Don Karlos (Schiller)

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Daten
Titel: Don Carlos, Infant von Spanien
Gattung: Dramatisches Gedicht
Originalsprache: Deutsch
Autor: Friedrich Schiller
Erscheinungsjahr: 1787
Urauffuhrung: 29. August 1787
Ort der Urauffuhrung: Theater im Opernhof Gansemarkt , [1] Hamburg
Personen
  • Philipp II. , Konig von Spanien
  • Elisabeth von Valois , seine Gemahlin
  • Don/Dom Carlos , der Kronprinz
  • Alexander Farnese , Prinz von Parma, Neffe des Konigs
  • Infantin Clara Eugenia , ein Kind von drei Jahren
  • Herzogin von Olivarez , Oberhofmeisterin
  • Damen der Konigin:
  • Granden von Spanien:
    • Marquis von Posa , ein Malteserritter
    • Herzog von Alba
    • Graf von Lerma , Oberster der Leibwache
    • Herzog von Feria , Ritter des Vließes
    • Herzog von Medina Sidonia , Admiral
    • Don Raimond von Taxis , Oberpostmeister
  • Domingo , Beichtvater des Konigs
  • Der Großinquisitor des Konigreichs
  • Der Prior eines Carthauserklosters
  • Ein Page der Konigin
  • Don Ludwig Mercado , Leibarzt der Konigin
  • mehrere Damen und Granden, Pagen, Officiere, Die Leibwache und verschiedene stumme Personen

Don Karlos, Infant von Spanien (zeitgenossisch auch Dom Karlos ) ist ein Drama von Friedrich Schiller . Das im Paratext als ? dramatisches Gedicht “ gekennzeichnete Stuck besteht aus funf Akten . Schiller verfasste das Drama in den Jahren von 1783 bis 1787; es wurde am 29. August 1787 in Hamburg uraufgefuhrt. Es behandelt vordergrundig politisch-gesellschaftliche Konflikte ? so die Anfange des Achtzigjahrigen Krieges , in dem die niederlandischen Provinzen ihre Unabhangigkeit von Spanien erkampften ? und familiar-soziale Intrigen am Hofe von Konig Philipp II. (1556?1598).

Neben dem Titel der Nationalausgabe, ?Don Karlos“, wird das Drama auch noch oft als Don Carlos zitiert und behandelt.

Handlung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der spanische Kronprinz Don Karlos trifft in der Sommerresidenz Aranjuez seinen Jugendfreund Marquis von Posa wieder, der lange Zeit auf Reisen war und soeben aus Brussel zuruckkommt, wo er mittlerweile Abgeordneter der niederlandischen Provinzen geworden ist. Er will Karlos davon uberzeugen, sich als Statthalter in die unruhige Provinz Flandern schicken zu lassen, um dort den protestantischen Niederlandern, die gegen die katholische spanische Besatzungsmacht aufbegehren, großere Freiheiten einzuraumen und den Konflikt so friedlich beizulegen.

Karlos jedoch will von seinen politischen Jugendtraumen nichts mehr wissen und erzahlt seinem Freund verzweifelt, dass er noch immer Elisabeth von Valois liebe, seine ehemalige Verlobte, die aber inzwischen die Frau seines Vaters, Konig Philipps , und damit Karlos' Stiefmutter geworden sei. Verzweifelt erklart Karlos Posa, dass es ihm die strenge Etikette des Hofes einerseits und die misstrauische Eifersucht des Konigs andererseits bisher nicht erlaubt hatten, die Konigin unter vier Augen zu sprechen. Posa, schon seit seinen Pariser Zeiten ebenfalls mit Elisabeth befreundet, arrangiert daraufhin ein Treffen zwischen Karlos und der Konigin, in dessen Verlauf Karlos seiner Stiefmutter seine Leidenschaft gesteht. Elisabeth jedoch ist entsetzt uber Karlos' ungestumes Werben, gesteht, dass sie Philipp als Menschen kennen und ehren gelernt hat, und betont ihr Pflicht- und Verantwortungsgefuhl fur das spanische Volk. Sie schlagt Karlos' Avancen entschieden aus und fordert ihn auf, sich nicht langer der Liebe zu ihr, sondern stattdessen der Liebe zum Vaterland zu widmen.

Zuruck in Madrid bittet Karlos, ganz im Sinne Posas, den Konig um die Statthalterschaft in Flandern, obwohl er dazu uber seinen Schatten springen und seine Aversionen gegen den herrischen, ungeliebten Vater uberwinden muss. Konig Philipp aber vertraut dem Infanten nicht und lehnt dessen Versohnungsangebot ab. Er halt ihn fur zu unbesonnen, weich, ja feige, und zieht fur den Posten den erfahreneren Herzog von Alba vor.

