George Herbert Mead

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
George Herbert Mead

George Herbert Mead (* 27. Februar 1863 in South Hadley , Massachusetts , USA ; † 26. April 1931 in Chicago , USA) war ein US-amerikanischer Philosoph, Soziologe und Psychologe. Er studierte unter anderem in Leipzig und Berlin und war von 1894 bis zu seinem Tod Professor fur Philosophie und Sozialpsychologie an der University of Chicago .

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mead trat 1879 als Student in das von seinem Vater, Hiram Mead, geleitete Oberlin College ein. Seine Mutter war eine geborene Elizabeth Storrs (Billings). Wahrend seines Studiums beschaftigte sich Mead unter anderen mit der Evolutionstheorie Charles Darwins . Ihm ging es vor allem um eine mogliche Begrundung eines sozial engagierten Christentums angesichts der neuen und umwalzenden Entwicklungen in den Naturwissenschaften. 1882 wurde Mead zusammen mit seinem Freund Henry Castle zum Herausgeber des Oberlin Review gewahlt; beide traten in dieser Position fur ein naturwissenschaftlich aufgeklartes Christentum ein.

Nach seiner Graduierung 1883 nahm Mead eine Stelle als Lehrer an. Ihm wurde jedoch aufgrund disziplinarischer Schwierigkeiten mit den Schulern nach vier Monaten gekundigt. Daraufhin arbeitete er drei Jahre als Vermessungsingenieur bei der Wisconsin Central Railroad Company und war am Bau der 1100 Meilen langen Eisenbahnstrecke von Minneapolis nach Moose Jaw beteiligt.

1887 begann Mead ein zweites Studium an der Harvard University . Er studierte Philosophie bei Josiah Royce , George H. Palmer und Francis Bowen . Gleichzeitig nahm er eine Stelle als Hauslehrer bei William James an, um sich die Finanzierung seines Studiums zu erleichtern. Mead spezialisierte sich auf physiologische Psychologie und erhielt zum Wintersemester 1888/89 ein Stipendium fur den Besuch der Universitat Leipzig . Dort studierte er bei Wilhelm Wundt , bevor er 1889 nach Berlin wechselte und Schuler von Wilhelm Dilthey , Hermann Ebbinghaus , Gustav Schmoller und Friedrich Paulsen wurde und uber Wundt und Paulsen auch auf Ferdinand Tonnies gelenkt wurde. [1]

Ohne Promotion wurde Mead 1891 als Dozent fur Psychologie, Philosophie und Evolutionstheorie an die University of Michigan berufen. Inhaltlich befasste er sich mit den psychologischen Konsequenzen der Erkenntnistheorie sowie den Beziehungen von Organismen und Umwelt; besondere Themen waren das Problem der Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung von Druck und Temperatur sowie der Begriff der Liebe, wie ihn William James in seiner Emotionstheorie verwendete. Dort lernte er Charles H. Cooley und John Dewey kennen. [2] Letzterer wurde fur Mead zu einem lebenslangen Freund. Als Dewey 1894 an die kurz zuvor gegrundete University of Chicago wechselte, folgte ihm Mead und erhielt eine Stelle als Assistenzprofessor in der Abteilung fur Philosophie und Psychologie.

Neben seiner Forschungs- und Lehrtatigkeit engagierte sich Mead in Chicago stark in sozialreformerischen Projekten. So war er zeitweise als Schatzmeister fur das Hull House tatig, ein Projekt mitlebender Sozialarbeit vor Ort, durch das die ubliche Distanz des Sozialarbeiters, der normalerweise nicht im Problemfeld der von ihm Betreuten lebte, durchbrochen werden sollte. Im Hull House wurden auch intellektuelle Diskussionsrunden organisiert. Mead engagierte sich zudem fur Frauenrechte und setzte sich fur eine padagogisch orientierte Reform des Jugendstrafrechts ein. Er war Mitglied verschiedener Streikschlichtungskommissionen und mehrerer lokaler Reformkommissionen. Er war Mitglied und zeitweise Prasident des City Club, einer reformorientierten Vereinigung von Unternehmern und Intellektuellen, die sich bei der Demokratisierung der Lokalverwaltung, im Gesundheitswesen, bei der Integration von Zuwanderern und in der Berufsbildung einsetzte. Letzterem Thema galt seine besondere Aufmerksamkeit, so als zeitweiliger Herausgeber der Zeitschrift Elementary School Teacher , als Mitarbeiter der reformpadagogischen Versuchsschule der Universitat Chicago oder als Prasident der Versuchsschule fur verhaltensgestorte Kinder. Auch setzte er sich offentlich fur die umstrittene Reformorientierung der Universitat von Wisconsin in Madison ein. Hans Joas bezeichnet all diese Aktivitaten als wichtige Einflussfaktoren auf das sozialpsychologische Werk von Mead. [3]

