Henri de Saint-Simon

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Henri de Saint-Simon ( Adelaide Labille-Guiard , 1795/96).
Henri de Saint-Simon.

Henri de Saint-Simon (eigentlich Claude-Henri de Rouvroy, Comte de Saint-Simon ; * 17. Oktober 1760 in Paris ; † 19. Mai 1825 ebenda) war ein bedeutender franzosischer soziologischer und philosophischer Autor zur Zeit der Restauration .

Auf ihn berief sich der fruhsozialistische Saint-Simonismus .

Leben und Wirken [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Saint-Simon (wie er in der Geschichtsschreibung schlicht heißt) stammte aus hochadeliger Familie und war ein entfernter jungerer Verwandter des bekannten Memoirenautors Louis de Rouvroy, Duc de Saint-Simon . Mit 17 schloss er sich der Freiwilligentruppe an, mit der der Marquis de Lafayette nach Amerika ging, um im Unabhangigkeitskrieg gegen England auf Seiten der Aufstandischen zu kampfen, die auch materiell heimlich von Frankreich unterstutzt wurden.

1789 sympathisierte er, wie viele liberale Adelige, zunachst mit der Revolution und legte sich den burgerlichen Namen Claude Bonhomme zu. 1794 aber, wahrend der Terrorherrschaft , entkam er nur knapp der Guillotine . Da er durch die Enteignung seiner Guter verarmt war, verlegte er sich nach der Machtergreifung des gemaßigten Direktoriums (1795) auf geschaftliche Aktivitaten und gelangte rasch wieder zu Wohlstand. Um diesen zu dokumentieren und in der Hoffnung, sie werde ihm einen geistig und gesellschaftlich maßgeblichen Salon fuhren, heiratete er 1801 Sophie de Grandchamp . Die Ehe ging jedoch rasch in die Bruche und mit ihr der Wohlstand.

Danach lebte er als ungebundener Intellektueller von den Resten seines Vermogens sowie von Zuwendungen eines reich gewordenen ehemaligen Dieners. Er bewegte sich im Umkreis der Denkschule der sogenannten Ideologen um Destutt de Tracy , trieb naturwissenschaftliche und philosophische Studien und begann, gesellschafts- und staatstheoretische Schriften zu verfassen, die zunachst meist ungedruckt blieben. Hierzu zahlen z. B. die Lettres d’un habitant de Geneve a ses contemporains (1803, deutsch: ?Briefe eines Einwohners von Genf an seine Zeitgenossen“), worin die moderne Wissenschaft zu einer Art Religion stilisiert wird; oder der Essai sur l’organisation sociale (1804, deutsch: ?Essay uber die Organisation der Gesellschaft“), die Introduction aux travaux scientifiques du XIXe siecle (1807, deutsch: ?Einfuhrung in die wissenschaftlichen Arbeiten des 19. Jahrhunderts“), die Histoire de l’homme (1810, deutsch: ?Geschichte des Menschen“), das Memoire sur la science de l’homme (1814, deutsch: ?Denkschrift uber die Wissenschaft vom Menschen“). Saint-Simon sah seine Aufgabe nicht in der Erforschung von Einzelfragen, er versuchte vielmehr, die Forschungsergebnisse seiner Zeit zu vereinen und mit diesen Elementen eine neue Sozialwissenschaft und eine neue Sozialordnung zu bestimmen. [1]

Saint-Simons Grab auf dem Friedhof Pere Lachaise .

Zur Zeit der Restauration nach Napoleons Sturz 1815 wurde Saint-Simon allmahlich bekannt, und zwar zunachst als Publizist mit zahlreichen Artikeln, aber auch kurzlebigen Zeitschriften, z. B. L’Industrie (1816?1818), die er in Zusammenarbeit mit seinem Sekretar Augustin Thierry , dem spateren bekannten Historiker, verfasste bzw. herausgab. Zum Quasi-Propheten wurde er schließlich durch die Bucher Du systeme industriel (1820?1822, deutsch: ?Vom industriellen System“), Catechisme des industriels (1823/24, deutsch: ?Katechismus der Industriellen“) und De l’organisation sociale (1824, deutsch: ?Von der Gesellschaftsorganisation“), an deren Ausarbeitung sein neuer Sekretar Auguste Comte beteiligt war, der spatere Begrunder der Denkschule des Positivismus und der Soziologie .

