Bankelsang

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Bankelsanger vor landlichem Publikum ( Hinterglasbild )
Bankelsanger in Basel. Die besungenen Bilder zeigen das Basler Erdbeben 1356 und die Uberschwemmungen in Holstein 1830.

Bankellieder (auch Bankelsang oder Bankelgesang ) waren erzahlende Lieder mit haufig dramatischen Inhalten. Der Bankelgesang war vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert eine gesamteuropaische Erscheinung. Bankelsanger waren damals wichtige Nachrichtenkolporteure , in Italien wurden sie cantastorie genannt. Um vom Publikum, z. B. auf dem Marktplatz, besser gesehen zu werden, stellten sie sich auf eine Holzbank , wenn sie Moritaten , Balladen und Lieder vortrugen. Zur Illustration des Geschehens dienten Tafeln, auf denen die geschilderten Szenen aufgemalt waren. Um die Spannung zu erhohen, waren diese Bilder aber nicht chronologisch gereiht, sondern der Sanger wies mit einem Stock auf das Zutreffende.

Geschichte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Seit dem 18. Jahrhundert wurden die Liedtexte haufig gedruckt. Um 1830 produzierte der Wiener Kupferstecher Franz Barth gefaltete Liedflugblatter mit einem Titelbild und mit Noten. Dem Bankelgesang nahe stehen auch die 1839 veroffentlichten Grablieder des oberschwabischen Pfarrers Michael von Jung . Ein halbes Jahrhundert spater losten billigere Druckverfahren den teuren Kupferstich ab. Dadurch waren hohere Auflagen und weitere Verbreitung moglich. Die Blutezeit des Bankelsangs fiel in das 19. Jahrhundert bis vor dem Ersten Weltkrieg .

Die in der Tradition des Bankelsangs stehenden Schnitzelbanke sind noch heute tragendes Element der Basler Fasnacht und werden auch andernorts in der schwabisch-alemannischen Fastnacht gepflegt. Die ?Schnitzel“ sind die Texte, die verteilt werden, die Vortragenden zeigen meistens auch mit einem Stock auf Bilder und haben eine eingangige Gesangs-Melodie, die sie mit Gitarre, Akkordeon oder anderen Instrumenten begleiten.

Auch in der Gegenwart gibt es noch einige Kunstler, die die Tradition der Bankelsanger pflegen. Bekannte Bankelsanger sind und waren der seit 40 Jahren aktive und 2019 verstorbene Schweizer Peter Hunziker sowie die Deutschen Michael Gunther, Peter Runkowski und Paul Kamman. In Wien hat Eberhard Kummer gemeinsam mit Kammerschauspielerin Elisabeth Orth eine Aufnahme von Bankelliedern nach historischen Prinzipien eingespielt.

Andere Kunstler verarbeiten moderne Texte unter anderem von Fritz Grasshoff , Erich Kastner , Eugen Roth und Fridolin Tschudi und vertonen eigene Texte im Stil eines Bankelliedes. Mit ihren Programmen treten sie in Kleintheatern auf. Manche Dichter bezeichneten sich selbst als Nachfahren der Bankelsanger und nannten ihre Texte Moritat, etwa Grasshoff im bekannten Text ?Die Moritat vom eiskalten Gasanstaltsdirektor“.

Vortragsweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

?Die Bankelsanger“ vor Publikum. Radierung von Christian Wilhelm Ernst Dietrich um 1740

Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert zogen Bankelsanger von Ort zu Ort, um auf Jahrmarkten , Kirchweihfesten , Marktplatzen , in Hafen, den Straßen der Stadte oder auf der Dorfwiese von schauerlichen Geschichten, von Mord, Liebe, Katastrophen und aufregenden politischen Ereignissen zu berichten. Bankelsanger wurden deshalb auch zum fahrenden Volk gerechnet, und es waren nicht selten Kriegsversehrte oder ? Kruppel “, die damit ihr Auskommen zu fristen suchten. [1]

Wahrend seines Vortrages stellte sich der Bankelsanger auf eine kleine Bank, das Bankel . Dabei zeigte er meist mit einem langen Stab auf eine Bildtafel mit einigen Zeichnungen, die seine Moritat illustrierten. Haufig untermalte er seine Darbietung musikalisch mit einer Drehleier , Violine, Laute, oder spater dann auch der Drehorgel.

