Berlin, Modell von 1939 zur Neugestaltung nach Speers Planen. Blick vom geplanten Sudbahnhof uber den Triumphbogen bis zur
Großen Halle
(
Nord-Sud-Achse
).
Generalbauinspektor fur die Reichshauptstadt
(G.B.I., GBI)
war wahrend der
Zeit des Nationalsozialismus
der Titel
Albert Speers
und zugleich die Bezeichnung einer ihm unterstellten Behorde. Der Generalbauinspektor sollte
Berlin
im Sinne
nationalsozialistischer
Machtreprasentation umgestalten. Die Dienststelle war mit ministeriumsgleichen Befugnissen nur dem ?
Fuhrer
“
Adolf Hitler
unterstellt und allen stadtischen Behorden ubergeordnet.
Speer
,
Hitler
, Architekt
Ruff
mit Bauplanen und Modellen, ca. 1933/1934
Uberlagerungszeichnung der Großen Halle auf dem Spreebogen zwischen dem heutigen
Hauptbahnhof
links oben und
Reichstagsgebaude
rechts unten
Das
Reichsparteitagsgelande
in
Nurnberg
, um 1940
Albert Speer war es nach dem Tod von
Paul Ludwig Troost
(1934), dem ersten ?Lieblingsarchitekten des Fuhrers“, rasch gelungen, das Vertrauen Hitlers zu erwerben. Speer hatte bereits bei den Bauten fur die
Reichsparteitage
in
Nurnberg
(1934?1936) fur Hitler gearbeitet und wurde bald als ?Architekt des Fuhrers“ bezeichnet. Seit 1936 ? noch in Speers privatem Buro und unter Geheimhaltung ? mit Entwurfen fur die Umgestaltung Berlins befasst, bereitete sein Planungsstab auch ein Arbeits- und Personalkonzept vor, mit dem die Bauplane umgesetzt werden sollten. Die Planung schritt rasch voran, sodass Hitler am 30. Januar 1937 fur Speer und dessen Stab per
Fuhrererlass
die Einrichtung eines
Generalbauinspektors fur die Reichshauptstadt
verfugte. Diesem oblag die Federfuhrung eines Projekts, das spater programmatisch mit ?Welthauptstadt“ bzw. ?Germania“ tituliert wurde (siehe Artikel
Welthauptstadt Germania
).
Mit der Befugnis zur Aufstellung eines ?neuen Gesamtbauplans fur die Reichshauptstadt Berlin“ war der GBI berechtigt, jede ihm nicht genehme Veranderung in einem einseitig deklarierten Interessengebiet zu unterbinden, das rund die Halfte der Stadtflache umfasste. Ihm stand ein
Vetorecht
bei allen Bauten, Straßenzugen, Parkanlagen usw. zu, die das Stadtbild in diesem Bereich betrafen. Daruber hinaus war er berechtigt, alle Maßnahmen und Anordnungen zu treffen, die zur Herstellung eines einheitlichen Gesamtbildes notig waren. ?Zur Durchfuhrung seiner Aufgaben“ hatten ihm ferner ?die Behorden des Reichs, des Landes Preußen und der Reichshauptstadt zur Verfugung“ zu stehen. Da Speer direkt von Hitler eingesetzt und nur diesem verantwortlich war, kam seine Position der eines Ministers gleich.
Innerhalb weniger Monate wurden diese Befugnisse prazisiert, erweitert und auf andere Stadte ausgedehnt (
Verordnungen uber die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin
vom 5. November 1937;
Zweiter Erlaß uber den Generalbauinspektor fur die Reichshauptstadt
und
Erste Verordnung zur Ausfuhrung des Erlasses uber den Generalbauinspektor fur die Reichshauptstadt
vom 20. Januar 1938).
Mit Monumental-Projekten wie der
Neuen Reichskanzlei
von 1938/1939 stellte Speer alsbald die Leistungsfahigkeit des GBI unter Beweis und festigte seine Position. Die
Germania
-Planungen waren durch die rechtliche Stellung des Generalbauinspektors jeder weiteren Kontrolle entzogen; sie unterlagen weder bauplanungs- oder bauordnungsrechtlich den Berliner Vorschriften, noch waren sie in das bestehende Planungssystem eingebunden. Als sich 1940 der NS-Oberburgermeister
Julius Lippert
weigerte, vom Generalbauinspektor einseitige Weisungen entgegenzunehmen und auf einer gegenseitigen Abstimmung und Zusammenarbeit bestand, wurde er auf Betreiben Speers kurzerhand von Hitler entlassen.