Saint-Simon hat die Potentiale der Industriegesellschaft fur das utopische Denken erschlossen. Durch die Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums erwartete er, dass die Interessengegensatze zwischen den Besitzern und Nichtbesitzern der Produktionsmittel bedeutungslos werden [2] . In seinen Schriften vertrat Saint-Simon die revolutionare Ansicht, dass nur die ?Industriellen“ ( industriels ), d. h. die durch ? Arbeit “ (das Wort bedeutete damals auch ?Erfindertum/Arbeitsfleiß“) Dienstleistungen und vor allem Guter produzierenden Individuen, nutzliche Mitglieder der Gesellschaft seien, und dass der Anteil des Einzelnen am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand nach seiner eingebrachten Leistung zu bemessen sei ? womit parasitare Klassen wie der Adel , die Rentiers , aber auch Zwischenhandler aller Art leer ausgingen, wahrend sowohl die Unternehmer als auch die Arbeiter jeweils ihre angemessene Entlohnung erhielten. In seinem postum gedruckten Buch Le Nouveau Christianisme (1825, deutsch: ?Das neue Christentum“) erklarte Saint-Simon es speziell auch zur Aufgabe des Christen, die unteren Bevolkerungsschichten bei der Verteilung des Sozialprodukts gerecht zu berucksichtigen.

Bedeutung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Saint-Simon begrundete nicht nur die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Denkschule der Saint-Simoniens , die in den 1830er und 1840er Jahren sehr bedeutsam wurde, sondern er wirkte auch stark auf die sozialpolitischen Vorstellungen vieler Autoren der Romantik und vor allem vieler politischer Akteure der Zeit.

Er zahlte zu den Vertretern jenes Fruhsozialismus , der den Widerspruch von Karl Marx erregte und insofern dessen Denken beeinflusste. Mit Le nouveau christianisme wurde er einer der Vater der katholischen Soziallehre , die um und nach 1900 florierte und sich als christliche Alternative zum atheistischen Sozialismus a la Marx verstand.

Sein Glaube an die Wissenschaft und an die Erkennbarkeit der Regeln des menschlichen Zusammenlebens pragte seinen Schuler Auguste Comte und dessen einflussreiche Philosophie des Positivismus.

Saint-Simon gilt heute als ein Vorvater der wissenschaftlichen Soziologie und zugleich des utopischen Sozialismus .

Werke [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Lettres d’un habitant de Geneve (1802)
  • Reorganisation de la societe europeenne (1814)
  • L’Organisateur (1820)
  • Le Systeme industriel (1821)
  • Le Catechisme des industriels (1824)
  • Le Nouveau Christianisme (1825)

Ubersetzungen

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Paul Janet : Saint-Simon et le Saint-Simonisme . Paris: Germer Bailliere, 1878.
  • Georges Weill: Saint Simon et son Œuvre. Un Precurseur du Socialisme . Paris: Perrin, 1894.
  • Georges Weill: L’Ecole Saint-Simonienne. Son histoire, son influence jusqu’a nos jours . Paris: F. Alcan, 1896.
  • Maxime Leroy: La vie veritable du Comte de Saint-Simon (1760?1825) . Paris: Bernard Grasset, 1925.
  • Sebastien Charlety: Histoire du Saint-simonisme, 1825?1864 . Paris: P. Hartmann, 1931.
  • Mathurin Marius Dondo: The French Faust. Henri de Saint-Simon . New York: Philosophical Library, 1955.
  • Frank Edward Manuel: The New World of Henri Saint-Simon . Cambridge: Harvard University Press, 1956.
  • Dietrich ? E. Franz: Saint-Simon, Fourier, Owen ? Sozialutopien des 19. Jahrhunderts. Leipzig, 1987. ISBN 3-332-00082-9
  • H.-C. Schmidt am Busch et al. (Hrsg.): Hegelianismus und Saint-Simonismus . Paderborn: Mentis, 2007. 232 S. ISBN 3-89785-538-0 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Henri de Saint-Simon  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Henri de Saint-Simon  ? Quellen und Volltexte

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Rolf-Peter Fehlbaum: Saint-Simon und die Saint-Simonisten. Vom Laissez-Faire zur Wirtschaftsplanung. Kyklos / J.C.B. Mohr, Basel / Tubingen 1970, S.   2 .
  2. Petra Schaper-Rinkel : "Andere Zukunfte: Politik der Utopien. In: PROKLA. 2005. (PROKLA)