Die
Geschichte Boliviens
umfasst die Entwicklungen auf dem Gebiet des
Plurinationalen Staates Bolivien
von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. Sie lasst sich wie die anderer Regionen Sudamerikas in mehrere Abschnitte einteilen: die
prakolumbianische
Zeit oder Fruhgeschichte (bis ins 16. Jahrhundert), die
Kolonialzeit
(etwa 1516 bis 1810), die
Unabhangigkeitskriege
und die postkoloniale Fruhzeit der Nation (1810 bis 1880) sowie die Geschichte des modernen Bolivien.
Wahrend der
letzten Eiszeit
ließ die
Vergletscherung
der Hochgebirgsregionen keine menschliche Besiedlung zu. In der vor-agrarischen Phase (ca. 6000 bis 3000 v. Chr.) lasst sich in einer vielleicht 9 bis 12 ha großen Ausgrabungsflache bei
Sica Sica
bei
La Paz
, in 3.831 m Hohe, eine
jungsteinzeitliche
Kultur nachweisen, die Viscachani-Kultur.
[1]
Die Entstehung agrarischer Gesellschaften wird meist mit der Entwicklung von Sesshaftigkeit und Dorfern in Verbindung gebracht. Beim Wankarani-Komplex (2500 v. ? 500 n. Chr.) auf dem zentralen Altiplano, vor allem um
La Joya
, ließ sich jedoch zeigen, dass eine Hirtenkultur auf der Basis von
Lamas
und
Alpakas
diese Entwicklung besser erklaren kann.
[2]
Die Dorfer lagen unter Hugeln (mounds), die Dorfer von 15 bis 500 Hausern Große bargen. Die Hauser, deren Durchmesser zwischen drei und funf Metern variierte, waren rund und bestanden aus Stein oder Adobe-Ziegeln.
[3]
Zwischen 2500 und 1500 v. Chr. entwickelten die Bewohner Techniken der Textilherstellung und der Keramik. Gegen 1500 v. Chr. lasst sich erstmals
Kupfer
nachweisen.
Zwischen 1200 v. und 200 n. Chr. bestand die Kultur von
Wankarani
am
Poopo-See
, die offenbar nomadisch war und auf Lamas basierte. Daneben existierte von etwa 1500 v. bis 200 n. Chr. die Kultur von Chiripa
[4]
auf der Taraco-Halbinsel am Titicaca-See. Sie weist ebenfalls Keramik und religiose Architektur auf. Kleine, konkave Pfeilspitzen sind typisch fur ihre Waffen. Hinzu kommen die Urus oder Chipayas, die keinen oder nur in geringfugigem Maß Landbau betrieben, hingegen stark vom Fischfang abhingen.
[5]
Eine der wichtigsten archaologischen Statten ist
Tiwanaku
am Ostufer des
Titicacasees
, wo etwa zwischen 400 und 1200 n. Chr. eine
Hochkultur
(
Tiwanaku-Kultur
) bestand.
[6]
Sie reicht moglicherweise bis ins 2. Jahrhundert v. Chr. zuruck. Dabei errichteten die Trager dieser Kultur Tempelanlagen und Monumentalkomplexe, wie die große Steineinzaunung
Kalasasaya
und
Akapana
. Anhand von Textilien und Keramiken mit den fur die Tiwanaku-Kultur typischen Kennzeichen, lasst sich nach 700 eine deutliche Expansion nachweisen. Die Hauptstatte umfasste eine Flache von 650 Hektar
[7]
und eine geschatzte Einwohnerzahl von 40.000 Menschen; daneben existierten weitere Orte mit rund 10.000 Einwohnern. Diese Orte waren moglicherweise in einer vierstufigen Hierarchie einer strengen Verwaltung und Zuweisung religioser Funktionen unterworfen, doch sind diese Mutmaßungen stark umstritten. Fernhandel mit sperrigen Gutern war wohl nur auf dem Titicacasee moglich, doch wurden Chili, Mais und
Coca
in der Residenz stark nachgefragt. Muscheln von der Kuste
Ecuadors
(
Stachelaustern
),
Obsidian
aus dem
Colca-Tal
nach
Arequipa
,
Lapislazuli
und Kupfer aus Nordchile wurden wohl uber ein System von Zwischenhandlern herbeigebracht, Schnupftabakdosen und Stoffe wurden nach Chile, vielleicht sogar bis nach Nordargentinien gehandelt.
