Der
Vertrag von Trianon
, auch
Friedensvertrag von Trianon
oder
Friedensdiktat von Trianon
, war einer der
Pariser Vorortvertrage
, die den
Ersten Weltkrieg
formal beendeten. Unterzeichnet am 4. Juni 1920, besiegelte er die 1918/19 erfolgten
Sezessionen
aus dem
Konigreich Ungarn
? bis 1918 mit
Osterreich
in
Realunion
verbunden ? nach dem fur die
Doppelmonarchie
verlorenen Krieg. Ungarn musste damit volkerrechtlich verbindlich zur Kenntnis nehmen, dass zwei Drittel des Territoriums des historischen Konigreichs verschiedenen Nachbar- und Nachfolgestaaten zufielen. Die ungarische Delegation unterschrieb den Vertrag unter Widerspruch am 4. Juni 1920.
Den Pariser Verhandlungen gingen mehrere Abspaltungen einzelner Landesteile voraus:
Die Fakten waren also zum großten Teil langst geschaffen, als Ungarn Ende 1919, nach den Verhandlungen mit Osterreich, nach
Paris
eingeladen wurde. Der Vertrag wurde so spat unterzeichnet, weil das besiegte Ungarn 1918 politische Wirren durchmachte, die die Alliierten beunruhigten.
[1]
So wurde nach dem Austritt Ungarns aus der
Donaumonarchie
am 21. Marz 1919 die
Ungarische Raterepublik
ausgerufen und nach gescheiterten Verhandlungen mit der
Entente
uber die zukunftigen Grenzen Ungarns brach am 15./16. April 1919 der
Ungarisch-Rumanische Krieg
aus. Der
Vertrag von St. Germain
(von Osterreich am 10. September 1919 unterschrieben) hatte uberdies bereits die Entscheidung getroffen, dass
Deutsch-Westungarn
an Osterreich fallt. Ungarn forderte erfolglos eine Revision und eine Volksabstimmung uber die abzutretenden Gebiete. Wie Osterreich wurde Ungarn von der Entente als Kriegsverlierer und nicht als gleichwertiger Verhandlungspartner betrachtet.
Schließlich unterzeichnete Ungarn am 4. Juni 1920 den Friedensvertrag im Versailler Palais
Grand Trianon
. Fur Ungarn unterschrieben
Agost Benard
, Minister fur Wohlfahrt, und
Alfred Drasche-Lazar
, Botschafter. Der Vertrag bestatigte zumeist nur die faktisch bereits bestehende Situation.
Zu den unterzeichnenden Machten zahlten
Großbritannien
,
Frankreich
und
Italien
,
Japan
,
Belgien
,
Siam
,
Griechenland
,
Nicaragua
,
Panama
, das im Herbst 1918 wiedererstandene
Polen
,
Portugal
,
Rumanien
, das neu gebildete
serbisch-kroatisch-slowenische Konigreich
(mit Serbien als erstem von Osterreich-Ungarn im August 1914 angegriffenen Staat) und die neue
Tschecho-Slowakei
(die Exiltschechen in den USA hatten dort bereits wahrend des Krieges fur ihren gemeinsamen Staat mit den Slowaken argumentiert). Die
Vereinigten Staaten
unterzeichneten den Vertrag nicht. Ungarn und die USA beschlossen den Frieden in
Washington, D.C.
mit einem separaten Vertrag auf Grundlage des
Vertrags von Trianon
, jedoch ohne die Artikel zum
Volkerbund
, bei dem die USA nur
Beobachterstatus
hatten.
Deutsch-Westungarn, seit 1919 von den Osterreichern
Burgenland
genannt, sollte an Osterreich angeschlossen werden; eine der wenigen Bestimmungen des Vertrags von Trianon, die bei der Unterzeichnung noch nicht realisiert waren. Ungarische Freischarler beschossen jedoch die osterreichische Gendarmerie und verhinderten vorerst die Verwaltung des Burgenlandes durch Osterreich. Odenburg (
Sopron
) war als Landeshauptstadt vorgesehen. Die in der Stadt und den umgebenden Dorfern im Dezember 1921 auf Vermittlung Italiens abgehaltene
Volksabstimmung
ging zugunsten Ungarns aus; der Großteil des Burgenlandes wurde im Herbst 1921 ohne Volksabstimmung an Osterreich angegliedert.