Chicagoer Schule ? Wirkung auf den Symbolischen Interaktionismus [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mead zahlt zu den amerikanischen Pragmatisten . Beeinflusst war er vor allem von John Dewey , in geringerem Maße von William James. Das Werk von Charles S. Peirce hingegen hatte keinen unmittelbaren Einfluss auf Mead. Mead wird in der Literatur immer wieder als Vertreter der Chicagoer Schule der Soziologie bezeichnet. Allerdings begriff sich Mead nicht als Soziologe und er war nie Mitglied des Soziologieinstituts (wobei er Mitglieder der Chicago School beeinflusste). [4]

In Abgrenzung zum deutschen Idealismus ( Johann Gottlieb Fichte , Friedrich Wilhelm Joseph Schelling , Georg Wilhelm Friedrich Hegel ), dem Mead ? solipsistischen Spuk“ vorwarf, versteht Mead ? inspiriert von der Evolutionstheorie Darwins ? das Bewusstsein des Menschen als evolutionares Produkt der Auseinandersetzung des Organismus mit seiner Umwelt. Damit schließt er sich diesbezuglich der Auffassung von Karl Marx und Friedrich Engels an, die der Arbeit im anthropologischen Sinn eine grundlegende evolutionare Bedeutung beimessen. [5] Mead sieht das menschliche Bewusstsein nicht als Gabe, die dem Menschen etwa in die Wiege gelegt und in Aprioris der Erkenntnis zu beschreiben ware. Dabei setzt man, so Mead, das zu Erklarende bereits voraus.

Die Entwicklung des Symbolischen Interaktionismus durch seinen Schuler Herbert Blumer geht auf Meads Arbeiten zur Theorie der symbolvermittelten Kommunikation zuruck, die Mead in jener Vorlesung uber Sozialpsychologie, die er von 1900 bis 1930 in Chicago hielt, ausgearbeitet hat. Mead sprach bewusst vom ?social act“ im Sinne einer sozialen Praxis, nicht von ?Interaktion“. ?Interaktion“, ?Intersubjektivitat“ und entsprechende Ausdrucke setzen voraus (ahnlich wie ?Intercity“), dass die Aktionen, Subjekte, Stadte vorgegeben sind und nur nachtraglich miteinander verknupft werden. Meads Theorie betont hingegen, dass es die Aktionen, Subjekte usw. ohne die ubergreifende Praxis (?social act“) nicht vorgangig gibt. Sie werden in die Praxis hineingeboren und entstehen aus ihr, als geistig eigenstandige Gebilde.

Meads Hauptwerk: Geist, Identitat und Gesellschaft aus Sicht des Sozialbehaviorismus [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mead selbst hat seine Theorie nie systematisch niedergelegt. Als Hauptwerk Meads gilt gemeinhin der Band ?Geist, Identitat und Gesellschaft aus der Perspektive des Sozialbehaviorismus“ (orig. Mind, Self and Society from the Standpoint of a Social Behaviorist ). Dabei handelt es sich jedoch nicht etwa um eine Schrift Meads, sondern vielmehr um eine 1934 posthum von seinem Schuler Charles W. Morris (1903?1979) auf Basis studentischer Mitschriften erstellte Rekonstruktion einer Vorlesung, die Mead uber viele Jahre an der Universitat Chicago unter dem Titel Social Psychology abgehalten hatte. Die Schrift ist aus verschiedenen Grunden editorisch sehr problematisch, weswegen in jeder Auseinandersetzung mit Mead auch auf seine Originalbeitrage zuruckgegriffen werden sollte. [6]

Mead beschaftigte sich in dieser Vorlesung mit der Frage, wie die menschliche Identitat zustande kommt und welchen Einfluss darauf die Gesellschaft, aber auch das Denken und der Geist des einzelnen Menschen, haben. Er beschreibt zunachst ?Die Entstehung der Identitat“, dann ?Die Identitat und das Subjektive“ und erklart anschließend ?Das Ich [?I“] und das ICH [?me“]; in spateren Ubersetzungen adaquater als ?Mich“ bezeichnet“.

