Aufmerksamkeit

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Beispiel fur aufmerksames Betrachten
Verschiedene Stufen von Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit ist die Zuweisung von (beschrankten) Bewusstseins ­ressourcen auf Bewusstseinsinhalte . Das konnen z. B. Wahrnehmungen der Umwelt oder des eigenen Verhaltens und Handelns sein, aber auch Gedanken und Gefuhle . Als Maß fur die Intensitat und Dauer der Aufmerksamkeit gilt die Konzentration . Aufmerksamkeit, die auf das Eintreffen bestimmter Ereignisse gerichtet ist, bezeichnet man als Vigilanz . [1]

Neurophysiologische und kognitive Aspekte

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Das Phanomen der Aufmerksamkeit ruckte aufgrund des technischen Fortschritts im Zweiten Weltkrieg in den Forschungsfokus: Die Soldaten waren haufig nicht in der Lage, die neuen Gerate adaquat zu bedienen, obwohl sie daran geschult waren. Das Gehirn hat eine eingeschrankte Verarbeitungskapazitat, es kann nicht sehr viele Reize gleichzeitig verarbeiten. Daher muss es selektieren, welche Informationen fur den Organismus von Bedeutung sind und mit Aufmerksamkeit bedacht werden mussen und welche Informationen weniger relevant sind und daher ausgeblendet werden konnen. Einige Reize wie ein plotzlicher Knall ziehen automatisch Aufmerksamkeit auf sich ( bottom up gesteuert), andererseits kann die Aufmerksamkeit absichtlich gesteuert werden ( top down gesteuert). Wird einer Information nicht innerhalb von funf Sekunden Aufmerksamkeit geschenkt, geht sie verloren (zum Ultrakurzzeitgedachtnis siehe sensorisches Gedachtnis ).

Der Prozess der Aufmerksamkeitszuwendung ist dabei gekennzeichnet durch Zuwendung (Orientierung) und Auswahl (Selektivitat) der Gegenstande und der damit verbundenen Unaufmerksamkeit gegenuber anderen Gegenstanden. Die Zuwendung ist durch eine gesteigerte Wachheit und Aktivierung charakterisiert, wahrend die Selektivitat die Funktion eines Filters hat, um wichtige und unwichtige Informationen voneinander zu trennen.

Vom Gehirn als relevant eingestuft werden zuallererst Gefahrensignale, außerdem Unbekanntes. So werden einerseits neuartige Reize mit Aufmerksamkeit bedacht ( Orientierungsreaktion , Neugier). Andererseits richtet sich die Aufmerksamkeit auf emotional belegte Informationen, die ein indirekter Marker fur die Wichtigkeit fur den Organismus sind. Je emotionsgeladener eine Wahrnehmung ist, desto leichter fallt es uns, unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten. Bedurfnisse, Interessen, Einstellungen und Motive spielen daher bei der Entstehung und Verteilung der Aufmerksamkeit eine große Rolle.

In der Forschung werden verschiedene Komponenten der Aufmerksamkeit unterschieden: [2]

  • selektive Aufmerksamkeit (Fahigkeit, sich ausschließlich auf bestimmte Reize zu konzentrieren und gleichzeitig das Bewusstsein fur konkurrierende Ablenkungen zu unterdrucken)
  • anhaltende Aufmerksamkeit (Fahigkeit, die Aufmerksamkeitsaktivitat uber einen langeren Zeitraum aufrechtzuerhalten)
  • geteilte Aufmerksamkeit (Fahigkeit, zwei oder mehr Aufgaben gleichzeitig Aufmerksamkeitsressourcen zuzuweisen) und
  • wechselnde Aufmerksamkeit (Fahigkeit, den Fokus von einer Aufgabe zur anderen zu verlagern).

Neurophysiologisch werden Aufmerksamkeitsprozesse an Variationen der P3-Komponente bei Untersuchungen von ereigniskorrelierten Potentialen festgemacht. Hierbei kann es zu Veranderungen in Latenz und Amplitude kommen. Provoziert wird die P3 in Oddballparadigmen .

Aufmerksamkeit und Bewusstsein

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Die Aufmerksamkeit ist eng mit unserem Bewusstsein verbunden: Die Zuwendung der Aufmerksamkeit zu einem Reiz oder einem Gedanken ist erst die notwendige Bedingung dafur, dass uns dieser bewusst wird. Dennoch verarbeitet das Gehirn auch Reize, auf die wir nicht unsere Aufmerksamkeit richten. Diese Verarbeitung findet jedoch unbewusst statt.