- Kriegsschuldparagraph (Art. 161)
- Artikel uber die Wiedergutmachung, der keine genaue Reparationssumme enthielt
- Artikel zu Rustungsbeschrankungen: Beschrankung der Streitkrafte auf ein langdienendes Berufsheer von 35.000 Mann ohne schwere Artillerie, Panzertruppen und Luftstreitkrafte: ausschließlich bestimmt fur die Verteidigung der Grenzen und fur die
Innere Sicherheit
; die Einhaltung der Abrustungsauflagen und der Aufrustungsbeschrankungen sollte eine interalliierte Kontrollkommission uberwachen
[2]
- Gebietsabtretungen, die mehr als zwei Drittel (von 325.411 km² auf 93.073 km²)
[3]
des Reichsgebietes betrafen.
- die heutige
Slowakei
und die
Karpatoukraine
an die
Tschechoslowakei
,
- das heutige
Burgenland
an
Osterreich
,
- Kroatien
,
Slawonien
,
Međimurje
,
Prekmurje
, die Regionen
Batschka
und Sud-
Baranya
(Dravakoz) und Teile des
Banats
an das
Konigreich der Serben, Kroaten und Slowenen
,
- Siebenburgen
mit dem Rest des Banats und mit
Partium
an
Rumanien
(Art. 45?47),
- ein kleines Gebiet mit 14 Dorfern im außersten Norden wurde
Polen
zugesprochen,
- die
Freie Stadt Fiume
(St. Veit am Flaum bzw. Fiume bzw. Rijeka) wurde ein eigener Freistaat, nachdem Ungarn auf alle Rechte und Anspruche verzichtete. (Art. 53). 1924 wurde das Gebiet zwischen Italien und dem Konigreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat) aufgeteilt, wobei die Stadt Fiume an Italien fiel.
Weil die Grenzen oft nach strategischen Aspekten gezogen wurden, gerieten etwa drei Millionen
Magyaren
unter fremde Oberhoheit.
[4]
Die meisten Magyaren außerhalb Ungarns lebten in Grenzgebieten ? in der sudlichen
Slowakei
, in der
Karpatoukraine
(1.072.000), in der
Vojvodina
(Nordserbien), in
Partium
und in
Prekmurje
(
Slowenien
, 571.000) sowie in
Rumanien
(1.664.000; Angaben auf Grundlage der Volkszahlung von 1910).
[5]
In Rumanien und in der heutigen Slowakei gab es Inseln mit uberwiegend ungarischer Bevolkerung, heute sind die Ungarn dort teilweise die Minderheit.
Trianon loste allerdings die Nationalitatenproblematik im klein gewordenen Ungarn weitgehend. Nach der Volkszahlung von 1920 hatten nur noch 10,4 % der Gesamtbevolkerung (833.475) eine andere Muttersprache als Ungarisch, darunter 551.211
Deutsche
(6,9 %) und 141.882
Slowaken
(1,8 %), 473.000 Menschen bekannten sich zum
mosaischen Glauben
.
[6]
Außerdem wurden 23.760
Rumanen
, 59.875
Kroaten
, 17.131
Serben
gezahlt
[7]
, dazu kamen 60.748 ubrige (unter anderen
Slowenen
,
Bunjewatzen
und
?okci
). Zugleich gaben 399.176 Personen an, dass sie der slowakischen, 179.928 der serbischen oder kroatischen und 88.828 der rumanischen Sprache machtig seien.