Etwa zur selben Zeit entwickelten sich die Kulturen der Moxos in den ostlichen Niederungen und der Mollos im Raum des heutigen La Paz. Alle drei auf Bodenbau beruhenden Kulturen verschwanden im 13. Jahrhundert, vermutlich aufgrund langer
Durren
.
Im Tiwanaku-Gebiet folgten sieben Herrschaftsgebiete der
Aymara
mit einem Kerngebiet um den Titicaca-See.
[8]
Die Aymara lebten in Dorfern und Stadten auf Bergen, entwickelten ein Bewasserungssystem, und waren in der Lage Lebensmittel uber lange Zeit zu konservieren. Sie waren in Clans organisiert, die Land und Arbeit zuwiesen.
Dabei dominierten sie benachbarte ethnische Gruppen, wie die Uru, die uberwiegend vom Fischfang lebten. Kennzeichnend sind hier Totenstadte.
Von Cuzco dehnten die
Quechua
ihr Reich aus, und Mitte des 15. Jahrhunderts unterwarfen sie auch die Aymara, wie etwa das Konigreich um die Hauptstadt Hatun-Colla. Tiwanaku war zu dieser Zeit schon lange verlassen.
Das bolivianische Hochland wurde als Kollasuyo damit eine der vier Provinzen des
Inkareichs
. Dem Stellvertreter des Inka unterstand eine Art Gouverneur, der wiederum Befehlsgewalt gegenuber lokalen Gouverneuren besaß. Diese konnten auf den lokalen Adel zugreifen. Dabei bestanden die regionalen Strukturen fort, und auch in kultureller Hinsicht ist kein Bruch zu erkennen. Der tiefste Einschnitt fand in der Organisation offentlicher Aufgaben statt. So entwickelten die Inka bereits die so genannte
Mita
, um Großprojekte und Bergbau organisieren zu konnen. Dabei hatten die verschiedenen Herrschaftsgebiete jeweils eine bestimmte Zahl von Arbeitskraften zu stellen.
1470 rebellierten mehrere Aymara-Konigreiche, doch unterlagen sie der Inka-Streitmacht. Zur Sicherung ihrer Herrschaft kolonisierten sie Teile des Aymara-Gebiets, vor allem in den sudlichen und zentralen Talern. Daher sind bis heute
Aymara
und
Quechua
die vorherrschenden Sprachen. Die ostlichen, nomadisch lebenden Stamme wurden von den Inka nicht unterworfen, dort sicherten sie durch Festungen ihr Gebiet.
Siehe auch:
Spanische Eroberung Perus
Als erste koloniale Siedlung der Spanier wurde 1535
Paria
in der Nahe der schon vorher bestehenden, spater ?Paria la vieja“ genannten, inkaischen Regionalhauptstadt gegrundet. Bei der Eroberung von
Tawantinsuyu
wurden die
Konquistadoren
anfangs von den Aymara unterstutzt. Nach dem Beginn der Rebellion des Inka-Herrschers
Manco Capac II.
gegen die siegreichen Spanier schlossen sie sich ihm bis auf die
Kolla
an.
[9]
Nach ihrer Niederlage besetzte Francisco Pizarro im Jahr 1538 das Gebiet des heutigen Bolivien fur
Spanien
. Bolivien wurde ein Teil des
Vizekonigreichs Peru
. Im Jahr 1776 wurde das damals noch
Alto Peru
genannte Land vom
Vizekonigreich Peru
losgelost und dem
Vizekonigreich Rio de la Plata
angegliedert.
Unabhangigkeitskampf und Konflikte mit den Nachbarlandern
[
Bearbeiten
|
Quelltext bearbeiten
]
1809 kam es zu ersten Aufstanden gegen die spanische Kolonialmacht, die trotz der drei
Expeditionen zur Befreiung Oberperus
der La Plata Junta in Argentinien in den Jahren 1810 bis 1816 erfolglos blieben. Auch die
Expedition von San Martin
nach Peru erbrachte nur kurzzeitige Erfolge. Erst mit dem Eingreifen von Großkolumbien, das in der
Schlacht bei Ayacucho
Ende 1824 gipfelte, waren die Spanier in Oberperu isoliert. Nach Kampfen in den eigenen Reihen wurde die Kapitulation von Ayacucho anerkannt und ebnete damit den Weg in die von
Antonio Jose de Sucre
am 6. August 1825 auf den Weg gebrachte Unabhangigkeit vom kolonialen Mutterland Spanien.