Die Entstehung der Identitat [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Laut Mead entsteht die Identitat durch drei Medien: durch Sprache, Spiel (play) und Wettkampf (game). Das Zusammenspiel dieser Faktoren bringt eine individuelle Personlichkeit hervor. Die drei Medien werden unterschiedlich gewichtet, sind aber alle relevant und unersetzlich.

Die Bedeutung der Sprache bei der Personlichkeitsentwicklung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der Grundstein fur die Ausbildung der Sprache liegt laut Mead in der Fahigkeit des Menschen, durch seine korperliche Ausstattung mit einem Zentralnervensystem in der Lage zu sein, Handlungen und Reaktionen verzogert auszufuhren. Diese Intelligenz ermoglicht es ihm, mogliche Folgen des eigenen Verhaltens abzuwagen und Kombinationsmoglichkeiten aufzuzeigen. Die Folgen und Kombinationsmoglichkeiten konnen dem Menschen aber nur bewusst werden, wenn er Symbole kennt. Diese wiederum erfordern das Vorhandensein einer bestimmten Gesellschaft. Somit ist eine Gesellschaft von interagierenden Individuen notig, um ebendiese Symbole zu erschaffen und damit eine gewisse gegenseitige Abhangigkeit zu generieren. Mead nennt zur Veranschaulichung in seinem Werk Geist, Identitat und Gesellschaft das Beispiel der Barenfahrte. Das Individuum erkennt die Fahrte als solche und gibt diese Erkenntnis an die Gruppe weiter. Fortan weiß jedes dieser Individuen, dass ein Pfotenabdruck dieser Form auf einen Baren hinweist, und kann dementsprechend handeln. Diesen Vorgang nennt Mead ?Symbolisation“. Deutlich wird daraus, welche Funktion die Sprache in diesem Prozess hat: Bestehend aus Lauten ermoglicht sie zum einen die Kommunikation und die Selbstwahrnehmung des Individuums, zum anderen ist sie jedoch eine Aneinanderreihung vieler Symbole, uber deren Bedeutung es einen Konsens in der Gesellschaft geben muss. Der Laut, das Symbol, muss in den anderen Individuen dieselbe Reaktion auslosen wie in ihm selbst. Ist dies gegeben, spricht Mead von einem ?signifikanten Symbol“. Die Individuen konnen damit die Reaktionen ihrer Handlungspartner einschatzen und es ergibt sich folglich ein gemeinsames, gesellschaftliches Handeln. An dieser Stelle geschieht ebenfalls das, was Mead ?role taking“ nennt: Der wechselseitig Handelnde kann sein Verhalten anhand der signifikanten Symbole fur sich selbst zum Objekt machen. Er betrachtet sich selbst aus der Sicht des anderen und kann reflektieren, welche Reaktion sein Verhalten in seinem Gegenuber auslosen wird. Er kann sich selbst wahrnehmen, sich als Objekt sehen.

Deutlich wird an dieser Stelle die Bedeutung der Gesellschaft. Nur durch die Gesellschaft, die laut Mead aus Wechselwirkungen zwischen Individuen besteht, erlernt der Mensch aus ursprunglichen Lauten die Sprache als signifikantes Symbol. Der Denkprozess (die nach innen verlegte Ubermittlung von Gesten), der dem Kommunikationsprozess vorausgeht, findet grundsatzlich mit Symbolen statt (wir verbinden Worter mit Objekten). Dabei mussen diese Symbole beim Denkenden und beim Anderen die gleiche Reaktion hervorrufen, damit die Kommunikation gelingt. Dies bedingt, dass unsere Symbole Allgemeinbegriffe sind. Es gilt dabei zu beachten, dass es Situationen gibt, in denen man in der eigenen Identitat nicht die gleiche Reaktion auslost wie beim Anderen (vgl. Schauspieler). Eine entscheidende Grundlage zur Entwicklung und Wahrnehmung der eigenen Personlichkeit ist durch die Ubereinkunft in Bezug auf gemeinsame signifikante Symbole und der damit verbundenen Moglichkeit, sich selbst aus der Sicht des anderen zu sehen, gelegt. Weiterhin konnen so gesellschaftliche Werte und Normen vermittelt werden. Die externe gesellschaftliche Situation kann damit an das Individuum weitergegeben und verinnerlicht werden. Die Basis fur eine Sozialisation ist auf diese Weise gelegt.