Regelmaßige bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit auf einzelne Korperteile oder den gesamten Korper fuhrt zu einer besseren Durchblutung, einer Starkung des Immunsystems und allgemein zu einem verbesserten Gesundheitszustand. Dies wird u. a. im Taijiquan und Yoga zur Gesunderhaltung genutzt.

Aufmerksamkeit als Wahrnehmungsfokus

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Bestimmte Ereignisse im phanomenalen Erlebnisraum verursachen eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf einzelne Objekte des Wahrnehmungsbereiches. Zumeist erfolgt diese Aufmerksamkeitsfokussierung, wenn kein eindeutiges Reaktionsmuster auf einen Reiz existiert und bewusste Verarbeitung notwendig wird. Indem die Wahrnehmung sich mit einem reduzierten Wahrnehmungsbereich beschaftigt, ergibt sich zugleich die Abgrenzung gegen andere Aufmerksamkeitsausloser niedrigerer Prioritat.

Beispiel Straßenverkehr : subjektbezogener Warnhinweis (?Es konnte auch Dein Kind sein“) als Aufforderung, vorsichtig zu fahren.

Die Zuwendung der Aufmerksamkeit hangt von bestimmten Eigenschaften der Objekte ab, vor allem vom Ausmaß der Abweichung von einer Mittellage:

  • Große und Reizintensitat (heiß-kalt, hungrig-satt)
  • Bewegung (Abweichen der Bewegung eines Objekts von anderen Objekten, sich nahernde Objekte usw.)
  • Farbigkeit (Fokussierung auf Kontraste, bestimmte Farbkombinationen)
  • Kontrast zur Umgebung
  • scharfe und regelmaßige Begrenzung
  • auffallige Symmetrie
  • eine Position an bestimmter Stelle des Gesichtsfeldes, z. B. links oben

Von der Werbeindustrie werden diese Zusammenhange genutzt, um Werbung optimal zu gestalten, z. B. Plakate, Inserate oder Prospekte.

Umfang der Aufmerksamkeit

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Der Umfang der visuellen Aufmerksamkeit wird durch die Anzahl gleichartiger Gegenstande bestimmt, die mit einem Blick, d. h. in etwa 200 Millisekunden wahrgenommen werden konnen. Beim Erwachsenen sind das 6 bis 12, im Mittel 8 Objekte, bei Kindern weniger. Der Aufmerksamkeitsumfang hangt auch ab von:

  • der Art der wahrzunehmenden Gegenstande,
  • der Bekanntheit der Gegenstande,
  • der Beleuchtungsintensitat auf die Gegenstande,
  • dem Kontrast, unter dem die Gegenstande erkennbar sind,
  • der subjektiven Einstellung des Beobachters zu den Typen der Gegenstande.

Es ist nahezu unmoglich, gleichzeitig einen optischen und einen taktilen Reiz zu beurteilen, wie Richard Pauli (1914) zeigte. Das stutzt auch die als Enge des Bewusstseins bezeichnete Annahme, dass sich die Aufmerksamkeit jeweils nur einem Inhalt zuwenden kann (von Michael Posner als spotlight -(Scheinwerfer)-Modell bezeichnet. [3] ) Mehrfachleistungen beruhen offenbar auf einem schnellen Wechsel der Zuwendung von einer Aufgabe zu einer anderen. Das ist anstrengend und fuhrt rasch zur Ermudung . Diese Ermudung der Aufmerksamkeit und der rasche Wechsel verschiedener Aufmerksamkeitstypen (von auditiv zu visuell usw.) machen sich auch die so genannten Pfanderspiele zunutze, die aber auch ein gutes Training derselben bedeuten.

Beurteilung von Aufmerksamkeitstypen

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Bei sehr schwachen Reizen, z. B. beim leisen Ticken einer entfernten Armbanduhr, sind periodische Schwankungen der Aufmerksamkeit nachweisbar. Viktor Urbantschitsch (1875) stellte eine Phasenlange von 5 bis 8 Sekunden fest. Individuelle Besonderheiten des aufmerksamen Verhaltens fuhrten zur Unterscheidung von Aufmerksamkeitstypen:

  • die fixierende Aufmerksamkeit beschrankt sich auf ein Detail, hat einen engen Umfang, ist einseitig, starr und analytisch.
  • die fluktuierende Aufmerksamkeit hat einen weiten Umfang, ist vielseitig, gleitend, ganzheitlich und synthetisch.

