Die
Burggrafschaft Passau
war von 1078 bis 1099 eine vom
Hochstift Passau
abgetrennte, kurzlebige Grafschaft im
Heiligen Romischen Reich
. Nach dem Tod des einzigen Grafen gingen ihre Rechte wieder an den Passauer Bischof uber.
Der Titel des
Grafen von Passau
bzw.
Burggrafen von Passau
deutet nicht auf einen gewachsene oder ererbte Position hin, sondern auf eine infolge des
Investiturstreits
zwischen Papst
Gregor VII.
und Konig
Heinrich IV.
entstandene neue Grafschaft hin. Ob diese sich uber die Stadt
Passau
hinaus in das
Immunitatsgebiet
der Bischofskirche erstreckte ist unbekannt.
Konig Heinrich IV. zog im Jahre 1078 mitsamt seinem Heer von Italien kommend uber die Alpen nach Bayern. Sein Ziel war es, seine papsttreuen Widersacher in
Ostbayern
zu besiegen. Angefuhrt wurden diese von den
Grafen von Formbach
und dem Passauer Bischof
Altmann
. Nach der Belagerung und Eroberung von drei Formbacher Burgen und der darauf anschließenden Einnahme der Stadt Passau flohen die Grafen und der Passauer Bischof nach
Ungarn
.
Die Anderungen der Grafschaftsrechte im
Donauraum
gehen wohl auf diese Ereignisse zuruck. Die Formbacher verloren zahlreiche Besitzungen und Grafschaftsrechte wie im
Kunziggau
oder
Rottachgau
, welche sie noch bis 1077 nachweislich innehatten. Danach tritt darin aber meist
Ulrich von Passau
auf. Konig Heinrich IV. setzte ihn wohl in seiner neuen Funktion als Burggraf von Passau ein, um den Widerstand endgultig zu beseitigen. Durch die Schaffung der neuen Burggrafschaft, ging dem Hochstift Passau im Jahre 1078 die von
Otto III.
an Bischof
Christian von Passau
verliehene weltliche Macht uber die Stadt Passau verloren. Heinrich IV. loste diese Herrschaftsrechte nun wieder heraus und vergab sie dem
Rapotonen
Ulrich. Des Weiteren vergab der Konig die ehemals Formbach'schen Lehen und andere Guter neu. Welche Guter dies exakt waren, ist jedoch nicht mehr vollstandig feststellbar.
Erst im Jahre 1085 setzte Heinrich IV., welcher ein Jahr zuvor die Kaiserkrone erlangt hatte,
Hermann von Eppenstein
als Passauer Gegenbischof fur Bischof Altmann ein. Daraus wird gefolgert, dass bis dahin Ulrich von Passau die koniglichen Interessen in der Stadt, als auch gegen Altmann und dessen Anhanger in der Region vertrat.
Neben den Grafschaftsrechten zu Passau, erwarb Ulrich auch noch zahlreiche weitere Hoheitsrechte im Ostbayerischen Raum, so unter anderem die Grafschaftsrechte im Rottachgau, im
Lungau
und bei
Reichersberg
. Inwieweit diese Guter zur Passauer Herrschaft gezahlt wurden, ist nicht bekannt. Zur Weiteren Ausstattung erhielt Ulrich von Heinrich IV. Fiskalgut bei
Eggenfelden
mit als Grundausstattung.
Ulrich von Passau bevogtete ebenso die Bamberger Eigenkloster
Osterhofen
,
Aldersbach
, samtlichen Besitz der Bamberger Bischofskirche in Ostbayern und der Oberpfalz, sowie den Besitz von
Ering
und um
Mattighofen
. Ein Brief zwischen Heinrich IV. und dem Bamberger Bischof offenbart, dass sich Heinrich das Vergaberecht fur diese Guter erkauft hatte. Vielmehr hatte bereits Ulrich sich selbst in die Vergabe der Guter des eigentlich konigstreuen Bischofs eingemischt, so wird gar davon gesprochen er habe die Guter
usurpiert
. Neben den Bamberger Gutern bevogtete Ulrich auch die Passauer Guter. So ist er zwischen 1080 und 1090 als Vogt von
St. Nikola
nachweisbar. Ob er auch Domvogt war, ist nicht festzustellen, wird aber vermutet.
Der Burggraf schuf sich somit einen großen Besitzkomplex nordlich und sudlich der Donau. Ulrich war aufgrund seines Besitzes außerst einflussreich und machtig im Heiligen Romischen Reich, schon zu Lebzeiten hatte er den Beinamen
der Vielreiche
.