Simon Bolivar
, der als Namenspatron fur die Republik Bolivien fungierte, lehnte die Prasidentschaft ab und uberließ Sucre das Amt, schrieb allerdings die erste Verfassung des Landes. Sucre, der mit der
Schlacht am Pichincha
Ecuador befreit hatte, versuchte ein ambitioniertes, liberales Reformprogramm umzusetzen. Innere Unruhen und eine peruanische Invasion beendeten seine Prasidentschaft im Jahre 1828. Der Deutsche
Otto Philipp Braun
war ? vor allem in der Endphase der Regierung ? eine wichtige Stutze von Sucre.
Daraufhin wurde
Jose Miguel de Velasco
Prasident. Aus der Revolution von 1829 ging
Andres Santa Cruz y Calahumana
, der an der Befreiung Perus und Ecuadors beteiligt gewesen war, als Sieger hervor. Wahrend seiner Prasidentschaft wurde die von Bolivar geschaffene Verfassung wieder aufgehoben. Am 15. August 1836 marschierte Santa Cruz in
Lima
ein und vereinigte Peru und Bolivien in der
Confederacion Peru-Boliviana
. Es kam zum
Peruanisch-Bolivianischen Konfoderationskrieg
mit
Chile
von 1836 bis 1839. Braun besiegte im argentinisch-bolivianischen Grenzgebiet eine argentinische Invasionsarmee. Trotz dieses Teilerfolges zerbrach die Konfoderation am 20. Januar 1839 nach dem Sieg einer chilenischen Expeditionsarmee in Peru. Nach dem Sturz von Santa Cruz wurde das Land von haufig wechselnden und zumeist kurzlebigen Militardiktaturen
(caudillos barbaros)
beherrscht.
Anomie
, Misswirtschaft, Klientelwesen und Korruption bestimmten die Politik. Auf Prasident Velasco folgten 1841
Jose Ballivian
, 1847 wiederum Velasco, 1848
Manuel Isidoro Belzu
, 1855
Jorge Cordova
, 1857
Jose Maria Linares
, 1861
Jose Maria de Acha
, 1864
Jose Mariano Melgarejo
, 1871
Agustin Morales
, 1872
Adolfo Ballivian
, 1874
Tomas Frias Ametller
, 1876
Hilarion Daza
und nach dessen Sturz im Dezember 1879 ab dem 19. Januar 1880
Narciso Campero
im Amt.
Am 1. Marz 1879 fuhrte ein Grenzkonflikt mit Chile zum
Salpeterkrieg
. In diesem Krieg (1879?1884) kampften Bolivien und Peru gemeinsam gegen Chile und verloren. Im Abkommen von
Valparaiso
zur Beilegung des Salpeterkriegs verlor Bolivien 1884 seine Kustenprovinz
Antofagasta
an
Chile
(endgultige vertragliche Regelung am 20. Oktober 1904) und wurde dadurch zu einem Binnenstaat ohne Anschluss ans Meer, was zu einem nationalen Trauma wurde. Chile verpflichtete sich im Gegenzug zum Bau einer Eisenbahnstrecke von
Arica
nach
La Paz
, um Bolivien den Zugang zum
Pazifik
zu ermoglichen. Im selben Jahr wurde
Gregorio Pacheco
Prasident, der 1888 von
Aniceto Arce
abgelost wurde. Auf diesen folgte 1892
Mariano Baptista
und 1896
Severo Fernandez Alonso
. Eine neuerliche Revolution fuhrte 1899 zu Prasidentschaftswahlen, die
Jose Manuel Pando
gewann.
Am 18. November 1903 verlor Bolivien in einem Grenzstreit mit
Brasilien
das Gebiet von
Acre
. Ein Jahr spater wurde
Ismael Montes
zum Prasidenten gewahlt, 1909
Heliodoro Villazon
, 1913 wiederum Montes und 1917
Jose Gutierrez Guerra
. Ein Militarputsch brachte 1920
Bautista Saavedra Mallea
an die Macht, der 1925 in einer Wahl
Jose Cabino Villanueva
unterlag. Dieser musste aber bereits ein Jahr spater zurucktreten, so dass
Hernando Siles
neuer Prasident wurde. 1930 wurde
Carlos Blanco Galindo
zum Prasidenten gewahlt, der aber ebenfalls ein Jahr spater zugunsten von
Daniel Salamanca
zurucktrat.
