des Kreises wurde erst durch Beweis der Transzendenz von
durch
Ferdinand Lindemann
erledigt. Es entstanden neue Geometrien, insbesondere die
Projektive Geometrie
(
Jean-Victor Poncelet
,
Jakob Steiner
,
Karl von Staudt
) wurde stark ausgebaut und
Felix Klein
ordnete diese und andere Geometrien mit Hilfe des Konzepts der Transformationsgruppe (
Erlanger Programm
).
Die Algebraiker erkannten, dass man nicht nur mit Zahlen rechnen kann; alles, was man braucht, sind Verknupfungen. Diese Idee wurde in
Gruppen
(zum Beispiel Galois,
Arthur Cayley
,
Camille Jordan
,
Ferdinand Georg Frobenius
),
Ringen
,
Idealen
und
Korpern
(unter anderem Galois, endliche Korper werden nach Galois Galois-Korper genannt) formalisiert, wobei Algebraiker in Deutschland wie
Richard Dedekind
,
Leopold Kronecker
eine wichtige Rolle spielten. Der Norweger
Sophus Lie
untersuchte die Eigenschaften von
Symmetrien
. Durch seine Theorie wurden algebraische Ideen in die Analysis und Physik eingefuhrt. Die modernen
Quantenfeldtheorien
beruhen im Wesentlichen auf Symmetriegruppen. Das Vektorkonzept entstand (unter anderem durch
Hermann Grassmann
) und das dazu konkurrierende Konzept der
Quaternionen
(durch
William Rowan Hamilton
), einem Beispiel der vielen neu entdeckten algebraischen Strukturen, sowie die moderne Theorie der
Matrizen
(Lineare Algebra).
In
Gottingen
wirkten zwei der einflussreichsten Mathematiker der Zeit,
Carl Friedrich Gauß
und
Bernhard Riemann
. Neben fundamentalen Erkenntnissen in der Analysis, Zahlentheorie, Funktionentheorie schufen sie und andere die
Differentialgeometrie
mit dem Begriff der Krummung und der weitgehenden Verallgemeinerung in hohere Dimensionen durch Riemann (
Riemannsche Geometrie
). Die
Nichteuklidische Geometrie
machte die Begrenztheit des jahrhundertelang gelehrten Euklidischen Axiomensystems deutlich und wurde durch
Nikolai Iwanowitsch Lobatschewski
und
Janos Bolyai
begrundet (ihre Existenz war auch Gauß bekannt, der aber nichts daruber veroffentlichte). Gauß legte mit seinen
Disquisitiones Arithmeticae
die Grundlagen der
Algebraischen Zahlentheorie
und bewies den
Fundamentalsatz der Algebra
.
In Berlin begrundete insbesondere
Karl Weierstraß
eine mathematische Schule der strengen Grundlegung der Analysis und der Begrundung der Funktionentheorie auf Potenzreihen, wahrend Riemann die geometrische Funktionentheorie begrundete und dabei die Rolle der Topologie herausstellte. Die Schulerin von Weierstraß
Sofja Wassiljewna Kowalewskaja
war eine der ersten Frauen, die eine prominente Rolle in der Mathematik einnahmen, und die erste Professorin in Mathematik.
Georg Cantor
uberraschte mit der Erkenntnis, dass es mehr als eine ?Unendlichkeit“ geben kann. Er definierte zum ersten Mal, was eine Menge ist, und wurde somit der Grunder der
Mengenlehre
. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm
Henri Poincare
eine fuhrende Rolle in der Mathematik ein, unter anderem gelangen ihm wesentliche Fortschritte in der
algebraischen Topologie
und der qualitativen Theorie der Differentialgleichungen, was ihn spater zu einem Vorlaufer der
Chaostheorie
machte.
