Bankellieder
(auch
Bankelsang
oder
Bankelgesang
) waren erzahlende
Lieder
mit haufig dramatischen Inhalten. Der Bankelgesang war vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert eine gesamteuropaische Erscheinung. Bankelsanger waren damals wichtige
Nachrichtenkolporteure
, in Italien wurden sie
cantastorie
genannt. Um vom Publikum, z. B. auf dem Marktplatz, besser gesehen zu werden, stellten sie sich auf eine
Holzbank
, wenn sie
Moritaten
,
Balladen
und Lieder vortrugen. Zur Illustration des Geschehens dienten Tafeln, auf denen die geschilderten Szenen aufgemalt waren. Um die Spannung zu erhohen, waren diese Bilder aber nicht chronologisch gereiht, sondern der Sanger wies mit einem Stock auf das Zutreffende.
Seit dem 18. Jahrhundert wurden die Liedtexte haufig gedruckt. Um 1830 produzierte der Wiener Kupferstecher Franz Barth gefaltete Liedflugblatter mit einem Titelbild und mit Noten. Dem Bankelgesang nahe stehen auch die 1839 veroffentlichten
Grablieder
des oberschwabischen Pfarrers
Michael von Jung
. Ein halbes Jahrhundert spater losten billigere Druckverfahren den teuren Kupferstich ab. Dadurch waren hohere Auflagen und weitere Verbreitung moglich. Die Blutezeit des Bankelsangs fiel in das 19. Jahrhundert bis vor dem
Ersten Weltkrieg
.
Die in der
Tradition
des Bankelsangs stehenden
Schnitzelbanke
sind noch heute tragendes Element der
Basler Fasnacht
und werden auch andernorts in der
schwabisch-alemannischen Fastnacht
gepflegt. Die ?Schnitzel“ sind die Texte, die verteilt werden, die Vortragenden zeigen meistens auch mit einem Stock auf Bilder und haben eine eingangige Gesangs-Melodie, die sie mit Gitarre, Akkordeon oder anderen Instrumenten begleiten.
Auch in der Gegenwart gibt es noch einige Kunstler, die die Tradition der Bankelsanger pflegen. Bekannte Bankelsanger sind und waren der seit 40 Jahren aktive und 2019 verstorbene Schweizer Peter Hunziker sowie die Deutschen Michael Gunther, Peter Runkowski und Paul Kamman. In Wien hat
Eberhard Kummer
gemeinsam mit Kammerschauspielerin
Elisabeth Orth
eine Aufnahme von Bankelliedern nach historischen Prinzipien eingespielt.
Andere Kunstler verarbeiten moderne Texte unter anderem von
Fritz Grasshoff
,
Erich Kastner
,
Eugen Roth
und
Fridolin Tschudi
und vertonen eigene Texte im Stil eines Bankelliedes. Mit ihren Programmen treten sie in Kleintheatern auf. Manche Dichter bezeichneten sich selbst als Nachfahren der Bankelsanger und nannten ihre Texte Moritat, etwa Grasshoff im bekannten Text ?Die Moritat vom eiskalten Gasanstaltsdirektor“.
Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert zogen Bankelsanger von Ort zu Ort, um auf
Jahrmarkten
,
Kirchweihfesten
,
Marktplatzen
, in Hafen, den Straßen der Stadte oder auf der Dorfwiese von schauerlichen Geschichten, von Mord, Liebe, Katastrophen und aufregenden politischen Ereignissen zu berichten. Bankelsanger wurden deshalb auch zum
fahrenden Volk
gerechnet, und es waren nicht selten
Kriegsversehrte
oder ?
Kruppel
“, die damit ihr Auskommen zu fristen suchten.
[1]
Wahrend seines Vortrages stellte sich der Bankelsanger auf eine kleine Bank, das
Bankel
. Dabei zeigte er meist mit einem langen Stab auf eine Bildtafel mit einigen Zeichnungen, die seine
Moritat
illustrierten. Haufig untermalte er seine Darbietung musikalisch mit einer
Drehleier
, Violine, Laute, oder spater dann auch der Drehorgel.