Karlos erhalt einen Liebesbrief von Prinzessin Eboli , glaubt jedoch irrtumlich, die Konigin sei die Verfasserin. Uberglucklich folgt er daher der darin enthaltenen Aufforderung, sich in ein entlegenes Kabinett des Schlosses zu begeben, findet dort jedoch nur die Eboli vor, die ihm in volliger Verkennung der wahren Lage ihre Liebe gesteht. Karlos erfahrt aus einem Brief Philipps an Eboli, dass sie zur Matresse des Konigs gemacht und deswegen gezwungen werden soll, den Grafen von Silva zu heiraten. Karlos ist von ihrer Geschichte ergriffen, kann ihr jedoch nur seine Freundschaft, nicht seine Liebe anbieten, denn, so gesteht Karlos der Prinzessin nun seinerseits, er liebe eine andere. Er nimmt das kompromittierende Schreiben an sich, in der Absicht, es spater der Konigin zu bringen. Jetzt erst beginnt Prinzessin Eboli zu ahnen, wer sich hinter jener anderen Liebe verbirgt. Aus Eifersucht und wegen ihrer Zuruckweisung durch den Prinzen beschließt sie, Rache an Karlos und der Konigin zu nehmen.

Herzog Alba und Pater Domingo haben sich unterdessen gegen Karlos verbundet. Sie uberzeugen die Eboli, Karlos' Liebe zur Konigin an deren Gemahl zu verraten, und fordern sie auf, der Konigin belastende Schriftstucke zu stehlen. Karlos berichtet Posa von seinem Missgeschick gegenuber der Eboli und von der Untreue des Konigs. Posa halt den Prinzen davon ab, den Brief des Konigs an Eboli der Konigin zu zeigen und gemahnt ihn an seine einstigen Ideale und politischen Ziele.

Nachdem Alba dem Konig das Treffen zwischen Konigin und Karlos enthullt und Domingo ihm von einer Beichte der Prinzessin Eboli sowie von Geruchten berichtet hat, dass die kleine Tochter Elisabeths nicht das Kind des Konigs sei, fuhlt sich der ohnehin misstrauische Philipp von seiner Frau betrogen und beschließt, Frau und Sohn toten zu lassen. Nur von feigen Hofschranzen umgeben, sehnt er sich nach einem aufrichtigen Freund und kommt auf den Gedanken, den als unerschrocken und welterfahren geltenden Marquis von Posa vorzuladen und in seine Dienste aufzunehmen. Posa weist die Bitte des Konigs zunachst zuruck. Er halt ein flammendes Pladoyer fur die Menschlichkeit und appelliert an Philipp, das Gefangnis Spanien in einen Hort der Freiheit zu verwandeln. Der Konig ist von Posas Mut und Offenheit beeindruckt und macht ihn zu seinem Minister und engsten Berater. Vor allem aber sieht er ihn nun als vertrauten Freund, der das wahre Verhaltnis zwischen Karlos und der Konigin ausspionieren soll. Zum Schein geht Posa darauf ein.

Er sucht Elisabeth auf und verabredet mit ihr, Karlos zu uberreden, gegen den Konig zu rebellieren und heimlich nach Brussel zu gehen, um die Niederlander vom spanischen Joch zu befreien. Er uberbringt Karlos einen entsprechenden Brief der Konigin und erbittet dessen Brieftasche. Die Konigin hat unterdessen den Diebstahl ihrer Briefe (durch die Eboli) entdeckt und bezichtigt den Konig, woraufhin es zum Streit kommt. Der Marquis handigt dem Konig die Brieftasche Karlos’ aus. Als Philipp darin Ebolis Brief an seinen Sohn entdeckt, versieht er den Marquis mit uneingeschrankter Handlungsvollmacht und erlasst einen Haftbefehl gegen den Infanten. Graf Lerma meldet dies an Karlos, der daraufhin besturzt zur Prinzessin Eboli lauft, in der er irrtumlich seine letzte Vertraute sieht. Dort verhaftet ihn Posa. Die Prinzessin gesteht der Konigin nun den Diebstahl der Briefe. Posa erkennt, dass sein ursprunglicher Plan gescheitert ist, fasst insgeheim einen neuen und fordert die Konigin auf, den Konigssohn an seinen alten Schwur zu erinnern, einen freien Staat zu schaffen.