Die neu gestiegenen Forderungen an die Strenge von Beweisen und Bemuhungen um Axiomatisierung von Teilgebieten der Mathematik vertraten etwa
Richard Dedekind
bei den reellen Zahlen,
Giuseppe Peano
bei den naturlichen Zahlen und
David Hilbert
in der Geometrie. Nach Tausenden von Jahren erfuhr die
Logik
eine Runderneuerung.
Gottlob Frege
erfand die
Pradikatenlogik
, die erste Neuerung auf diesem Gebiet seit
Aristoteles
. Zugleich bedeuteten seine Arbeiten den Anfang der
Grundlagenkrise der Mathematik
.
Frankreich hatte nach der Franzosischen Revolution einen großen Aufschwung in der Mathematik erlebt, Deutschland zog Anfang des Jahrhunderts mit der dominierenden Forschungspersonlichkeit von Gauß nach, der allerdings keine Schule bildete und wie Newton die Angewohnheit hatte, selbst wesentliche neue Entdeckungen nicht zu veroffentlichen. Das deutsche System der Forschungsseminare an den Universitaten bildete sich zuerst in Konigsberg und war dann zentraler Bestandteil der Lehre in den mathematischen Zentren in Gottingen und Berlin und wirkte dann auch daruber hinaus zum Beispiel in die USA, fur die Deutschland in der Mathematik pragend war. Auch in Italien nahm die Mathematik nach der Unabhangigkeit des Landes einen großen Aufschwung, besonders in der algebraischen Geometrie (italienische Schule von
Francesco Severi
,
Guido Castelnuovo
und
Federigo Enriques
) und den Grundlagen der Mathematik (Peano). Großbritannien hatte insbesondere einen Wirkungsschwerpunkt in der theoretischen Physik, ihre mathematischen Schulen neigten aber immer wieder zu Sonderwegen, die sie von Kontinentaleuropa isolierten, so im hartnackigen Festhalten am Newtonschen Stil der Analysis im 18. Jahrhundert und in der Betonung der Rolle der Quaternionen Ende des 19. Jahrhunderts. Der zuletzt in Gottingen neben Hilbert wirkende, gut vernetzte Felix Klein nahm gegen Ende des Jahrhunderts in Deutschland eine in vieler Hinsicht fuhrende Stellung ein und organisierte ein
Enzyklopadieprojekt
der Mathematik und ihrer Anwendungen, das auch franzosische Mathematiker einschloss. Die Niederlage im Deutsch-Franzosischen Krieg von 1870/71 wirkte auf viele franzosische Mathematiker als Ansporn ? wie auf anderen Gebieten auch ? um einen vermeintlichen Ruckstand zum aufstrebenden deutschen Reich aufzuholen, der zu einer neuen Blute der franzosischen Mathematik fuhrte.
Das 20. Jahrhundert erlebte einen beispiellosen, die vorangehenden Jahrhunderte in den Schatten stellenden Ausbau der Mathematik sowohl in der Breite als auch in der Tiefe. Die Zahl der Mathematiker und Anwender der Mathematik nahm stark zu, auch was die Zahl der Herkunftslander und Frauen betraf. Amerika und die Sowjetunion ubernahmen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg zusatzlich zu den traditionellen mitteleuropaischen Nationen eine Fuhrungsrolle, aber auch Lander wie Japan und China nach Offnung zum Westen. Die Mathematik wurde durch die großen technologischen Fortschritte im 20. Jahrhundert und insbesondere die Digitalisierung zu einer Schlussel-Disziplin.
