Althochdeutsch
|
Gesprochen in
|
im Ostteil des
Frankenreichs
, spater im
Heiligen Romischen Reich
, von der sogenannten ?
Benrather Linie
“ im Norden bis zur
romanischen
,
slawischen
und anfangs
?awarischen“
, dann
ungarischen
Sprachgrenze
|
Sprecher
|
seit ca. 1050 keine mehr
|
Linguistische
Klassifikation
|
|
Sprachcodes
|
ISO 639
-1
|
?
|
ISO 639
-2
|
goh
|
ISO 639
-3
|
goh
|
Als
althochdeutsche Sprache
oder
Althochdeutsch
(abgekurzt
Ahd.
) bezeichnet man die alteste schriftlich uberlieferte
Sprachstufe
des
Deutschen
, die etwa zwischen 750 und 1050 gesprochen wurde.
[1]
Ihr unmittelbarer Vorlaufer war das
Voralthochdeutsche
, das sich vom Althochdeutschen vor allem durch die noch nicht durchgefuhrte
Zweite Lautverschiebung
unterscheidet und im 5. bis 7. Jahrhundert gesprochen wurde. Das Voralthochdeutsche wiederum ist die sudliche Teilgruppe des Westgermanischen, zu dem auch die Vorlaufer des Altsachsischen, Altfriesischen, Altniederfrankischen und Altenglischen gehoren. Wie das Westgermanische insgesamt ist auch das Voralthochdeutsche nur durch wenige
Runeninschriften
und Eigennamen in
lateinischen
Texten belegt.
Das Wort ?
deutsch
“ erscheint zum ersten Mal in einem Dokument aus dem Jahre 786 in der mittellateinischen Form
theodiscus
. In einer Kirchenversammlung in England seien die Beschlusse ?
tam latine quam
theodisce
“ verlesen worden, also ?sowohl lateinisch als auch in der Volkssprache“. (Mit dieser
Volkssprache
war freilich das
Altenglische
gemeint.)
[2]
Die althochdeutsche Form des Worts ist erst deutlich spater belegt: In der Abschrift eines antiken Sprachlehrbuches in lateinischer Sprache, vermutlich im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts angefertigt, fand sich der Eintrag eines Monches, der offenbar das lateinische Wort
galeola
(Geschirr in Helmform) nicht verstanden hatte. Er muss sich bei einem Mitbruder nach der Bedeutung dieses Wortes erkundigt und die Bedeutung in der Sprache des Volkes hinzugefugt haben. Fur seine Notiz verwendete er die althochdeutsche Fruhform ?
diutisce
gellit
“ (?auf Deutsch ?Schale‘“).
Das Althochdeutsche war keine einheitliche Sprache, sondern eine Gruppe eng verwandter und wechselseitig gut verstehbarer
westgermanischer Dialekte
, die sudlich der sogenannten ?
Benrather Linie
“ (die heute von
Dusseldorf
-
Benrath
ungefahr in west-ostlicher Richtung verlauft) gesprochen wurden. Diese
Dialekte
unterscheiden sich von den anderen westgermanischen Sprachen vor allem durch die Durchfuhrung der
Zweiten (oder Hochdeutschen) Lautverschiebung
. Die Dialekte nordlich der ?Benrather Linie“, das heißt im Bereich der
norddeutschen Tiefebene
und im Gebiet der heutigen
Niederlande
, haben diese Lautverschiebung nicht durchgefuhrt. Diese Dialekte werden zur Unterscheidung vom Althochdeutschen unter der Bezeichnung
Altsachsisch
(auch:
Altniederdeutsch
) zusammengefasst. Aus dem Altsachsischen hat sich das
Mittel-
und
Neuniederdeutsche
entwickelt. Auch das
Altniederfrankische
, aus dem spater das heutige
Niederlandisch
entstanden ist, hat die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht, so dass dieser Teil des Frankischen ebenfalls nicht zum Althochdeutschen gehort.
