Dieser Artikel behandelt den antiken romischen Presbyter oder Episkopen
Anaklet
oder ?Cletus“; fur den mittelalterlichen Gegenpapst dieses Namens siehe
Anaklet II.
Anaklet
(auch
Anenkletos
,
Anencletus
,
Anacletus
, falschlich auch als
Cletus
oder
Kletus
uberliefert) gilt als zweiter Nachfolger des
Simon Petrus
in der Leitung der
Christengemeinde Roms
, welche er zwischen 76 und 95 fur einen mehrjahrigen Zeitraum innegehabt haben soll. Er durfte ein hervorgehobener
Presbyter
oder
Episkop
gewesen und mit dem im
romischen Messkanon
genannten
Kanonheiligen
?Kletus“ identisch sein.
Der Name Anaklet (von
altgriechisch
? ?ν?κλητο?
,
ho Anakl?tos
) bedeutet ?der Aufgerufene, der Erlesene“. Anenkletos (Αν?γκλητο?) war ein in Rom unter
Sklaven
und
Freigelassenen
verbreiteter Name, was spekulative Ruckschlusse auf seine
soziale Stellung
zulasst. Sein Nachfolger
Clemens von Rom
war moglicherweise ein judischer Freigelassener und ehemaliger Haussklave,
[1]
was ahnlich auch auf Anaklet zutreffen konnte. Historisch ist jedenfalls davon auszugehen, dass Anaklet und Clemens ungefahr gleichzeitig als Presbyter oder Episkopen in Rom amtierten.
Zu dieser Zeit wurde in den Christengemeinden Roms noch vornehmlich
Griechisch
gesprochen und alle tonangebenden Fuhrungspersonlichkeiten waren griechischsprachige Gemeindemitglieder. Erst im 3. Jahrhundert rekrutierte sich die Fuhrungsschicht der romischen Gemeinde immer starker aus
Lateinisch
sprechenden Christen.
[2]
Ein
monarchischer Episkopat
existierte in der romischen Gemeinde zu Anaklets Zeit nicht, vielmehr bildeten die Altesten (Presbyter) der verschiedenen in der Stadt verteilten christlichen Gruppen oder
Hausgemeinden
? eventuell noch zusammen mit charismatischen Lehrern oder Propheten ? eine Art Fuhrungskollegium der Gesamtgemeinde.
[3]
Eine herausgehobene Stellung von Kletus/Anaklet unter den romischen Presbytern, vielleicht auch der Titel
Episkopos
, der sich im Laufe des 2. Jahrhunderts fur die Leiter des Presbyterkollegs durchsetzte, werden im Allgemeinen als gesichert betrachtet. Forschungsansatze, die Anaklet und andere in den Bischofslisten verzeichnete Petrusnachfolger fur ganzlich erfundene Personlichkeiten hielten, besitzen nach herrschender Forschungsmeinung keine uberzeugende Basis.
Der mogliche gewaltsame Tod Anaklets in der Regierungszeit des romischen Kaisers
Domitian
(81?96) wird haufig mit der angenommenen
Christenverfolgung Domitians
in Zusammenhang gebracht. Ausmaß und Historizitat der moglichen Verfolgung von Christen unter Domitian sind in der Geschichtswissenschaft allerdings seit den 1970er Jahren zunehmend fraglich geworden und werden angezweifelt.
[4]
Auch unabhangig von dieser Diskussion ist die Notiz uber ein Martyrium des Kletus, die erstmals im
Martyrologium Hieronymianum
erscheint, als historisches Zeugnis kaum belastbar.
In der von
Irenaus
uberlieferten altesten romischen Bischofsliste wird
Anenkletos
als Nachfolger des
Linus
und Vorganger des Clemens genannt. Diese Reihenfolge, die meist als ursprunglich angenommen wird, bestatigt auch der Kirchenhistoriker
Eusebius von Caesarea
, der sich in Teilen seiner Darstellung auf
Hegesipp
beruft: Er bezeichnet Anaklet als dritten
Bischof von Rom
, der dieses Amt im Jahre 80 von Linus ubernommen habe und nach zwolf Jahren von Clemens abgelost worden sei.
Die von
Optatus von Mileve
bzw.