Hilbert formulierte 1900 eine Reihe von beruhmten Problemen (
Hilbertsche Probleme
), die vielfach als Richtschnur fur den weiteren Fortschritt dienten und von denen die meisten im Lauf des 20. Jahrhunderts gelost oder einer Losung nahergebracht wurden. Ein Anliegen der modernen Mathematik war das Bedurfnis, die Grundlagen dieser Wissenschaft ein fur alle Mal zu festigen. Allerdings begann dies mit einer Krise Anfang des 20. Jahrhunderts:
Bertrand Russell
erkannte die Bedeutung von Freges Arbeiten. Gleichzeitig entdeckte er allerdings auch unlosbare Widerspruche darin, die mit Paradoxien des Unendlichen zusammenhingen (
Russellsche Antinomie
). Diese Erkenntnis erschutterte die gesamte Mathematik. Mehrere Versuche zur Rettung wurden unternommen: Russell und
Alfred North Whitehead
versuchten in ihrem mehrtausendseitigen Werk
Principia Mathematica
mit Hilfe der
Typentheorie
ein Fundament aufzubauen. Alternativ dazu begrundeten
Ernst Zermelo
und
Abraham Fraenkel
die Mengenlehre axiomatisch (
Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre
). Letztere setzte sich durch, weil ihre wenigen Axiome wesentlich handlicher sind als die schwierige Darstellung der
Principia Mathematica
.
Der Zweifel an den Grundlagen blieb aber bestehen.
David Hilbert
, der eine beruhmte Schule in Gottingen begrundet hatte und die unterschiedlichsten mathematischen Disziplinen revolutioniert hatte (von der Geometrie, der algebraischen Zahlentheorie, der Funktionalanalysis mit Beitragen zur Physik bis zu den Grundlagen der Mathematik), sich allerdings in einzelnen Schaffensperioden im Wesentlichen einem Gebiet widmete und fruhere Forschungsgebiete vollig aufgab, wandte sich in seiner letzten Schaffensphase den Grundlagen der Mathematik und der Formalisierung mathematischer Beweise zu. Beweise waren fur Hilbert und seine formalistische Schule nur eine Folge von Ableitungen aus Axiomen, eine Folge von Symbolen, und einem beruhmten Ausspruch von Hilbert zufolge, der sich auf die Axiomatisierung der Geometrie bezog, sollte man
Punkte, Geraden und Ebenen
in der Formelsprache jederzeit durch
Tische, Stuhle und Bierseidel
ersetzen konnen, wichtig waren nur die Axiome und Ableitungsregeln.
Kurt Godels
Unvollstandigkeitssatz
zeigte jedoch, dass es in jedem formalen System, das umfangreich genug ist, um die Arithmetik der naturlichen Zahlen aufzubauen, Satze gibt, die weder bewiesen noch widerlegt werden konnen. Mathematiker und Logiker wie
Gerhard Gentzen
bewiesen die Widerspruchsfreiheit von Teilgebieten der Mathematik (jeweils unter Ruckgriff auf diese Teilgebiete uberschreitende Prinzipien). Eine andere Richtung, die mit dem
Intuitionismus
Brouwers
, der zuvor auch einer der Begrunder der mengentheoretischen Topologie war, Anfang des Jahrhunderts einsetzte, versuchte eine von endlichen Schritten ausgehende
konstruktive Mathematik
aufzubauen, bei der man allerdings auf wichtige Satze der Mathematik verzichten muss.
Neben der Logik wurden andere Bereiche der Mathematik zunehmend abstrahiert und auf axiomatische Grundlagen gestellt, worin besonders David Hilbert mit seiner Schule eine fuhrende Rolle hatte. Franzosische Mathematiker wie
Henri Lebesgue
(
Lebesgue-Integral
),
Jacques Hadamard
und
Emile Borel
(Maßtheorie), die Hilbert-Schule in Gottingen und die polnische Schule unter ihrer Leitfigur
Stefan Banach
waren Zentren der Entwicklung der
Funktionalanalysis
, das heißt der Untersuchung unendlich dimensionaler Funktionenraume. Mit Hilfe der
Banachraume
und ihrer
Dualitaten
konnen viele Probleme, zum Beispiel der
Integralgleichungen
, sehr elegant gelost werden. Die polnische Schule der Zwischenkriegszeit war auch fuhrend in Topologie und mathematischer Grundlagenforschung und auch die russischen Mathematiker hatten anfangs einen Schwerpunkt in Funktionalanalysis (
Lusin-Schule
,
Andrei Kolmogorow
) und Topologie (u. a.
