Fritz Erler
(*
14. Juli
1913
in
Berlin
; †
22. Februar
1967
in
Pforzheim
) war ein deutscher
SPD
-
Politiker
. Er galt als Experte fur Verteidigungsfragen und zeitweilig als moglicher
Kanzlerkandidat
der Partei.
Fritz Erler besuchte die
Oberrealschule
bis zum Abitur. Danach arbeitete er als Verwaltungsbeamter bei der Berliner Stadtverwaltung. Nebenberuflich war er Mitarbeiter der
Juristischen Wochenschrift
im Bereich des Steuerrechts.
In den Jahren von 1939 bis 1945 verbußte er als
politischer Haftling
eine
Zuchthausstrafe
, verbunden mit
Zwangsarbeit
im
Emslandlager Aschendorfermoor
.
[1]
In der nachfolgenden beruflichen Ubergangszeit war er ab 1945 Landrat in Biberach und Tuttlingen, bevor er 1949 in den ersten Bundestag gewahlt und anschließend Berufspolitiker wurde.
Fritz Erler heiratete 1938 Kathe Erler (geb. Wiegand; * 22. Oktober 1912 Berlin, † 3. Oktober 2006 Pforzheim), die von 1965 bis 1987 Stadtratin in Pforzheim war, wo die Familie Erler seit 1953 an der Friedensstraße 8 ihren Wohnsitz hatte. Kinder von Fritz und Kathe Erler sind die Familienforscherin, Unternehmerin und baden-wurttembergische Staatsratin
Gisela Erler
sowie die Sohne
Hans Erler
und Wolfgang Erler.
Bereits als Jugendlicher wurde Erler 1928 Mitglied der
Sozialistischen Arbeiterjugend
, deren Bezirk Prenzlauer Berg er seit 1931 leitete, und wenig spater auch der SPD. Er schloss sich der oppositionell zum SPD-Vorstand stehenden Gruppe ?
Neu Beginnen
“ an. Im April 1933 in der
Fruhzeit des Nationalsozialismus
nach politischen Differenzen aus der SPD und der SAJ ausgeschlossen, arbeitete er illegal bis zu seiner Verhaftung 1938 fur diese Gruppe.
Nach
Widerstandsarbeit
wurde er 1938 aus dem Staatsdienst entlassen und 1939 zu zehn Jahren Zuchthaus, verbunden mit Zwangsarbeit, verurteilt. Diese Strafe verbußte Erler zusammen mit
Hans Glaser
im
Emslandlager Aschendorfermoor
(ab Januar 1940),
[2]
im
Strafgefangenenlager Rodgau-Dieburg
im
Stammlager I
in
Dieburg
[3]
(ab Dezember 1940) und im
Zuchthaus Kassel-Wehlheiden
(ab Fruhjahr 1941). Er konnte bei einem der beruchtigten ?Todesmarsche“ in Richtung
KZ Dachau
fliehen und sich die letzten Kriegswochen in Suddeutschland versteckt halten.
[4]
Erler gab gemaß seiner
Entnazifizierungsakte
an, man habe ihn angeblich zum Eintritt in die
NSDAP
zwingen wollen.
[5]
Belegbar ist nur, dass er zum 1. Mai 1937 aufgenommen werden sollte (
Mitgliedsnummer
5.920.116),
[6]
aber im Mai 1939 die Ablehnung dieses Antrages wegen seiner Verhaftung erfolgte.
[7]
1945 beteiligte sich Erler am Wiederaufbau der SPD. Mitte der 1950er Jahre knupfte Erler Kontakte zur
GVP
von
Helene Wessel
und
Gustav Heinemann
und legte damit den Grundstein fur den spateren Ubertritt des Großteils von deren Mitgliedern, als sich die christlich-
pazifistische
Partei 1957 aufloste. Erler gehorte mit
Carlo Schmid
,
Herbert Wehner
und
Willy Brandt
zum ?
Fruhstuckskartell
“ der SPD, das sich bis 1958 mit seinen Vorstellungen einer Parteireform durchsetzte.