Der Marquis besucht Karlos im Gefangnis und klart diesen uber die falschen, ihn (Posa) kompromittierenden Briefe auf, die er dem Konig zugespielt hat. Herzog Alba kommt und erklart Karlos fur frei, der aber schickt Alba fort, weil er nur vom Konig personlich rehabilitiert werden und seine Freiheit wieder empfangen will. Posa berichtet Karlos vom Verrat der Eboli und enthullt ihm seinen neuen Plan, sich fur den Freund zu opfern. Kurze Zeit spater fallt ein Schuss und der Marquis sinkt todlich getroffen zu Boden. Der Konig, resigniert und bitter enttauscht vom Verrat Posas, erscheint, um seinen Sohn freizugeben. Der aber wirft ihm Mord vor und klart ihn uber sein Freundschaftsverhaltnis zum Marquis auf. Ein Offizier der Leibwache berichtet von einem Aufstand der Burger in der Stadt, die Karlos frei sehen wollen. Lerma uberredet den Thronfolger zur Flucht nach Brussel. Der Großinquisitor aber fuhrt dem Konig seine menschliche Schwache als Fehler vor Augen und verlangt Karlos als Opfer. Dieser hat sich inzwischen, verkleidet als Geist seines Großvaters, in das Zimmer der Konigin geschlichen. Dort liefert ihn Philipp dem Großinquisitor aus.

Zum Verstandnis [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Historischer Bezug [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

In der Zeit von 1479 bis 1492 entstand ein einheitlicher spanischer Staat unter der Regierung und Verwaltung der Katholischen Konige Isabella I. (Kastilien) und Ferdinand II. (Aragon) (als Ferdinand V. Konig der vereinigten spanischen Monarchie). Nach Ferdinands Tod 1516 bestieg sein Enkel Karl I., der zugleich als Herzog von Burgund uber die burgundischen Niederlande herrschte, den Thron. Nachdem Karl 1519 zum romisch-deutschen Konig gewahlt worden war, nahm er 1520 bei seiner Kronung den Titel ?erwahlter Kaiser“ an und herrschte als Karl V. uber das Heilige Romische Reich Deutscher Nation . Unter ihm stieg Spanien zur Weltmacht auf. Es umfasste den großten Teil der Pyrenaenhalbinsel (außer Portugal), Sizilien, Sardinien und das Konigreich Neapel, sowie die Lander des sogenannten Burgundischen Erbes. Nach dem Krieg Spaniens gegen den franzosischen Konig Franz I. kamen Mailand und eine Anzahl oberitalienischer Gebiete dazu.

Mit der Erbteilung nach dem Rucktritt Karls V. als Kaiser und spanischer Konig regierte ab 1556 sein Sohn Philipp II. uber Spanien, Teile von Italien, die uberseeischen Gebiete und die Spanischen Niederlande . Die niederlandischen Adeligen protestierten gegen die Einfuhrung der Inquisition und die Vermehrung der Bistumer, weil dies ihrer eigenen Macht Grenzen setzte. Der Bildersturm von 1566 verursachte die Entsendung einer Strafexpedition unter Herzog von Alba (1567?1573). Erst 1648 wurden die kriegerischen Auseinandersetzungen durch die Anerkennung des nordlichen Teils der Spanischen Niederlande als unabhangige Republik der Generalstaaten beendet.

Die Gefangennahme und der Tod Don Carlos’ inspirierten Schiller. Daran, dass Schiller in seinem Drama die Entsendung Albas nach Flandern und die Begrußung des Herzogs von Medina Sidonia nach dem Untergang der Armada zeitlich parallel darstellt (tatsachlich lagen zwischen beiden Ereignissen 20 Jahre), erkennt man (wie auch an anderen Anderungen, die mancher als Geschichtsklitterung bewerten mag), dass es nicht Schillers Absicht war, ein realistisches Drama zu schreiben.