Bolivien verwickelte sich von 1932 bis 1935 mit seinem Nachbarn
Paraguay
in einen Krieg um das Gebiet des
Gran Chaco
. Bolivien verlor diesen Krieg und musste große Gebiete an Paraguay abtreten. Dies fuhrte zu innenpolitischen Spannungen: 1934 trat Salamanca zugunsten von
Jose Luis Tejada Sorzano
zuruck, der 1936 ermordet wurde. Daraufhin ergriff das
Militar
unter Oberst
Jose David Toro
und ab 1937 unter Oberst
German Busch Becerra
die Macht. Als Folge des
Chacokrieges
verlor Bolivien am 21. Juli 1938 auch den großten Teil des von ihm beanspruchten
Chaco Boreal
. Durch diesen und die vorangegangenen Grenzkriege mit seinen Nachbarn verlor Bolivien etwa ein Drittel seines Staatsgebiets.
Nach dem Tod des Prasidenten Busch folgte
Carlos Quintanilla Quiroga
1939. Dieser machte den Weg frei fur Wahlen, die 1940
Enrique Penaranda del Castillo
gewann. Unter der Prasidentschaft von Major
Gualberto Villaroel
(* 1908, † 1946), der sich 1943 an die Macht geputscht hatte, wurden die
Zinnbarone
zu hoheren Abgaben an den Fiskus gezwungen. Gleichzeitig wurden Anstrengungen zu einer Landreform unternommen.
Am 21. Juli 1946 wurde in einer von oppositionellen Kraften angefuhrten Revolte Villaroel gesturzt und ermordet. Die
Latifundisten
, Großindustriellen, Zinnbarone und Vertreter des Kapitals gewannen die Macht zuruck. Auf
Nestor Guillen
folgte noch im selben Jahr
Tomas Monje Gutierrez
im Prasidentenamt. Die Wahlen von 1947 gewann
Jose Enrique Hertzog
, der 1949 zurucktrat. Sein Nachfolger wurde
Mamerto Urriolagoitia
. Am 6. Mai 1951 gewann
Victor Paz Estenssoro
(* 1907, † 2001), Kandidat des
Movimiento Nacionalista Revolucionario
(MNR), die Prasidentenwahl. Das Militar unter General
Hugo Ballivian
annullierte jedoch das Wahlergebnis und ubernahm die Macht.
Am 9. April 1952 verhalf eine von Teilen der Armee, den Studenten und Gewerkschaften angefuhrte Revolte dem an seiner Amtseinsetzung gehinderten Paz Estenssoro nach der Ubergangsregierung von
Hernan Siles Zuazo
doch noch zur Macht. Der antioligarchisch und antiimperialistisch orientierte MNR wurde starkste politische Kraft im Land und leitete umfassende Maßnahmen ein (Mobilisierung und Integration der Massen der Arbeiter und der Bauern in die Gesellschaft). Am 30. Oktober 1952 fuhrte die Verstaatlichung der Zinnminen bei einem Preisverfall auf dem Weltmarkt zu Kapitalmangel und Absatzschwierigkeiten.
Nach der erfolgreichen Revolution des
Movimiento Nacionalista Revolucionario
(MNR) im Jahr 1952 wurden 1953 Bildung und Erziehung ausgeweitet und das allgemeine Wahlrecht eingefuhrt, das das
Frauenwahlrecht
einschloss.
[10]
Am 2. August 1953 wurden in einer Landreform die Latifundien und die Leibeigenschaft abgeschafft. Uber 4 Millionen Hektar Agrarland wurden an Kleinbauern vergeben. Die bis dahin marginalisierten
Indigenen
erhielten Burgerrechte. Die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter wurde gefordert, die Streitkrafte aufgelost und die Waffen an Bauern- und Arbeitermilizen verteilt. Die Folgen dieser Revolution waren Kapitalflucht und Wahrungsverfall. Die
USA
ubten massiven Druck aus und forderten eine Rucknahme der Revolution.
