Charlotte von Kirschbaum

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Charlotte von Kirschbaum (1899–1975), Theologin, Anthropologie und Theologie der Geschlechter, Vorläuferin der feministischen Theologie. Familiengrab auf dem Friedhof Hörnli, Riehen, Basel-Stadt
Grab, Friedhof am Hornli , Riehen, Basel-Stadt

Charlotte Emilie Henriette Eugenie von Kirschbaum (* 25. Juni 1899 in Ingolstadt ; † 24. Juli 1975 in Riehen , Schweiz ) war eine deutsche Theologin , Schulerin, engste Mitarbeiterin und Lebensgefahrtin Karl Barths .

1916 fiel Charlotte von Kirschbaums Vater, Generalmajor Maximilian von Kirschbaum, im Ersten Weltkrieg , was sie dazu bewog, sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen. Im Kreis um den Munchner Studentenpfarrer Georg Merz lernte sie die dialektische Theologie Karl Barths kennen. 1924 traf sie den Theologen personlich und gehorte bald zu seinem Freundeskreis. Sie verbrachte auch jahrlich ihren Urlaub mit der Familie Barth und anderen Gasten im Sommerhaus von Ruedi und Gerty Pestalozzi oberhalb des Zurichsees. 1925 in Munchen und spater in Berlin besuchte sie eine soziale Frauenschule, an der sie u. a. eine Sekretarinnenausbildung machte. Seitdem ubernahm sie regelmaßig die Redaktion von Schriften und Buchern Barths. 1929 zog Charlotte von Kirschbaum, von ihren Freunden Lollo genannt, bei Nelly und Karl Barth und ihren funf Kindern in Munster ein. Karl Barth hatte sie dazu eingeladen, da sie fur ihn unentbehrlich geworden war und er zu der Liebe stehen wollte, die sich seit langem entwickelt hatte. Der franzosische Theologe George Casalis , Freund, Mitstreiter und Biograph Barths, sieht die Beziehung als ?eine vollmenschliche Kongenialitat in allen Bereichen der beiden Leben [...], die zu dieser einzigartigen und außerordentlichen Einheit fuhrte.“ [1] Andererseits erkannten beide die Ehe mit Nelly nicht nur außerlich an. So entwickelte sich eine ungewohnliche Menage a trois , die relativ offen gelebt wurde und deren Belastungen untereinander, mit Freunden und ? in unterschiedlichem Verstehen ? auch mit der Familie intensiv besprochen wurden. Verschiedene Moglichkeiten des Zusammenlebens wurden versucht bis hin zur Scheidung, gegen die sich Nelly Barth jedoch letztlich entschied. So hielt die Dreiecksbeziehung uber 35 Jahre lang. Charlotte von Kirschbaum stellt den Anfang in einem Brief 1935 an Barths Schwester Gertrud Lindt ? die geraten hatte, beim Umzug nach Basel das Leben in einem gemeinsamen Haus aufzugeben ? so dar: [2]

?Die Fremdheit zwischen Karl und Nelly hat einen Grad erreicht, der wohl keine Steigerung mehr erfahren kann. Gewiß ist das alles durch mein Dasein noch betonter geworden. Aber ohne mein Dasein? Wißt ihr , wie das Leben von K. bis zum Jahr 1929 war? Ein nochmaliges Wiederaufnehmen eines Lebensversuchs in dieser Richtung mußte auch bei K. getragen sein von einem Funkchen konkreter Hoffnung wenigstens. Das ist nicht da. Wie weit das unsere Schuld ist, daß es nicht mehr da ist, das haben wir uns zu fragen, aber das konnt nicht ihr uns fragen, es mußte denn sein, ihr wußtet in ganz anderer Weise um die konkreten Schwierigkeiten unserer gemeinsamen Existenz und stelltet uns diese Frage wirklich mittragend an diesen Schwierigkeiten.“

Wahrend Nelly Barth den Haushalt und die Kinder versorgte, teilte Charlotte von Kirschbaum Barths Arbeit. Sie war seine Sekretarin und bereitete seine Vortrage und Vorlesungen vor. Ihm zuliebe lernte sie Latein , Altgriechisch und Hebraisch . Sie besuchte die philosophischen Vorlesungen von Heinrich Scholz . Von Kirschbaum exzerpierte Literatur, diskutierte Barths Ansatze und Manuskripte und leistete so einen wichtigen Beitrag u. a. zu seinem Hauptwerk, der Kirchlichen Dogmatik . Entwurfe fur viele der darin enthaltenen umfassenden exegetischen und theologiegeschichtlichen Exkurse gehen sogar unmittelbar auf von Kirschbaum zuruck. [3]

1935 erhielt Karl Barth einen Ruf an die Universitat Basel . Charlotte von Kirschbaum folgte ihm in die Schweiz. Dort wurde sie in die Landesleitung von ? Freies Deutschland “ gewahlt und unterstutzte die deutsche Widerstandsbewegung .