Entstehungsgeschichte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einen ersten Hinweis auf den Stoff erhielt Schiller durch Wolfgang Heribert von Dalberg , der ihn auf die Bearbeitung des Abbe Saint-Real ( Dom Carlos, nouvelle histoire ) hinwies. Am 15. Juli 1782 schrieb ihm Schiller: ?Die Geschichte des Spaniers Don Carlos verdient allerdings den Pinsel eines Dramatikers und ist vielleicht eines von den nachsten Sujets, die ich bearbeiten werde.“ Am 9. Dezember 1782 bat er seinen Freund, den Bibliothekar Wilhelm Friedrich Hermann, um eine Reihe von Buchern, darunter die Œuvres de Monsieur l’Abbe Saint-Real . Schiller schrieb am 27. Marz 1783 an Reinwald, dass er nun fest entschlossen sei, den Don Karlos in Angriff zu nehmen: ?Ich finde, […] mehr Einheit und Interesse zu Grunde hat, als ich bisher geglaubt, und mir Gelegenheit zu starken Zeichnungen und erschutternden oder ruhrenden Situationen gibt. Der Charakter eines feurigen, großen und empfindenden Junglings , der zugleich der Erbe einiger Kronen ist, ? einer Konigin, die durch den Zwang ihrer Empfindung bei allen Vorteilen ihres Schicksals verungluckt, ? eines eifersuchtigen Vaters und Gemahls, ? eines grausamen heuchlerischen Inquisitors und barbarischen Herzogs von Alba usf. sollten mir, dachte ich, nicht wohl misslingen[…] dazu kommt, dass man einen Mangel an solchen deutschen Stucken hat, die große Staatspersonen behandeln ? und das Mannheimer Theater dieses Sujet von mir behandelt wunscht.“ Um den Stoff umzusetzen benotigte Schiller zusatzliches Material und bat in dem Brief um mehr Werke, wie Brantomes Geschichte Philipp ??. Außerdem studierte Schiller die History of Phillip ??. des Englanders Watson und die Historia de Espana des Spaniers Ferreras.

Die erste Arbeitsphase ging von Ende Marz bis Mitte April 1783. Dort entstand der so genannte ?Bauerbacher Entwurf“, ein in funf Akten scharf gegliederter Handlungsabriss. Intensiv dachte Schiller in dieser Zeit uber die Gestalt des Titelhelden nach, worauf er Reinwald am 14. April 1783 schrieb: ?Wir schaffen uns einen Charakter, wenn wir unsere Empfindungen, und unsere historische Kenntnis von fremden, in andere Mischung bringen […]. Denn ich kann einen großen Charakter durchaus fuhlen, ohne ihn schaffen zu konnen. Das aber ware bewiesen wahr, dass ein großer Dichter wenigstens die Kraft zur hochsten Freundschaft besitzen muss, wenn er sie auch nicht immer geaußert hat. Der Dichter muss weniger der Maler seiner Helden ? er muss mehr dessen Madchen dessen Busenfreund sein […] Carlos hat, wenn ich mich des Maßes bedienen darf, von Shakespeares Hamlet die Seele ? Blut und Nerven von Leisewitz Julius und den Puls von mir […].“ In diesem Brief außert Schiller zum ersten Mal die Absicht, eine polemische Tendenz in sein Stuck zu integrieren.

Ende Juli 1783 zog Schiller nach Mannheim und wurde am 1. September als Theaterdichter angestellt. Erst ein Jahr spater nahm er die Arbeit zu ?Don Karlos“ wieder auf. Am 24. August 1784 bekennt er Dalberg in einem Brief ?Carlos ist ein herrliches Sujet, vorzuglich fur mich. Vier große Charaktere, beinahe von gleichem Umfang, Carlos, Philipp, die Konigin und Alba offnen mir ein unendliches Feld. Ich kann mir es jetzt nicht vergeben, dass ich so eigensinnig, vielleicht auch so eitel war, um in einer entgegengesetzten Seite zu glanzen, meine Phantasie in die Schranken des burgerlichen Kothurns einzaunen zu wollen […] froh bin ich, dass ich nun mehr so ziemlich Meister uber den Jamben bin. Es kann nicht fehlen, dass der Vers meinem Carlos sehr viel Wurde und Glanz geben wird.“

Gedenktafel am Dresdner Schillerhauschen

Nach Streichers Angaben war Schiller im Juli 1784 schon bis in den ??. Akt vorgeruckt. Am 26. Dezember 1784 trug Schiller den ?. Herzog Karl August vor. Schiller grundete dann eine Zeitschrift, deren erstes Heft im Marz 1785 mit dem Titel ?Rheinische Thalia“ erschien. Sie bestand nur aus Beitragen des Dichters, darunter die neun Auftritte, aus denen der ?. Akt bestand. Bis zum 11. September 1785 lebte Schiller in Gohlis bei Leipzig und kam dort mit dem ??. Akt voran. Allerdings erreichte er in Dresden beziehungsweise Loschwitz seine intensivsten Fortschritte, wo er im Sommerwohnsitz Christian Gottfried Korners , eventuell auch im Schillerhauschen , daran schrieb. Das zweite, unter dem Titel ?Thalia“ erschienene Heft enthielt die ersten drei Auftritte des ??. Aktes. Das dritte Heft (April 1786) endete mit dem sechzehnten, derzeit letzten Auftritt des ??. Aktes.