Von 1956 bis 1960 wurden unter der Prasidentschaft von Hernan Siles Zuazo (1914?1996) die Ziele der nationalrevolutionaren Politik sukzessive ausgehohlt. Paz Estenssoro war zwischen 1960 und 1964 erneut Prasident, sah sich auf Druck der Oligarchie aber genotigt, die starke Begunstigung und Machtposition der Gewerkschaften massiv einzuschranken, was zu einem Bruch zwischen MNR und Gewerkschaften und zur Unterdruckung letzterer fuhrte. Am 3. November 1964 wurde Paz Estenssoro nach seiner dritten Wiederwahl an der Amtsubernahme gehindert. General
Rene Barrientos Ortuno
(1919?1969) ubernahm die Macht. Ihm folgte 1966 General
Alfredo Ovando Candia
, im selben Jahr wiederum Barrientos, nach dessen Tod 1969
Luis Adolfo Siles Salinas
.
Ende der 1960er Jahre entstanden insbesondere im extrem verarmten Hochland
Guerillagruppen
. Die bis in die 1970er Jahre hinein bedeutendste Gruppe war die
marxistisch
orientierte Nationale Befreiungsarmee
ELN
. 1966 erhielt die ELN Unterstutzung durch
Kuba
. Eine Gruppe kubanischer Kampfer um den Revolutionar und Guerrillero
Che Guevara
kam nach Bolivien, um dort zusammen mit der ELN eine Guerilla aufzubauen. Es gelang den Kubanern allerdings nicht, die Bauern auf ihre Seite zu bringen. Der Versuch, die Revolution in Bolivien durchzusetzen, scheiterte nicht zuletzt an der fehlenden Unterstutzung durch die
Kommunistische Partei Boliviens
(PCB). Grundsatzlich hatte wohl auch Che Guevara die im Vergleich zum
kreolisch
-
karibischen
Kuba ganz anders gelagerte Mentalitat in den bolivianischen
Anden
falsch eingeschatzt, insbesondere die der seit Jahrhunderten in extremer
feudaler
Abhangigkeit lebenden indigenen Bevolkerung. Mitte 1967 wurde das Ruckzugsgebiet der Guerillagruppen um die Kubaner immer enger, bis sie schließlich ganz aufgerieben wurden. Che Guevara wurde im Oktober 1967 vom Militar, das massiv vom US-amerikanischen Geheimdienst
CIA
unterstutzt wurde, gefangen genommen und am 9. Oktober 1967 in
La Higuera
ohne Gerichtsverhandlung erschossen. Seine Gebeine wurden auf dem Flugplatz des etwa 30 Kilometer entfernten
Vallegrande
verscharrt und waren uber Jahre hinweg verschollen. Erst 1997 wurde sie wiederentdeckt und nach Kuba uberfuhrt. Guevaras Erfahrungen wahrend der bolivianischen Zeit sind in seinem spater veroffentlichten
Bolivianischen Tagebuch
dokumentiert.
[11]
Am 26. September 1969
[12]
putschte General Alfredo Ovando Candia (* 1918, † 1982). Unter seiner Regierung vollzog sich eine Annaherung an die sozialistischen Lander (u. a. Zinnlieferungen an die
Sowjetunion
). Nach nur einem Jahr wurde Ovando am 6. Oktober 1970 zum Rucktritt gezwungen. Die rechte Militarjunta wurde jedoch nur drei Tage spater durch einen linken Gegenputsch unter General
Juan Jose Torres
(* 1921, † 1976) gesturzt. Torres berief eine Beratende Volksversammlung (
Asamblea Popular
) ein, in der die Arbeiterorganisationen die Mehrheit erhielten. Zu dieser Zeit wirkte
Fausto Reynaga
, Begrunder der
Partido Indio Boliviano
(PIB). Er verfasste uber 50 Werke und erzog zahlreiche Indigene zu politischen Fuhrern mit andinem Bewusstsein.