1961 war er als SPD-Kanzlerkandidat im Gesprach, verzichtete aber zugunsten von
Willy Brandt
, der ihn in seine von Parteichef
Erich Ollenhauer
auf dem Parteitag am 25. November 1960 in
Hannover
vorgestellte Regierungsmannschaft aufnahm. Auch der auf dem Parteitag im November 1964 in
Karlsruhe
vorgestellten Regierungsmannschaft fur den Bundestagswahlkampf 1965 gehorte Erler an. Er war jeweils als Bundesverteidigungsminister vorgesehen.
Von 1945 bis 1946 wirkte Erler als
Landrat
in
Biberach
. Von Juli 1947 bis Juni 1949 bekleidete er als Nachfolger von
Erich Schariry
das gleiche Amt in
Tuttlingen
. Seine Nominierung zum Tuttlinger Landrat 1947 war von einer Kampagne von
CDU
,
DVP
sowie ehemaligen
Nationalsozialisten
gegen seine Person begleitet. Nach Einschatzung von Jean Lucien Estrade, dem Kreisbeauftragten der
Franzosischen Militarregierung
, konnte, nachdem die Erfahrungen mit dem politisch zwielichtigen Landrat
Eduard Quintenz
und mit Schariry eher enttauschend gewesen waren, Erler das Landratsamt ?auf Vordermann bringen,“ so dass er auch politische Gegner ?als ausgezeichneter Organisator, intelligent und sehr aktiv“ beeindruckte. Erler schied im Juni 1949 aus dem Amt aus, um den SPD-Wahlkampf fur die
Bundestagswahl 1949
in seinem Wahlkreis zu organisieren.
[8]
1946 wurde Erler Mitglied in der
Beratenden Landesversammlung
und 1947
Landtagsabgeordneter
in
Wurttemberg-Hohenzollern
.
1949
zog er in den
Deutschen Bundestag
ein, dem er, als stets uber die
Landesliste
seiner Partei gewahlter Abgeordneter, bis zu seinem Tode 1967 angehorte. Bekannt wurde er dort in den Debatten durch seine scharfen Beitrage zur jungsten deutschen Vergangenheit. Den angeblichen Mitlaufern des Nationalsozialismus, die sich nun um politische Fuhrungspositionen bemuhten, empfahl er: ?Wer mitlauft, kann nicht fuhren.“ Im Bundestag war er vor allem mit verteidigungspolitischen Fragen beschaftigt und leitete den entsprechenden Fraktionsarbeitskreis von 1953 bis zu seinem Amtsantritt als Fraktionsvorsitzender.
Von 1949 bis 1953 war er stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses zur Mitberatung des
EVG
-Vertrages und der damit zusammenhangenden Abmachungen, von 1950 bis 1952 stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Uberprufung der im Raum Bonn vergebenen Auftrage. Von 1953 bis 1957 war Erler stellvertretender Vorsitzender des
Verteidigungsausschusses des Bundestages
. In den 1950er Jahren war er einer der Experten der SPD fur Verteidigungs- und Außenpolitik und wurde durch seine rhetorische Begabung einer der wichtigsten Redner der Opposition in den Debatten um Adenauers Außen-, Verteidigungs- und Deutschlandpolitik, oft als Gegenpart von
Kurt Georg Kiesinger
und
Franz Josef Strauß
. So brillant seine Argumentation auch war, konnte er dennoch Adenauers Politik der Westbindung nicht verhindern. Diese wurde zudem in zwei Bundestagswahlen,
1953
und
1957
, von der Bevolkerung klar bestatigt.
Seit 1950 war er Delegierter des
Europarates
und ab 1955 gehorte er auch der Parlamentarischen Versammlung der
Westeuropaischen Union (WEU)
an und war dort 1956 Vorsitzender des Verteidigungsausschusses.
Seit 1957 war Erler stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Nach dem Tod
Erich Ollenhauers
am 14. Dezember 1963 wurde er am 3. Marz 1964 zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion und somit zum
Oppositionsfuhrer
gegen Bundeskanzler
Ludwig Erhard
gewahlt.