Es wird von fluktuierender Aufmerksamkeit gesprochen, wenn sich die Aufmerksamkeit einer Person nicht auf einen bestimmten Reiz oder ein Detail richtet, sondern rasch von einem Reiz zum nachsten gleitet. Auf fluktuierende Art aufmerksam zu sein, bedeutet, sich einen Uberblick zu verschaffen. Es werden viele verschiedene Objekte oder Reize in kurzer Zeit wahrgenommen, sodass sie ein Gesamtbild ergeben. Wahrend die fixierende Aufmerksamkeit analytisch ist, da sie die Wahrnehmung einzelner Objekte und ihre Zerlegung bis ins Detail begunstigt, ist die fluktuierende Aufmerksamkeit synthetisch. Das Wahrnehmungsspektrum ist weit und die einzelnen Eindrucke werden miteinander verbunden.

Beispiele fur Befindlich- und Tatigkeiten, die tendenziell eine fluktuierende Aufmerksamkeit begunstigen, finden sich etwa beim Aufraumen, bei der Teilnahme am Straßenverkehr, bei der Interaktion mit großeren Gruppen oder in der Umgebung von Menschenmengen.

Seit Ernst Meumann (1913) unterscheidet man bei Bevorzugung bestimmter Sinnesgebiete visuelle, auditive und motorische Aufmerksamkeit.

Modelle zur Erklarung der Aufmerksamkeit

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Zur Erklarung der Aufmerksamkeit wurden zahlreiche Theorien aufgestellt. Die Erklarungsversuche durch Gottfried Wilhelm Leibniz (1704) und Wilhelm Wundt (1873) gehen von der Annahme aus, die Aufmerksamkeit sei ein innerer Willensprozess und diene der selektiven Ausgliederung von Bewusstseinsinhalten und der Apperzeption von Vorstellungen. Die Theorien von Georg Elias Muller (1924), H. Henning (1925) und H. Rohrbacher (1953) nehmen im Zentralnervensystem physiologische Mechanismen an, die eine spezifische Erregbarkeitssteigerung bestimmter Bereiche der Hirnrinde und Bahnungseffekte bewirken.

Die Gestaltpsychologen negieren die Aufmerksamkeit als eigenstandigen Prozess. Pjotr Jakowlewitsch Galperin (1968) betrachtete die Aufmerksamkeit als eine besondere Form der psychischen Tatigkeit, namlich als Kontrolltatigkeit, die den Vollzug geistiger Handlungen steuert.

Modernere Modelle gehen von verschiedenen Filtersystemen des Wahrnehmungssystems aus (z. B. Donald Broadbent 1958), die an unterschiedlichen Stellen des Wahrnehmungsprozesses eingreifen und die Information selektieren. So wird die Aufmerksamkeit bei starker personlicher Relevanz automatisch fokussiert (Beispiel Cocktailparty-Effekt : Im Stimmengewirr kann man sich bewusst auf eine Stimme fokussieren; wird der eigene Name auf einer lauten Party genannt, zieht dies automatisch die Aufmerksamkeit auf sich). Ahnliches gilt fur den so genannten Pop-out-Effekt : Auf einer Flache mit gleichformigen geometrischen Figuren (z. B. Strichen) fallt eine andersartige Figur (Kreis) sofort ins Auge. Dieser Effekt ist bis zu einer gewissen Komplexitat und Ahnlichkeit der geometrischen Figuren trainierbar, und es gibt diesen Effekt nicht nur in ahnlicher Weise auf Farben (Textilfacharbeiter konnen bis zu 300 Rottone unterscheiden), Tone usw., sondern auch auf semantischer Ebene (z. B. der Cocktailparty-Effekt). Ebenso sind die Fokussierung auf bestimmte charakteristische Details und die Aufmerksamkeitsfokussierung nur in einem bestimmten Wahrnehmungsbereich (hinter mir, rechte Ecke des Monitors) in Untersuchungen bestatigt. Nicht immer ist uns bewusst, was die Aufmerksamkeit steuert. Unbewusst aufgenommene Informationen konnen einen steuernden Effekt haben und die Aufmerksamkeit lenken. Man kann dabei in bewusstseinsfahige und -unfahige Informationen unterteilen. Erstere konnen haufig durch gezielte Analyse entdeckt und so manches ?Expertenwissen“ zum Allgemeingut werden lassen. Ein Anwendungsbeispiel ist die Produktplatzierung in der Werbung. Bewusstseinsunfahige Informationsaufnahme, zum Beispiel ultrakurzzeitige Einblendung bestimmter Signale, sind im Allgemeinen gesetzlich verboten, da sie unbewusste manipulative Effekte haben konnen.

