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Dschabal Sindschar

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Dschabal Sindschar
Dschabal Sindschar aus dem Orbit
Dschabal Sindschar aus dem Orbit

Dschabal Sindschar aus dem Orbit

Hochster Gipfel Cel Mera ( 1463  m )
Lage Provinz Ninawa , Irak
Dschabal Sindschar (Irak)
Dschabal Sindschar (Irak)
Koordinaten 36° 22′  N , 41° 42′  O Koordinaten: 36° 22′  N , 41° 42′  O

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Der Dschabal Sindschar ( arabisch ??? ?????   Dschabal Sindsch?r , DMG ?abal Sin??r ; kurdisch ???? ??????? / ??????? Ciyaye ?ingal/?ingar ) ist ein Hohenzug im Nordirak westlich der Stadt Mossul nahe der syrischen Grenze, der von der bereits in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts endgultig zerstorten jesidischen Bauern- und Hirtenkultur gepragt worden ist. [1]

Die Lage des Dschabal Sindschars

Der lang gestreckte, weitgehend verkarstete Dschabal Sindschar erhebt sich in einer relativen Hohe von etwa 500 bis 1000 Metern unvermittelt aus einer semiariden , teils im Trockenfeldbau genutzten Ebene zwischen den beiden Flussen Tigris und Chabur und gehort zu Dschazira . [2] Er erstreckt sich uber etwa 60 km ungefahr von Osten nach Westen. An seiner hochsten Stelle erreicht der Dschabal Sindschar mit dem Cel Mera (auch Chermera , deutsch ?Vierzig Manner“) 1463 Meter. Seine Scheitelregion ist abgetragen , sodass er heute aus mehreren Schichtkammen besteht, in denen Gesteine des Eozans und der Kreidezeit zutage treten. Die hochsten Gipfel werden von machtigen Kalkblocken gebildet. [3] Am sudlichen Fuß des Hohenzuges liegt die Stadt Sindschar . Dort verlauft eine seit dem 11. Jahrhundert benutzte Straße von Mossul nach Ar-Raqqa in Syrien.

Dschabal Sindschar, Ausschnitt: tief eingeschnittene Taler am Sudhang, Schichtkamme am Scheitel, Steilabfall nach Norden
Der Dschabal Sindschar innerhalb anderer antiklinalen Strukturen in der Provinz

Der Dschabal Sindschar liegt im Nordosten der Nordarabischen Platte und ist der an der Erdoberflache sichtbare Teil des gleichnamigen, etwa 150 km langen Sindschar-Hebungsgebietes. Die im Zentrum des Hebungsgebietes um bis zu 1,5 km gehobenen Gesteinsschichten entstammen einem Zeitraum vom Palaozoikum bis zum Kanozoikum . Das kristalline Grundgebirge liegt in etwa sechs Kilometer Tiefe. Die genaue Zusammensetzung der tieferen Schichten des Deckgebirges ist nicht bekannt, denn Gesteine des Kambriums wurden bisher nicht erbohrt. Machtige Tonsteine des Ordoviziums sind allerdings mehrfach angetroffen worden, ebenso das untere Silur . Gesteine des oberen Silurs und des Devons fehlen komplett, erst im Karbon wurden wieder klastische Gesteine in einer langgestreckten Grabenzone abgelagert . Aus dem Oberkarbon wie auch aus dem unteren Perm sind keine Ablagerungen uberliefert. Dies konnte auf Erosion der betreffenden Schichten in der fruhen Trias zuruckzufuhren sein. Bis zum Ende des Jura wurden danach Flachwassersedimente abgelagert ( Dolomite , Kalksteine , Mergel und Sandsteine ), von denen vor allem die machtigen Dolomite der Trias uberliefert sind, wahrend die jungeren Schichten wiederum weitgehend erodiert wurden. Wahrend des Oberen Jura und der Kreide wurde die Sedimentation wesentlich von Grabenbildung beherrscht, die vor einer nordlichen Hauptabschiebung zu Ablagerung der machtigen Shiranish-Formation fuhrte. Auch im fruhen Tertiar bis ins Miozan herrschte Ablagerung im Gebiet des spateren Dschabal Sindschar, die vorher so regen Grabenbildungsvorgange waren jedoch zum Erliegen gekommen. Die Ablagerungen sind vor allem von Kalksteinen, Gips und Anhydrit bestimmt, die im Pliozan in Ton- und Sandsteine und Konglomerate ubergehen. [4]