Moritaten [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Moritatenerzahler, hollandisch, 17./18. Jahrhundert

Moritaten sind schaurige Balladen , Erzahllieder des Bankelsangers. Umstritten ist die Herkunft des Namens. Es gibt mehrere Moglichkeiten: Entweder vom Lateinischen , erbauliche Geschichte oder aus dem Rotwelsch moores bzw. jiddisch mora : Larm, Schreck; vielleicht aber auch Verballhornung von Mordtat . Einleuchtend ist aber auch die Erklarung, dass der Ausdruck von Moralite, der Moral herruhrt, weil ursprunglich die Moritaten alle eine Moralstrophe hatten; oft sogar wurde spater auf Druck der Obrigkeit noch eine beigefugt. Vielerorts mussten die Texte deshalb zuerst der Obrigkeit gezeigt werden.

Adaptionen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

?Das Attentat“, ein satirisches Bankellied auf das versuchte Attentat Tschechs 1844

Im 19. und 20. Jahrhundert gab es eine Wechselbeziehung zwischen dem Bereich der Dichtung und dem Bankelsang. Kabarettisten und Dichter griffen auf Stilelemente von Moritaten zuruck und Bankelsanger wurden Lyrikern ahnlich. Die Stilelemente waren vor allem die pragnante Schwarz-Weiß-Malerei und die einfachen Verse. Ein Beispiel ist Die Moritat von Mackie Messer aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht . Bei der Urauffuhrung in Berlin wurden alle Stilelemente der Moritat, des Bankelgesangs verwendet: Der Sanger drehte die Drehorgel, deren Walze extra dazu hergestellt worden war, zeigte wie ein Bankelsanger mit einem Stock auf das entsprechende Schild, die Melodie war einpragsam, die Worte erzahlten eindrucklich und bildhaft. Auch viele der fruhen Werke des Liedermachers Franz-Josef Degenhardt fuhrten die Tradition des Bankelsangs auf kunstvolle Weise fort, ein Beispiel dafur ist das Lied Wolfe mitten im Mai … .

Bilderzahlungen in anderen Kulturen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im 18. und 19. Jahrhundert zogen im Iran Geschichtenerzahler (persisch pardadari , ?Vorhanghalter“) mit großen Ol-auf-Leinwand-Bildern umher und besangen das tragische Thema der Schlacht von Kerbela . Bis heute werden im nordwestindischen Bundesstaat Rajasthan lange Stoffbilder ( phad ), die das gesamte Thema enthalten, an der Wand befestigt und von einem Erzahler vorgefuhrt, der zur Volksgruppe der Bhopa gehort. Er begleitet seinen Gesang auf der Streichlaute Ravanahattha . Eine Folge einzelner Bilder stellt die Paithan-Malerei des 19. Jahrhunderts aus der gleichnamigen Stadt in Maharashtra im Nordwesten Indiens dar. Eine Schattenspielergruppe pflegt eine ahnliche Tradition in einer landlichen Gegend dort bis heute. In Westbengalen zeigen die Patua lange Bildrollen und erzahlen Geschichten dazu. Beim indonesischen Wayang beber prasentiert ein Erzahler Bildrollen, die mehrere einzelne Szenen enthalten, begleitet von einem Musikensemble. Im mittelalterlichen Japan gab es die Bildrollen Emakimono . Ebenfalls japanisch ist das Papiertheater Kamishibai , bei dem ein Erzahler auf der Straße nacheinander Papierbilder in einen Guckkasten schiebt.