Den Begriff der Rollenubernahme fuhrt Mead im Verlauf seiner Theorie noch weiter aus und verdeutlicht ihn. Insbesondere in den Uberlegungen zu der Personlichkeitsstruktur des I und me sowie den Entwicklungsphasen des play und game spielt die Antizipation des Verhaltens anderer eine große Rolle.

Die Entwicklungsphasen play und game [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mit den beiden Entwicklungsphasen des play und game, des kindlichen Spiels und des organisierten Spiels oder auch Wettkampfs, stellt Mead den Prozess der Objektwerdung und damit der Personlichkeitsentwicklung dar: ?Das Bewusstsein seiner selbst entsteht ganz allmahlich im Verhalten, wenn ein Individuum sich als soziales Objekt fur andere erfahrt.“ Diesen Prozess legt er sowohl in der Sprache als auch bei den Strukturen I und me zugrunde und sieht den Prozess bei der Sprache durch das Sprechen und Horen des eigenen Lautes sowie der Moglichkeit, durch signifikante Symbole das fremde und eigene Verhalten zu reflektieren und abzuschatzen, gegeben. Bei der kindlichen Rollenubernahme erfahrt sich das Kind allmahlich als soziales Objekt. In der Phase des play sind erste Zuge der Wahrnehmung als eben solches Objekt zu erkennen. Soziales Objekt wird das Individuum letztlich jedoch erst in der Phase des game, namlich ausschließlich durch die Interaktion mit anderen.

Beginnend mit der Phase des Spieles, dem play, ubt das Kind zunachst die Rollenubernahme. Das Kind versetzt sich hier in mehrere Rollen, kann aber nur jeweils eine Rolle gleichzeitig spielen. Ein Beispiel dafur ware das Spiel mit dem Kaufmannsladen. Das Kind ist zunachst Kunde, dann Verkaufer und dann wieder Kunde. Es imitiert viele verschiedene Rollen und ubt damit die Verhaltensantizipation, die fur die Bildung der Identitat notwendig ist. In dieser Entwicklungsphase bezieht sich das Kind also lediglich auf das Verhalten einer bestimmten anderen Person. Um aber in einer gesellschaftlichen bzw. sozialen Gruppe handlungsfahig zu werden, muss es die Rollen aller anderen beteiligten Individuen kennen und einordnen konnen. Diese Stufe nennt Mead game. In dieser Wettkampfsituation muss das Kind das Verhalten aller anderen verinnerlicht haben und wissen, wie es selbst handeln soll. Es muss sich damit am sogenannten ?verallgemeinerten Anderen“ orientieren. Deutlich macht Mead diese Phase am Beispiel des Baseballspiels. Ein Spieler konne nur dann handeln, wenn er die Regeln, Aufgaben und Handlungen aller Mitspieler und somit auch seine eigene Rolle kenne. Gleichzeitig mussen auch alle anderen Spieler dies mit seinem Verhalten tun konnen, damit das Baseballspiel uberhaupt moglich ist. Der ?verallgemeinerte Andere“ oder ?generalisierte Andere“ stellt nicht nur das Regelsystem innerhalb eines Wettkampfes dar, sondern im Großen und Ganzen die gesamte Gesellschaft mit ihren Werten und Normen. Durch die Orientierung an ebendiesem Anderen kommt es zu einer sozialen Strukturierung des Selbst.

Es wird deutlich, dass das Individuum seine Identitat ausschließlich durch die Interaktion mit anderen Individuen erhalt. Nur durch die Orientierung an den anderen Mitgliedern einer sozialen Gruppe ist das Individuum in der Lage dazu, sich als solches wahrzunehmen. So kann aus der Identitat des Einzelnen sowohl auf die gesellschaftlichen Verhaltensmuster geschlossen werden als auch auf die Identitat aller anderen Gruppenmitglieder.