Erwecken von Aufmerksamkeit

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Weil die Aufmerksamkeit im Umfang beschrankt ist, gleichzeitig aber einen gesellschaftlichen Wert darstellt, ist das Erreichen der Aufmerksamkeit einer oder mehrerer Personen fur viele ein wichtiges Ziel. Moglich wird es auf sehr unterschiedliche Weise, zum Beispiel durch Auftreten in Presse, Rundfunk oder Fernsehen. Sehr schnell erreichen Skandale eine große offentliche Aufmerksamkeit. Veranderung erweckt schneller Aufmerksamkeit als Bleibendes, bereits die Ankundigung kann Aufmerksamkeit erregen. Das wird zum Beispiel von Politikern im ? Sommerloch “ genutzt, aber auch von Kunstlern, die Skandale nutzen, um Aufmerksamkeit zu erwecken.

Das Erwecken von Aufmerksamkeit kann auch im Rahmen eines Ablenkungsmanovers eingesetzt werden. Diese Taktik machen sich unter anderem Redner , Sportler , Zauberkunstler und Taschendiebe zunutze.

Aufmerksamkeit als psychologisches Konstrukt

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Allgemein stellt Aufmerksamkeit die Konzentration der Wahrnehmung auf bestimmte Stimuli unserer Umwelt dar. Ein wesentlicher Bestandteil von Aufmerksamkeit ist die Auswahl von Informationen (Selektion), um sie dem Bewusstsein zuganglich zu machen und das Denken und Handeln zu steuern. Ursache dieses Mechanismus ist die Beschrankung der menschlichen Kapazitat fur die Verarbeitung von Reizen.

Fruhe Forschung

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Diese Tatsache belegte Alan T. Welford 1952 [4] mit dem Paradigma zur Untersuchung der Psychologischen Refraktarperiode ( psychological refractory period PRP). In diesen Untersuchungen wurden Versuchspersonen zwei Reize hintereinander prasentiert, auf die sie jeweils so schnell wie moglich reagieren sollten. Es stellte sich heraus, dass sich die Reaktionszeit auf den zweiten Reiz veranderte, in Abhangigkeit vom Zeitintervall zwischen dem Einsetzen des ersten Reizes und dem Einsetzen des zweiten Reizes ( stimulus onset asynchrony SOA). Kurzere SOAs (Zwischenintervalle) forderten langere Reaktionszeiten auf den zweiten Reiz. Als Erklarung dieser Befunde gilt der so genannte ?Engpass“ ( bottleneck ) im menschlichen Verarbeitungssystem. Da die Verarbeitung von Reizen seriell erfolgt, muss der erste Reiz bereits verarbeitet sein, bevor die Verarbeitung des zweiten Reizes beginnen kann (vgl. Aufmerksamkeitsblinzeln ).

Colin Cherry folgte 1953 [5] mit seinen Tests zum ?Dichotischen Horen“. Den Versuchspersonen wurde jeweils eine Nachricht auf dem linken und dem rechten Ohr prasentiert (zwei Nachrichten gleichzeitig). Die Nachricht einer Seite sollte laut nachgesprochen werden. Es zeigte sich, dass sich die Probanden bei diesem Test nicht an die zweite, unbeachtete Nachricht erinnern konnten ( shadowing ). Auffallig jedoch war, dass beispielsweise ein Wechsel des Geschlechts der Sprecher oder prasentierte Beep-Tone wahrgenommen werden konnten.

Ein weiteres Paradigma ist das Split-Span-Paradigma von Donald Broadbent aus dem Jahr 1954. [5] Den Versuchspersonen wurden Ziffernpaare simultan nach dem Prinzip des Dichotischen Horens prasentiert. Dabei zeigte sich, dass die Wiedergabe bevorzugt nach Ohr und nicht nach Paaren erfolgte. Aus diesem Ergebnis und dem von Cherry schlussfolgerte Broadbent, dass ein Abblocken aufgabenirrelevanter Nachrichten erfolgt und dass physikalische Reizmerkmale (Reizort, Frequenz) als effektive Hinweisreize fungieren.