Das
Palais Arnim
, der Sitz des Generalbauinspektors (Fotografie 1933, damals
Akademie der Kunste
)
Untergebracht wurde die Dienststelle des Generalbauinspektors auf Initiative Speers im
Palais Arnim
am
Pariser Platz
4, dem Sitz der
Akademie der Kunste
, die in das
Kronprinzenpalais
umziehen musste. Vorteil der Lage am Pariser Platz war, dass
Hitler
zu Fuß durch die
Ministergarten
zum Palais gelangen konnte, um dort unbemerkt von der Offentlichkeit die Modelle und Plane fur den geplanten Umbau Berlins zur ?
Welthauptstadt Germania
‘ zu besprechen und zu besichtigen. Außerdem bezog der GBI an der Charlottenburger Chaussee Raume im
Haus des Deutschen Gemeindetages
, das 1938/1939 an der neugestalteten
Ost-West-Achse
errichtet wurde; heute ist dies das
Ernst-Reuter-Haus
an der
Straße des 17. Juni
. Ein weiteres Dienstgebaude befand sich in der
Alsenstraße
dicht beim
Reichstagsgebaude
; es ist heute nicht mehr erhalten. Nach einem
alliierten Bombenangriff
wurde die Hauptdienststelle am Pariser Platz in ein Barackenlager an der
AVUS
-Sudkurve ausgelagert. Nach einem weiteren Bombentreffer auf dieses Barackenlager wurde die gesamte Dienststelle nach
Hainspitz
in
Thuringen
verlagert.
Da die neue Dienststelle weder einer politischen Kontrolle durch die
NSDAP
noch einer fachlichen Aufsicht anderer Verwaltungen unterstand, hatte Speer fur Aufbau und Personalpolitik freie Hand. Innerhalb des GBI erfolgte eine weitere Aufgliederung nach Aufgabenstellung:
Innerhalb kurzester Zeit wurden Verbindungen zu bekannten Großen deutscher Architektur aufgenommen ? so zu
Paul Bonatz
, der vom GBI einen Auftrag fur das
Oberkommando der Kriegsmarine
erhielt, zu
Wilhelm Kreis
, der Auftrage fur das
Oberkommando des Heeres
, die Soldatenhalle und verschiedene Museen erhielt und zu
Peter Behrens
, der das neue Verwaltungsgebaude der
AEG
an der geplanten
Nord-Sud-Achse
planen sollte. Aber auch jungere, noch unbekannte Architekten wurden eingebunden, wie
Helmut Hentrich
und
Friedrich Tamms
, die Speer noch von seinem Studium her kannte, oder
Theodor Dierksmeier
,
Friedrich Hetzelt
,
Herbert Rimpl
,
Heinrich Rosskotten
und
Karl Wach
. Auch
Hanns Dustmann
, der ?Reichsarchitekt der
Hitlerjugend
“, sollte fur Berlin monumentale Versammlungshallen entwerfen. (
Siehe auch:
Architektur im Nationalsozialismus
)
Die Dienststelle wuchs schnell: 1939 gehorten ihr bereits 91 Mitarbeiter an: 28 Architekten, 22 Techniker, 41 Buroangestellte.
Nach Schatzungen Speers hatten die Baumaßnahmen ein Volumen von insgesamt rund vier bis sechs Milliarden
Reichsmark
gehabt, wobei versucht wurde, die Kosten auf moglichst viele Etats zu verteilen. So hatte der Generalbauinspektor selbst ein jahrliches Budget von 60 Millionen Reichsmark allein fur die Planungsleistungen erhalten. Schon die Berliner Stadtverwaltung musste im Jahr 1938 fur die Realisierung der GBI-Planungen 90 Millionen Reichsmark (kaufkraftbereinigt in heutiger Wahrung: rund 461 Millionen Euro) ausgeben, auch andere Institutionen sollten die zukunftig von ihnen genutzten Gebaude selbst finanzieren.