Dagegen hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das
Langobardische
im Norditalien des 7. bis 8. Jahrhunderts zu den althochdeutschen Dialekten gehort; die wenigen uberlieferten oder aus italienischen Lehnwortern erschließbaren langobardischen Worte und Eigennamen lassen jedenfalls erkennen, dass auch im Langobardischen die Zweite Lautverschiebung durchgefuhrt worden ist.
Da das Althochdeutsche eine Gruppe naheverwandter Mundarten war und es im fruhen Mittelalter keine einheitliche
Schriftsprache
gab, lassen sich die uberlieferten Textzeugnisse den einzelnen althochdeutschen Sprachen zuweisen, so dass man oft treffender von
(Alt-)
Sudrheinfrankisch
,
Altbairisch
,
Alt
alemannisch
usw. spricht. Diese westgermanischen Varietaten mit der Zweiten Lautverschiebung weisen allerdings eine unterschiedliche Nahe zueinander auf, in der die spateren Unterschiede zwischen
Ober-
und
Mitteldeutsch
begrundet sind. So schreibt etwa
Stefan Sonderegger
, in Bezug auf die raumlich-sprachgeographische Gliederung sei unter Althochdeutsch zu verstehen:
?Die altesten Stufen der mittel- und hochfrankischen, d. h. westmitteldeutschen Mundarten einerseits und der alemannisch und bairischen, also oberdeutschen Mundarten andererseits, sowie die in ahd. Zeit erstmals faßbare, aber gleichzeitig schon absterbende Sprachstufe des
Langobardischen
in
Oberitalien
. Deutlich geschieden bleibt das Ahd. vom Altsachsischen im anschließenden Norden, wahrend zum Altniederlandisch-Altniederfrankischen und Westfrankischen im Nordwesten und Westen
ein gestaffelter Ubergang
festzustellen ist.“
Das
lateinische Alphabet
wurde im Althochdeutschen fur die deutsche Sprache ubernommen. Hierbei kam es einerseits zu Uberschussen an Graphemen wie <v> und <f> und andererseits zu ?ungedeckten“ deutschen Phonemen wie
Diphthongen
,
Affrikaten
(wie /pf/, /ts/, /t?/), und Konsonanten wie /c/ <ch> und /?/ <sch>, die es im Lateinischen nicht gab. Im Althochdeutschen wurde fur das Phonem /f/ auch hauptsachlich das Graphem <f> verwendet, sodass es hier fihu (Vieh), filu (viel), fior (vier), firwizan (verweisen) und folch (Volk) heißt, wahrend im Mittelhochdeutschen uberwiegend fur dasselbe Phonem das Graphem <v> verwendet wurde, hier heißt es dagegen vinsternis (Finsternis), vrouwe (Frau), vriunt (Freund) und vinden (finden). Diese Unsicherheiten, die sich bis heute in Schreibungen wie ?Vogel“ oder ?Vogt“ auswirken, sind auf die beschriebenen Graphemuberschusse des Lateinischen zuruckzufuhren.
Der alteste erhaltene althochdeutsche Text ist der
Abrogans
, ein lateinisch-althochdeutsches Glossar. Generell besteht die althochdeutsche Uberlieferung zu einem großen Teil aus geistlichen Texten (
Gebeten
, Taufgelobnissen,
Bibelubersetzung
); nur vereinzelt finden sich weltliche Dichtungen (
Hildebrandslied
,
Ludwigslied
) oder sonstige Sprachzeugnisse (Inschriften,
Zauberspruche
). Zum offentlichen Recht gehoren die
Wurzburger Markbeschreibung
oder die
Straßburger Eide
von 842, die jedoch nur in der Abschrift eines romanischsprachigen Kopisten aus dem 10. und 11. Jahrhundert uberliefert sind.
Der sogenannte ?