Pawel Sergejewitsch Alexandrow
,
Lew Pontrjagin
). Die Mathematik wurde durch die Entwicklung neuer physikalischer Theorien befruchtet, insbesondere der
Quantenmechanik
(mit Verbindung insbesondere zur Funktionalanalysis) und die
Relativitatstheorie
, das den
Tensorkalkul
und die Differentialgeometrie beforderte. Die
Distributionen
(
Laurent Schwartz
,
Sergei Lwowitsch Sobolew
) der Funktionalanalysis fuhrte zuerst
Paul Dirac
in der Quantenmechanik ein. Diese wiederum profitierte von der Entwicklung der Spektraltheorie linearer Operatoren (linearer Algebra in unendlich vielen Dimensionen).
Andrei Kolmogorow lieferte eine axiomatische Begrundung der
Wahrscheinlichkeit
. Die Wahrscheinlichkeit ist fur ihn ahnlich dem Flacheninhalt und kann mit Methoden der
Maßtheorie
behandelt werden. Damit erhielt dieses Gebiet eine sichere Grundlage, auch wenn die Auseinandersetzungen uber Interpretationsfragen andauerten (siehe auch
Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung
). Eine große Quelle ?nutzlicher Mathematik“ war die Entwicklung vielfaltiger statistischer Methoden (
Ronald Aylmer Fisher
,
Karl Pearson
,
Abraham Wald
, Kolmogorow und andere) mit breiten Anwendungen im Versuchswesen, der Medizin, aber auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften, der Marktforschung und Politik.
Die fuhrende Rolle der Hilbertschen Schule endete mit dem Nationalsozialismus, der sich auch in der Mathematik bei den Vertretern der
Deutschen Mathematik
auspragte, und der Vertreibung eines Großteils der judischen Wissenschaftler aus ihren Universitatsstellen. Viele fanden Zuflucht in den USA und anderswo und befruchteten dort die Entwicklung der Mathematik.
Im Zweiten Weltkrieg entstand großer Bedarf an der Losung konkreter mathematischer Probleme fur militarische Belange, beispielsweise bei der Entwicklung der Atombombe, des Radars oder der Entschlusselung von Codes.
John von Neumann
wie
Alan Turing
, der in der Theorie der Berechenbarkeit zuvor das abstrakte Konzept einer
universalen Rechenmaschine
entwickelt hatte, arbeiteten an konkreten Computerprojekten. Der Computer hielt Einzug in die Mathematik. Dies fuhrte zu einer dramatischen Weiterentwicklung der
numerischen Mathematik
. Mit Hilfe des Computers konnen nun komplexe Probleme, die per Hand nicht zu losen waren, relativ schnell berechnet werden, und numerisches Experimentieren machte viele neue Phanomene erst zuganglich (
Experimentelle Mathematik
).
Einen Hohepunkt erreichten Abstraktion und Formalisierung im Schaffen des Autorenkollektivs
Nicolas Bourbaki
, zu der fuhrende Mathematiker in Frankreich (und daruber hinaus) gehorten wie
Andre Weil
,
Jean-Pierre Serre
,
Henri Cartan
und
Claude Chevalley
und deren Treffen schon Ende der 1930er Jahre begannen. Sie ubernahmen nach dem Niedergang der Hilbert-Schule und der Vertreibung vieler Mathematiker durch die Nationalsozialisten nach dem Krieg, wovon vor allem die USA profitierten, eine Fuhrungsrolle in der strukturellen Auffassung der Mathematik. Sie wollten zunachst in bewusster Anlehnung an die Gottinger algebraische Schule das stark an der Analysis orientierte Curriculum in Frankreich uberwinden, wirkten aber bald auch weit daruber hinaus (mit der
Neuen Mathematik
im Schul-Curriculum der 1960er und 1970er Jahre).
