Carmina Burana (Orff)

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Buhnenbildentwurf von Helmut Jurgens fur Carmina Burana , Auffuhrung Bayer. Staatsoper Munchen 1959
Das Schicksalsrad der Fortuna (Rota Fortunae) , Buchmalerei im Codex Buranus

Carmina Burana ( lateinisch fur Beurer Lieder oder Lieder aus Benediktbeuern ) ist der Titel einer szenischen Kantate von Carl Orff aus den Jahren 1935/1936. Die Texte in mittellateinischer und mittelhochdeutscher Sprache sind den Carmina Burana entnommen, einer Sammlung von im 11. und 12. Jahrhundert entstandenen Lied- und Dramentexten.

Nach der Komposition von Catulli Carmina und Trionfo di Afrodite fasste Carl Orff die Carmina Burana mit diesen unter dem Titel Trionfi zusammen. Auffuhrungen des gesamten Triptychons sind aber die Ausnahme geblieben.

Die Carmina Burana wurden am 8. Juni 1937 in der Oper zu Frankfurt am Main [1] unter der musikalischen Leitung von Bertil Wetzelsberger und der Regie von Oskar Walterlin uraufgefuhrt.

Entstehung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Orff stieß 1934 auf die von Johann Andreas Schmeller 1847 herausgegebene Ausgabe der Carmina Burana . Michel Hofmann , ein junger Jurastudent und Latein- und Griechisch-Enthusiast, unterstutzte ihn bei der Auswahl und Zusammenstellung von 24 dieser Texte zu einem Libretto , hauptsachlich in Latein sowie einigen in Mittelhochdeutsch und Altfranzosisch . Die Auswahl umfasst eine weite Spanne weltlicher Themen: die Wechselhaftigkeit von Gluck und Wohlstand, die Fluchtigkeit des Lebens, die Freude uber die Ruckkehr des Fruhlings sowie die Genusse und Gefahren von Trinken, Vollerei , Glucksspiel und Wollust .

Bei der Vertonung handelt es sich um eine vollige Neukomposition. Zur Entstehungszeit von Orffs Werk war noch kaum eine der originalen mittelalterlichen, in Neumen notierten Melodien rekonstruiert. So gestaltete er die Musik nach bereits bekannten Stilmerkmalen des Mittelalters wie etwa Bordun begleitung und Kirchentonarten . Orff selbst bezeichnete sein Werk weder als Oper noch als Oratorium oder Kantate . Manchmal wird zwar dem Werk die Bezeichnung ?szenische Kantate“ als Untertitel beigegeben, jedoch sind szenische Auffuhrungen der Carmina Burana gegenuber konzertanten deutlich in der Minderzahl. Der vollstandige lateinische Titel lautet Carmina Burana: Cantiones profanæ cantoribus et choris cantandæ comitantibus instrumentis atque imaginibus magicis (Beurer Lieder: Weltliche Gesange fur Sanger und Chore, begleitet von Instrumenten und magischen Bildern).

Besetzung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Carmina Burana sind instrumentiert fur 3 Floten (davon zwei im Wechsel mit Piccolo ), 3 Oboen (davon eine im Wechsel mit Englischhorn ), 3 Klarinetten in B und A (davon eine im Wechsel mit Es-Klarinette, eine im Wechsel mit Bassklarinette ), 2 Fagotte , Kontrafagott , 4 Horner in F, 3 Trompeten in B und C, 3 Posaunen , Tuba , 2 Klaviere , Celesta , großes Schlagzeug und Streicher.

Das Schlagzeug setzt sich zusammen aus 5 Pauken (eine Piccolo), 2 Kleinen Trommeln , Großer Trommel , Triangel , verschiedenen Becken , Ratsche , Kastagnetten , Schlittenglocken , Tamtam , Tamburin , Rohrenglocken , 3 Glocken , 3 Glockenspielen und Xylophon .

