Friedrich Christian Diez

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Friedrich Christian Diez

Friedrich Christian Diez (* 15. Marz 1794 in Gießen ; † 29. Mai 1876 in Bonn ) war ein deutscher Romanist .

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Friedrich Christian Diez besuchte das Gymnasium und anschließend die Universitaten seiner Heimatstadt Gießen (1811?16) und Gottingen (1816?18). Hier studierte er zunachst Klassische Philologie sowie Moderne Sprachen und Literaturen unter anderem bei Friedrich Gottlieb Welcker , der bei ihm das Interesse fur die italienische Dichtung weckte. Er ubersetzte Werke von Lord Byron und Walter Scott und begann, sich fur mittelalterliche Literatur zu interessieren. Im Jahr 1813 nahm er an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. In dieser nationalistisch gepragten Zeit dichtete er: Deutsch und gut ? oder an den Galgen mit / der Franzosen-Bruth . Wahrend seines Studiums wurde er Mitglied der Teutschen Lesegesellschaft (1814) und der Gottinger Burschenschaft . [1]

Nach einer Begegnung mit Johann Wolfgang von Goethe begann er sich fur die Dichtung der Troubadours zu interessieren. Goethe hatte die von Francois-Juste-Marie Raynouard herausgegebene Sammlung okzitanischer Dichtung gelesen und regte Diez dazu an, sich eingehender damit zu befassen. Nach einigen Jahren als Hauslehrer und Bibliothekar in Darmstadt und Utrecht promovierte Diez 1821 in Gießen, 1822 folgte die Habilitation in Bonn . 1830 wurde er in Bonn auf einen Lehrstuhl fur mittelalterliche und moderne Sprachen und Literaturen berufen, den er bis zu seinem Tod 1876 innehatte.

Leistungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Diez veroffentlichte zunachst zwei Werke zur Dichtung der Troubadours, Die Poesie der Troubadours (1826) und Leben und Werke der Troubadours (1829). In den folgenden Jahren widmete er sich der Grammatik der romanischen Sprachen (1836?44), indem er die von Franz Bopp und Jacob Grimm entwickelte Methode des Sprachvergleichs auf der Basis der lautgesetzlichen Entwicklung auf die romanischen Sprachen anwandte. Diez bezeichnete diese Vorgehensweise auch als ?kritische Methode“.

Auf der Grundlage des (romanischen) Sprachvergleichs verfasste er 1853 das Etymologische Worterbuch der romanischen Sprachen, in dem er die etymologische Forschung auf eine wissenschaftliche Basis stellte. Hier beschaftigte er sich vor allem mit den romanischen Nationalsprachen Franzosisch , Spanisch , Italienisch , Portugiesisch und Rumanisch und aufgrund seiner kulturellen Bedeutung im Mittelalter auch mit dem Okzitanischen. Romanische Minderheitensprachen wie Katalanisch , Sardisch und Ratoromanisch werden dagegen von Diez nur sporadisch berucksichtigt. Als erster Sprachwissenschaftler machte er hierbei auch das Vulgarlatein zum Forschungsgegenstand.

Diez’ Bedeutung liegt vor allem in der Entwicklung einer wissenschaftlichen Methode zur Beschreibung der romanischen Sprachen. Als Begrunder des Fachs Romanistik an den deutschen Universitaten als komparatistisch angelegtes Fach zeigt sich noch heute sein Einfluss. Zu seinen Schulern in Bonn gehorten u. a. Hugo Schuchardt , Gaston Paris und Adolf Tobler .

Diez-Stiftung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mit seiner ?Grammatik der romanischen Sprachen“ von 1836 war Friedrich Diez zum Begrunder der wissenschaftlichen Romanistik geworden. Bei dem Werk handelte es sich um eine historisch-vergleichende Grammatik Grimmscher Observanz. Sie bewirkte, dass es in der Folge zu einer Professionalisierung und Institutionalisierung der romanischen Philologie in zahlreichen Landern Europas kam (vgl. Jurgen Storost , Die ?neuen Philologien’, ihre Institutionen und Periodica: Eine Ubersicht. In: Sylvain Auroux, E.F.K. Koerner, Hans-Josef Niederehe u. a., Geschichte der Sprachwissenschaften, 2. Teilband, Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2001, Seiten 1241?1272.). Die Betroffenheit uber das Ableben des Altmeisters fuhrte unmittelbar zur Idee einer großen Ehrung. Die italienische ?Rivista di filologia romanza“ (Band 2 [1876], Heft 4, Seite 250) regte die Errichtung eines ?monumento“ fur den Verstorbenen an, zu dessen Realisierung Spenden erforderlich sein wurden; die Redaktion bot auch sogleich 100 Lire an.