Die Magyaren waren nach dem Vertrag von Trianon entrustet und schockiert, da die abgefallenen bzw. abzutretenden Gebiete seit dem 11. Jahrhundert nach und nach zum
Konigreich Ungarn
gekommen waren. Die Losung der damaligen Widerstandskampfer lautete ?Nein! Nein! Niemals!!“
(ungarisch: Nem! Nem! Soha!!)
. Die Flaggen im gesamten Ungarn wurden bis zum
Ersten Wiener Schiedsspruch
1938 auf halbmast gesenkt. Erst dann wurden sie wieder um ein Drittel gehoben (also auf 5/6 gehisst).
In den 1930er-Jahren mussten die Schuler am Schultagsbeginn ein Gebet sprechen, in dem die Revision, d. h. die Wiederherstellung
Großungarns
gefordert wurde
(Ich glaube an einen Gott, ich glaube an eine Heimat, ich glaube an eine ewige gottliche Gerechtigkeit, ich glaube an die Auferstehung Ungarns! ? Ungarisch: Hiszek egy Istenben, Hiszek egy hazaban, Hiszek egy Isteni orok igazsagban, Hiszek Magyarorszag feltamadasaban!)
.
Die
Wiener Schiedspruche
von 1938 und 1940 unter der Regie des nationalsozialistischen Deutschlands korrigierten Trianon im Sinn Ungarns, wurden aber 1945/47 fur ungultig von Anfang an (?ex tunc“) erklart. Somit ist der Vertrag von Trianon (so wie der von St. Germain mit Osterreich) nach wie vor gultig und Teil des Rechtssystems aller Nachfolgestaaten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Ergebnisse der
Pariser Friedenskonferenz
fur die
Tschechoslowakei
kleine Gebietsgewinne sudlich von
Bratislava
/Pozsony/Pressburg gebracht. Seit 1945 hat den Vertrag von Trianon keine Großmacht in Frage gestellt.
Am 4. Juni 2010 ? also 90 Jahre nach Unterzeichnung des Vertrags ? beging das ungarische Parlament zum ersten Mal den so genannten
Tag der nationalen Zusammengehorigkeit
.
[8]
Die Slowakei fuhlte sich damit provoziert.
[9]
- Am 29. Januar 1919 schlossen sich Burger von
Balassagyarmat
den Soldaten von Hauptmann
Zsigmond Vizy
an und vertrieben die eindringenden tschechoslowakischen Truppen, die versuchten, die Grenzen der Tschechoslowakei nach Suden zu verschieben. Damit verblieben die betroffenen 18 Dorfer sudlich des Flusses
Ipoly
bei Ungarn.
- Am 1. August 1920 verjagten Grenzpolizisten aus
Kerca
(
Prekmurje
) mit Unterstutzung von Aufstandischen aus Kerca und
Szomoroc
die serbisch-kroatisch-slowenischen Truppen aus Szomoroc. Nach langen Verhandlungen wurde Szomoroc am 9. Februar 1922 nach Ungarn eingegliedert. 1943 wurden die beiden Dorfer unter dem Namen
Kercaszomor
vereinigt.
- In zehn, entsprechend dem Vertrag Osterreich zugeordneten Dorfern kam es zu Ausschreitungen. Daraufhin kam es in diesen Dorfern zu Volksabstimmungen, die dazu fuhrten, dass sie zwischen dem 10. Januar 1923 und dem 9. Marz 1923 wieder zu Ungarn kamen. Dabei handelte es sich um die Dorfer
Fels?csatar
(damals Alsocsatar und Fels?csatar),
Horvatlov?
,
Narda
(damals Kisnarda und Nagynarda),
Olmod
,
Pornoapati
,
Szentpeterfa
und
Vaskeresztes
(damals Nemetkeresztes und Magyarkeresztes). Ursprunglich waren die Dorfer
Liebling/Rendek
und
Rattersdorf/R?tfalva
statt Olmod und Szentpeterfa zu Ungarn zuruckgekommen (siehe auch
Volksabstimmung 1921 im Burgenland
).