Die Identitat und das Subjektive [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mead unterscheidet Identitat von Bewusstsein. Bewusstsein im Sinne von Denken oder reflexiver Intelligenz ist nur fur das Individuum selbst zuganglich, es hat einen subjektiven Charakter und beschreibt die Art, wie ein Organismus handelt. Im Gegensatz dazu erlautert er Identitat als eine Struktur, die sich aus dem gesellschaftlichen Verhalten entwickelt und nicht aus der subjektiven Erfahrung des Organismus. Die hier gemeinte Identitat entwickelt sich dann, wenn die Ubermittlung von Gesten in das Verhalten des Einzelnen hereingenommen wird. Beide ? Identitat und Bewusstsein ? sind phasenweise nur dem Einzelnen zuganglich, konnen aber veroffentlicht werden. Ein Beispiel ist das Aufstellen einer Theorie, die zunachst nur intern, mit Veroffentlichung allgemein zuganglich ist.

Meads Gedanken zur Gemeinschaft sind folgende: Eine Gemeinschaft entwickelt sich weiter, wenn eine wechselseitige Beeinflussung zwischen den Individuen stattfindet, wenn die Reaktion der Gemeinschaft auf den Einzelnen institutionalisiert wird, also die ganze Gemeinschaft gegenuber dem Einzelnen gleich handelt. Jeder Mensch nimmt die Haltung der Gemeinschaft sich selbst gegenuber an, kann aber auch der Gemeinschaft antworten und darauf bestehen, die Normen der Gemeinschaft zu verbessern. Jeder steht also in einem Dialog mit der Gemeinschaft. Ein Beispiel fur diesen Dialog ware, wenn jemand vor Gericht zum Publikum spricht und seine Tat rechtfertigt. Wenn jemand nicht mit den Haltungen der Gemeinschaft einverstanden ist, kann er sich der ganzen Umwelt in den Weg stellen, indem er auf die Vernunft hort und dabei die Vergangenheit und die Zukunft in sein Denken mit einbezieht.

Des Weiteren unterscheidet Mead Bewusstsein von Selbstbewusstsein (Identitatsbewusstsein). Bewusstsein ist Erfahrung, ein kognitives Phanomen, Selbstbewusstsein die Erkenntnis einer Identitat als Objekt, ein emotionales Phanomen.

Durch das Erfuhlen der Haltung des Anderen gegenuber sich selbst entsteht ein Selbstbewusstsein, mit dem der einzelne Organismus in seinen Umweltsbereich eintritt. Dieses Selbstbewusstsein lost Haltungen im Individuum aus, die es auch in anderen auslost, und es entwickelt damit insoweit eine Identitat, als es die Haltung anderer einnehmen und sich selbst gegenuber so wie gegenuber anderen handeln kann. Selbst-bewusst, identitatsbewusst sein, heißt im Grunde, dank der gesellschaftlichen Beziehungen zu anderen fur seine eigene Identitat zum Objekt zu werden.

Das Selbst und seine strukturellen Bestandteile ? I, me, self und mind [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Sprache bildet eine maßgebliche Grundlage fur die Entstehung der Identitat sowie gleichzeitig fur eine funktionierende Gesellschaft. Diese Identitat, das self, ist demnach nicht von Beginn des menschlichen Lebens vorhanden, sondern muss zunachst durch Erfahrungs- und Entwicklungsprozesse gebildet und vermittelt werden. Bevor auf die Entwicklungsprozesse des play und game weiter eingegangen wird, ist es jedoch notwendig, zunachst einmal die Bestandteile des Selbst naher zu beleuchten.

George Herbert Mead teilt das Selbst in zwei Bestandteile auf. Er spricht von ?I“ und ?me“. ?Das [I] ist die Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer; das [me] ist die organisierte Gruppe von Haltungen anderer, die man selbst einnimmt. Die Haltungen der anderen bilden das organisierte [me], und man reagiert darauf als ein [I]“ (Mead 1968: 218). In diesem Zitat wird die von Mead gedachte Struktur der Personlichkeit deutlich. Nicht nur die Individuen stehen in einer Wechselwirkung miteinander, sondern ebenso die Bestandteile der Identitat des Individuums. Unter dem I versteht Mead im Wesentlichen die Kreativitat und Spontanitat im Menschen sowie die biologisch veranlagten Triebe. Weiter kann gesagt werden, dass das I vollstandig subjektiv bestimmt ist und die Reaktion auf das me beinhaltet. Diese Reaktion des I auf das me bildet den Teil des Handelns, der im Inneren des Individuums ablauft. Es reagiert auf die Haltungen der anderen, die ich als me synthetisiere, reflektiert und sortiert sie und handelt letztlich dementsprechend. Das I ist zugleich das Individuelle im Menschen, das Subjektive. So dient die Instanz des I auch zur Selbstbehauptung dieser Besonderheiten. Das me enthalt alle Werte und Normen der Gesellschaft, die Synthetisierung dieser Regeln liegt jedoch am I selbst. So wird das I nicht nur durch das me zurechtgewiesen, sondern kann auch die Gesellschaft anhand seiner individuellen Reaktion auf die Restriktionen verandern.