Moritaten
sind schaurige
Balladen
, Erzahllieder des Bankelsangers. Umstritten ist die Herkunft des Namens. Es gibt mehrere Moglichkeiten: Entweder vom
Lateinischen
, erbauliche Geschichte oder aus dem Rotwelsch
moores
bzw.
jiddisch
mora
: Larm, Schreck; vielleicht aber auch
Verballhornung
von
Mordtat
. Einleuchtend ist aber auch die Erklarung, dass der Ausdruck von Moralite, der Moral herruhrt, weil ursprunglich die Moritaten alle eine Moralstrophe hatten; oft sogar wurde spater auf Druck der Obrigkeit noch eine beigefugt. Vielerorts mussten die Texte deshalb zuerst der Obrigkeit gezeigt werden.
Im 19. und 20. Jahrhundert gab es eine Wechselbeziehung zwischen dem Bereich der Dichtung und dem Bankelsang.
Kabarettisten
und Dichter griffen auf Stilelemente von Moritaten zuruck und Bankelsanger wurden Lyrikern ahnlich. Die Stilelemente waren vor allem die pragnante Schwarz-Weiß-Malerei und die einfachen Verse. Ein Beispiel ist
Die Moritat von Mackie Messer
aus der
Dreigroschenoper
von
Bertolt Brecht
. Bei der Urauffuhrung in Berlin wurden alle Stilelemente der Moritat, des Bankelgesangs verwendet: Der Sanger drehte die Drehorgel, deren Walze extra dazu hergestellt worden war, zeigte wie ein Bankelsanger mit einem Stock auf das entsprechende Schild, die Melodie war einpragsam, die Worte erzahlten eindrucklich und bildhaft. Auch viele der fruhen Werke des Liedermachers
Franz-Josef Degenhardt
fuhrten die Tradition des Bankelsangs auf kunstvolle Weise fort, ein Beispiel dafur ist das Lied
Wolfe mitten im Mai …
.
Im 18. und 19. Jahrhundert zogen im
Iran
Geschichtenerzahler (persisch
pardadari
, ?Vorhanghalter“) mit großen Ol-auf-Leinwand-Bildern umher und besangen das tragische Thema der
Schlacht von Kerbela
. Bis heute werden im nordwestindischen Bundesstaat
Rajasthan
lange Stoffbilder (
phad
), die das gesamte Thema enthalten, an der Wand befestigt und von einem Erzahler vorgefuhrt, der zur Volksgruppe der Bhopa gehort. Er begleitet seinen Gesang auf der Streichlaute
Ravanahattha
. Eine Folge einzelner Bilder stellt die Paithan-Malerei des 19. Jahrhunderts aus der gleichnamigen Stadt in
Maharashtra
im Nordwesten Indiens dar. Eine
Schattenspielergruppe
pflegt eine ahnliche Tradition in einer landlichen Gegend dort bis heute. In
Westbengalen
zeigen die
Patua
lange Bildrollen und erzahlen Geschichten dazu. Beim indonesischen
Wayang beber
prasentiert ein Erzahler Bildrollen, die mehrere einzelne Szenen enthalten, begleitet von einem Musikensemble. Im mittelalterlichen Japan gab es die Bildrollen
Emakimono
. Ebenfalls japanisch ist das Papiertheater
Kamishibai
, bei dem ein Erzahler auf der Straße nacheinander Papierbilder in einen Guckkasten schiebt.
- Elisabeth Orth
:
Sentimentale Volkslieder vom Tod, von Raubern und Mordern.
Gem. mit Eberhard Kummer. CD. Preiser-Records, Wien 1993.
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[1]
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[3]
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.
- ↑
Zum Zeitraum siehe:
Harald Fricke
u. a. (Hrsg.):
Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft.
Band 1:
A?G.
3., neubearbeitete Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 1997,
ISBN 3-11-010896-8
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