Im Gefolge der Zagros - Faltung des Pliozans unterlag das gesamte Gebiet der nordlichen Arabischen Platte einer starken, in etwa von Nord nach Sud gerichteten Spannung. Vor allem die machtige Sedimentfolge, die sich in der zwischen Karbon und Oberkreide immer wieder aktiven Grabenzone abgelagert hatte, wurde an der nordlichen Grabenstorung nach Norden aufgeschoben und das Grabeninnere emporgehoben. Die am hochsten aufgewolbten Gesteinsschichten wurden erodiert, so dass zwischen den in der Umgebung verbreitet die Oberflache bildenden Schichten des Quartars und jungeren Tertiars im Kern der Aufwolbung altere Schichten zu Tage traten. [5] Ahnlich wie der weiter westlich in Syrien gelegene Dschabal Abd el-Aziz ist der Hohenzug des Dschabal Sindschar so der oberflachliche Ausdruck einer erdgeschichtlich sehr jungen Antiklinale mit einer komplizierten Entstehungsgeschichte. [6] [7] Der asymmetrische Aufbau dieser Antiklinale spiegelt sich in der heutigen Oberflachenform wider: tief eingeschnittene Taler zerfurchen den maßig steilen Sudhang und fast flach lagernde Schichtkamme bilden seinen Scheitel, wahrend der Nordhang steil abfallt (s. nebenstehendes Foto).

Am Dschabal Sindschar herrscht ein semiarides subtropisches Klima mediterraner Auspragung mit heißen trockenen Sommern und kuhlen feuchten Wintern. Vergleichbare Klimawerte liegen fur die Stadt Sindschar am Fuß des Hohenzuges vor. Dort liegt das Temperaturmaximum mit einem Tagesdurchschnitt von 33,9 °C im Juli und im August, das Maximum der Niederschlage mit 84 mm im Januar. Die Jahresdurchschnittstemperatur betragt 20 °C. Die Jahresniederschlage haben eine Hohe von 449 mm. Je nach Hohenlage liegen die Temperaturwerte im Dschabal Sindschar im Schnitt niedriger und die Niederschlagswerte hoher. [8] Das fuhrt dazu, dass die Kammregionen im Winter eine dauerhafte Schneekappe tragen. [9] [10]

Die Zone oberhalb von 800 Metern ist potentielles Waldgebiet, doch aufgrund menschlicher Einwirkungen wie Holzeinschlag und Beweidung sind die dort zu erwartenden Eichenwalder fast nur noch sehr licht oder in unzuganglichen Gebieten zu finden. Sie wurden weitgehend durch eine an die Hohenlage angepasste Steppenflora ersetzt. Große Bereiche dieser Zone werden von Gesteinsfluren gepragt. Wegen der geringeren Niederschlage herrscht unterhalb von 800 Metern eine warmeliebende Steppenflora vor. In den tief eingeschnittenen Talern, an meist temporaren Wasserlaufen gedeiht dort, wo sie nicht durch Ackerterrassen ersetzt worden ist, eine artenreiche Schluchtenvegetation, fur die die wilde, von den Jesiden kultivierte Feige ( Ficus carica ) typisch erscheint. [11]

Ab 1965 wurden viele jesidische Dorfer zerstort und die Bewohner umgesiedelt. [12] Seitdem unterliegen ehemals gepflegte Nutzflachen einer sekundaren naturlichen Sukzession . Sie verkrauten und verbuschen. Wo Terrassen zusammenbrechen und die Bewasserungsanlagen zerfallen, kann sich eine mediterrane Macchie ausbreiten. Die Bodenerosion schreitet voran. Eichen - und Ahornwalder (beispielsweise Acer monspessulanum subsp. cinarescens [13] ) dagegen konnen sich erholen, wenn sie weiterhin nicht mehr der Holzgewinnung und Beweidung dienen. [1]