Speer vereinbarte mit
Heinrich Himmler
die Herstellung und Lieferung von Baumaterial durch
KZ-Haftlinge
. Das Kapital fur die von der
SS
gegrundete Firma
Deutsche Erd- und Steinwerke
GmbH
(DEST) wurde aus dem Haushalt des GBI gestellt. Das Geld floss direkt in den Aufbau des KZ-Systems. Der zinslose Kredit fur die
SS-Totenkopfverbande
war ruckzahlbar an Speers Behorde in Form von Steinen und anderen Baumaterialien. Deshalb wurden fast alle KZ zwischen 1937 und 1942 in der Nahe von
Tongruben
oder
Steinbruchen
gebaut. Fur die Lager in
Groß-Rosen
in
Schlesien
und
Natzweiler-Struthof
im
Elsass
legte Speer 1940 die Standorte wegen der dortigen Granitvorkommen sogar selbst fest. Speziell in den
Vogesen
wurde das
KZ Natzweiler-Struthof
nach der Besetzung
Frankreichs
auf Vorschlag von Speer dort angesiedelt, um den dort vorkommenden roten Granit zu brechen.
Heute lasst sich aufgrund der Aktenlage beweisen, dass die
Deportationslisten
zwischen Oktober 1941 und Marz 1943 von Speers GBI-Mitarbeitern zusammen mit der
Gestapo
erstellt wurden. Speer hat die Kenntnis davon bis zu seinem Tode bestritten. Gleichwohl schrieb er in einem Brief vom 13. Dezember 1941 an
Martin Bormann
, dass die ?Aktion in vollem Gange“ sei, und beschwerte sich daruber, dass Bormann ?
Judenwohnungen
“ ausgebombten Berlinern bereitstellen wolle, obwohl doch diese ihm (Speer) zustunden.
Um Platz fur die ungeheure Menge an geplanten Neubauten in Berlin zu schaffen, mussten notgedrungen ganze Stadtviertel abgerissen werden. 1937 wurde ein Gesetz erlassen, das eine
Enteignung
zur Neugestaltung deutscher Stadte ermoglichte. Auf dieser Grundlage ging der Generalbauinspektor 1938 daran, im
Spreebogen
und in
Tempelhof
Gebaude abzureißen, obwohl ein Wohnungsbedarf von mehr als 100.000 Wohnungen bestand. Mit den Abrissen sollte Platz geschaffen werden fur die neue
Große Halle
und den
Sudbahnhof
in Tempelhof. 1941 sahen die Planungen des GBI vor, in Berlin insgesamt 52.144 Wohnungen fur die Neugestaltung abzureißen; das waren mithin 3,63 % des geschatzten Wohnungsbestandes in Berlin gewesen. Bei der damaligen Belegung waren dadurch rund 150.000 bis 200.000 Berliner wohnungslos geworden.
Da die Stellung von Ersatzwohnungen schwierig und Entschadigungen fur Raumungspflichtige teuer waren, veranlasste oder beforderte der GBI ab 1938 die Aufhebung von Mietvertragen
judischer
Mieter, Zwangsraumungen und Einweisungen in ?
Judenhauser
“ sowie die
Arisierung
judischen Grundbesitzes auf Grundlage der
Verordnung uber den Einsatz des judischen Vermogens
. Auf diese Weise wurden in den Folgemonaten schatzungsweise 15.000?18.000 Wohnungen requiriert. Die aus ihren Wohnungen vertriebenen Juden wurden zunehmend an der
Emigration
gehindert, ihr Vermogen beschlagnahmt und sie zahllos in
Konzentrationslager
verschleppt. Um die ?Aussiedlung“ von Juden und die Neuvergabe der Wohnungen zu organisieren und zu beschleunigen, wurde eigens eine Durchfuhrungsstelle des GBI unter Leitung von
Karl Maria Hettlage
eingerichtet.
Nach dem Kriegsbeginn im Jahr 1939 verfugte Speer einen generellen Stopp des Wohnungsabrisses ? die Raumung von Wohnungen judischer Mieter und Besitzer ging allerdings unvermindert weiter.
Sowohl durch die Mengen Naturstein als auch durch die Rustungsanstrengungen war 1938 schon eine Verknappung an Material und Arbeitskraften zu spuren, die sich mit Kriegsbeginn weiter verscharfte. Allein fur die Abrissarbeiten war zur damaligen Zeit ein enormer Personalaufwand notig und Gleiches galt fur die beginnenden Baumaßnahmen. So begann der Generalbauinspektor ab 1939 auch auf auslandische
Zwangsarbeiter
zuruckzugreifen. Nach dem
Uberfall auf die Sowjetunion
kamen verstarkt auch
sowjetische Kriegsgefangene
zu den Arbeitern. Entsprechend einer Planung des GBI von 1940 sollte der Einsatz der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen nach dem Krieg auf uber 180.000 Personen ansteigen.