Im me werden die Haltungen der anderen und das Bild, das die anderen vom Individuum haben, eingeschlossen. Die Erwartungen, die die anderen an die Person haben, sind hier ebenfalls erfasst. Gepragt wird das me durch die Gesellschaft und gibt damit dem I seine Form; es ist der objektive Teil des Selbst. So kann es dazu kommen, dass viele mes entstehen. Durch unterschiedliche soziale Kreise gerat das Individuum an mannigfache Bezugspersonen, die jeweils andere Erwartungen haben und so ein jeweils differentes Bild des Individuums erschaffen. Alle diese mes mussen daraufhin vom I synthetisiert werden, sodass sie ein einheitliches Selbstbild des Individuums ergeben. Es mussen folglich viele verschiedene Rollen ubernommen, Verhalten antizipiert und miteinander vereinbart werden.

Ist diese Verbindung der verschiedenen Elemente des me mit dem I zu einer Einheit gegluckt, so kann laut Mead von einem ?self“ gesprochen werden. Das self stellt die Wechselwirkung zwischen I und me dar. Festzuhalten ist jedoch, dass die Entstehung des self einen Prozess darstellt, der nur durch die Erfahrung der anderen Gesellschaftsmitglieder moglich ist. Das Selbst entwickelt sich durch die Interaktion mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft fortlaufend weiter und kann somit nicht als festes Konstrukt, sondern vielmehr als immerwahrende Ausdifferenzierung der Haltungen der anderen, der gesellschaftlichen Normen und Vorgaben, mit dem I gesehen werden.

Symbole ? Optimierung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Symbole entstehen aus der Optimierung der Kooperation von Subjekten: Der Mensch nimmt wahr, dass sein Verhalten der Reiz fur das Verhalten anderer ist. Indem er sein Verhalten kontrolliert, kann er das der anderen kontrollieren, so dass sich Kooperationsprozesse optimieren lassen. Diese Optimierung ist nur moglich uber die Sprache, denn nur die stimmliche Geste konnen wir ebenso wahrnehmen wie unser Gegenuber. Daher konnen wir mit unserer Geste die Reaktion des Gegenubers verbinden, der Sinn unserer Geste liegt in der Reaktion des Anderen ? unsere Geste ist damit eine signifikante Geste, d. h.: ein (signifikantes) Symbol. Uber Symbole konnen wir unser Verhalten kontrollieren. Damit entsteht auch die Moglichkeit zum Selbstbewusstsein: Indem man sein Verhalten aus der Perspektive anderer kontrollieren kann, ist man aus dem Status des nur handelnden Subjekts entlassen. Man kann sich selbst zum Objekt werden aus der Perspektive der anderen mittels der Sprache, man kann sich in die Lage der Anderen versetzen, um sein Verhalten zu beurteilen. Dies ist notwendig fur das Selbstbewusstsein, weil der Mensch sich als Subjekt seines Handelns nicht erfahren kann: Das Erleben des eigenen Handelns erlebt man nicht aus der Perspektive des gerade Erlebenden.

Phasen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mead nennt diese Phase der Reflexion das ME. Im ME sieht man sich aus der Perspektive des (generalisierten) Anderen. Das Handeln ist durch die eigene Reaktion auf das ME gepragt, durch die verinnerlichten Erwartungen der Anderen. Jene Phase des Handelns, der Reaktion des Subjekts auf die Hereinnahme der Haltungen des (generalisierten) Anderen nennt Mead I. I und ME erzeugen das SELF ( Selbst , Identitat).