In Berlin warf der Romanist Adolf Tobler (1835?1910) die Idee der Einrichtung einer europaischen Stiftung auf und stellte sie in Deutschland, Italien und Frankreich zur Diskussion. Adolf Tobler war seit 1867 Professor der romanischen Philologie in Berlin und verschickte am 1. Februar 1877 ein von zahlreichen prominenten Geisteswissenschaftlern der Zeit unterzeichnetes Rundschreiben mit dem Ziel, ein ?Comite zur Grundung einer Diez-Stiftung“ zu schaffen. Es ging darum, ?an seinen ruhmreichen Namen eine Stiftung zu knupfen, die den Zweck habe, die Arbeit auf dem Gebiete der von ihm begrundeten Wissenschaft von den romanischen Sprachen zu fordern, eine Stiftung, welche durch Ermuthigung zum Fortschritt auf den von dem Meister gebahnten Wege dazu beitrage, dass das von ihm Geleistete kunftigen Geschlechtern im rechten Sinne erhalten bleibe, und welche zugleich die Erinnerung an sein unvergangliches Verdienst immer wieder erneuere“. Es war angedacht, die Stiftung bei einem großen deutschen wissenschaftlichen Institut anzusiedeln. Im Hintergrund durfte die Berliner Akademie der Wissenschaften stehen, zu deren Aufgaben auch die Organisation und Verwaltung von Stiftungen gehorte ( Bopp-Stiftung , Charlottenstiftung ).

Dazu erging der Aufruf zu Spenden, deren Zinsen zur Auszeichnung herausragender schriftstellerischer Leistungen auf dem Gebiet der Romanistik verwendet werden sollten. Unterstutzung fur die Stiftungsgrundung kam von vielen Seiten; genannt seien die herausragenden Romanisten Graziadio Isaia Ascoli (1829?1907) in Italien, Adolf Mussafia (1834?1905) in Osterreich und Gaston Paris (1839?1903) in Frankreich. Retardierende Momente kamen lediglich von dem Grazer Romanisten Hugo Schuchardt (1842?1927), dem die Fuhrerschaft Berlins in der Angelegenheit auch aus politischen Grunden (Deutsch-Franzosischer Krieg von 1870/71) suspekt war und der es lieber gesehen hatte, wurde die Stiftung in Rom angesiedelt. Schuchardts oppositionelle Stellungnahme fuhrte zu zahlreichen Kontroversen unter den europaischen Wissenschaftlern, aber auch zur Polarisierung der Positionen, die sich paneuropaisch ausweiteten. Allerdings ließ sich Tobler nicht beirren und unterbreitete dem Comite am 23. Februar 1879 einen Statutenentwurf zur Diskussion. Schließlich erteilte Kaiser Wilhelm am 7. Juni 1880 der Stiftung die Rechte einer juristischen Person. Die Berliner Akademie erklarte sich bereit, die Stiftung zu betreuen: die Wiener Akademie erklarte sich auch bereit, an der Stiftung maßgeblich mitzuwirken, ebenso die italienische Accademia die Lincei. Mitglieder des Vorstandes waren: der vorsitzende Sekretar der Berliner Akademie Theodor Mommsen (1817?1903), der Historiker Georg Waitz (1813?1886), der Germanist Karl Mullenhoff (1818?1884), Tobler, der Leipziger Romanist Adolf Ebert (1820?1890), der franzosische Romanist Gaston Paris , der osterreichische Romanist Adolf Mussafia sowie der Italiener Graziadio Ascoli . Als Vorsitzender wurde Adolf Tobler vorgeschlagen und gewahlt. Das Statut von 1880 legte fest: ?Der Zweck der Stiftung ist, wissenschaftliche Arbeiten aus dem Gebiete der romanischen Sprachwissenschaft und der Geschichte der Litteraturen der romanischen Volker zu fordern ohne Rucksicht auf die Nationalitat der Verfasser.“ Adolf Tobler selbst wurde 1881 als Ordentliches Mitglied in die Berliner Akademie der Wissenschaften gewahlt, womit die romanische Philologie auch in der Akademie institutionalisiert worden war.