Der GBI war an Planung, Genehmigung und Bau der rund 1000 heute bekannten Zwangsarbeiterlager in und um Berlin ? ihre tatsachliche Zahl wird mittlerweile auf uber 3000 geschatzt ? maßgeblich beteiligt und betrieb etliche davon in eigener Regie. Er beschaftigte dort unter anderem ?Fremdarbeiter“ aus
Italien
, Kriegsgefangene aus
Osteuropa
sowie deportierte Juden, die allerdings nach der ?
Fabrikaktion
“ vom 27. Februar 1943 nicht mehr in den Lohnlisten auftauchten. Eines der Lager befand sich an der
Staakener
Feldstraße; es sollte dem Bau der
Großen Halle
dienen. Ein anderes Lager, nahe dem Eisstadion in
Wilmersdorf
, diente als
Lazarett
, ein weiteres befand sich im
Krankenhaus Kaulsdorf
.
Nach
Siemens
und der
Reichsbahn
war der GBI 1942/1943 drittgroßter Betreiber von Zwangsarbeiterlagern im Großraum Berlin. Auf dem Gelande des ehemaligen
Doppellagers 75/76
, in der Britzer Straße 5 in
Niederschoneweide
befindet sich heute das
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
. In dem 1943 im Auftrag des GBI fur 2000 Insassen errichteten Lager waren neben italienischen
Zivilarbeitern
weibliche KZ-Haftlinge eines Außenlagers von
Sachsenhausen
sowie vermutlich weitere Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa interniert.
Albert Speer
als Angeklagter bei den
Nurnberger Prozessen
, 1946
Fur die Mitwirkung bei der Verschleppung von Juden, dem Einsatz von Zwangsarbeitern und seine Funktion als Reichsminister fur Bewaffnung und Munition wurde
Albert Speer
im
Nurnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher
wegen
Kriegsverbrechen
und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
(siehe Punkte 6a bzw. 6a?c des
Londoner Statuts
) zu 20 Jahren Haft verurteilt, die er bis 1966 im
Kriegsverbrechergefangnis Spandau
absaß. Ob dieses Urteil auch die Beteiligung des GBI an der Zwangsraumung von Juden (?Judenentmietung“) abdeckte, war umstritten. Freunde Speers befurchteten neue Untersuchungen der Ludwigsburger
Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklarung nationalsozialistischer Verbrechen
und eine erneute Anklage.
- Werner Durth
:
Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900?1970.
Vieweg, Braunschweig u. a. 1986,
ISBN 3-528-08705-6
(Schriften des Deutschen Architekturmuseums zur Architekturgeschichte und Architekturtheorie)
, Neuausgabe auf der Grundlage der 2. durchgesehenen Auflage 1986. Kramer, Stuttgart 2001,
ISBN 3-7828-1141-0
.
- Hans J. Reichhardt,
Wolfgang Schache
:
Von Berlin nach Germania. Uber die Zerstorungen der Reichshauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen.
6. vollig uberarbeitete und erweiterte Neuauflage. Transit, Berlin 1998,
ISBN 3-88747-127-X
.
- Anna Teut (Hrsg.):
Architektur im Dritten Reich. 1933?1945.
Ullstein, Berlin u. a. 1967 (
Bauwelt-Fundamente
19,
ISSN
0522-5094
).
- Susanne Willems
:
Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik fur den Berliner Hauptstadtbau.
Ed. Hentrich, Berlin 2002,
ISBN 3-89468-259-0
(
Publikationen der Gedenk- und Bildungsstatte Haus der Wannseekonferenz
10), (Zugleich: Bochum, Univ., Diss., 1999:
Stadtmodernisierung, Wohnungsmarkt und Judenverfolgung in Berlin 1938 bis 1943
).
- Heiko Schutzler:
Monsalvat an der Spree
. In:
Berlinische Monatsschrift
(
Luisenstadtischer Bildungsverein
)
. Heft 9, 2000,
ISSN
0944-5560
,
S.
27?35
(
luise-berlin.de
).
- Rainer Kubatzki:
Irgendein Lager gleich um die Ecke
. In:
Berlinische Monatsschrift
(
Luisenstadtischer Bildungsverein
)
. Heft 9, 2000,
ISSN
0944-5560
,
S.
70?77
(
luise-berlin.de
).