Terrassen in einem Tal des Dschabal Sindschar: Trockenfeldbau an den steileren Hangen, Bewasserung im flacheren Bereich

Die Bodennutzung des von den Jesiden gepragten Dschabal Sindschar geschieht hauptsachlich durch Beweidung. Neben den offenen Flachen, die weitgehend uberweidet sind, werden auch Walder als Schafweiden genutzt. Außerdem werden, meist auf in den Talern gelegenen und teilweise terrassierten und bewasserten Ackerflachen, hauptsachlich Getreide , Gemuse und Tabak angebaut. Im islamischen Mittelalter wurden hier auch Maulbeeren fur eine florierende Seidenproduktion kultiviert. An den Hangen folgen Obsthaine. Historische Berichte ruhmen vor allem die Feigen und Datteln des Dschabal Sindschar. [14] ( Karte ) [15]

Ein jesidischer Hirte holt an einer Quelle des Dschabal Sindschar Wasser fur seine in hoheren, trockenen Regionen weidende Herde

Ein Großteil des Viehbestandes kommt saisonal mit Wanderhirten aus Dorfern außerhalb des Dschabals, entspricht also dem Transhumanz -System. Die Bewohner des Dschabals dagegen pflegen eine ganzjahrige Beweidung, die nur unterbrochen wird, wenn das Vieh im Sommer zwischenzeitlich auf abgeerntete Weizen - und Gerstefelder getrieben wird. Im Winter wird zugefuttert. Alle Hirten haben freien Zugang zum Weideland, fur das keine speziellen Eigentumsrechte bestehen und fur das es auch keine offentlichen Institutionen gibt, die die Beweidung organisieren. Der Vergleich von Satellitenaufnahmen der Jahre 1988 und 1995 zeigt eine starke Degradation der naturlichen Pflanzendecke, wofur auch die Uberweidung verantwortlich ist. Dieser Prozess dauert weiterhin an. Er wird verstarkt durch ein Nachlassen der Niederschlage in den letzten Jahren. [16] [17]

Brach liegende Terrassen

Mit der Zerstorung jesidischer Dorfer, der Umsiedlung ihrer Bewohner in Zentraldorfer außerhalb des Hohenzuges im Rahmen der irakischen Arabisierungspolitik und der damit einhergehenden Landflucht ist die angestammte jesidische Bauern- und Hirtenkultur untergegangen. [18] [19] Der Acker- und Gemusebau innerhalb des Dschabal Sindschar dient heute großteils der Selbstversorgung . Die jesidischen Bauern, die in den Zentraldorfern wohnen, gelangen nur auf beschwerlichen Wegen zu ihren manchmal weit entfernten Nutzflachen im Innern des Hohenzuges. Sie betreiben die Land- und Weidewirtschaft oft nur mehr im Nebenerwerb . Sie pendeln in weit entfernte Stadte, in denen sie Arbeit finden konnen, und kommen nur in mehrmonatigem Abstand zu den im Dschabal Sindschar oder in den Zentraldorfern verbliebenen Familien zuruck. [20]

Die großen Kalkstein- und Gipsvorkommen des Dschabal Sindschar sind die Grundlage fur eine 1981 gegrundete Zementfabrik , die 1985 den Betrieb aufgenommen hat und wegen der Kriege in der Region von Beginn an immer wieder außer Betrieb war. Sie liegt etwa 20 Kilometer ostlich der Stadt Sindschar an der Fernstraße 715 Richtung Mossul. Das Rohmaterial stammt von den ostlichen Auslaufern des Hohenzuges ( Karte ). [21]

Singara und Trogoditi. persi. (recte Troglodytae persae ): die Stadt Singara (Sindschar) und ?persische Hohlenbewohner“, womit die Bewohner der Hohlen im Dschabal Sindschar gemeint sind, [22] auf der Tabula Peutingeriana , der mittelalterlichen Kopie einer romischen Straßenkarte
Karstlandschaft des Dschabal Sindschar. Im Vordergrund der Zugang zu einer Karsthohle
Jesidisches Heiligtum Cel Mera auf dem gleichnamigen Gipfel des Dschabal Sindschar