Die jahrzehntelang wahrende gedeihliche Arbeit der Stiftung, die nachfolgend angerissen wird, fand ihr Ende wahrend der Inflation von 1923 , als das Stiftungsgeld wertlos wurde und keine Zinsen mehr abwarf. Der Rest wurde vom ? Winterhilfswerk “ der Nationalsozialisten vereinnahmt, so dass 1937 die Akademie das Ruhen der Stiftung erklaren musste.

Die Arbeit der Stiftung und die Ausgezeichneten [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Fur die Preiszuerkennung wurde das olympische Quadriennalprinzip gewahlt, d. h. uber vier Jahre wurde das Schaffen auf dem Gebiet der romanistischen Sprach- und Literaturwissenschaft verfolgt. Die Beobachtungen mundeten in Vorschlage zur Auszeichnung einer bahnbrechenden Arbeit ein, die diskutiert und einem Mehrheitsvotum unterworfen wurden. Statutengemaß sollte die erste Auszeichnung am Leibniz-Tag des Jahres 1884 erfolgen, wofur die Arbeiten von 1880 bis 1883 in Betracht gezogen wurden. Diese Diskussionen, die schriftlich erfolgten, sind wissenschaftshistorisch außerordentlich interessant, weil sie den Stand des aktuellen Wissenschaftsbetriebs individuell, auch subjektiv widerspiegelten, aber auch die Forschungssituation und die Problemstellungen aufzeichneten. In der unten aufgefuhrten Literatur zum Thema sind die Prozesse der Meinungsbildung in extenso dargestellt.

Die Auszeichnung fur das erste Quadriennium erfolgte fur die Arbeit des Italieners Pio Rajna (1847?1930) ?Sulle origini dell’epopea francese“ (Florenz 1884). Rajna hatte ein bis heute gultiges Standardwerk geschaffen, in dem aufgezeigt wurde, dass die merowingischen Epen durchaus schon historische Fakten verarbeitet hatten (wahrend Gaston Paris bei diesen Untersuchungen den mythologischen Spuren der Konigsepen gefolgt war). Im Jahre 1909 wurde Rajna zum Korrespondierenden Mitglied der Berliner Akademie gewahlt.

Die Auszeichnung fur das zweite Quadriennium geschah am Leibniz-Tag 1888; sie erhielt der Tobler-Schuler Adolf Robert Gaspary (1849?1892) fur seine ?Geschichte der italienischen Literatur“, Band 1, Berlin 1884, die als Standardwerk eingeschatzt wurde.

Das dritte Quadriennium erfullte sich 1892 mit der Pramierung der junggrammatischen Arbeit von Wilhelm Meyer-Lubke (1861?1936) ?Grammatik der romanischen Sprachen“, Band 1, Leipzig 1890. Die Entscheidung fur dieses Werk zeugt zugleich von der Dominanz der sich in der Romanistik durchsetzenden Methode der positivistischen junggrammatischen Betrachtungsweise, die die romanische Philologie uber Jahrzehnte bestimmte.

Das vierte Quadriennium sah wieder Meyer-Lubke als Laureaten, jetzt mit der Arbeit ?Italienische Grammatik“, Leipzig 1890. Im funften und sechsten Quadriennium siegte ebenfalls Wilhelm Meyer-Lubke mit seiner ?Grammatik der romanischen Sprachen“, Band 2, Leipzig 1894, bzw. Band 3, Leipzig 1899.

Das siebente Quadriennium sah als Laureaten den Freiburger Romanisten Emil Levy (1855?1918) fur das Werk ?Provenzalisches Supplement-Worterbuch. Berichtigungen und Erganzungen zu Raynouards Lexique Roman“, Bande 3 und 4, Leipzig 1900?1903, das bis 1924 schließlich auf zehn Bande anwuchs.