1971 bis 1982 setzten sich die Staatsstreiche und Putschversuche ? seit der Unabhangigkeit nahezu 200 ? mit sich haufig ablosenden Regierungen fort und kennzeichneten die politische Instabilitat des Landes. Am 22. August 1971 ubernahm in einem von der rechten Opposition angefuhrten blutigen Staatsstreich Oberst
Hugo Banzer Suarez
(* 1926, † 2002) die Macht. 1978 loste ein Militarputsch Banzer ab und brachte
Juan Pereda Asbun
an die Macht, der noch im selben Jahr von
David Padilla Arancibia
gesturzt wurde. Dieser wurde wiederum 1979 von
Walter Guevara Arze
abgelost, der seinerseits im selben Jahr gesturzt wurde, ebenso wie sein Nachfolger Oberst
Alberto Natusch Busch
durch
Lidia Gueiler Tejada
. Am 17. Juli 1980 putschte General
Luis Garcia Meza Tejada
(?Putsch der Kokainbarone“) und ließ Panzer in die von Gewerkschaften und Kommunisten gehaltenen Minenstadte
Potosi
und
Llallagua
einrucken. 1981 wurde er von
Celso Torrelio Villa
abgelost.
Die Militarregierung unter
Guido Vildoso Calderon
berief am 5. Oktober 1982 ein Parlament ein, das
Hernan Siles Zuazo
zum Prasidenten einer Mitte-links-Regierung wahlte. Am 10. Oktober endete die Militarherrschaft. In dieser Epoche der
Repression
entstanden zahlreiche indigene Organisationen, die heute in den MIP und in den
MAS
zusammenfließen. Zuazo sah sich durch Auflagen des
Internationalen Wahrungsfonds
(IWF) gezwungen, die Landeswahrung um 300 Prozent abzuwerten und die Preise fur Nahrungsmittel und Kraftstoffe drastisch zu erhohen. Ende Mai 1984 gab die Regierung die Zahlungsunfahigkeit des Landes gegenuber dem Ausland bekannt, da sich die Auslandsschulden auf 4 Milliarden US-Dollar (11 Milliarden DM) angehauft hatten. Hauptgrund hierfur war der Exportruckgang fur
Zinn
durch sudostasiatische Konkurrenz. Eine lang anhaltende Durre 1982/83 vernichtete zudem 200.000 Rinder, etwa 500.000 Lamas und 3 Millionen Schafe.
Victor Paz Estenssoro wurde erneut zum Prasidenten gewahlt (1985 bis 1989).
Gonzalo Sanchez de Lozada
(* 1930) war wahrend der Jahre 1993 bis 1997 Prasident. Daraufhin folgte eine erneute Prasidentschaft von Hugo Banzer Suarez von 1997 bis 2001. Am 6. August 2002 wurde wieder Gonzalo Sanchez de Lozada Prasident. Nach wochenlangen Unruhen wurde er jedoch am 17. Oktober 2003 gesturzt. Ihm folgte Vizeprasident
Carlos Mesa
.
2005 forderten Unternehmer und Handelskammern der reichen Region
Santa Cruz
die Autonomie. Die Region besitzt reiche Gasvorkommen, die in den 90er Jahren unter de Lozada
privatisiert
und an internationale Energiekonzerne vergeben worden waren. Die Proteste, die sich daran entzundet hatten, fuhrten zu de Lozadas Sturz. Carlos Mesa hatte zunachst zugesagt, die Privatisierung ruckgangig zu machen, dies unterblieb jedoch. Da die armeren Bevolkerungsteile (70 % leben unter der Armutsgrenze) nun eine
Verstaatlichung
der Gasvorkommen forderten, reagierten Unternehmensverbande mit Autonomiebestrebungen. Diese Unternehmensverbande wurden von deutsch-, kroatisch- und italienischstammigen Unternehmern beherrscht, die nach dem
Zweiten Weltkrieg
in diesen abgelegenen Gebieten Zuflucht gesucht hatten. Zuletzt traten in der Region von der
Oberschicht
finanzierte
Paramilitars
auf, die mehrmals Demonstrationen gegen die Autonomiebestrebungen verhinderten.
