Appellationsgericht

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Appellationsgericht Litauens

Ein Appellationsgericht , auch Berufungsgericht genannt, ist ein ubergeordnetes Gericht , das uber Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nachgeordneter Gerichte urteilt, wobei diese zusammenfassend als Appellation bezeichnet werden. Nicht immer ist dies aber eine Berufung im engeren Sinne. Ebenso fuhren diese Gerichte in verschiedenen Landern unterschiedliche Bezeichnungen.

Deutschland und Osterreich

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Im Alten Reich entstanden Oberappellationsgerichte als letztinstanzliche Gerichte der Kurfursten , die das Privileg erhielten, dass gegen ihre Rechtsprechung keine Berufung zum Kaiser oder zu den Reichsgerichten mehr moglich war. Ahnliche Privilegien erlangten auch andere Reichsstande , die dann ebenfalls Appellationsgerichte als hochste Instanzen einrichten konnten, deren Rechtsprechung nur noch durch den Landesfursten kassiert werden konnte. So bestanden beispielsweise in Kursachsen fruh mehrstufige Gerichtsbarkeiten, Appellationsmoglichkeiten sowie von 1559 bis 1835 (Ober-)Appellationsgerichte in Dresden und Leipzig . [1] [2]

Mit dem Ende des Reichs entfielen 1806 die ubergeordneten reichsunmittelbaren Instanzen und es entwickelte sich eine eigenstandige Landesjustiz, in der die Appellationsgerichte meist nach franzosischem Modell als zweitinstanzliche Spruchkorper eingerichtet wurden. Oberappellationsgerichte sollten in den Staaten des Deutschen Bundes die hochstrichterliche Instanz in Zivil- und Strafsachen bilden. So gab es im Konigreich Bayern von 1808 bis 1879 Appellationsgerichte . Diese wurden 1858 durch die Bezirksgerichte als Gerichte zweiter Instanz abgelost und bildeten dann die Gerichte dritter Instanz. In Preußen bestanden 1849 bis 1879 Appellationsgerichte als Gerichte zweiter Instanz.

In Deutschland wurden die Bezeichnungen Appellationsgericht(shof) (AG) und Oberappellationsgericht(shof) (OAG) 1877 durch die Reichsjustizgesetze abgeschafft.

Wie in Frankreich findet eine durchgehende Abgrenzung zwischen Berufung und Revision statt, seit Vereinheitlichung der Prozessordnung durch das Gerichtsverfassungsgesetz werden folgende Gerichtsbehorden als Berufungsgerichte bezeichnet und sind zustandig

In Osterreich sind die Landesgerichte und Oberlandesgerichte zustandig.

In der Schweiz sind zustandig

  • in Straf- und Zivilsachen die Obergerichte (die je nach Kanton auch andere Namen tragen, siehe dort)
  • in offentlich-rechtlichen Sachen die Verwaltungsgerichte ; hierarchisch ist dabei die Besonderheit zu beachten, dass auf Ebene Kanton die Schweizer Verwaltungsjustiz eigentlich einstufig ist, d. h. die Schweizer Verwaltungsgerichte sind nur bedingt ein Appellationsgericht, da die unteren Instanzen keine verwaltungsunabhangige Gerichte sind.
  • Im Kanton Basel-Stadt wird das hochste kantonale Gericht als Appellationsgericht bezeichnet.

Frankreich und Belgien

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Schriftzug am Eingang zum Berufungsgericht Aix-en-Provence

In der franzosischen Gerichtsorganisation ist fur den zweiten Rechtszug, in dem ein Rechtsstreit ohne Bindung an die Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens uberpruft wird, praktisch ausschließlich das Berufungsgericht (Cour d’appel) zustandig. [3] Die Bezeichnung wurde mit der Verfassung des Ersten Franzosischen Kaiserreiches 1804 eingefuhrt, als die zur Jahrhundertwende geschaffenen Appellationsgerichte (tribunaux d’appel) in Appellationsgerichtshofe (cours d’appel) umbenannt wurden. [4] Diese gerichtliche Uberprufungsinstanz hatte sich im 18. Jahrhundert aus dem Berufungsrecht an den Konig von Frankreich als Inhaber der hochsten Gerichtsherrschaft entwickelt. Gegenwartig existieren in Frankreich 36 Berufungsgerichte unter dieser Bezeichnung. [5]

In Belgien , dessen Rechts- und Justizsystem eng an das franzosische angelehnt ist, gibt es funf cours d’appel, die in niederlandischer Sprache hof van beroep und in der Rechtsterminologie der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ostbelgiens Appellationshof genannt werden. [6]

In Italien nennen sich die Berufungsgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit Corte d’appello oder Corte di Appello und werden in der normierten Sudtiroler Rechtsterminologie auf Deutsch als Oberlandesgerichte bezeichnet. [7]

Nordische Lander und Baltikum

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Zu den altesten Appellationsgerichten Europas gehoren die im 17. Jahrhundert im Schwedischen Reich aufgebauten Gerichte, darunter das von Konig Gustav II. Adolf 1623 in Finnland errichtete und heute noch bestehende Berufungsgericht Turku ( finnisch Turun hovioikeus ). Auch im eigentlichen Schweden schuf Gustav Adolf zusammen mit seinem Kanzler Axel Oxenstierna ein weitgehend unabhangiges Gerichtssystem, an dessen Spitze als konigliches Obergericht und Appellationsinstanz das 1614 gegrundete Svea hovratt ( Hofgericht ) stand, das heute als eines von sechs schwedischen hovratter die Aufgaben eines Appellationsgerichts (vergleichbar den Oberlandesgerichten anderer Lander) wahrnimmt.

