Ein Gluck

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?Die neue Rundschau“ mit dem Erstdruck von Ein Gluck , 1904

Ein Gluck (Untertitel: Studie ) ist eine Erzahlung von Thomas Mann , die zunachst 1904 in der Literaturzeitschrift Die Neue Rundschau publiziert und zehn Jahre spater in den Sammelband Das Wunderkind (1914) aufgenommen wurde.

Inhalt [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im Garnisonsstadtchen Hohendamm spielen sich die Husaren -Offiziere als Herren auf und schlagen dabei manchmal uber die Strange, allen voran Rittmeister Baron Harry. Seine Husarenstuckchen gehen so weit, dass er sich mitunter uber seine Opfer ? etwa einen Backerburschen, dem er einen großen Korb mit Semmeln abnimmt, um sie in die Fluss zu schleudern ? lustig macht und glaubt, dies mit Geld wiedergutmachen zu konnen. Sogar vor seiner Gattin, der stillen und schwachen Baronin Anna, macht der forsche Rittmeister mit seinen tiefen Krankungen nicht Halt. Trotzdem liebt sie ihn feig und elend, obgleich er sie betrog und taglich ihr Herz behandelte wie ein Knabe .

In Gugelfings Bierhalle treten die ?Wiener Schwalben“ auf, eine fahrende Truppe von etwa dreißig singenden Damen. Die berittenen Edelleute der Garnison besuchen die Auftritte der jungen Variete -Sangerinnen und kommen auf die Idee, zehn der hubschesten ?Schwalben“ fur eine private Feier in Anwesenheit ihrer Ehefrauen zu engagieren.

Hieraus ergeben sich verschiedene Gefuhlsverwicklungen. Der vertraumte Avantageur , ein junger Dichter, der insgeheim die arme, kleine Baronin Anna verehrt, wird von seinem Platz am Klavier verscheucht, weil er laut Baron Harry statt eines Walzers nur Trauergelaute zustande bringt. Harry aber mochte etwas Schwungvolles mit Rhythmus . Als er dann ausgelassen mit Emmy, der jungsten und hubschesten der Schwalben tanzt und dabei von seiner Frau beobachtet wird, stellt Anna plotzlich fest, dass diese wilde Emmy mit den dunklen Mandelaugen hin und wider auch nach ihr selbst schaut und dass ihre eigene Sehnsucht nach der kleinen ?Schwalbe‘ heißer und tiefer war als Harrys . Damit nicht genug: Bei alledem merkt niemand weit und breit , dass Emmy, dieses kleine verwahrloste Geschopf, das der Wein sentimental machte, den ganzen Abend zu dem jungen Avantageur hinuberschmachtet.

Anna muss zunachst tatenlos mit ansehen, wie ihr Gatte, dieser Wicht und Fant , der grundlich ordinaren , aber wundervollen Emmy den ganzen Abend den Hof macht. Als der Rittmeister sie dann sogar in aller Offentlichkeit korperlich bedrangt und dabei der Widerstrebenden seinen Ehering ansteckt, steht Anna auf und verlasst den Ort ihrer Demutigung. Und da begibt sich etwas ganz Seltsames . Emmy ergreift fur Anna Partei, bezeichnet Harry als gemein , gibt Anna den Ring zuruck und druckt ihr einen weichen, inbrunstigen Kuss auf die Hand. Anna, ganz entzuckt und bezaubert, weil dies Narrchen von einer Landstreicherin zu ihr gekommen ist, erlebt fur einen Augenblick das Gluck, das entsteht, wenn jene zwei Welten, zwischen denen die Sehnsucht hin und wider irrt, sich in einer kurzen, trugerischen Annaherung zusammenfinden.