Die Gesangsstimmen umfassen je einen Sopran -, Tenor - und Bariton solisten, einen großen gemischten Chor mit Soli fur 3 Tenore, Bariton und zwei Basse, einen vierstimmigen Kammerchor und einen Kinderchor .

Alternative Versionen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Eine reduzierte Version fur Solisten, großen gemischten Chor, Kinderchor, zwei Klaviere und Schlagzeug wurde 1956 von Orffs Schuler Wilhelm Killmayer arrangiert und vom Komponisten autorisiert. Außerdem existiert eine Bearbeitung von Friedrich K. Wanek mit funf Satzen fur zehn Blaser in der Besetzung: 2 Floten (2. auch Piccolo), 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten in B, 2 Horner, 2 Fagotte (2. auch Kontrafagott) sowie eine 1967 entstandene Version von John Krance mit 13 Satzen fur sinfonisches Blasorchester, welche beide ebenfalls von Orff autorisiert wurden. Eine weitere Bearbeitung stellt das Jazz-Arrangement von Polheim, Hirschmann, Beigang fur Orgel, Bass und Schlagzeug dar (Carmina Variations). 2022 erschien eine reduzierte Fassung fur ein 19-kopfiges Kammerorchester von Paul Leonard Schaffer . Alle Versionen erschienen im Verlag Schott Music .

Aufbau [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Orff wahlte eine Gliederung in drei Teile. Eingerahmt wird das Werk von einem machtigen Chor zu Ehren der Schicksalsgottin Fortuna ( Fortuna Imperatrix Mundi ), die das Schicksal der Menschen letztlich bestimmen soll. [2]

Fortuna Imperatrix Mundi (Gluck, die Kaiserin der Welt)

1. O Fortuna
2. Fortune plango vulnera (Die Wunden, die Fortuna schlug)

Ia. Primo vere (Im Fruhling)

3. Veris leta facies (Fruhlings heiteres Gesicht)
4. Omnia sol temperat (Alles warmet Sonne auf)
5. Ecce gratum (Auf, zu grußen)

Ib. Uf dem Anger (Auf dem Anger)

6. Tanz
7. Floret silva (Bluhend wird der edle Wald)
8. Chramer, gip die varwe mir (Kramer, gib die Farbe mir)
9. a) Reie ? Reigen
b) Swaz hie gat umbe
c) Chume, chum, geselle min
d) Swaz hie gat umbe
10. Were diu werlt alle min (Ware auch die Welt ganz mein)

II. In taberna (In der Schenke)

11. Estuans interius (Heißer Scham und Reue voll)
12. Olim lacus colueram (Einstens war ich Zierd’ des Sees)
13. Ego sum abbas (Ich bin der Abt)
14. In taberna quando sumus (Wenn wir sitzen in der Schenke)

IIIa. Cour d’amours (Hof der Liebesabenteuer)

15. Amor volat undique (Amors Pfeile uberall)
16. Dies, nox et omnia (Tag und Nacht und insgesamt)
17. Stetit puella (Stand da ein Madchen)
18. Circa mea pectora (Rund um meines Herzens Grund)
19. Si puer cum puellula (Wenn ein Knabe mit dem Madchen)
20. Veni, veni, venias (Komme, komme, komm nun doch)
21. In trutina (Auf der Waage meines Herzens)
22. Tempus est iocundum (Freudvoll ist die Zeit)
23. Dulcissime (Du Sußester)

IIIb. Blanziflor et Helena ( Blanchefleur und Helena )

24. Ave formosissima (Sei gegrußt, Du Schonste)

Fortuna Imperatrix Mundi (Gluck, die Kaiserin der Welt)