Weitere Untersuchungen zum Thema der selektiven Aufmerksamkeit wurden von Broadbent, Treisman und Deutsch & Deutsch vorgenommen, deren Theorien im Folgenden erlautert werden sollen.

Informationsverarbeitungstheorien

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Aus den Erkenntnissen der Paradigmen entwickelte Broadbent 1958 die Filtertheorie der Aufmerksamkeit . [5] Sie besagt, dass gleichzeitig dargebotene Inputs parallel bzw. simultan in einen sensorischen Speicher gelangen. Jedoch kann nur ein Input auf der Basis seiner physikalischen Merkmale den so genannten selektiven Filter passieren. Weitere Inputs werden abgeblockt, verbleiben jedoch fur Sekundenbruchteile im Speicher fur eventuelle spatere Zugriffe. Da es sich um ein strikt serielles Verarbeitungsmodell handelt, ist ein Filter notig, um dieses vor Uberlastungen zu schutzen. Aber nur Informationen, die diesen Filter zur weiteren Verarbeitung passiert haben, werden dem Menschen bewusst und konnen Bestandteil des Langzeitgedachtnisses werden.

1960 entwickelte Anne Treisman die Attenuations- (Dampfungs-)theorie der Aufmerksamkeit. [5] Sie entwickelte diese Theorie unter anderem, weil einige Forschungsergebnisse durch Broadbents Filtertheorie nicht ausreichend erklart werden konnten. Hiermit ist zum Beispiel gemeint, dass beim ?Split-Span-Paradigma“ auf der nicht beachteten Seite einige Reize doch bemerkt und erinnert werden konnten (Beep-Tone, Sprachwechsel). Auch der sogenannte Cocktailparty-Effekt konnte noch nicht erklart werden. Treismans Theorie zufolge funktioniert der Filtermechanismus nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, sondern vielmehr nach dem Prinzip eines Dampfers, indem er die Reizstarke auf dem unbeachteten Kanal reduziert. Folglich konnen diese Informationen in abgeschwachter Form weitergeleitet und, je nach ihrer Bedeutung, bis zu einem gewissen Grad semantisch verarbeitet werden.

Entgegen Broadbents und Treismans Vorstellungen gingen Deutsch & Deutsch 1963 [6] mit ihrer Theorie der spaten Selektion davon aus, dass alle sensorischen Signale das gleiche (hochste) Verarbeitungsniveau erreichen, unabhangig davon, ob Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist oder nicht. Durch einen parallelen multiplen Vergleichsprozess wird daraufhin das Signal bestimmt, welches fur die aktuelle Aufgabe die großte Relevanz besitzt. Folglich wird nur das wichtigste Signal bewusst und bewirkt eine Reaktion. Nach dieser Theorie erfolgt die Selektion somit erst nach der vollen Verarbeitung der Signale und auf Grundlage ihrer inhaltlichen Bedeutung.

Aktuelle Forschungsgebiete

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Aufmerksamkeitszustande und die verschiedenen Frequenzen im Elektroenzephalogramm

Jungere Forschung fuhrte zu der Erkenntnis, dass selektive visuelle Aufmerksamkeit ortsbasiert , objektbasiert oder dimensionsbasiert sein kann. Diese Annahme konnte mit Hilfe von Funktionelle Magnetresonanztomographie ?Studien zur Aufmerksamkeitsmodulation von Brefczynski und DeYoe (1999) bestatigt werden. Es wurden Hinweise dafur gefunden, dass visuelle Aufmerksamkeit die Aktivitat der Großhirnrinde beeinflusst. Bei Verschiebung der Aufmerksamkeit verandert sich die Aktivitat in der Großhirnrinde des Hinterkopfs retinotop , also dem Sehmuster auf der Netzhaut entsprechend.

Diese Beobachtung wurde schon fruher mit dem Elektroenzephalogramm (EEG) gemacht. Werden die Augen geschlossen und somit Aufmerksamkeit vom Sehsinn abgezogen, zeigt sich dies in einem verstarkten Vorherrschen des Alpha-Rhythmus (siehe nebenstehende Tabelle) an den Elektroden des Hinterkopfs.