Der zerkluftete und mit naturlichen Hohlen ausgestattete Hohenzug war in der Geschichte ein bekanntes Ruckzugsgebiet fur die Menschen der Region. Am Fuß des Dschabal Sindschar befindet sich das antike Singara , dessen Name etymologisch mit Sindschar verwandt ist. Der Hohenzug war ein Schauplatz der Kriege zwischen dem Romischen Reich und dem Partherreich . Singara diente nach der romischen Eroberung der Gegend als Stutzpunkt der romischen Legion Legio I Parthica . Der Dschabal selbst gehorte zur neuen romischen Provinz Mesopotamia , die aber nur kurze Zeit bestand. Spater war der Hohenzug Schauplatz der Kampfe zwischen Byzanz und dem Sassanidenreich . Fur die Region sind mehrere Bischofe , die entweder nestorianisch oder jakobitisch waren, bezeugt. Des Weiteren lebten hier auch Zoroastrier und Juden . Die islamische Eroberung des Gebietes bewirkte einen Niedergang der christlichen Kultur. Der Dschabal Sindschar wurde Teil der Provinz Diyar Rabia und arabische Stamme kamen in die Region.

Das Gebiet wurde 970 von den Hamdaniden erobert und bluhte spater unter einem Seitenzweig der Zengiden auf. Diesen folgten in der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts die Ayyubiden . Mundlich tradierte Berichte von Jesidenstammen des ostlichen Dschabal Sindschar verbinden das Eindringen des Jesidentums in den Dschabal in der zweiten Halfte des 13. Jahrhunderts mit Scharaf al-Din Muhammad. Ibn Battuta dagegen berichtete im 14. Jahrhundert von kurdischen Stammen im nordlichen Dschabal Sindschar, ohne die Jesiden ausdrucklich zu erwahnen. [23] Wenig spater herrschten zunachst die Qara Qoyunlu uber die Region, danach die Aq Qoyunlu , die 1507/1508 von den Safawiden besiegt wurden.

1534 entrissen die Osmanen den Safawiden die Macht. Unter ihnen war das Gebiet um den Dschabal Sindschar ein Sandschak der Provinz Diyarbakır . In fruher osmanischer Zeit kamen weitere Jesiden in mehreren Siedlungswellen hauptsachlich aus dem Scheichan -Gebiet in den Dschabal Sindschar. Dabei ersetzten und erganzten sie allmahlich die vorhandene christliche Bevolkerung, die ihre Identitat erhalten konnte. [23] Im 17. Jahrhundert lebten laut dem osmanischen Reisenden Evliya Celebi am Dschabal Sindschar, der damals in Anspielung auf die Haartracht der Jesiden auch Saclı Da?ı (?Berg der Haarigen“) genannt wurde, etwa 45.000 jesidische und sufitische Kurden (?Bapiri“), wahrend in der Stadt Sindschar auch Araber wohnten. Evliya beschrieb ausfuhrlich, wie im Jahr 1640 osmanische Truppen unter dem Kommando von Mustafa Pascha Firari 300 Dorfer der Jesiden verheerten und etwa 1000 bis 2000 Jesiden, die in Hohlen Zuflucht gesucht hatten, toteten. [24]

Austen Henry Layard: Skizze aus dem Inneren eines jesidischen Hauses im Sindschar (1847)

Bis 1830 war das Gebiet Teil des Sandschaks Mardin . Danach gehorte es zu Mossul. In den 1830er Jahren begann der ambitionierte kurdische Furst Mohammed Pascha Rewanduz von Soran einen Feldzug gegen die Jesiden. Dabei kamen viele Menschen ums Leben und viele Jesiden flohen nach Mossul. Der britische Archaologe Austen Henry Layard nahm im Oktober 1846 an einer osmanischen Expedition Tajar Paschas in den Dschabal Sindschar teil, bei der das durch einen fruheren Gouverneur von Mossul zugrunde gerichtete Gebiet untersucht werden sollte. Die Unternehmung endete mit der Zerstorung eines jesidischen Dorfes und der Totung vieler Bewohner. Layard berichtete daruber und uber die Lebensumstande der Jesiden im Dschabal Sindschar. Er war der erste Europaer, der umfangreich uber die Jesiden schrieb, deren ?Fest der Versammlung“ (Cejna Cema?iye) er in Lalisch erleben konnte. Layard fuhrte aus, dass die jesidischen Bewohner des Hohenzugs nicht nur immer Gefahr liefen verfolgt zu werden, sondern auch selbst eine standige Gefahr fur die Durchreisenden der Region waren:

?Daher war es denn auch nichts Unnaturliches, daß die Jezidi jede sich bietende Gelegenheit benutzten, sich an ihren Unterdruckern zu rachen. Sie bildeten Banden und waren lange Zeit der Schrecken des Landes. Kein Bekenner Allahs, der in ihre Hande fiel, wurde geschont. Karawanen wurden geplundert und Kaufleute mitleidlos ermordet. Den Christen fielen sie aber nicht beschwerlich; denn die Jezidi betrachteten sie als Leidensbruder auf dem Felde der Religion.“

? Austen Henry Layard : Auf der Suche nach Ninive [25]

Dem osmanischen Gouverneur von Bagdad beugten sich die Jesiden nicht. [25] So kam es von 1850 bis 1864 zu einem Aufstand gegen den Gouverneur. Einige christliche Familien ubernahmen im Laufe der osmanischen Herrschaftszeit hauptsachlich in den Orten am Fuße des Dschabals, zum Beispiel in Sindschar, Jaddala , Bardahali und Sakiniyya , den Handel mit den landwirtschaftlichen Produkten aus dem Innern des Dschabals und exportierten sie in die großen Stadte wie Mossul und Bagdad und weiter ins gesamte Osmanische Reich. Von den osmanischen Regierungen auch im Dschabal Sindschar geplante Bodenreformen hatten keinen Erfolg. Sie scheiterten hauptsachlich an den sehr selbstandigen jesidischen Scheichs und M?rs und deren Familien, die als Mitglieder privilegierter Kasten um ihren Unterhalt aus den Abgaben der Stamme furchteten. [26] [27]

Treffen jesidischer Stammesfuhrer mit christlich- chaldaischen Klerikern (19. Jh.)
Eine Gruppe von Jesiden auf dem Dschabal Sindschar (um 1920)

Ab den 1880er Jahren erfuhr das Lesepublikum im deutschsprachigen Raum einiges uber die Vorgange am Dschabal Sindschar und uber die Lebensweise der Jesiden aus Karl Mays Veroffentlichungen, die im Orientzyklus zusammengefasst wurden. May stutzte sich darin auf die Schriften Austen Henry Layards, wobei er auch dessen Irrtumer ubernahm. [28]

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahmen die Verfolgungen der Jesiden des Dschabal Sindschar durch die Osmanen zu. Manche Jesiden nutzten außer der Konversion zum Islam auch den Ubertritt zum Christentum, um dem zu entkommen. Als im Laufe des Ersten Weltkriegs 1915/16 auch die Christen des Osmanischen Reiches verfolgt wurden, fluchteten viele christliche Armenier , Nestorianer ( Assyrer und katholisch unierte Chaldaer ) und Jakobiten in den Dschabal Sindschar. Sie wurden von einigen jesidischen Stammen aufgenommen und bildeten etwa 4 Prozent der Einwohner des Hohenzuges. Gleichzeitig verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Jesiden und Muslimen dramatisch und damit auch zwischen jesidischen Stammen, bei denen entweder Christen oder Muslime lebten. [23]

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Dschabal Sindschar als Teil des Vilayets Mossul von den Briten besetzt und 1924 dem Britischen Mandat Mesopotamien zugeschlagen. In dieser Zeit investierten hauptsachlich christliche und muslimische Handler aus Mossul in die Landwirtschaft des Dschabals, wie das ansatzweise auch schon in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts geschehen war. Sie unterhielten Niederlassungen in der Stadt Sindschar, finanzierten Rinder-, Schaf- und Ziegenherden und schlossen Vertrage mit den jesidischen Bauern und Hirten bzw. deren Oberhauptern uber die Lieferung von landwirtschaftlichen Gutern wie Feigen, Baumwolle, Wolle, Milchprodukten und Fleisch. Im Gegenzug kauften die Dorfbewohner und Viehnomaden vermehrt Guter, die sie nicht selbst gewinnen oder herstellen konnten, wie Zucker, Kaffee, Kleidung und Spirituosen. Damit wandelte sich ihre Subsistenzwirtschaft in Richtung auf eine angehende Marktwirtschaft. Die Guterstrome liefen meist uber Mossul, selbst der Export der Waren nach Syrien nahm diesen Weg. [29]