1965 erkrankte Erler an Krebs, sodass er ab dem Spatjahr 1966 seine Geschafte nicht mehr wahrnehmen konnte. Geschaftsfuhrender Fraktionsvorsitzender wurde
Helmut Schmidt
. Als die
Große Koalition
aus CDU/CSU und SPD am 1. Dezember 1966 installiert wurde, war Erler bereits zu krank, um noch ein Ministeramt ubernehmen zu konnen. Sein Tod am 22. Februar 1967 war fur die SPD ein schwerer Verlust, denn der mit 53 Jahren Verstorbene war eine große Zukunftshoffnung gewesen. So hatte er nach der Erklarung Willy Brandts am Tag nach der
Bundestagswahl 1965
, er werde 1969 nicht mehr als Kanzlerkandidat zur Verfugung stehen, als potentieller Kandidat der SPD gegolten.
Zwei Tage nach seinem Tode ehrte das Parlament Fritz Erler mit einer Trauerfeier im
Plenarsaal
. Am 28. Februar 1967 wurde er mit einem Staatsbegrabnis auf dem Hauptfriedhof in
Pforzheim
beigesetzt. Die Trauerfeier fand in der evangelischen
Schlosskirche St. Michael
in Pforzheim statt.
Nach Erler sind die
Fritz-Erler-Kaserne
in
Rothwesten
bei
Kassel
, in der wahrend der
Wahrungskonklave 1948
von alliierten und deutschen Finanzexperten die
Wahrungsreform
diskutiert und vorbereitet wurde, und Straßen in verschiedenen Stadten, z. B. in Berlin,
Bonn
,
Bremen
,
Frankfurt am Main
,
Karlsruhe
,
Leverkusen
oder
Munchen
benannt, außerdem in
Ittersbach
(Gemeinde
Karlsbad
) das als Parkanlage restaurierte alte Wasserreservoir (?Fritz-Erler-Hohe“).
Ebenso tragt in der Stadt
Kreuztal
eine Ende der 1960er Jahre gebaute Hochhaussiedlung, deren Grundsteinlegung am 22. Februar 1968, seinem ersten Todestag, erfolgte
[9]
, den Namen
Fritz-Erler-Siedlung
. In Tuttlingen tragt die Kaufmannische, Soziale und Hauswirtschaftliche Berufsschule seit 2008 den Namen Fritz Erlers, in Pforzheim
eine Schule
. Am 15. Mai 1971 wurde das neugebaute Jugendheim in
Gelsenkirchen
-Hassel nach Fritz Erler benannt (Fritz-Erler-Haus, Am Freistuhl 4).
Das Landesburo der
Friedrich-Ebert-Stiftung
in
Stuttgart
tragt den Namen
Fritz-Erler-Forum
.
[10]
Am 23. Mai 1965 erhielt er das Große
Bundesverdienstkreuz
mit Stern und Schulterband.
[11]
Im November 2016 wurde auf Initiative der Bewohner am Geburtshaus von Fritz Erler in der
Chodowieckistraße
17/17a in
Berlin
eine Gedenktafel angebracht.
[12]
Der Hauptteil des Erler-Nachlasses befindet sich seit 1971 im
Archiv der sozialen Demokratie
(AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[13]
- Demokratie und bewaffnete Macht.
In:
Gewerkschaftliche Monatshefte
, Jg. 5, Heft 6, Juni 1954,
ISSN
0016-9447
, S. 355?361,
online
.
- Das ganze Deutschland soll es sein.
In:
Berliner Stimme
, vom 4. Dezember 1954,
ISSN
0405-5721
.
- Gedanken zur Politik und inneren Ordnung der Sozialdemokratie.
In:
Die Neue Gesellschaft.
Bd. 5, Heft 1, 1958,
ISSN
0028-3177
, S. 3?8, hier S. 7 ff.
- Demokratie, Autoritat und Fuhrung.