Arbeitsgedachtnis

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Es konnte auch ein Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Arbeitsgedachtnis beschrieben werden. Bildgebende Verfahren ( fMRT ) und EEG -Studien zeigen, dass beide Prozesse sehr ahnliche neuronale Aktivitaten hervorrufen und insbesondere im primaren visuellen Cortex simultan Modulationen kontralateral zum prasentierten Reiz bewirkt werden. Daraus kann gefolgert werden, dass sich raumliches Arbeitsgedachtnis und raumliche Aufmerksamkeit ahnlicher Mechanismen bedienen bzw. dass es sich um uberlappende Prozesse handelt. [7]

Mehrfachaufgabenperformanz

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Die Forschung der Mehrfachaufgabenperformanz beschaftigt sich mit der Ausfuhrung parallel durchgefuhrter Doppel- oder Mehrfachhandlungen.

Die Aufgaben werden also nicht seriell abgearbeitet, sondern es wird beispielsweise wahrend der Autofahrt telefoniert oder wahrend einer Fernsehshow eine E-Mail geschrieben. Oft wird dies auch Multitasking genannt. Mehrfachaufgabenperformanz ist zuletzt auch deshalb nicht uninteressant, weil sie Ruckschlusse auf die Funktionsweise und Grenzen der menschlichen Informationsverarbeitungstheorien (siehe oben) zulasst. [8]

?Jeder weiß, was Aufmerksamkeit ist. Es ist die Besitzergreifung des Geistes, in deutlicher und lebhafter Weise, von einem von anscheinend mehreren gleichzeitig moglichen Objekten oder Gedankengangen. Zuwendung und Konzentration des Bewusstseins gehoren zu ihren Voraussetzungen. Sie impliziert Vernachlassigung einiger Dinge, um andere besser verarbeiten zu konnen, und sie ist ein Zustand mit einem echten Gegenteil, namlich dem verwirrten, benommenen, zerstreuten Zustand, der auf Franzosisch distraction und auf Deutsch Zerstreutheit heißt.“

? William James , Principles of Psychology (1890) [9]

?Die Aufmerksamkeit ist eine Anstrengung, vielleicht die großte von allen, aber sie ist eine negative Anstrengung. Sie selbst ermudet nicht. ... Die Aufmerksamkeit besteht darin, das Denken auszusetzen, den Geist verfugbar, leer und fur den Gegenstand offen zu halten, die verschiedenen erworbenen Kenntnisse, die man zu benutzen genotigt ist, in sich dem Geist zwar nahe und erreichbar, doch auf einer tieferen Stufe zu erhalten, ohne dass sie ihn beruhrten. … Und vor allem soll der Geist leer sein, wartend, nichts suchend, aber bereit, den Gegenstand, der in ihn eingehen wird, in seiner nackten Wahrheit aufzunehmen.“

? Simone Weil : Zeugnis fur das Gute,Traktate, Briefe, Aufzeichnungen [10]

Historisches

  • R. Pauli: Uber eine Methode zur Untersuchung und Demonstration der Enge des Bewußtseins sowie zur Messung der Geschwindigkeit der Aufmerksamkeitswanderung. (= Munchener Studien zur Psychologie und Philosophie. Band 1). Spemann, Stuttgart 1914.
  • Eugen Bleuler : Lehrbuch der Psychiatrie. 15. Auflage. bearbeitet von Manfred Bleuler unter Mitarbeit von J. Angst u. a. Springer Verlag, Berlin 1983, S. 77.
  • H. Henning: Die Untersuchung der Aufmerksamkeit. In: E. Abderhalden (Hrsg.): Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil 3. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1925.
  • H. Henning: Die Aufmerksamkeit. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1925.
  • Donald Broadbent : The role of auditory localization in attention and memory span. In: Journal of Experimental Psychology. 47, 1954, S. 191?196.
  • D. E. Broadbent: Perception and Communication. Pergamon Press, London 1958.
  • E. C. Cherry: Some experiments on the recognition of speech, with one and with two ears. In: Journal of the Acoustical Society of America. 25, 1953, S. 975?979.
  • A. T. Welford: The ‘psychological refractory period’ and the timing of high-speed performance ? a review and a theory. In: British Journal of Psychology. 43, 1952, S. 2?19.
  • J. Deutsch, Diana Deutsch : Attention: Some theoretical considerations. In: Psychological Review. 70, 1963, S. 80?90 (PDF) .
  • Ulrich Neisser : Cognitive Psychology. 1967.
  • Ingeborg Wagner : Aufmerksamkeitstraining mit impulsiven Kindern. 1976 und 1981.