Theologische Arbeit

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Als engste Mitarbeiterin eines der einflussreichsten Theologen gestaltete sie somit die Theologie und Kirchenpolitik des 20. Jahrhunderts mit, was bisher wenig erforscht und anerkannt ist. In der bisher einzigen großeren Monographie zu diesem Thema versucht Suzanne Selinger, uber die vielfaltigen direkten Beitrage hinaus ?ihre Stimme herauszuhoren, [...] dieselbe Stimme, mit der Barth im Gesprach stand“. [4]

Sie hebt auf der Grundlage von Barths Theologie eigenstandige Positionen von Kirschbaums heraus, besonders zur Anthropologie und Theologie der Geschlechter, und betrachtet sie als eine Vorlauferin der feministischen Theologie . Wie Barth ging von Kirschbaum von einer grundlegenden Differenz der Geschlechter aus. 1949 erschien ihr eigenes Buch Die wirkliche Frau . [5] Darin setzte sie sich mit Simone de Beauvoirs Femme Libre auseinander und mit der Rolle der Frau in der Kirche. Sie vertrat die These, die Frau sei dem Manne ?nachgeordnet“ und ?seine Hilfe“, doch ?als Gegenuber“ ihm ebenburtig und gleichberechtigt. Ihr missfielen Klischees uber Frauen wie ?die marianische Frau“, ?das ewig Weibliche“, ?die Huterin der religiosen Sphare“ oder Maria als ?Hingebungsgewalt des Kosmos“. [6] Auch Barths ?patriarchalisches Geschichtskonzept“ [7] des Mannes als Handelndem sowie Trager und Tradenten der individuellen Identitat (Name, Stand oder Charakter) teilte sie nur bedingt. Im Zusammenhang seiner realistischen Sicht der Jungfrauengeburt betonte dieser, die Frau sei ?gerade der nicht geniale, nicht schopferische, nicht geschichtsmachtige Mensch“, sie sei folglich ? die Moglichkeit des Menschen fur die Wirklichkeit des Wortes Gottes“. [8] Von Kirschbaum formulierte dies kampferisch, im Sinn der gemeinsamen Idee, die Jungfrauengeburt sei ein Gegenzeichen zu der nach dem Sundenfall etablierten Herrschaft des Mannes: [9] ?Mag die Weltgeschichte dem Manne die geschichtliche Tat zuschreiben, die Geschichte Jesu ist keine Mannergeschichte!“ [10] Genauso hob sie hervor, dass wie Eva alle Frauen ?Mutter der Lebendigen“, also physisch wie geistig schopferisch seien. [11] In ihrer Bibelauslegung berucksichtigte sie mehr als Barth den historischen Kontext und die zeitgenossische Anwendung. ?Aufgrund ihrer Beschaftigung mit Simone de Beauvoir ist sich von Kirschbaum vollig daruber im Klaren, dass Geschlechterrollen historisch ?konstruiert‘ und durchaus verschiedenartig sind.“ [12] Die bedeutende Rolle von Frauen etwa in der Apostelgeschichte diente ihr als Begrundung, die im Krieg akzeptierte Predigt von Frauen im Gottesdienst beizubehalten. Zu dieser Frage veroffentlichte sie 1951 die Schrift Der Dienst der Frau in der Wortverkundigung [13] .