25. O Fortuna (Schicksal)

Orff ging mit dem vorgefundenen Material der Carmina Burana recht frei um. So benutzte er von mehreren Gedichten nur Teile oder Einzelstrophen fur sein Chorwerk. Von dem großen Liebesdialog CB 77 ubernahm er nur die Strophe, in der die Angebetete mit Blanziflor, einer Heldin der altfranzosischen Rittersage, und mit der schonen Helena verglichen wird, die den Trojanischen Krieg ausloste: Hier gefiel dem Komponisten die fur die Carmina Burana typische Verknupfung mittelalterlicher und antiker Bildungsinhalte. Auch folgte er nicht den oft sehr komplizierten Metren der Lieder , Sequenzen und Leichs der Handschrift, sondern erfand ganz neue, oft mitreißende und tanzerische Rhythmen zu den alten Texten.

Musikalisch ist das Chorwerk von raffinierter Schlichtheit: In konventioneller oder archaisierender Harmonik setzt es ganz auf die Kraft seiner Melodien , deren Simplizitat bisweilen an Abzahlreime erinnert. Aufschließung und Fortentwicklung von Motiven gibt es ebenso wenig wie Kontrapunktik . [3]

Wirkungsgeschichte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nach der erfolgreichen Urauffuhrung im Jahre 1937 schrieb Orff an seinen Verleger: ?Alles, was ich bisher geschrieben und was Sie leider gedruckt haben, konnen Sie nun einstampfen! Mit Carmina Burana beginnen meine gesammelten Werke!“ [4]

Das Werk wurde rasch zu einem der popularsten Stucke ernster Musik und zum meist aufgefuhrten Chor-/Orchesterwerk des 20. Jahrhunderts mit weltweit ca. 20 Auffuhrungen Monat fur Monat. [5] Adolf Hitler soll das Werk geschatzt haben. [6] Die Reichsmusikkammer und die Kritiken nach der Urauffuhrung hatten es freilich wegen der spezifischen Rhythmik (?bayerische Niggermusik “), der unverhohlenen Erotik seiner Texte und des verwendeten Lateins geschmaht. [7] Dennoch galt Orffs Kantate spater als Symbol fur die von der NSDAP gewunschte deutsche ?Jugendkultur“, der Volkische Beobachter bezeichnete sie als ?genau die klare, sturmische und dennoch disziplinierte Art von Musik, die unsere Zeit benotigt“. [8]

Die Carmina Burana sind vielfach in anderen Werken verwendet worden. Insbesondere der wuchtige Chorsatz zu CB 17 ( O fortuna ), mit dem das Werk einsetzt, ist so popular, dass er haufig als Filmmusik verwendet wird, meist in der Aufnahme des Atlanta Symphony Orchestra unter dem Dirigat von Robert Shaw; die Internet Movie Database listet uber 90 Film- und Fernsehproduktionen auf, in denen die Carmina Burana im Soundtrack verwendet werden. [9] Daruber hinaus wurde das Werk wiederholt in der Werbung eingesetzt.