In:
Die Neue Gesellschaft
Bd. 10, Heft 2, 1963, S. 85?89.
- Demokratie in Deutschland.
Seewald, Stuttgart 1965.
- Parteien, Parlament und Regierung in der pluralistischen Gesellschaft.
In:
Klaus Dieter Arndt
(Hrsg.):
Mundige Gesellschaft. Die SPD zur Zukunft der Nation.
Dietz, Hannover, 1967, S. 77?86.
- Walter Henkels
:
99 Bonner Kopfe.
Durchgesehene und erganzte Ausgabe, Fischer, Frankfurt am Main 1965, S. 89f.
- Hartmut Soell
:
Fritz Erler. Eine politische Biographie
(=
Internationale Bibliothek.
Bd. 100?101). 2 Bande. Dietz, Berlin u. a. 1976,
ISBN 3-8012-1100-2
(Bd. 1),
ISBN 3-8012-1101-0
(Bd. 2), (Zugleich: Heidelberg, Universitat, Habilitationsschrift, 1974).
- Hans-Rainer Sandvoß
(Red.):
Widerstand 1933?1945.
Band 12: Hans-Rainer Sandvoß:
Widerstand in Prenzlauer Berg und Weißensee.
Gedenkstatte Deutscher Widerstand, Berlin 2000,
ISBN 3-926082-03-8
, (Darstellung der Tatigkeit Erlers im
antifaschistischen Widerstand
).
- ↑
150 Jahre SPD, vorwarts extra 2/2013, S. 86?87
- ↑
Renate Faerber-Husemann:
Schule fur das Leben ? in der Holle! Fritz Erler, der Moorsoldat im KZ Aschendorfermoor
. In:
Vorwarts
extra: 150 Jahre SPD
, Jg. 2013, Nr. 2, S. 86?87.
- ↑
Heinz Sirian:
Das Lager Rollwald
, Artikel auf der Webseite
www.lagerrollwald.de
des
Vereins fur multinationale Verstandigung Rodgau e. V.
,
Arbeitsgruppe Rollwald
, abgerufen am 27. Juni 2016.
- ↑
Hartmut Soell
:
Fritz Erler
, Bd. 1 (Internationale Bibliothek, Bd. 100), J.H.W. Dietz Nachf., Berlin, Bonn-Bad Godesberg 1976, S. 52?63,
ISBN 3-8012-1100-2
.
- ↑
Siehe Erlers Entnazifizierungsakte in den Entnazifizierungsakten der
Spruchkammer
Biberach als
digitale Reproduktion
im Online-Angebot des
Staatsarchivs Sigmaringen
(Abruf am 18. Mai 2016).
- ↑
Bundesarchiv R 9361-VIII KARTEI/8400461
- ↑
Bundesarchiv R 9361-II/215072
- ↑
Jean Lucien Estrade:
?Tuttlingen April 1945 ? September 1949“. Die franzosische Militarregierung in Tuttlingen. Administratives, politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Geschehen im Kreis Tuttlingen in der Nachkriegszeit im Spiegel des Tatigkeitsberichts des franzosischen ?Gouverneurs“.
Geschichtsverein fur den Landkreis Tuttlingen c/o Landratsamt ? Kreisarchiv, Tuttlingen 1990,
ISBN 3-9801601-3-0
, S. 39?46, beide Zitate auf S. 40.
- ↑
Zuruckgeblattert...
In:
Siegener Zeitung
, vom 5. Marz 2011.
- ↑
Fritz-Erler-Forum.
In:
fes.de.
Abgerufen am 14. Februar 2023
.
- ↑
Auskunft Bundesprasidialamt
- ↑
Stefan Strauss:
Peinliche Ehrung fur Fritz Erler
, In:
Berliner Zeitung
, 24. November 2016.
Verspatete Anbringung der Gedenktafel in Erinnerung an Fritz Erler
, Pressemitteilung des Bezirksamts Pankow vom 24. November 2016.
- ↑
www.fes.de
,
Online-Katalog der FES