Um den 20. Februar 1099 starb Ulrich von Passau ohne mannlichen Erben und damit der einzige Burggraf von Passau. Kaiser Heinrich IV. trat umgehend mit Bischof
Rupert von Bamberg
in Verbindung, um sich mit ihm uber die Neuvergabe der
heimgefallenen
Guter und Lehen zu unterhalten. Er befurchtete, dass bei der Vergabe der Guter die Formbacher und andere seiner papsttreuen Gegner berucksichtigt werden konnten und diese somit wiedererstarken konnten. Da in Passau der kaiserliche Gegenbischof
Tiemo
herrschte, hatte er dort ebenso großen Einfluss auf die Vergabe der Guter an seine Anhanger.
Der Kaiser versuchte nun bewusst Ulrichs vormalige Machtposition zu zersplittern. Im April 1099 traf er sich mit Markgraf
Leopold von Osterreich
um uber Ulrichs Erbe zu verhandeln. Die Herrschaftsrechte uber die Stadt, und damit die der Burggrafschaft, vergab Heinrich wieder an Tiemo. Diese Rechte blieben fortan stets bei den Passauer Bischofen, bis zur
Mediatisierung
des Hochstifts 1803. Ulrichs Vogteien wurden ebenso bewusst zersplittert. Dabei beachtete Kaiser Heinrich IV. auch schwachere Stande wie die
Edelfreien von Kamm
, aber auch nicht so starke Gefolgsmanner seiner Krone wie die
Sulzbacher
.
Die Passauer Burggrafschaft zerfiel ebenso schnell wie sie einst entstanden war. Die Blute der Diepoldinger-Rapotonen in Ostbayern endete damit rasch, da nach Ulrichs Tod, ein paar Monate spater, auch sein Bruder Pfalzgraf
Rapoto V. von Bayern
verstarb. Aufgrund der stattfindenden Zersplitterung Ulrichs Besitzes ist dessen Umfang heute nicht mehr feststellbar.
Die Eingriffe Heinrichs IV. in den Jahren 1078 und 1099 beeinflussten den bayerischen Raum und dessen Herrschaftsgefuge nachhaltig. So verloren die einst so machtigen Formbacher Grafen ihre Machtstellung seither zunehmend, bis sie schließlich 1158 ausstarben.
Die Bamberger und Passauer Lehen nordlich der Donau fielen an die Sulzbacher. Diese erlebten so ihre Blutezeit und wurden zum machtigsten und einflussreichsten bayerischen Adelsgeschlecht. Im Jahre 1188 erlosch dieses Geschlecht jedoch ebenso.
Zahlreiche Bamberger Besitzungen sudlich der Donau, wie die Vogtei uber die Kloster Osterhofen und Asbach, fielen an den Edelfreien Mazili von Kamm. Dieser war einst bereits ein Gefolgsmann des Passauer Burggrafen. Es wird angenommen, dass er mit Ulrich in den Passauer Raum kam. Fur Mazili und seine Nachfahren war dies ein bedeutender Einflussgewinn, wodurch sie die Unabhangigkeit ihres Standes wahren konnten. 1280 gelang es ihnen schließlich in den Reichsgrafenstand als
Graf von Hals
erhoben zu werden.
Spater folgten diesen Geschlechtern die
Grafen von Bogen
und die
Grafen von Ortenburg
. Letztere sind ein Seitenzweig der
Spanheimer
. Diesen gelang es durch Heirat Ulrichs Tochter Uta bereits fruh in den niederbayerischen Raum einzutreten. Dank deren noch außerst umfangreichen Besitz, konnten die aus Karnten stammenden Spanheimer im Chiemgau, Salzachgau und Rottachgau Fuß fassen. Im Laufe der Zeit bauten sie ihre Macht, wie auch die Bogener, immer weiter aus. Beide Geschlechter wurden im 12. und 13. Jahrhundert starke Konkurrenten fur das Bistum Passau. Erst der Niedergang beider, Mitte des 13. Jahrhunderts, ermoglichte es den
wittelsbachischen
Herzogen im niederbayerischen Raum einzudringen.
- Richard Loibl
:
Der Herrschaftsraum der Grafen von Vornbach und ihrer Nachfolger
(
Historischer Atlas von Bayern, Altbayern Reihe II, Heft 5
), Munchen 1997, S. 149?164