Am 6. Juni 2005 erklarte Mesa seinen Rucktritt, er wollte aber bis zur Neuwahl eines neuen Prasidenten im Amt bleiben. Das Parlament wahlte den Prasidenten des Obersten Gerichts
Eduardo Rodriguez
zum Ubergangsprasidenten. Er setzte den Wahltermin auf den 18. Dezember 2005 fest. Schon im ersten Wahlgang errang
Evo Morales
, der der Partei
Movimiento al Socialismo
(MAS) angehort, die absolute Mehrheit der Stimmen (54 %). Als Mitglied des Aymara-Volkes wurde Morales der erste
Indigene
Prasident Boliviens und Sudamerikas seit dem Beginn der spanischen Kolonisation. Bei seiner Vereidigung am 22. Januar 2006, der indigene religiose Zeremonien vorausgegangen waren, rief er dazu auf, ?500 Jahre Diskriminierung zu beenden“. In den ersten zehn Jahren gelang es der MAS-Regierung die extreme Armut von 38 % um mehr als die Halfte auf 17 % zu senken. Mit 5 % pro Jahr gelang es ebenso die Erhohung des Volkseinkommens uber den lateinamerikanischen Mittelwert von 3 % sowie der Abbau der offentlichen Schulden, das Land prosperierte und befand sich inmitten im ?bolivianischen Wirtschaftswunders“. Im Jahr 2014 erklarte die
UNESCO
gemeinsam mit der bolivianischen Regierung den Analphabetismus fur besiegt. Die Quote der Analphabeten sank zuvor unter den Wert von 4 %.
[13]
Daruber hinaus wurden offentliche Sozialleistungen wie gesetzliche Renten, Kindergeld fur Schulkinder und kostenlose Gesundheitsleistungen eingefuhrt. Die Kosten fur die Ausweitung offentlicher Dienstleistungen wurden verstarkt durch die Einnahmen aus dem Gas- und Rohstoffabbau finanziert, deren Industrien im Verlauf der MAS-Regierung verstaatlicht worden waren.
Die Phase der Stabilitat endete 2019. Bei den
Wahlen am 20. Oktober 2019
hatte Morales fur eine vierte Amtszeit kandidiert, obwohl die Verfassung nur einmalige Wiederwahl erlaubte und ein von Morales initiiertes
Referendum zur Verfassungsanderung
gescheitert war. In einer umstrittenen Entscheidung hatte das Verfassungsgericht den Verfassungsartikel fur ungultig erklart. Bei der Wahlauszahlung wurde der Vorwurf der Manipulation zugunsten Morales’ laut. Morales wurde zum Rucktritt gezwungen, als der Oberbefehlshaber der Streitkrafte, General Williams Kaliman, Morales in einer im Fernsehen ubertragenen Rede zum Rucktritt aufforderte, und ging ins Exil.
[14]
Morales’ Ruckzug verursachte ein Machtvakuum, und nachdem Senatsprasidentin
Adriana Salvatierra
, die ihm laut Verfassung hatte folgen sollen, ebenfalls zuruckgetreten war, erklarte sich die zweite Vorsitzende des Senats,
Jeanine Anez
, zur Interimsprasidentin, ohne dass dies von der Verfassung vorgesehen war. Einige Staaten, so die USA, Brasilien und die EU-Staaten, erkannten Anez’ Prasidentschaft als legal an, Mexiko und Uruguay hingegen nicht.
[15]
In vielen Medien war von einem Putsch die Rede, da Morales’ Rucktritt auf Druck der Militars geschah.
Nachdem Anez dem Militar und der Polizei per Dekret Immunitat zusicherte, folgte brutale Repression inklusive der zwei Massaker von Senkata und Sacaba an der Zivilbevolkerung im November 2019, die von der
Interamerikanischen Kommission fur Menschenrechte
als solche eingestuft wurden. Die Interimsregierung sowie die wirtschaftliche Oligarchie nutzten ihre Macht, um die indigene Bevolkerung zu unterdrucken, tolerierte nicht nur
paramilitarischen
Gruppen, sondern finanzierte diese. Wahrend der
COVID-19-Pandemie
wurde das
Gesundheitssystem
privatisiert und das Schuljahr ausgesetzt. Das Burgerkomitee von Santa Cruz ließ verlauten, dass Bolivien ?zur Republik zuruckkehren“ sollte (Ruckkehr zur vor der MAS-Regierungszeit gultigen Verfassung).
[16]
Im Oktober 2020 wurde
Luis Arce
von der MAS-Partei mit 54,40 % der Stimmen in der ersten Wahlrunde zum Prasidenten gewahlt.
[17]
[18]
- Jose M. Capriles:
The Economic Organization of Early Camelid Pastoralism in the Andean Highlands of Bolivia
, British Archaeological Association, 2014.
- Jeffrey Quilter:
The Ancient Central Andes
, Routledge, 2014.
- Herbert S. Klein:
A Concise History of Bolivia
. 3., uberarbeitete Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 2021,
ISBN 978-1-108-84482-6
.