1962 erkrankte Charlotte von Kirschbaum an einer zerebralen Storung. Sie wurde 1966 in ein Pflegeheim eingeliefert, immer weniger mit der Außenwelt verbunden. Sechseinhalb Jahre nach Barths Tod starb sie hier im Sommer 1975. Sie wurde im Familiengrab der Barths beigesetzt, die Traueransprache hielt Helmut Gollwitzer : [14]

?Wie das neue Leben bei uns noch im Kampfe liegt mit der Todesverstrickung, das ist erfahren worden in dem Schicksal, das Lollo in den Kreis von Karl Barth gefuhrt hat ? Schicksal jetzt nicht im heidnischen, sondern im christlichen Verstandnis dieses Wortes: eine Schickung, die von allen bestanden werden mußte, die von ihr betroffen waren ? eine Schickung, in der Gluck und Schmerz und Aufgaben, oft allzu schwere Aufgaben, zugeteilt wurden ? eine Schickung, der keiner sich entziehen konnte und durfte, der in Verantwortung gehorsam zu sein jeder von Euch in seiner Weise versuchte und unter der es ohne gegenseitige Verletzung und Schuld nicht abging ? Schuld, die uns alle erfahren ließ, daß das Leben aus dem Tode unseres Herrn Jesus Christus als Vergebung zu uns kommt. Unter der Vergebung fur diese Schickung zu danken, das war Euch, den Nachstbeteiligten, zugemutet. Das habt Ihr auch immer wieder lernen durfen, und auch diese letzten zehn Jahre, in denen Lollo zurucktreten mußte, waren eine Hilfe zu diesem Lernen.“

  • Suzanne Selinger: Charlotte von Kirschbaum and Karl Barth: A Study in Biography and the History of Theology. Pennsylvania State University Press, University Park 1998, ISBN 978-0-271-01864-5 .
  • Kirschbaum, Charlotte von. In: Werner Roder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Offentliches Leben. Saur 1980, Munchen, S. 364.

Einzelnachweise

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  1. Renate Kobler: Schattenarbeit: Charlotte von Kirschbaum ? die Theologin an der Seite Karl Barths. Mit einem Geleitwort von Marie Rose Barth und einer Nachlese von Hans Prolingheuer. Pahl-Rugenstein, Koln 1986, S. 129.
  2. Karl Barth: Gesamtausgabe, Teil V. Briefe. Karl Barth ? Eduard Thurneysen: Briefwechsel Bd. 3, 1930?1935: einschließlich des Briefwechsels zwischen Charlotte von Kirschbaum und Eduard Thurneysen. Hrsg. von Caren Algner. TVZ Theologischer Verlag, Zurich 2000, S. 839.
  3. Renate Kobler: Schattenarbeit: Charlotte von Kirschbaum ? die Theologin an der Seite Karl Barths. Mit einem Geleitwort von Marie Rose Barth und einer Nachlese von Hans Prolingheuer. Pahl-Rugenstein, Koln 1986, S. 60.
  4. Suzanne Selinger: Charlotte von Kirschbaum und Karl Barth. Eine biographisch-theologiegeschichtliche Studie. Theologischer Verlag, Zurich 2004 (Original Pennsylvania State University Press, 1998), S. 27.
  5. Charlotte von Kirschbaum: Die wirkliche Frau. Evangelischer Verlag, Zollikon-Zurich 1949.
  6. Charlotte von Kirschbaum: Der Dienst der Frau in der Wortverkundigung. 1951; in: Renate Kobler: Schattenarbeit: Charlotte von Kirschbaum ? die Theologin an der Seite Karl Barths. Mit einem Geleitwort von Marie Rose Barth und einer Nachlese von Hans Prolingheuer. Pahl-Rugenstein, Koln 1986, S. 112.
  7. Suzanne Selinger: Charlotte von Kirschbaum und Karl Barth. Eine biographisch-theologiegeschichtliche Studie. Theologischer Verlag, Zurich 2004 (Original Pennsylvania State University Press, 1998), S. 124.
  8. Karl Barth: Die Christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band. Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik. 1927. Hg. von Gerhard Sauter. Theologischer Verlag, Zurich 1982, S. 374.
  9. Suzanne Selinger: Charlotte von Kirschbaum und Karl Barth. Eine biographisch-theologiegeschichtliche Studie. Theologischer Verlag, Zurich 2004 (Original Pennsylvania State University Press, 1998), S. 132.
  10. Charlotte von Kirschbaum: Die wirkliche Frau. Evangelischer Verlag, Zollikon-Zurich 1949, S. 66.
  11. Charlotte von Kirschbaum: Die wirkliche Frau. Evangelischer Verlag, Zollikon-Zurich 1949, S. 139.
  12. Charlotte von Kirschbaum: Die wirkliche Frau. Evangelischer Verlag, Zollikon-Zurich 1949, S. 135.
  13. Charlotte von Kirschbaum: Die wirkliche Frau. Evangelischer Verlag, Zollikon-Zurich 1949.
  14. http://www.w-vk.de/?page_id=47