Amit Weiner, Leiter der Abteilung fur Komposition an der Jerusalem Academy of Music and Dance , bezeichnete die Carmina Burana als ≫ Nazi -Musik≪, von einem ≫Nazi-Komponisten≪, ≫absichtlich fur den populistischen Geschmack von Goebbels und Goring geschrieben≪, die daher in Israel nicht offentlich aufgefuhrt werden sollte. [10] Eine vergleichbare Kritik brachte der Kunst- und Politikwissenschaftler Kai Kohler vor. [11]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Markus Bandur: Carl Orff: Carmina Burana. In: A. Riethmuller (Hrsg.): Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert: 1925?1945 (= Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert. Bd. 2), Laaber, Laaber 2006, ISBN 3-89007-422-7 ( Volltext ; PDF; 1,9 MB).
  • Frohmut Dangel-Hofmann (Hrsg.): Carl Orff ? Michel Hofmann: Briefe zur Entstehung der Carmina Burana. Schneider, Tutzing 1990, ISBN 3-7952-0639-1 .
  • Susanne Glaß : Carl Orff ? Carmina Burana (= Barenreiter Werkeinfuhrungen ). Barenreiter, Kassel 2008, ISBN 978-3-7618-1732-2 .
  • Kii-Ming Lo : Sehen, Horen und Begreifen: Jean-Pierre Ponnelles Verfilmung der ?Carmina Burana“ von Carl Orff. In: Thomas Rosch (Hrsg.): Text, Musik, Szene ? Das Musiktheater von Carl Orff. Schott, Mainz 2015, ISBN 978-3-7957-0672-2 , S. 147?173.
  • Thomas Rosch (Hrsg.): Text, Musik, Szene ? Das Musiktheater von Carl Orff. Symposium Orff-Zentrum Munchen 2007. Schott, Mainz 2015, ISBN 978-3-7957-0672-2 .
  • Werner Thomas: Das Rad der Fortuna ? Ausgewahlte Aufsatze zu Werk und Wirkung Carl Orffs. Schott, Mainz 1990, ISBN 3-7957-0209-7 .
  • Franz Willnauer (Hrsg.): Carmina Burana von Carl Orff. Entstehung, Wirkung, Text. Schott, Mainz 2007, ISBN 978-3-254-08220-6 .
  • John Austin: Pronunciation of the Middle High German Sections of Carl Orff’s ?Carmina Burana“. In: The Choral Journal. Bd. 36, Nummer 2, 1995, S. 15?18 (Englisch) und Guy A. J. Tops: De uitspraak van de middelhoogduitse teksten in Carl Orffs ?Carmina Burana“ . In: Stemband. Bd. 3, Nummer 1, 2005, S. 8?9 (Niederlandisch) rekonstruieren die Aussprache der mittelhochdeutschen Texte; beide mit IPA phonetischer Umschrift.
  • Zachery Krueger, South Dakota State University: ?Carl Orff’s Carmina Burana: A Conceptual and Ethical Analysis,“ The Journal of Undergraduate Research: Vol. 10, Article 7

Film [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Frank Halbach: Urauffuhrung von Orffs ?Carmina Burana“. In: Bayerischer Rundfunk , 8. Juni 2017 ( MP3 ).
  2. Ubersetzung der Carmina Burana. Abgerufen am 3. April 2021 .
  3. Hans Christian Worbs, auf der Plattenhulle von: Carl Orff, Carmina Burana, London Symphony Orchestra, dirigiert von Eduardo Mata , RCA 1981.
  4. Hans Jorg Jans (Hrsg.): Welttheater. Carl Orff und sein Buhnenwerk. Schneider, Tutzing 1996, ISBN 3-7952-0861-0 , S. 122 ( eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. Bernd Edelmann, Carl Orff , In: Katharina Weigand (Hrsg.), Große Gestalten der bayerischen Geschichte, Munchen, 2012, S. 461
  6. Sherree Owens Zalampas: Adolf Hitler: A Psychological Interpretation of His Views on Architecture Art and Music. Bowling Green State University Popular Presse, Bowling Green 1990, ISBN 0-87972-487-0 , S. 104 ( eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Edwin Baumgartner: In kleinen Schritten zum Erfolg , Wiener Zeitung , 11. Juni 2012.
  8. Secret of the White Rose , Martin Kettle, The Guardian , 2. Januar 2009
  9. Carl Orff. Internet Movie Database , abgerufen am 20. November 2013 (englisch).
  10. Haggai Hitron: ??????? ?????? ?????? “?????? ??????” ???? ?????? ???????? / Once a Nazi Party Favorite, This Piece of Music Was Recently Performed in Israel Haaretz , 27./29. Juni 2022.
  11. Kai Kohler: Klingende Volksgemeinschaft. In junge Welt vom 12. Juni 2022, S. 12 ff.
  12. Carmina Burana (1975). Internet Movie Database , abgerufen am 20. November 2013 (englisch).