Die Identitat bildet sich individualbiographisch durch das Durchleben des Kindes zweier Spielphasen: PLAY und GAME. In diesen lernt das Kind die Haltung anderer zu ubernehmen, sein Verhalten nach deren Erwartungen abzustimmen. Zunachst im freien und naiven Spiel mit sich selbst (PLAY), dann im organisierten Wettkampf mit vielen Anderen (GAME). Das Kind ubt eine Selbstkontrolle auf sich aus und unterliegt damit der sozialen Kontrolle der Gemeinschaften, denen es angehort und nach denen sich die soziale Struktur der Identitat (ME) ausgebildet hat. Die unterschiedlichen Anspruche verschiedener Gruppen zu koordinieren, das heißt, verschiedene verinnerlichte Gruppenhaltungen zu synthetisieren, also die Einheit der Differenz von MEs herzustellen, ist eine der Aufgaben der Identitat. Aus den daraus entstehenden moralischen Konflikten entwickelt Mead seine Theorie der Ethik und des Sozialen Wandels , die jedoch weit weniger beachtet wurden als seine Theorie der symbolvermittelten Kommunikation und der Entstehung von Identitat und Bewusstsein.

Theorien Meads ? Gegenstimmen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

All diese Theorien haben Meads Schaffen gepragt, aber er konnte bei der Formulierung seiner anthropologischen Theorie zur Genese von Bewusstsein ganz besonders an Dewey ? der ein guter Freund Meads war ? anknupfen und hat sich wiederholt sehr ausdrucklich von John B. Watson abgegrenzt. Wie Dewey versteht er Bewusstsein als ein Produkt der Kooperation von Individuen, das der (molekulare oder klassische) Behaviorismus , der jegliches Handeln in unverbundene Reiz-Reaktions-Phasen zerlegt, gar nicht fassen kann. Handeln versteht der Behaviorismus in den Begriffen Reiz, Reaktion und bedingte Konditionierung (spater erweitert durch Skinner um die operante Konditionierung ). Der Sozialbehaviorismus Meads dagegen sieht die Entwicklung von Bewusstsein einhergehen mit der Entwicklung signifikanter Symbole (Sprache).

Schriften [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Erst nach seinem Tod sind vier Bucher von ihm erschienen. Sie enthalten Vorlesungsmanuskripte, Aufsatze und andere Arbeiten aus dem Nachlass:

  • Mind, Self, and Society . Edited by Charles W. Morris. Chicago 1934.
    • Deutsche Ausgabe: Geist, Identitat und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Mit einer Einleitung herausgegeben von Charles W. Morris. Aus dem Amerikanischen ubersetzt von Ulf Pacher. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1968.
  • The Philosophy of the Act . Edited by Charles W. Morris et al. Chicago 1938
  • The Philosophy of the Present . Herausgegeben von Arthur E. Murphy. La Salle (Illinois) 1932 (Neuausgabe 2002: Prometheus Books, Amherst, New York)
  • Movements of Thought in the Nineteenth Century . Edited by Meritt H. Moore. Chicago 1936

Einige Sammelbande enthalten Auszuge aus diesen Buchern auf Deutsch:

  • Anselm Strauss (Hrsg.): G.H. Mead on Social Psychology . Chicago 1964. (Deutsche Ubersetzung: Anselm Strauss (Hrsg.): Sozialpsychologie, Luchterhand-Verlag, Neuwied 1969). (Auszuge aus allen vier Buchern sowie zwei erganzende Aufsatze)
  • Hansfried Kellner (Hrsg.): G.H. Mead. Philosophie der Sozialitat . Aufsatze zur Erkenntnisanthropologie. Frankfurt am Main 1969. (Auszuge aus Philosophy of the Act und Philosophy of the Present sowie einige weitere Aufsatze)
  • Gesammelte Aufsatze . 2 Bande, herausgegeben von Hans Joas. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 1980?1983.