In Vilnius amtiert das 1994 errichtete Appellationsgericht Litauens .

Englischsprachige Lander

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In den meisten englischsprachigen Landern werden die Appellationsgerichte Court of Appeal oder auch Supreme Court genannt.

Großbritannien und Irland

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So ist der 1875 gegrundete His Majesty’s Court of Appeal in England fur England und Wales zustandig, His Majesty’s Court of Appeal in Ireland fur Nordirland . Seit 2015 gibt es in Schottland den Sheriff Appeal Court . Seit 1924 besteht der irische Supreme Court .

In den Vereinigten Staaten von Amerika fuhren die Appellationsgerichte des Bundes die Bezeichnung United States Court of Appeals , in den Bundesstaaten meist Court of Appeals [8] .

Spanischsprachige Lander

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Der Justizpalast von Santiago de Chile , Sitz des Appellationsgerichts Santiago ( Corte de Apelaciones de Santiago ), das wichtigste der 17 Appellationsgerichte Chiles

Im spanischen Gerichtssystem werden kollegiale Berufungs- und Obergerichte traditionell als Audiencia bezeichnet. Der Nationale Gerichtshof von Spanien ( Audiencia Nacional de Espana ) ist als zentrale Berufungsinstanz in besonderen Straf- und Verwaltungssachen dem Obersten Gerichtshof ( Tribunal Supremo ) untergeordnet. Auf der Ebene der Provinzen ist die Audiencia Provincial als regulare Berufungsinstanz etwa dem Landgericht im deutschen System vergleichbar und fur Straf- und Zivilsachen zustandig. Sie ist zwischen den Juzgados (etwa: Amtsgerichte) als Eingangsinstanz auf Ebene der Bezirke und den Tribunales de Justicia (etwa: Oberlandesgerichte) auf der Ebene der Autonomen Gemeinschaften (?Lander“) angesiedelt.

Im spanischen Kolonialreich waren die Real Audiencias hochste konigliche Gerichts- und Regierungsinstanzen und fungierten auch als Berufungsgerichte. Beim Neuaufbau der Justizsysteme nach den sudamerikanischen Unabhangigkeitskriegen orientierten sich die neu entstandenen Staaten Hispanoamerikas auch sprachlich an US-amerikanischen und franzosischen Vorbildern und vermieden die an die Kolonialzeit erinnernde Bezeichnung Audiencia weitestgehend. Stattdessen wurde fur Berufungsgerichte vielfach die Bezeichnung Appellationsgericht (Tribunal de Apelaciones) oder Appellationsgerichtshof (Corte de Apelaciones) gewahlt, die bis heute in mehreren spanischsprachigen Landern außerhalb Spaniens in dieser und ahnlichen Formen benutzt werden, so etwa in Argentinien , wo auf Bundesebene die Bundesappellationskammer ( Camara Federal de Apelaciones ) existiert; [9] in Chile , der Dominikanischen Republik , Guatemala , Honduras und Venezuela ( Cortes de Apelaciones ); in Nicaragua ( Tribunal de Apelacion ) und in Uruguay ( Tribunal de Apelaciones ).

Einzelnachweise

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  1. Karlheinz Blaschke : Das kursachsische Appellationsgericht 1559-1835 und sein Archiv. in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 84, 1967, S. 332f
  2. Martina Schattkowsky : Mit den Mitteln des Rechts. Studien zum Konfliktaustrag in einem sachsischen Rittergut. Tel Aviver Jahrbuch fur deutsche Geschichte, Band XXII, Zur Sozial- und Begriffsgeschichte des Mittelalters, Universitat Tel Aviv, Bleicher Verlag, Gerlingen 1993, ISBN 3-88350-496-3 , S. 299 (Erlauterungen zum Appellationsgericht und der Patrimonialgerichtsbarkeit an einem konkreten Beispiel in Kursachsen).
  3. Hans Jurgen Sonnenberger , Eugen Schweinberger: Einfuhrung in das franzosische Recht. 2., vollig neu bearbeitete Auflage. WBG, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-05503-9 , S. 169.
  4. Art. 136 des Organischen Senatsbeschlusses vom 28. Floreal des Jahres XII. (18. Mai 1804) .
  5. Role et competence de la cour d’appel. Cour d’appel de Toulouse, 19. Februar 2020, abgerufen am 15. Juni 2021 (franzosisch).
  6. Andy Jousten: Der rechtliche Rahmen macht’s moglich? Variation in der deutschen Rechtsterminologie Belgiens aus der Sicht eines Juristen. In: Nationale Variation in der deutschen Rechtsterminologie. Beitrage zur Tagung vom 12. und 13. Oktober 2018 im Seminarzentrum Kloster Heidberg in Eupen (PDF; 868 kB) (= Schriftenreihe der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Band 13). Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Eupen 2019, ISBN 978-3-948311-02-5 , S. 13?48 (hier: S. 19, Anm. 27).
  7. Paritatische Terminologiekommission (TerKom) des Landes Sudtirol : Terminologisches Verzeichnis Nr. 1 ? veroffentlicht im Amtsblatt Nr. 12 vom 22. Marz 1997. S. 1. Stand: 31. Dezember 1993.
  8. z. B. California Courts of Appeal .
  9. Machtprobe. In: Die Zeit 44/1984 (26. Oktober 1984).