Titelblatt und Frontispiz (anonymes Portrat) des Erstdrucks, 1787
Zeitgenossischer Einband des oben abgebildeten Exemplars
Das Soufflierbuch aus dem Jahr 1787 fur die Mannheimer Auffuhrung, Reiss-Engelhorn-Museen , Mannheim

Im Fruhjahr 1787 vollendete Schiller sein Drama in Tharandt . Gleichzeitig schuf er Buhnenarbeiten und stellte das Druckmanuskript fur die Buchausgabe fertig. Den ? Akt kurzte er um fast tausend Verse, indem er auch Ausdrucke minderte und glattete. Am 12. Oktober 1786 schrieb Schiller an den Hamburger Theaterdirektor Schroder, dass sein ?Don Karlos“ zum Ende des Jahres fertig werde und dass dieses Stuck zu einer theatrischen Auffuhrung fahig war. Schroder wunschte sich eine Zusammenfassung in Jamben und erhielt eine Theaterbearbeitung im Umfang von 3.942 Versen. Eine Buhnenfassung in Prosa, die genannte ?Rigaer Prosafassung“ entstand im April 1787.

Ende Juni 1787 lag die erste Buchausgabe unter dem Titel ?Don Karlos, Infant von Spanien, von Friedrich Schiller, Leipzig, bei Goschen, 1787“ vor. Eine verbesserte zweite Auflage erschien noch im selben Jahr. Weitere Auflagen, darunter eine Prachtausgabe in Großoktav, erschienen bis 1804 bei Goschen. Die letzte von Schiller bearbeitete Ausgabe erschien 1805 im ersten Band der Cottaschen Sammlung ?Theater von Schiller“ unter dem Titel ?Don Karlos, Infant von Spanien, Ein dramatisches Gedicht.“ Schiller strich dort 78 Verse, nahm eine Reihe von Detailveranderungen vor und ließ jeden Vers mit einem Großbuchstaben beginnen. Inhaltlich unterscheidet sich die Buchausgabe von fruheren Fassungen u. a. dadurch, dass die Figur des Marquis von Posa starker in den Vordergrund gestellt wird und nicht lediglich als Vermittler zwischen Infant und Konig auftritt. [2]

Der Marquis von Posa als Sprachrohr Schillers? [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Obwohl grundsatzlich immer Vorsicht geboten ist, von irgendeiner literarischen Figur allzu schnell auf die Ansichten des Autors zu schließen, durften im zentralen zehnten Auftritt des dritten Aufzugs, dem Vier-Augen-Gesprach zwischen dem Marquis von Posa und Konig Philipp, doch recht deutlich Schillers eigene Uberzeugungen dieser Jahre zu einigen zentralen politischen Fragen in Worte gefasst sein:

Der Konig schopft sofort Verdacht, der Marquis sei ein ?Protestant“, was dieser aber zuruckweist. Er sei ein ?Burger derer, welche kommen werden“, also eigentlich eine Gestalt des spaten 18. Jahrhunderts, mithin Schillers Gegenwart. Mit der Demokratie oder einer burgerlichen Revolution habe er nichts im Sinn; denn: ?Die lacherliche Wut | Der Neuerung, die nur der Ketten Last, | Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergroßert, | Wird mein Blut nie erhitzen“. Er traumt von einer Zeit, in der ?Burgergluck […] dann versohnt mit Furstengroße wandeln“ werde. ?Von Millionen Konigen ein Konig“ solle Philipp werden. Dazu musse er nur seinen Untertanen ?Gedankenfreiheit“ geben.

Der Marquis ist jedoch in verschiedenen Szenen auch so dargestellt, dass nicht immer eindeutig ist, ob sein Verhalten ganz fehlerfrei ist. Das betrifft vor allem seine kleinen Intrigen und Verstellungskunste z. B. gegenuber Philipp und sogar gegenuber dem Freund Karlos, die er, genau wie die sonstige hofische Gesellschaft, als Mittel zum Zweck einsetzt, seine Ziele zu erreichen ? auch wenn diese noch so altruistisch sind. Zwar verkorpert er die politischen Ideale des Autors sicher am besten, aber Schillers Herz schlagt, was die emotionale Seite angeht, mindestens ebenso sehr fur den viel naiveren Don Karlos. Schließlich gehoren Verstand und Gefuhl nach Schillers asthetischem Ideal unbedingt zusammen.