Eine weitgehend vollstandige Bibliographie findet sich in der Neuauflage (2000, Frankfurt am Main, Suhrkamp) von Hans Joas Buch: Praktische Intersubjektivitat. Joas gibt auch an, in welchen Sammelbanden jeweils welche Aufsatze erschienen sind. Eine Bibliographie gleicher Qualitat kann uber den unten angegebenen Weblink ?The Mead-Project“ erreicht werden, großtenteils sind die Texte Meads dort auch Online verfugbar.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Heinz Abels : Interaktion, Identitat, Prasentation. Kleine Einfuhrung in interpretative Theorien der Soziologie. VS Verlag, Wiesbaden ³2004, ISBN 3-531-43183-8 .
  • Filipe Carreira Da Silva: G. H. Mead. A Critical Introduction. Polity, Cambridge 2007, ISBN 978-0-7456-3457-9 .
  • Hans Joas : Praktische Intersubjektivitat. Die Entwicklung des Werkes von George Herbert Mead. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-518-28365-0 , (²2000: Vorwort zur neuen Auflage, sowie erganzte Bibliographie).
  • Benjamin Jorissen , Jorg Zirfas (Hrsg.): Schlusselwerke der Identitatsforschung. VS-Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 3-531-15806-6 .
  • Dieter Krallmann, Andreas Ziemann: George Herbert Meads sozialbehavioristische Kommunikationstheorie. In: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. Fink, Munchen 2001, ISBN 3-8252-2249-7 .
  • Frithjof Nungesser, Franz Ofner (Hrsg.): Potentiale einer pragmatistischen Sozialtheorie. Beitrage anlasslich des 150. Geburtstags von George Herbert Mead. Sonderband der Osterreichischen Zeitschrift fur Soziologie (OZS). Springer VS, Wiesbaden 2013.
  • Frithjof Nungesser: Die Sozialitat des Handelns. Eine Aktualisierung der pragmatistischen Sozialtheorie . Frankfurt a. M./New York, Campus, 2021, ISBN 978-3-593-51128-3 .
  • Rainer Schutzeichel : Cooley, Mead und die symbolische Interaktion. In: Soziologische Kommunikationstheorien. Konstanz 2004, ISBN 3-8252-2623-9 .
  • Daniel Trohler, Gert Biesta (Hrsg.): George Herbert Mead: Philosophie der Erziehung. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2008, ISBN 978-3-7815-1579-6 .
  • Hans-Josef Wagner: Strukturen des Subjekts. Eine Studie im Anschluß an George Herbert Mead. Westdeutscher Verlag, Opladen 1993, ISBN 3-531-12525-7 .
  • Harald Wenzel : George Herbert Mead zur Einfuhrung. Junius-Verlag, Hamburg 1990, ISBN 3-88506-855-9 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Anmerkungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Tonnies hatte sich zeitweise bei Wundt mit einer Vorform von ? Gemeinschaft und Gesellschaft “ habilitieren wollen, und Paulsen als Tonnies’ Freund kannte die dann 1887 erschienene Studie grundlich. Vgl. die Zusammenfuhrung von Tonnies’ und Meads Theoremen (erkennbar z. B. in beider Vorentwurfen zur Rollentheorie ) bei Werner J. Cahnman in: Tonnies und die Theorie des sozialen Wandels. Eine Rekonstruktion , in: L. Clausen / F. U. Pappi (Hrsg.): Ankunft bei Tonnies , Muhlau, Kiel 1981.
  2. Das Verhaltnis zwischen Mead und Cooley wird in der Literatur sehr unterschiedlich interpretiert. Intensiven Austausch scheinen Mead und Cooley nicht gehabt zu haben. Vgl. Frithjof Nungesser, Patrick Wohrle: Die sozialtheoretische Relevanz des Pragmatismus ? Dewey, Cooley, Mead. In: Frithjof Nungesser, Franz Ofner (Hrsg.): Potentiale einer pragmatistischen Sozialtheorie. Beitrage anlasslich des 150. Geburtstags von George Herbert Mead. Sonderband der Osterreichischen Zeitschrift fur Soziologie (OZS). Springer VS, Wiesbaden 2013, S. 53, 66.
  3. Hans Joas: Praktische Intersubjektivitat. Die Entwicklung des Werks von G.H. Mead, Suhrkamp, Frankfurt 1989, Taschenbuchausgabe mit einem erneuerten Vorwort 2000, 29
  4. Nungesser, Frithjof; Ofner, Franz (2013): "Einleitung", in: Nungesser, Frithjof; Ofner, Franz (Hrsg.): Potentiale einer pragmatistischen Sozialtheorie. Beitrage anlasslich des 150. Geburtstags von George Herbert Mead. Sonderband der Osterreichischen Zeitschrift fur Soziologie (OZS) . Wiesbaden: Springer VS, 2013, S. 4 f.
  5. Vgl. Marx/Engels-Werke, Dietz Verlag, Berlin 1962, Bd. 20, Dialektik der Natur , S. 444; oder Karl Marx: Das Kapital , Dietz Verlag, Berlin 1972, Bd. 1, S. 192
  6. Daniel R. Huebner: The Construction of Mind, Self, and Society: The Social Process behind G.H. Mead’s Social Psychology. In: Journal of the History of the Behavioral Sciences , 48(2), 2012, S. 134?153.