Das achte Quadriennium (1904?1907) fuhrte den ?Atlas linguistique de la France“ (Paris 1902 ff) von Jules Gillieron (1854?1926), dem Professor an der Pariser Ecole des Hautes Etudes, zur Auszeichnung. Gillieron hatte sich der synchronen Sprachgeographie verpflichtet, wobei, was ihm Vorwurfe eintrug, die historische Komponente vernachlassigt war.

Im neunten Quadriennium fuhrte der Vorschlag zur Pramierung des 3. Bandes der ?Grammaire historique de la Langue francaise“ (Kopenhagen 1908) des Kopenhagener Romanisten Kristoffer Nyrop (1858?1931) zum Erfolg.

Wahrend des Ersten Weltkriegs wurden die Arbeiten der Stiftung ausgesetzt, so dass es erst im zwolften Quadriennium noch einmal zu einer Auszeichnung kam: der Schweizer Romanist Walther von Wartburg (1888?1971) erhielt die Ehre fur sein ?Franzosisches Etymologisches Worterbuch“, Bonn 1922 ff. Das ?FEW“ ging bei seiner Lemmaanordnung vom Lateinischen aus und verfolgte die historische Entwicklung eines Stichworts bis zur Gegenwart und in breiter mundartlicher Auffacherung.

Die Akten der Diez-Stiftung sind im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften erhalten.

Werke [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Altspanische Romanzen (Berlin 1821).
  • Uber die Minnehofe, Beitrage zur Kenntnis der romanischen Poesie (Berlin 1825; franz. v. Roisin, Lille 1842).
  • Die Poesie der Troubadours (Zwickau 1826; 2. Aufl. v. Bartsch, Leipzig 1883; franz. v. Roisin, 1845).
  • Leben und Werke der Troubadours (Leipzig 1829, mit zahlreichen Ubersetzungen; 2. Aufl. v. Bartsch, das. 1882), worin zum ersten Mal eine umfassende und wissenschaftliche Darstellung des Wesens und der Entwicklung der provenzalischen Lyrik im Mittelalter gegeben wird.
  • Grammatik der romanischen Sprachen (Bonn 1836?38, 3 Bde.; 4. Aufl., Bonn. 1876?77; engl. v.n Cayley, 1862; franz. v. Brachet u. a., 1872?76).
  • Etymologisches Worterbuch der romanischen Sprachen (Bonn 1853, 2 Bde.; 4. Aufl. v. A. Scheler, Bonn 1878), zu dem Jarnik einen Index herausgab (Berlin 1878). Beide Werke behandeln diese Sprachen zum ersten Mal vom vergleichenden historischen Standpunkt aus und sind dadurch fur die romanische Philologie epochemachend geworden.
  • Altromanische Sprachdenkmale (Bonn 1846).
  • Zwei altromanische Gedichte (Bonn 1852).
  • Uber die erste portugiesische Kunst- und Hofpoesie (Bonn 1863).
  • Altromanische Glossare, berichtigt und erklart (Bonn 1865).
  • Romanische Wortschopfung . In: Friedrich Diez: Grammatik der Romanischen Sprachen . 4. Auflage. Eduard Weber, Bonn 1875, Anhang. Auch in: Richard Baum und Wolfgang Hillen unter Mitarbeit von Jutta Robens: Romania und Latinitas. Die Entstehung romanischer Schrifttumsgemeinschaften . Romanistischer Verlag, Bonn 2023, Anhang (Faksimile). (siehe dort auch die tabellarische Auflistung der 860 lateinischen Worter mit Entsprechungen in alphabetischer Anordnung, samt Statistiken, S. 88?168)
  • Kleinere Arbeiten und Rezensionen (hrsg. v. Breymann, Munchen 1883).

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wikisource: Friedrich Christian Diez  ? Quellen und Volltexte
Commons : Friedrich Christian Diez  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Paul Wentzcke : Burschenschafterlisten. Zweiter Band: Hans Schneider und Georg Lehnert: Gießen ? Die Gießener Burschenschaft 1814 bis 1936. Gorlitz 1942, A. Teutsche Lesegesellschaft (Teutonia). Nr. 9.