Wahrend des britischen Mandats gab es unter den Fuhrern der Jesiden des Dschabals Tendenzen, sich von der religiosen Dominanz Scheichans und der Vormachtstellung einer aus Scheichan stammenden Mir-Familie sowie von der Administration in Mossul zu losen. Von ihnen wurde beispielsweise vorgeschlagen, das Gebiet des Dschabal Sindschar dem franzosisch verwalteten Syrien anzugliedern. Erreicht werden sollte eine Dezentralisierung und damit eine Starkung der tribalen Zustandigkeiten. Diese politischen Turbulenzen konnte die irakische Administration mit Ruckendeckung durch die fur Sicherheit und Verwaltung des Dschabal Sindschar zustandige britische Royal Air Force beenden und ebenso die Anspruche, die die kemalistische Turkei auf das Gebiet stellte, zuruckweisen. Als der neue Staat Irak geschaffen wurde, verblieb der Dschabal Sindschar innerhalb von dessen Grenzen. [30]

LAV-25 -Radpanzer der US-Truppen im Dschabal Sindschar
Das Zentraldorf Gohbal (auch K?hbil, Gohbil, Guhbl ), nordlich des Dschabal Sindschar [31]

Seit der Unabhangigkeit des Iraks 1932 ist der Dschabal Sindschar Teil der Provinz Ninawa . Seit 1965, insbesondere in den 1970er und den 1980er Jahren wurde die kurdische Bevolkerung aus mehr als 160 Dorfern der Sindschar-Region aufgrund der Konflikte zwischen der irakischen Regierung und den Kurden im Nordirak deportiert und gezwungen, in zwolf Zentral-, Sammel- oder Modelldorfern (mudschamma?at) zu leben. Ihre ursprunglichen Dorfer wurden entweder zerstort oder aber Angehorigen arabischer Stamme uberlassen. [32] [33] [34] Seit dem Irakkrieg 2003 gab es in der Region immer wieder Anschlage sunnitischer Extremisten gegen die Jesiden. Der bisher großte Anschlag ereignete sich im August 2007 und kostete 336 Menschen das Leben. Rund 1000 Familien wurden obdachlos. [35] Der Dschabal Sindschar war auch Kampfgebiet der auf seinen Hohenzugen und in seiner Umgebung stationierten US-Streitkrafte.

Seit einigen Jahren wird diskutiert, ob der Dschabal Sindschar an die Autonome Region Kurdistan angeschlossen werden soll. [32] Im Juni 2014 nahmen kurdische Peschmerga mit Hilfe der kurdisch-syrischen Volksverteidigungseinheiten der PYD bei militarischen Auseinandersetzungen mit den Truppen des Islamischen Staats (IS) Ortschaften rund um den Dschabal Sindschar ein. [36] Im August 2014 unterstutzte die US-Marine die Peschmerga bei der Rettung von 20.000?30.000 Jesiden vor dem IS mit Luftschlagen, bei diesen Gefechten trat zum ersten Mal die jesidische Burgerwehr in Erscheinung. [37]

Am 20. Oktober traten die IS-Milizen zur Großoffensive an, konnten dabei rasch vorrucken und die Pilgerstatte Scharaf ad-Din einkesseln. Laut Augenzeugen seien die IS-Milizen mit 40 Humvees vorgeruckt. Teile der jesidischen Burgerwehren unter dem Kommando von Qasim ?e?o hatten sich dorthin zuruckgezogen. 7000 Zivilisten und einige hundert Kampfer sollen sich ins Gebirge gefluchtet haben. Die IS-Milizen konnten die Verteidiger wieder im Sindschal-Gebirge einkesseln . Am 24. Oktober gelang es den IS-Milizen, an der Sudseite des Gebirges aufzusteigen und die heilige Statte Meme Reshan unter Morserbeschuss zu nehmen. Die Verteidiger im Kessel setzten sich aus Einheiten der YPG , HPG , HP? und YB? zusammen. Die Versorgung der eingeschlossenen Zivilisten und Kampfer erfolgte sporadisch uber den Luftweg.