- Waltraud Q. Morales:
A Brief History of Bolivia
. Facts On File, New York City 2003,
ISBN 0-8160-4692-1
.
- Sergio Serulnikov:
Subverting Colonial Authority. Challenges to Spanish Rule in Eighteenth-Century Southern Andes
. University Press, Durham 2003,
ISBN 0-8223-3110-1
.
- Sinclair Thomson:
We Alone Will Rule. Native Andean Politics in the Age of Insurgency
. University Press, Madison, Wis. 2002,
ISBN 0-299-17794-7
.
- Liu Kohler:
Unterdruckt aber nicht besiegt. Die bolivianische Bauernbewegung von den Anfangen bis 1981
. Informationsstelle Lateinamerika, Bonn 1981.
- ↑
Peter Neal Peregrine, Melvin Ember (Hrsg.):
Encyclopedia of Prehistory: South America.
Bd. 7, Kluwer [u. a.], New York [u. a.] 2002,
ISBN 0-306-46261-3
, S. 215.
- ↑
Jose Capriles:
Mobile Communities and Pastoralist Landscapes During the Formative Period in the Central Altiplano of Bolivia
, in: Latin American Antiquity 1 (2014) 3-26.
- ↑
Marc Bermann:
Lukurmata. Household Archaeology in Prehispanic Bolivia
, Princeton University Press, 2014, S. 50.
- ↑
Peter Neal Peregrine, Melvin Ember (Hrsg.):
Encyclopedia of Prehistory
, Bd. 7 (South America), Human Relations Area Files Inc. 2002, S. 127.
- ↑
Harold Osborne:
Indians of the Andes: Aymaras and Quechuas
, 1. Aufl. 1952, Nachdruck Routledge 2004, S. 67 ff.
- ↑
Peter Neal Peregrine, Melvin Ember (Hrsg.):
Encyclopedia of Prehistory
, Bd. 7 (South America), Human Relations Area Files Inc. 2002, S. 319?326.
- ↑
Unexpected finds increase mystery surrounding Tiahuanaco citadel.
, EFE, abgerufen am 9. Dezember 2020.
- ↑
Peter Neal Peregrine, Melvin Ember (Hrsg.):
Encyclopedia of Prehistory
, Bd. 7 (South America), Human Relations Area Files Inc. 2002, S. 34?37.
- ↑
Herbert S. Klein:
A Concise History of Bolivia
. Cambridge University Press, Cambridge 2006,
ISBN 978-0-521-80782-1
, S. 30.
- ↑
June Hannam, Mitzi Auchterlonie, Katherine Holden:
International Encyclopedia of Women's Suffrage.
ABC-Clio, Santa Barbara, Denver, Oxford 2000,
ISBN 1-57607-064-6
, S. 36.
- ↑
Ernesto Che Guevara:
Bolivianisches Tagebuch. Dokumente einer Revolution.
Rowohlt, Reinbek 1986.
- ↑
Stefan Jost:
Bolivien: Politisches System und Reformprozess 1993-1997.
Leske + Budrich, Opladen 2003,
ISBN 978-3-8100-3798-5
, S. 105. (
online
, abgerufen am 20. Juli 2010).
- ↑
Mike Gatehouse:
UNESCO Declares Bolivia Free of Illiteracy.
In:
Latin America Bureau.
2. August 2014,
abgerufen am 24. Marz 2023
(britisches Englisch).
- ↑
Vitoria de Arce na Bolivia mostra reacao ‘contundente’ contra o golpismo
, 20. Oktober 2020
- ↑
Natalia Oelsner, Rafa Cereceda:
¿Que paises reconocen a Jeanine Anez como presidenta interina de Bolivia?
In:
Euronews
.
15. November 2019,
abgerufen am 11. Marz 2022
(spanisch).
- ↑
Oligarchie essen Demokratie auf.
Lateinamerika Nachrichten, September/Oktober 2020.
- ↑
Jurgen Vogt:
Boliviens neuer Prasident: Luis Arce kundigt eigenen Kurs an.
In:
taz.de.
21. Oktober 2020,
abgerufen am 22. Oktober 2020
.
- ↑
Bolivien: Arce liegt bei Prasidentenwahl vorn.
In:
tagesschau.de.
19. Oktober 2020,
abgerufen am 22. Oktober 2020
.
Geschichte neuzeitlicher Staaten Sudamerikas