Althochdeutsche Tatian
“ ist eine Ubersetzung der Evangelienharmonie des syrisch-christlichen Apologeten Tatianus (2. Jahrhundert) in das Althochdeutsche. Er ist zweisprachig (lateinisch-deutsch); die einzige erhaltene Handschrift befindet sich heute in St. Gallen. Der Althochdeutsche Tatian ist neben dem
Althochdeutschen Isidor
die zweite große Ubersetzungsleistung aus der Zeit Karls des Großen.
Im Zusammenhang mit der politischen Situation ging im 10. Jahrhundert die Schriftlichkeit im Allgemeinen und die Produktion deutschsprachiger Texte im Besonderen zuruck; ein erneutes Einsetzen einer deutschsprachigen Schriftlichkeit und Literatur ist ab etwa 1050 zu beobachten. Da sich die schriftliche Uberlieferung des
11. Jahrhunderts
in lautlicher Hinsicht deutlich von der alteren Uberlieferung unterscheidet, bezeichnet man die Sprache ab etwa 1050 als
Mittelhochdeutsch
. Als Endpunkt der althochdeutschen Textproduktion wird oft auch der Tod
Notkers
in St. Gallen 1022 definiert.
Das Althochdeutsche ist eine
synthetische Sprache
.
Typisch fur das Althochdeutsche und wichtig fur das Verstandnis bestimmter Formen in spateren Sprachstufen des Deutschen (wie die
ruckumlautenden schwachen Verben
) ist der althochdeutsche
Primarumlaut
. Hierbei bewirken die Laute /i/ und /j/ in der Folgesilbe, dass /a/ zu /e/ umgelautet wird.
Charakteristisch fur die althochdeutsche Sprache sind die noch vokalisch volltonenden Endungen (siehe
Latein
).
Beispiel vokalisch volltonender Endungen
althochdeutsch
|
neuhochdeutsch
|
mahhon
|
machen
|
taga
|
Tage
|
demo
|
dem
|
perga
|
Berge
|
Die Abschwachung der Endsilben im Mittelhochdeutschen ab 1050 gilt als Hauptkriterium zur Abgrenzung der beiden Sprachstufen.
Das Substantiv hat vier
Falle
(Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) und Reste eines funften (
Instrumental
) sind noch vorhanden. Man unterscheidet zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen (konsonantischen)
Deklination
.
Deklination der schwachen Substantive
Numerus
|
Kasus
|
maskulin
|
feminin
|
neutral
|
Singular
|
Nom.
|
han
o
|
zung
a
|
herz
a
|
Akk.
|
han
on, -un
|
zung
?n
|
herz
a
|
Dat.
|
han
en, -in
|
zung
?n
|
herz
en, -in
|
Gen.
|
Plural
|
Nom.
|
han
on, -un
|
zung
?n
|
herz
un, -on
|
Akk.
|
Dat.
|
han
?m, -?n
|
zung
?m, -?n
|
herz
?m, -?n
|
Gen.
|
han
?no
|
zung
?no
|
herz
?no
|
Bedeutung
|
Hahn
|
Zunge
|
Herz
|
Weitere Beispiele fur maskuline Substantive sind
sterno
(Stern),
namo
(Name),
forasago
(Prophet), fur feminine Substantive
quena
(Frau),
sunna
(Sonne) und fur neutrale
ouga
(Auge),
?ra
(Ohr).
Deklination der Personalpronomina im Althochdeutschen
Numerus
|
Person
|
Genus
|
Nominativ
|
Akkusativ
|
Dativ
|
Genitiv
|
Singular
|
1.
|
ih
|
mih
|
mir
|
m?n
|
2.
|
d?
|
dih
|
dir
|
d?n
|
3.
|
Maskulinum
|
(h)er
|
inan, in
|
imu, imo
|
(s?n)
|
Femininum
|
siu; s?, si
|
sia
|
iro
|
ira, iru
|
Neutrum
|
iz
|
imu, imo
|
es, is
|
Plural
|
1.
|
wir
|
unsih
|
uns
|
uns?r
|
2.
|
ir
|
iuwih
|
iu
|
iuw?r
|
3.
|
Maskulinum
|
sie
|
im, in
|
iro
|
Femininum
|
sio
|
Neutrum
|
siu
|
- Die
Hoflichkeitsform
entspricht der 2. Person Plural.