Commons : Dschabal Sindschar  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Eugen Wirth : Bei den Yazidi im Jebel Sinjar. In: Yazidi. Gottes auserwahltes Volk oder die 'Teufelsanbeter' vom Jebel Sinjar, Irak. Katalog zur Sonderausstellung 30. April bis 27. September 1998, Museum fur Volkerkunde Wien 1998, S. 74?76.
  2. Photo: Ebene mit Getreidefeldern vor dem Dschabal Sindschar ( Memento vom 26. November 2015 im Internet Archive ), aufgerufen am 1. Dezember 2009.
  3. Jabal Sinjar. In: Westermann Lexikon der Geographie. 2. Auflage. Braunschweig 1973.
  4. Brew 2001, Abb. 3.3: Stratigraphie (Geologie)|Stratigraphisches Profil
  5. Brew 2001, Abb. 3.4
  6. Blockbild des Dschabal Abd el-Aziz , aus Graham Brew: Tectonic Evolution Of Syria Interpreted From Integrated Geophysical And Geological Analysis. PDF, 5,6 MB, abgerufen am 19. Dezember 2009.
  7. Topographie von Dschabal Sindschar und Dschabal Abd el-Aziz. aus Graham Brew: Tectonic Evolution Of Syria Interpreted From Integrated Geophysical And Geological Analysis. PDF, 5,6 MB, abgerufen am 19. Dezember 2009.
  8. Klimawerte fur Sindschar bei Latitude: 36°19′N, Longitude: 41°49′E, Elevation: 1562.0 ft, Distance: 1.48 mi
  9. John S. Guest: The Yezidis: a study in survival. Routledge, London 1987, ISBN 0-7103-0115-4 , S. 3.
  10. Schnee auf dem Dschabal Sindschar, Foto vom 10. Januar 2004 ( Memento vom 10. Oktober 2016 im Internet Archive )
  11. FAO Forestry country profiles ? Natural forest formations. Aufgerufen am 29. November 2009. Charles Keith Maisels: Early Civilizations of the Old World. London 1999, S. 124. Genauere historische Angaben zu einzelnen Arten in Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien. XXVI. Band, 1912, Suchwort Sindschar Aufgerufen am 29. November 2009.
  12. Christine Allison: The Yezidi oral tradition in Iraqi Kurdistan. Richmond, Surrey 2001, S. 29f.
  13. Joseph Bornmuller: Ein Beitrag zur Kenntniss der Flora von Syrien und Palastina. In: Verhandlungen der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien. 1898, S. 571f. ( zobodat.at [PDF; 7,3 MB]).
  14. The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Artikel Sin?j?r von C.P. Haase
  15. Siehe auch ein Photo von Ackerterrassen aufgerufen am 1. Dezember 2009.
  16. Changes suffered by the Mediterranean rangelands in the recent past: ICARDA’s experience PDF, 1,4 MB, aufgerufen am 23. November 2009.
  17. IAU-Bericht: The humanitarian Situation in Iraq. Darin: Iraq ? Cropland affected by drought in 2008?2009. ( Memento vom 18. Januar 2012 im Internet Archive ) PDF, 277 kB, aufgerufen am 6. Dezember 2009.
  18. Eugen Wirth: Agrarreform und landliche Abwanderung im Irak. In: Erdkunde 36 (1982), S. 192?196.
  19. Irene Dulz: Die Yeziden im Irak ? zwischen "Modelldorf" und Flucht. Studien zur Zeitgeschichte des Nahen Ostens und Nordafrikas, Band 8, Hamburg 2001, S. 54?59.
  20. Eva Savelsberg, Siamend Hajo: Gutachten zur Situation der Jeziden im Irak. (PDF, 181 kB). Aufgerufen am 12. Februar 2018.
  21. Iraqi cement focus. In: Global Cement. 24. Januar 2013 (englisch); Luke Coleman: Sinjar Cement Factory ? The Cornerstone Of Redevelopment. In: Yalla Iraq. 12. Mai 2016.
  22. Konrad Mannert: Geographie der Griechen and Romer. Band 5, Nurnberg 1797, S. 310.