Augustinus
uberlieferte alternative Reihenfolge (Linus, Clemens, Anaklet) ist vor dem 4. Jahrhundert nicht bezeugt. Ab Mitte des 4. Jahrhunderts kommt es in romischen Listen wie dem
Catalogus Liberianus
sowie in von ihm abhangigen Dokumenten wie dem
Carmen adversus Marcionitas
, dem
Martyrologium Hieronymianum
und dem
Liber Pontificalis
zu einer wohl unhistorischen Unterscheidung zwischen zwei Bischofen ahnlichen Namens, von denen der altere
Clitus
und der jungere
Anaclitus
geheißen haben soll. Die Reihenfolge und der Zeitraum ihres Wirkens wird in diesen Darstellungen unterschiedlich und teils widerspruchlich erzahlt: So sollen dem Liberianischen Katalog zufolge beide unmittelbar hintereinander auf Linus und Clemens gefolgt sein, wahrend spatere Quellen den Kletus als Nachfolger des Linus und Anaklet als Nachfolger des Clemens bezeichnen. Der
Liber Pontificalis
aus dem 5. Jahrhundert, der diese Reihenfolge etabliert, liefert zu beiden Personlichkeiten nahere biografische Einzelheiten wie Herkunft (Kletus sei in Rom geboren, Anaklet ein Grieche aus
Athen
gewesen), Namen ihrer Vater (Aemilianus bzw. Antiochos), Angaben zur Laufbahn und zum bischoflichen Wirken (so soll Kletus bereits dem Petrus als Gehilfe gedient und 25 Presbyter geweiht haben; Anaklet habe in seiner Amtszeit funf Presbyter, drei Diakone und sechs Bischofe geweiht). Als Amtszeit wird fur Kletus wie schon im
Catalogus Liberianus
der Zeitraum 77?83, fur Anaklet 84?95 genannt; im Widerspruch dazu wird Kletus allerdings von derselben Quelle ein ?zwolfjahriges“ Pontifikat zugeschrieben. Auch den Tag ihrer Grablegung spezifiziert der
Liber Pontificalis
(Kletus 26. April, Anaklet 13. Juli). Alle diese Angaben werden in der Forschung als weitgehend ahistorisch eingeschatzt.
Die Verdoppelung der Person Kletus/Anaklet ist moglicherweise entstanden, weil die Kurzform Κλητο? dem vollen Namen ?ν?κλητο? in fruheren Listen beigeschrieben wurde, woraus spatere Chronisten irrtumlich zwei verschiedene Personlichkeiten konstruierten. Beide sollen dem
Liber Pontificalis
zufolge in unmittelbarer Nahe des
Petrusgrabes
bestattet sein, das Anaklet selbst durch ein reprasentatives Denkmal (
Memoria
) geschmuckt habe. Diese Notiz, die anachronistisch ist, konnte Mario Ziegler zufolge auf einer Namensverwechslung mit dem romischen Bischof
Anicetus
beruhen, der zur Zeit des Hegesipp regierte. Ein um 160 errichtetes Petrusheiligtum ist auch archaologisch belegt.
Der romische Messkanon und ihm folgend auch das erste
Hochgebet
der
Heiligen Messe
im aktuellen
Messbuch
der
romisch-katholischen Kirche
nennt nur Kletus und kennt Anaklet uberhaupt nicht. Das mag daran liegen, dass Kletus im
Liber Pontificalis
als
Martyrer
erwahnt wird, wahrend Anaklet eines naturlichen Todes gestorben sein soll, sodass nur Kletus im 6. oder 7. Jahrhundert zusammen mit Linus und Clemens in das Martyrergedenken des Kanons aufgenommen wurde.
[5]
Die Anaklet zugeschriebenen Briefe gehoren zu den
pseudoisidorischen Falschungen
.
Der
Gedenktag
des hl. Kletus im
Martyrologium Romanum
ist der 26. April, fur Anaklet wurde im
Calendarium Romanum Generale
bis 1960 der 13. Juli als Sterbetag genannt. Beide Gedenktage wurden in den 1960er Jahren wegen historischer Ungewissheit aus dem Generalkalender gestrichen. Im
Annuario Pontificio
ist Anaklet/Kletus heute als dritter
Papst
nach Petrus und Linus verzeichnet und seine Regierungszeit von 76 bis 88 datiert.
[6]
Nach einer erstmals von
Ferdinando Ughelli
publizierten unhistorischen Legende soll Kletus vor seinem Papstamt von Petrus als Bischof nach
Ruvo
in
Apulien
entsandt worden sein, wo sein Andenken in einer mit seinem Namen verbundenen
Unterkirche
an einem antiken Brunnen verehrt wird, der wohl aus
antoninischer
Zeit stammt. Anaklet zugeordnete Reliquien befinden sich seit 1999 in der
Kirche des heiligen Linus
in
Rom
.