Neuere Arbeiten und Ubersichtsartikel

  • J. A. Brefczynski, E. A. DeYoe: A physiological correlate of the spotlight of visual attention. In: Nature Neuroscience . 1999, S. 370?374.
  • C. Bundesen: A theory of visual attention. In: Psychological Review. 97, 1990, S. 523?547.
  • E. A. Styles: Psychology of Attention. Taylor & Brands, Hover 1997 (Kapitel 2). (2. Auflage. Hove u. a.: Psychology Press, 2006)
  • M. Trautmann, F. D. Zepf: Attentional Performance, Age and Scholastic Achievement in Healthy Children. In: PLoS ONE. 7(3), 2012, Art. Nr. e32279, doi:10.1371/journal.pone.0032279 .
  • Moore T, Zirnsak M: Neural Mechanisms of Selective Visual Attention . Annu Rev Psychol. 2017 Jan 3;68:47-72. doi:10.1146/annurev-psych-122414-033400 .

Lehrbucher und Lexika

  • David G. Myers: Psychologie. 3. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-40781-9 , S. 132
  • K. Merten: Aufmerksamkeit. In: Leon R. Tsvasman (Hrsg.): Das große Lexikon Medien und Kommunikation. Kompendium interdisziplinarer Konzepte. Ergon, Wurzburg 2006.
  • Jochen Musseler, Wolfgang Prinz (Hrsg.): Allgemeine Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag , Heidelberg 2002.
  • Dirk Hartmann : Aufmerksamkeit. In: Philosophische Grundlagen der Psychologie. WBG, Darmstadt 1998, II. Die Grundlagen der Allgemeinen Psychologie. Kap. 2.2, S. 123?146 (PDF; 17,1 MB) .
  • Bernhard Waldenfels : Phanomenologie der Aufmerksamkeit. Suhrkamp, Frankfurt 2004.
Wiktionary: Aufmerksamkeit  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Eugen Bleuler (1916): Lehrbuch der Psychiatrie. Berlin; 15. Auflage: 1983 ( Manfred Bleuler ), ISBN 978-3-540-07217-1 . (Kapitel IX. Aufmerksamkeit auf GoogleBooks )
  2. Sohaib Virk, Tracey Williams, Ruth Brunsdon, Flora Suh, Angie Morrow: Cognitive remediation of attention deficits following acquired brain injury: A systematic review and meta-analysis . In: NeuroRehabilitation . Band   36 , Nr.   3 , 6. Juli 2015, S.   367?377 , doi : 10.3233/NRE-151225 ( medra.org [abgerufen am 23. September 2020]).
  3. M. I. Posner, M. E. Raichle: Images of Mind. Scientific American Books, 1994.
  4. A. T. Welford: The ?psychological refractory period“ and the timing of high speed performance ? A review and a theory. In: British Journal of Psychology. 43, 1952, S. 2?19. Zitiert nach J. Musseler, W. Prinz: . Allgemeine Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag, 2002.
  5. a b c d J. Prinz, W. Musseler: Allgemeine Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag 2002, sowie E. A. Styles: The Psychology of Attention. Psychology Press, Hove, UK 1997.
  6. D. Deutsch: Attention: Some theoretical considerations. In: Psychological Review. 70, 1963, S. 80?90. (mit J. A. Deutsch)
  7. Edward Awh, John Jonides: Overlapping mechanisms of attention and spatial working memory . In: Trends in Cognitive Sciences . Band   5 , Nr.   3 , S.   119?126 , doi : 10.1016/s1364-6613(00)01593-x ( ibp.ac.cn [PDF; abgerufen am 10. November 2017]).
  8. Myers, 2014, s. Lit.
  9. Original: ?Everyone knows what attention is. It is the taking possession by the mind, in clear and vivid form, of one out of what seem several simultaneously possible objects or trains of thought. Focalization, concentration, of consciousness are of its essence. It implies withdrawal from some things in order to deal effectively with others, and is a condition which has a real opposite in the confused, dazed, scatterbrained state which in French is called distraction, and Zerstreutheit in German.“
  10. Zeugnis fur das Gute,Traktate, Briefe, Aufzeichnungen.Olten 1979, S. 61/