Zur Form [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Still! Wir wollen in eine Seele schauen. Im Fluge gleichsam, im Voruberstreichen und nur ein paar Seiten lang, denn wir sind gewaltig beschaftigt. Schon diese einleitenden Worte zeigen, dass der Autor seinem Text den Charakter einer scheinbar beilaufigen Studie nicht zuletzt dadurch verleiht, dass er ihn einrahmt in den empathischen Kommentar eines wohlwollenden Erzahlers, der sich wahrend der fluchtigen Niederschrift gerade auf Reisen befindet, gerade aus Florenz zuruckkommt, wo er schwierige Angelegenheiten zu erledigen hatte, und nun nur wenig Zeit erubrigen kann, die Geschichte der kleinen Baronin Anna zu skizzieren, zu wenig Zeit, um in eine Seele zu schauen und in Worte zu fassen, was alles sich hinter deren armen Lacheln verbirgt . Dieser vaterliche Erzahler verneigt sich nicht nur vor Anna wie vor einem Kind, sondern nimmt auch seine Leser gleichsam leutselig plaudernd bei der Hand, spricht sie direkt an ( Seht doch die kostbare kleine Einzelheit! ) und zeigt ihnen ? hin und wieder in die ?erlebte Rede“ wechselnd ? die Welt ganz aus Annas empfindsamer Perspektive, bevor er sich ebenso schnell wie teilnahmsvoll wieder von ihr verabschiedet: Wir verlassen dich, Baronin Anna, wir kussen dir die Stirn, leb' wohl, wir enteilen! Schlafe nun! Du wirst die ganze Nacht von der ?Schwalbe‘ traumen, die zu dir kam, und ein wenig glucklich sein.

Zum Hintergrund [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die kurze Erzahlung entstand als Auftragsarbeit fur das erste Heft der Neuen Rundschau . Thomas Manns Duzfreund Kurt Martens hatte ihm im Sommer 1903 eine ?Casino-Geschichte“ erzahlt, die er wahrend seiner Militarzeit in einem Husarenregiment miterlebt hatte. Thomas Mann vermerkte im Notizbuch 7 einige Stichworte, die er im November 1903 fur die Niederschrift von Ein Gluck verwendete. Die einleitenden Worte des Erzahlers Wir kommen aus Florenz, aus alter Zeit verweisen auf die Arbeit am Drama Fiorenza . Er ist unterwegs in ein Konigsschloß , den geplanten Roman Konigliche Hoheit . Hermann Kurzke sieht in der Geschichte eine ?dezente Rache“ an Paul Ehrenberg . [1]

Die Sehnsucht des Ernsthaften, Ungeschickten, gesellschaftlich nicht Gewandten nach dem lebenstuchtigen, ?ordinaren“ Liebling der Gesellschaft ist ein Motiv, das bei Thomas Mann nicht selten auftritt. Tonio Kroger etwa empfindet sie, auch Paolo Hofmann (in Der Wille zum Gluck ) und viele andere seiner Protagonisten erleben Ahnliches. Ungewohnlich ist jedoch, dass in Ein Gluck eine Frau eine Frau begehrt, wahrend die Sehnsuchtssubjekte und -objekte bei Thomas Mann sonst in der Regel mannlichen Geschlechts sind.

Zur Rezeption [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Mit tiefster Bewunderung zitierte Franz Kafka, wie sein Freund Max Brod berichtet, den ersten Satz der Erzahlung (Max Brod, Thomas Mann im Urteil seiner Zeit: Dokumente 1891-1955 , ed. Klaus Schroter, Hamburg: Christian Wegner, 1969, S. 127).
  • Hans R. Vaget fuhrt einige Details auf, wie das Faible des Autors fur ?das Motiv der gleichgeschlechtlichen Neigung“ und bezeichnet die Kasino-Novelle als Kitsch .
  • Peter Sprengel nimmt sie in seiner Literaturgeschichte nicht mit ins Register auf.

Ausgaben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Die Neue Rundschau , 15. Jahrgang 1904, Heft 1.
  • Das Wunderkind. Novellen. S. Fischer, Berlin 1914.
  • Samtliche Erzahlungen. S. Fischer, Frankfurt am Main 1963.
  • Samtliche Erzahlungen. Band 1. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-10-348115-2 , S. 332?344.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. 2001, S. 133.