  23. a b c Nelida Fuccaro, S. 46ff.
  24. Robert Dankoff (Hrsg. und Ubers.): The intimate life of an Ottoman statesman: Melek Ahmed Pasha, (1588?1662); as portrayed in Evliya Celebi’s Book of travels (Seyahat-name). New York 1991, S. 167?174.
  25. a b Austen Henry Layard: Auf der Suche nach Ninive. Achtes Kapitel: Bei den Jezidi oder Teufelsanbetern. ( Memento vom 19. Januar 2010 im Internet Archive ) PDF, 212 kB, aufgerufen am 23. November 2009.
  26. Das Kastensystem der Jesiden , aufgerufen am 14. Dezember 2009.
  27. Nelida Fuccaro, S. 38.
  28. Franz Kandolf: Kara Ben Nemsi auf den Spuren Layards. aufgerufen am 16. Dezember 2009.
  29. Nelida Fuccaro, S. 70?77.
  30. Nelida Fuccaro, S. 110ff: Chapter IV, Tribes, Borders and Nation Building.
  31. Genaue Lage des Dorfes (GeoNames)
  32. a b Irene Dulz, Siamend Hajo & Eva Savelsberg: Verfolgt und umworben: Die Yeziden im ≫neuen Irak≪. ( Memento vom 27. November 2006 im Internet Archive ) PDF, 215 kB, aufgerufen am 23. November 2009.
  33. Khalil Jindi Rashow: The Yezidis today ( Memento vom 28. August 2008 im Internet Archive ), aufgerufen am 2. Dezember 2009.
  34. Namen der zerstorten Dorfer ( Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive ) PDF, 78 kB, aufgerufen am 2. Dezember 2009, Text aus: Mary Kreutzer; Thomas Schmidinger (Hrsg.): Irak ? Von der Republik der Angst zur burgerlichen Demokratie? Freiburg 2004, S. 197?204.
  35. Tilman Zulch: Neues Selbstmordattentat im Irak uberschattet Gedenkveranstaltung der yezidischen Gemeinschaft in Deutschland. Bericht vom 14. August 2009 (zum Jahrestag des Anschlages).
  36. Kurdish Forces are Pushing Back Against ISIS, Gaining Ground Around Mosul , The Daily Beast vom 13. Juni 2014.
  37. Jesiden retten sich in den Norden ( Memento vom 10. August 2014 im Internet Archive )
  38. General Sinjarite Information (englisch), aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  39. Sinjarite, a new mineral from Iraq PDF, 188 kB, aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  40. Falknerei im Irak , aufgerufen am 12. Februar 2018.
  41. a b Steven Mithen: After the Ice: A Global Human History, 20.000?5.000 BC. Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press, 2006, S. 434.
  42. Verband Deutscher Zoodirektoren: Halbesel , aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  43. Kurznotiz der Paleontological Society. aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  44. a b N. Ya. Merpert and R. M. Munchaev: The Earliest Levels at Yarim Tepe I and Yarim Tepe II in Northern Iraq. erschienen in Iraq Vol. 49 (1987), S. 1?36.
  45. Karte der Siedlungen , aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  46. Qermez Dere, Tel Afar: Interim Report No 2,1989. PDF, 363 kB, aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  47. Mission archeologique de Sinjar , aufgerufen am 19. Dezember 2009.
  48. Reinhard Bernbeck : Steppe als Kulturlandschaft. Das ‘A?i?-Gebiet vom Neolithikum bis zur islamischen Zeit. Mit Beitragen von P. Pfalzner. Berliner Beitrage zum Vorderen Orient, Ausgrabungen l, Berlin 1993, siehe auch Kurzbericht dazu. aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  49. Karte der Fundplatze , aufgerufen am 8. Dezember 2009.
  50. Mittelassyrische Keramik , aufgerufen am 8. Dezember 2009.