Don Karlos und sein Vater, beide als tragische Helden? [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Konig Philipp wird bei Schiller nicht nur als der kaltherzige Alleinherrscher gezeigt, den Karlos in ihm sieht und der er auch ist; er wirkt zumindest in vergleichbarem Maße auch als Opfer der in ihren Konventionen erstarrten Hofgesellschaft, die Uberkommenes um jeden Preis und allein um der Macht (auch der katholischen Kirche) willen zu erhalten sucht. An der dramatischen Wende ( Peripetie ) der Handlung, inmitten des dritten Aktes, ist Philipp allein und auf der Suche nach einem ?Menschen“. Darin ist er manch tragischem Helden der Antike ahnlich, z. B. Kreon und Odipus (Bruder und Vater der Antigone ).

Damit befindet sich Philipp in der gleichen Situation wie, laut Schiller, der Theaterbesucher selbst, bis hinauf zum Fursten. In seiner Schrift Die Schaubuhne als eine moralische Anstalt betrachtet schreibt Schiller, die Zuschauer sollen im Theater mit der ?Wahrheit“ konfrontiert werden, und zwar auf eine Weise, die ihr Herz erreicht. Insbesondere fur Fursten sei das Theater oft das einzige Medium, durch das sie von der ?Wahrheit“ erreicht wurden: ?Hier nur horen die Großen der Welt, was sie nie oder selten horen ? Wahrheit; was sie nie oder selten sehen, sehen sie hier ? den Menschen.“ Der Marquis von Posa ist ein Instrument, durch das diese Intention Schillers umgesetzt wird.

Der Konig als Opfer des politischen Systems, das er reprasentiert (namlich des nicht aufgeklarten, tyrannischen Absolutismus ), soll sich letztlich zum ? Aufgeklarten Absolutismus “ bekehren und ein ?guter Furst“ werden, indem er in seinem Land Gedankenfreiheit einfuhrt; vgl. hierzu auch Immanuel Kants Forderung in seiner Schrift Was ist Aufklarung? : Sapere aude! ?Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes (…) zu bedienen!“ Außer den personlichen Mut fordert Schiller (indirekt uber Posa) auch die politischen Rahmenbedingungen, um dies tun zu durfen und zu konnen.

Weitere Themen und Motive [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Schillers Drama Don Karlos greift einige nicht zuletzt fur Schiller selbst typische Konventionen und Motive auf:

  • Im Konflikt zwischen der Figur des Titelhelden und seinem Vater Konig Philipp verarbeitet Schiller das Motiv des Generationenkonflikts, das er bereits in seinen Jugendwerken Die Rauber und Kabale und Liebe aufgenommen hat: Die Vertreter zweier unterschiedlicher Altersgruppen symbolisieren die Ablosung eines alten, uberkommenen Gesellschaftssystems durch ein neues.
  • Eine weitere Konfliktebene zeigt sich in Karlos’ Schwanken zwischen personlicher Neigung (schwarmerische Liebe zu Elisabeth) und politischer Pflicht (Eingreifen in den niederlandischen Befreiungskrieg), ein Thema, das immer wieder Gegenstand dramatischer Literatur ist (siehe z. B. Shakespeares Antonius und Cleopatra oder Grillparzers Die Judin von Toledo ).
  • Die Isolierung des absoluten Herrschers ist ein bekanntes Motiv, siehe hierzu z. B. Shakespeares Historiendrama Heinrich V. .
  • Es konnen Bezuge hergestellt werden zu Schillers Werk Uber die asthetische Erziehung des Menschen .

Formale und sprachliche Aspekte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Fur moderne Leser auffallig, aber typisch fur das klassische Drama ist, dass das im Sinne der "Schaubuhne als moralische Anstalt" auslosende "Moment" im Figurenverzeichnis von Schiller nicht ausdrucklich erwahnt wird: das spanische Volk einerseits und die Burger Flanderns andererseits, deren Freiheitsdrang die zentrale, vor allem politisch ambitionierte Freundschaft zwischen Karlos und Posa begrundet und die weitere Handlung in Gang setzt.

Die dramatische Bauform [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mit Don Karlos orientiert sich Schiller mehr als in seinen fruheren Stucken, wie etwa den Raubern , an den dramaturgischen Forderungen der aristotelischen Poetik , wie sie im 18. Jahrhundert rezipiert worden ist. Die Einheit von Ort und Zeit ist allerdings weniger gegeben als die der Handlung und die Erfullung der Standeklausel :