- 1924 wurden
Somosk?ujfalu
und
Somosk?
durch die tschechoslowakisch-ungarische Grenzkommission von der Tschechoslowakei an Ungarn abgetreten.
- 1947 wurde der
Bruckenkopf bei Bratislava
der Tschechoslowakei zugesprochen, heute gehort das Gebiet zur
Slowakei
.
- In
Budapest
gibt es seit 2008 ein Trianonforschungsinstitut, welches vierteljahrlich eine Zeitschrift mit dem Namen
Trianoni Szemle
und dem Untertitel
Historisches Magazin des Großungarns
herausgibt.
[10]
- In
Varpalota
gibt es ein ?Trianon-Museum“.
[11]
- Am 31. Mai 2010 erklarte die
Nationalversammlung
den 4. Juni zu einem nationalen Gedenktag, dem
Tag der nationalen Zusammengehorigkeit (Nemzeti osszetartozas napja)
.
- Jeden Nachmittag um 17:00 Uhr wird seit 2008 in Erinnerung an die Unterzeichnung des Vertrages von Trianon von allen Lautsprechern der Stadt Esztergom eine Melodie auf der
Tarogato
abgespielt. Die Musik auf diesem nationalen ungarischen Instrument soll die Trauer uber den Verlust von zwei Dritteln des Landes durch den Vertrag von Trianon unterstreichen.
[12]
- ↑
Pim den Boer, Heinz Duchhardt,
Georg Kreis
, Wolfgang Schmale: Europaische Erinnerungsorte 2: Das Haus Europa, Oldenbourg Verlag, 2011,
ISBN 978-3-486-70419-8
, S. 510.
- ↑
Beschrankung der Streitkrafte auf ein langdienendes Berufsheer (Art. 103) von 35.000 Mann (Art. 104) ohne Luftstreitkrafte (Art. 128); siehe auch Teil XI. Luftfahrt (Art. 260 bis 267)
- ↑
Herbert Kupper:
Das neue Minderheitenrecht in Ungarn
. Oldenbourg, Munchen 1998,
ISBN 3-486-56378-5
, S. 77.
- ↑
Paul Lendvai
:
Die Ungarn. Eine tausendjahrige Geschichte
. Goldmann, Munchen 2001,
ISBN 3-442-15122-8
, S. 418.
- ↑
Aniko Kovacs-Bertrand:
Der ungarische Revisionismus nach dem Ersten Weltkrieg. Der publizistische Kampf gegen den Friedensvertrag von Trianon (1918?1931)
. Verlag Oldenbourg, Munchen 1997,
ISBN 3-486-56289-4
, S. 91 und 213.
- ↑
Jorg K. Hoensch
:
Geschichte Ungarns
1867?1983. Stuttgart 1984,
ISBN 3-17-008578-6
, S. 103.
- ↑
Georg Brunner,
Gunther H. Tontsch
(Hrsg.):
Der Minderheitenschutz in Ungarn und in Rumanien.
Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen
, Bonn 1995,
ISBN 3-88557-133-1
, S. 20.
- ↑
Tschechiens Solidaritat mit der Slowakei: Ungarn gefahrdet die Stabilitat
veroffentlicht am 7. Juni 2010, abgerufen am 25. Dezember 2010.
- ↑
?Friedensdiktat von Trianon“: Slowakei fuhlt sich provoziert.
In:
Wiener Zeitung
, 3. Juni 2010, abgerufen am 7. November 2013.
- ↑
Egyeves a Trianoni Szemle
(Ungarisch) veroffentlicht am 29. Dezember 2009, zuletzt abgerufen am 29. Dezember 2010.
- ↑
Informationsseite
(
Memento
vom 11. August 2011 im
Internet Archive
) (Ungarisch) zuletzt abgerufen am 29. Dezember 2010.
- ↑
Ursula Rutten / Kai Kimmich:
Eine Pilgerreise auf den Spuren des magyarischen Christentums | NZZ.
Abgerufen am 3. Juni 2020
.