Bedeutend in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts war die grundlegende Umwalzung der
algebraischen Geometrie
vor allem durch Arbeiten
Alexander Grothendiecks
und seiner Schule sowie die breite Entwicklung der algebraischen Topologie, und ? teilweise damit einhergehend ? die Entwicklung der
Kategorientheorie
. Das war ein nochmaliger Steigerungsgrad der Abstrahierung nach der Entwicklung der abstrakten Algebra in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts insbesondere in der Schule von
Emmy Noether
und lieferte neue Ansatze und Denkweisen, die in weiten Teilen der Mathematik wirksam geworden sind. Die Kategorientheorie bot dabei eine Alternative zur Mengenlehre als Theorie der grundlegenden Strukturen.
Neben den Tendenzen zur Abstraktion gab es in der Mathematik aber immer wieder die Tendenz, konkrete Objekte detailliert zu erkunden. Besonders geeignet waren diese Untersuchungen auch, der Offentlichkeit die Rolle der Mathematik naherzubringen (zum Beispiel
Fraktale
ab den 1980er Jahren und die Chaostheorie, die
Katastrophentheorie
der 1970er Jahre).
Wichtige neue Entwicklungen wie der
Atiyah-Singer-Indexsatz
oder der Beweis der
Weil-Vermutungen
spiegeln sich in der Verleihungen der
Fields-Medaille
und des
Abelpreises
. Viele teilweise jahrhundertealte Probleme wurden im 20. Jahrhundert gelost wie das
Vierfarbenproblem
, die
Kepler-Vermutung
(beide mit Computerhilfe), der
Klassifikationssatz der endlichen Gruppen
, die
Mordellvermutung
(
Gerd Faltings
), die
Poincare-Vermutung
(durch
Grigori Perelman
2002) und 1995 schließlich der
Satz von Fermat
durch
Andrew Wiles
. Fermats Aussage, dass der Rand einer Buchseite zu schmal fur einen Beweis sei, bestatigte sich: Wiles’ Beweis ist uber 100 Seiten lang, und er brauchte Hilfsmittel, die weit uber den mathematischen Erkenntnisstand zu Fermats Zeiten hinausgingen. Einige Probleme wurden fur prinzipiell unlosbar erkannt (wie die
Kontinuumshypothese
durch
Paul Cohen
), viele neue Probleme kamen hinzu (wie die
abc-Vermutung
) und die
Riemann-Hypothese
ist eines der wenigen Probleme der Hilbertliste, deren Beweis trotz großer Anstrengungen vieler Mathematiker weiterhin in weiter Ferne zu liegen scheint. Eine Liste zentraler
ungeloster Probleme der Mathematik
ist die Liste der
Millennium-Probleme
. Zum Ende des Jahrhunderts gab es wieder eine starke Wechselwirkung von Mathematik und Physik uber
Quantenfeldtheorien
und
Stringtheorie
mit uberraschenden und tiefliegenden Verbindungen in verschiedenen Bereichen der Mathematik (unendlich dimensionale Lie-Algebren, Supersymmetrie, Dualitaten mit Anwendungen in der abzahlenden algebraischen Geometrie, Knotentheorie u. a.). Vorher hatte die Elementarteilchenphysik von der Mathematik insbesondere durch deren Klassifikation von kontinuierlichen Symmetriegruppen, den Lie-Gruppen, ihren Lie-Algebren und deren Darstellungen profitiert (
Elie Cartan
,
Wilhelm Killing
im 19. Jahrhundert,
Hermann Weyl
im 20. Jahrhundert), und Lie-Gruppen sind auch ein zentrales, vereinigendes Thema der Mathematik des 20. Jahrhunderts mit vielfaltigsten Anwendungen innerhalb der Mathematik bis zur Zahlentheorie (
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