  • ?Don Karlos“ spielt an mindestens zwei verschiedenen Orten: Aranjuez und Madrid, dort jeweils auch in verschiedenen Raumen, Gebauden etc. (Schloss, Gefangnis etc.).
  • Die Zeitspanne der Handlung in ?Don Karlos“ betragt ca. 5 Tage. Somit ubersteigt Don Karlos die damals typische Zeitregelung. Im strengen traditionellen Sinn sollte die Handlung eines Dramas in 24 Stunden abgeschlossen sein (was z. B. in Kabale und Liebe noch erfullt ist). Dennoch kann man hier insofern von einer einheitlichen Zeit ausgehen, als es keine großen Zeitsprunge von mehreren Wochen, Monaten oder sogar Jahren gibt.
  • Die Einheit der Handlung ist in ?Don Karlos“ aber klar gegeben. Zwar konnten Szenen wie die Eboli-Handlung auch fur sich selbst existieren, grenzen sich aber auch nicht vom linearen Handlungsverlauf ab, sondern schließen sich zusammen. Die Handlung drangt zielstrebig in einer durchgehenden Spannungskurve auf das Ende hin.
  • Die heldenhaften Charaktere einer aristotelischen Tragodie, wie tragisch und damit fehlerhaft auch immer sie sein mogen, reprasentieren immer Personen hohen Standes (wogegen bei Komodien auch mittlere und niedrige Stande wichtige Rollen haben konnen). Ahnlich kommen auch alle Personen, die in ?Don Karlos“ bedeutsam sind, entweder aus dem Konigshaus oder sind Adlige. Recht uble Charaktere wie Domingo oder Alba sind allerdings ebenfalls gesellschaftlich hochgestellt. Das widerspricht aber nicht der Dramentheorie Aristoteles’ und war auch zu Schillers Zeit nicht ungewohnlich (vergleiche zum Beispiel den charakterlich ?negativ‘ gezeichneten Caesar in Gottscheds Sterbender Cato ).

Das gesamte Werk ist in einer funfhebigen reimlosen Jambenform (dem so genannten Blankvers ) geschrieben. Dieser sprachlich gebundene Stil ist typisch fur in der Typologie von Volker Klotz [3] so genannte ?geschlossene“ Dramen , wahrend ?offene“ Textformen haufig in Prosa verfasst sind.

Auch in der Tektonik des Stuckes folgt Schiller dem Modell einer klassischen, geschlossenen Dramaturgie, wie sie spater der Literatur- u. Theaterwissenschaftler Freytag rekonstruiert hat:

  • 1. Akt (Exposition): Verhangnisvolle Liebe des Prinzen. Neuerliches Bekenntnis des Prinzen zum Freiheitsideal und zum politischen Engagement.
  • 2. Akt (erregendes Moment): Karlos’ Ruckfall und die dadurch angelegten Schwierigkeiten (die Feindschaft der Eboli und des Herzogs Alba). Am Aktschluss wird Karlos durch Posas Eingreifen zur Besinnung gebracht.
  • 3. Akt (Hohepunkt): Die scheinbare Moglichkeit einer Verstandigung zwischen dem absolutistischen Monarchen und dem Vorkampfer der Freiheit.
  • 4. Akt (retardierendes Moment): Umschwung der Handlung durch die im 2. Akt angelegte Intrige und die dadurch notwendig werdende Aktion Posas, bis hin zum Scheitern Posas und zum Triumph der Hofpartei am Aktschluss.
  • 5. Akt (Katastrophe): Karlos’ Scheitern in der Realitat im Augenblick der inneren Vollendung.

Die Beachtung strenger formaler Aspekte einerseits und die inhaltliche Thematisierung des Strebens nach Freiheit andererseits stellen das Drama an die Grenze zwischen Sturm und Drang und Weimarer Klassik .

Rezeptionsgeschichte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Zeitgenossische Beurteilung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Figur des Marquis von Posa, die umfangreichen Verquickungen verschiedener Handlungsstrange sowie eine mangelnde Einheit des Stuckes trafen nach der Erstveroffentlichung auf heftige Kritik. Schiller selbst verteidigte sein Werk in den Zwolf Briefen uber Don Karlos , die 1788 im Teutschen Merkur erschienen. [2]

Interpretation als historisches Schlusselstuck [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Verdi (evtl. bereits Schiller) platziert die Oper in Teilen an den Ort Fontainebleau, der uber mehrere franzosische Epochen hinweg den Konigen und Kaisern als Landsitz diente. Moglicherweise handelt es sich hier um eine Anspielung auf Philipp VI. (aus dem Haus Valois ) und Johanna von Burgund sowie Sohn Johann II. (Frankreich) mit Ehefrau Jutta von Luxemburg , deren beide Frauen um das Jahr 1348 an der Pest verstarben. In der Folge nahm sich der Vater die Verlobte des Sohnes zur Gemahlin. Zugleich tobte Krieg gegen England, der aber beigelegt werden konnte. Weiterhin starb der Vater nur wenige Zeit darauf mit 57 Jahren. Als Todesursache wird Altersschwache angegeben.