Cletus und Anacletus sind beide auf
imagines clipeatae
(Rundportrats) aus dem Kloster
Sankt Paul vor den Mauern
dargestellt, die fruhesten datieren aus dem 5. und 6. Jahrhundert.
In den fruhen Papstzyklen werden Kletus und Anaklet in konventioneller spatantiker Klerikertracht, meist
tonsuriert
abgebildet. Eine in Abzeichnungen erhaltene Darstellung aus dem
Nikolausoratorium
zeigte den Papst in
Pontifikalien
mit Buch und Segensgestus; andere Fresken aus dem 11. Jahrhundert zeigen Kletus bereits im
Pluviale
mit
Tiara
. Manchmal ist er zusammen mit Petrus und Linus als Gehilfe des hl. Klemens dargestellt. Im 15. Jahrhundert zeigen schematische
Holzschnitte
aus
Schedels Weltchronik
die Papste mit Tiara und
Kreuzstab
. Ein
Kupferstich
von Johann Matthias Steidlin aus dem 18. Jahrhundert nach einem Gemalde von
Johann Wolfgang Baumgartner
zeigt Anaklet bei der
Erhebung der Gebeine
des hl. Petrus und bei der
Inzensierung
des
Sarkophags
.
- Thomas Campbell
:
Pope St. Anacletus
. In:
Catholic Encyclopedia
, Band 1, Robert Appleton Company, New York 1907 (englisch).
- Lieselotte Schutz:
Anaklet I., Cletus.
In:
Lexikon der christlichen Ikonographie
,
Band 5, Freiburg im Breisgau 1968, Sp. 128.
- Friedrich Wilhelm Bautz
:
Anaklet I.
In:
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
(BBKL). Band 1, Bautz, Hamm 1975. 2., unveranderte Auflage. Hamm 1990,
ISBN 3-88309-013-1
, Sp. 155
(
Artikel/Artikelanfang im Internet-Archive
)
.
- Georg Schwaiger
:
Anaklet I.
In:
Walter Kasper
(Hrsg.):
Lexikon fur Theologie und Kirche
. 3. Auflage.
Band
1
. Herder, Freiburg im Breisgau 1993,
Sp.
573
f
.
- Francesco Scorza Barcellona:
Anacleto/Cleto, santo.
In:
Enciclopedia dei Papi.
Rom 2000 (italienisch).
- Mario Ziegler:
Successio. Die Vorsteher der stadtromischen Christengemeinde in den ersten beiden Jahrhunderten
(Antiquitas, Reihe I: Abhandlungen zur alten Geschichte, Band 54). Rudolf Habelt Verlag, Bonn 2007,
ISBN 978-3-7749-3496-2
, bes. S. 57?68.
- ↑
Herrmann Schreiber
:
Geschichte der Papste.
Econ, Dusseldorf/Wien 1985, S. 10.
- ↑
Bernhard Schimmelpfennig
:
Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance.
Sonderauflage der 6., bibliografisch aktualisierten Auflage,
WBG
, Darmstadt 2009, S. 9.
- ↑
Bernhard Schimmelpfennig:
Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance.
Sonderauflage der 6. Auflage, Darmstadt 2009, S. 5, 8.
- ↑
Jorg Ulrich
:
Euseb, HistEccl 111,14?20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian
, in: ZNW 87 (1996), S. 269?289 (hier bes. S. 269 f.; 287?289);
Otto Zwierlein
:
Kritisches zur Romischen Petrustradition und zur Datierung des Ersten Clemensbriefes
, in:
GFA
13 (2010), S. 87?157 (hier: S. 144); auch (wiewohl abwartend, vgl. S. 22; 37)
Christoph Markschies
:
Das antike Christentum. Frommigkeit, Lebensformen, Institutionen.
2. Aufl. (Erstauflage 2006), Beck, Munchen 2012, S. 40 f.
- ↑
Bernhard Schimmelpfennig:
Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance.
Sonderauflage der 6. Auflage, Darmstadt 2009, S. 12.
- ↑
Juan del Carmelo:
Santidad en el pontificado. Los mas grandes papas santificados a lo largo de la historia.
Dagosola, Alcobendas 2009, S. 227.