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Horbeispiele [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Elisabeth Orth : Sentimentale Volkslieder vom Tod, von Raubern und Mordern. Gem. mit Eberhard Kummer. CD. Preiser-Records, Wien 1993.
  • Schaurige Moritaten, 60 ergreifende deutsche Lieder . 60 Titel mit unterschiedlichen Vortragern. 3 CDs. Verlag Weltbild, 2008.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Robert Adolf Stemmle (Hrsg.): Ihr lieben Leute horet zu ? Schone Romanzen und hochtragische Moritaten Ergreifende Volksballaden und echte Drehorgellieder , Satz und Weise von Edmund Nick , Zeichnungen von E.O. Plauen , Schutzen-Verlag, Berlin 1938.
  • Hyazinth Lehmann (Hrsg.): Bankel und Brettl , Limes Verlag, Wiesbaden 1953. [1]
  • Eric Singer (Hrsg.): Bankelbuch , Kiepenheuer & Witsch, Koln ? Berlin 1955. [2]
  • Gunnar Muller-Waldeck : Unter Reu' und bitterm Schmerz , Hinstorff Verlag, Rostock 1981, 2. Auflage. [3]
  • Wolfgang Braungart (Hrsg.): Bankelsang ? Texte ? Bilder ? Kommentare , Philipp Reclam jun., Stuttgart 1985, ISBN 3-15-008041-X
  • Egbert Koolman : Bankellieder und Jahrmarktdrucke. Katalog (= Schriften der Landesbibliothek Oldenburg. 22 = Kataloge der Landesbibliothek Oldenburg. 6). Holzberg, Oldenburg 1990, ISBN 3-87358-357-7 (Rezension v. Gerold Schmidt: Oldenburgische Familienkunde. Jg. 33, H. 4, 1991, ISSN   0030-2074 ).
  • Leander Petzoldt (Hrsg.): Bankellieder und Moritaten aus drei Jahrhunderten (= Fischer. 2971). Texte und Noten mit Begleit-Akkorden. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-596-22971-5 .
  • Leander Petzoldt: Bankelsang. In: Rolf Wilhelm Brednich , Lutz Rohrich , Wolfgang Suppan (Hrsg.): Handbuch des Volksliedes. Band 1: Die Gattungen des Volksliedes (= Motive. 1, ISSN   0178-0123 ). Fink, Munchen 1973, S. 235?291.
  • Leander Petzoldt: Bankelsang und Zeitung. Die Dokumentation eines Mordfalls in den Hamburger Medien in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts. In: Monika Fink, Rainer Gstrein, Gunter Mossmer (Hrsg.): Musica Privata. Die Rolle der Musik im privaten Leben. Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Salmen. Edition Helbling, Innsbruck 1991, ISBN 3-900590-20-6 , S. 345?352.
  • Leander Petzoldt: Bankelsang. Vom historischen Bankelsang zum literarischen Chanson (= Sammlung Metzler. 130). Metzler, Stuttgart 1974, ISBN 3-476-10130-4 .
  • Leander Petzoldt (Hrsg.): Die freudlose Muse. Texte, Lieder und Bilder zum historischen Bankelsang. Metzler, Stuttgart 1978, ISBN 3-476-00384-1 .
  • Leander Petzoldt: Grause Thaten sind geschehen. 31 Moritaten aus dem verflossenen Jahrhundert. Heimeran, Munchen 1968, (Faksimiles).
  • Leander Petzoldt: Der Niedergang eines Fahrende Gewerbes. Interview mit Ernst Becker, dem ?letzten Bankelsanger“. In: Schweizerisches Archiv fur Volkskunde. Bd. 68/69, 1972/1973, ISSN   0036-794X , S. 521?533, doi:10.5169/seals-116821 .
  • Leander Petzoldt: Soziale Bedingungen des Bankelsangs im 17. bis 19. Jahrhundert. Probleme und Beispiele. In: Hans Dieter Zimmermann (Red.): Lechzend nach Tyrannenblut. Ballade, Bankelsang und Song (= Schriftenreihe der Akademie der Kunste. 9). Mann, Berlin 1972, ISBN 3-7861-6158-5 , S. 13?24.
  • Leander Petzoldt: Uber das Problem der Ungleichzeitigkeit, oder: ?Die Handwerker konnten noch singen“. In: Bankelsang und Moritat. (Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung vom 14. Juni bis 24. August 1975). Staatsgalerie Stuttgart ? Graphische Sammlung, Stuttgart 1975, S. 43?51.
  • Hans Peter Treichler (Hrsg.): Deutsche Balladen. Volks- und Kunstballaden, Bankelsang, Moritaten. Manesse, Zurich 1993, ISBN 3-7175-1840-2 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Bankelsang  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Zum Zeitraum siehe: Harald Fricke u. a. (Hrsg.): Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft. Band 1: A?G. 3., neubearbeitete Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 1997, ISBN 3-11-010896-8 , S. 190.