Aufgrund von Schillers freizugigem Umgang mit geschichtlichen Fakten wird eine historisch-vergleichende Analyse gemeinhin aber als nicht zielfuhrend angesehen. [2]

Vertonungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Als beruhmteste Vertonung gilt Giuseppe Verdis Don Carlos aus dem Jahr 1867. Der russlanddeutsche Komponist Alfred Schnittke bekam 1975 in der Sowjetunion den Auftrag, die Buhnenmusik zu Don Karlos zu schreiben. Die Inszenierung am Moskauer Mossowjet-Theater sollte in einer sakralen Kulisse stattfinden. Offiziell, um die dustere Stimmung der spanischen Inquisition einzufangen, aber auch, um seine verstorbene Mutter zu ehren, komponierte er ein modernes Requiem mit einem Glaubensbekenntnis , was im sowjetischen Komponistenverband eine Provokation darstellte. Die Urauffuhrung fand 1977 in Budapest statt.

Reiner Bredemeyer komponierte 1966 eine Horspielmusik (Regie: Martin Florchinger ).

Textausgaben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Friedrich Schiller: Dom Karlos, Infant von Spanien. Goschen, Leipzig 1787. ( Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv )
  • Friedrich Schiller: Don Karlos, Infant von Spanien. Leipzig: Goschen 1802. Digitalisat bei Google
  • Lieselotte Blumenthal, Benno von der Wiese (Hrsg.): Schillers Werke. Nationalausgabe . Band 7, Teil I: Paul Bockmann, Gerhard Kluge, Gerhard (Hrsg.): Don Karlos. Infant von Spanien . Letzte Ausgabe 1805. Weimar 1974.
  • Kiermeier-Debre, Joseph (Hrsg.): Friedrich Schiller - Dom Karlos , Originaltext mit Anhang zu Verfasser, Werk und Textgestalt, incl. Zeittafel und Glossar, erschienen in der Bibliothek der Erstausgaben, 2. Auflage 2004, Deutscher Taschenbuch Verlag, Munchen. ISBN 978-3-423-02636-9
  • Schiller, Friedrich: Don Karlos . Text, Kommentar und Materialien, bearb. von Michael Hofmann und Marina Mertens. Oldenbourg, Munchen, 2012, ISBN 978-3-637-01535-7 .

Sekundarliteratur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Erika Fischer-Lichte: "Kurze Geschichte des deutschen Theaters" (S. 373, 4.3.1. Probleme einer Auffuhrungsgeschichte. Am Beispiel Don Carlos). Tubingen; Basel: Francke Verlag cop. (1993).
  • Ulrich Kittstein: Politisches Familiengemalde: Dom Karlos . In: ders.: Das Wagnis der Freiheit. Schillers Dramen in ihrer Epoche . Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2023, S. 171?209.
  • Jan C. L. Konig: "Geben Sie Gedankenfreiheit: Die Rede Marquis Posas in Friedrich Schillers Don Carlos ". In: Jan C. L. Konig: Uber die Wirkungsmacht der Rede. Strategien politischer Eloquenz in Literatur und Alltag. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht unipress (2011), S. 268?295. ISBN 3-8997-1862-3 .
  • Matthias Luserke-Jaqui : Friedrich Schiller . Francke, Tubingen, Basel (2005), S. 135?169. ISBN 3-7720-3368-7 .
  • Hartmut Reinhardt: Don Karlos . In: Schiller-Handbuch, hg. von Helmut Koopmann. 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Stuttgart: Kroner 2011 [1. Aufl. 1998], S. 399?415. ISBN 978-3-534-24548-2 .
  • Claudia Stockinger: Der Leser als Freund. Schillers Medienexperiment ≪Dom Carlos≫. In: Zeitschrift fur Germanistik 16/3 (2006), S. 482?503.

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Don Carlos (Friedrich Schiller)  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Dom Karlos  ? Quellen und Volltexte
Wikiquote: Don Carlos (1787)  ? Zitate (deutsch)

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Hamburger Abendblatt vom 7. Mai 1955 Don Carlos am Gansemarkt uraufgefuhrt
  2. a b c Nachwort von Hans-Diether Grohmann in: Friedrich von Schiller. Studienkreis Edition , Studienkreis, Bochum 2005, ISBN 3-935723-44-X , S. 827.
  3. Offenes und geschlossenes Drama. Ein Schaubild nach Volker Klotz ( Memento vom 4. Mai 2007 im Internet Archive )