- Neben
unser
und
iuwer
findet sich auch
unsar
und
iuwar
,
[5]
und neben
iuwar
und
iuwih
findet sich auch
iwar
und
iwih
.
[6]
- Bei
Otfrid
findet sich auch der Genitiv Dual der 1. Person:
unker
(oder
uncher
, auch als
unkar
oder
unchar
angefuhrt).
[7]
[8]
In der althochdeutschen Periode spricht man allerdings eher noch von dem
Demonstrativpronomen
, weil sich der bestimmte Artikel als ein grammatisches Phanomen erst im spaten Althochdeutsch aus dem Demonstrativpronomen entwickelt hat.
[9]
Bestimmte Artikel im Althochdeutschen
Kasus
|
Singular
|
Plural
|
mannlich
|
sachlich
|
weiblich
|
mannlich
|
sachlich
|
weiblich
|
Nominativ
|
der
|
da?
|
diu
|
d?, dea, dia, die
|
diu, (dei?)
|
deo, dio
|
Akkusativ
|
den
|
dea, dia (die)
|
Dativ
|
demu, -o
|
deru, -o
|
d?m, d?n
|
Genitiv
|
des
|
dera, (deru, -o)
|
deru
|
dera
|
Nominativ und Akkusativ sind im Plural recht willkurlich und von Dialekt zu Dialekt unterschiedlich, sodass eine explizite Trennung, welche dieser Formen ausdrucklich den Akkusativ und welche den Nominativ beschreibt, nicht moglich ist. Zudem kann man anhand dieser Aufstellung bereits einen langsamen Zusammenfall der verschiedenen Formen feststellen. Wahrend es im Nominativ und Akkusativ Plural noch viele recht unregelmaßige Formen gibt, sind Dativ und Genitiv, sowohl im Singular als auch im Plural, relativ regelmaßig.
Auch bei den Verben wird zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen Konjugation unterschieden. Die Zahl der schwachen Verben war zu jeder Zeit hoher als die der starken Verben, aber die zweite Gruppe war im Althochdeutschen deutlich umfangreicher als heute. Neben diesen beiden Gruppen gibt es die
Prateritoprasentien
, Verben, welche mit ihrer ursprunglichen
Prateritums
form eine Prasensbedeutung aufweisen.
Bei den starken Verben kommt es im Althochdeutschen zur Veranderung des Vokals im Grund
morphem
, welches die lexikalische Bedeutung des Wortes tragt. Die
Flexion
(Beugung) der Worter wird durch Flexionsmorpheme (Endungen) gekennzeichnet. Man unterscheidet im Althochdeutschen sieben verschiedene Ablautreihen, wobei die siebte nicht auf einen
Ablaut
, sondern auf
Reduplikation
zuruckgeht.
Ablautreihen starker Verben
Ablautreihe
|
Infinitiv
|
Prasens
|
Prateritum
|
Prat. Plural
|
Partizip
|
I.
|
a
|
?
+
Konsonant
(weder
h
noch
w
)
|
?
|
ei
|
i
|
i
|
b
|
?
+
h
oder
w
|
?
|
II.
|
a
|
io
+ Konsonant (weder
h
noch
Dental
)
|
iu
|
ou
|
u
|
o
|
b
|
io
+
h
oder Dental
|
?
|
III.
|
a
|
i
+
Nasal
oder Konsonant
|
i
|
a
|
u
|
u
|
b
|
e
+
Liquid
oder Konsonant
|
o
|
IV.
|
e
+ Nasal oder Liquid
|
i
|
a
|
?
|
o
|
V.
|
e
+ Konsonant
|
i
|
a
|
?
|
e
|
VI.
|
a
+ Konsonant
|
a
|
uo
|
uo
|
a
|
VII.
|
?, a, ei, ou, uo
oder
?
|
ie
|
ie
|
wie Inf.
|
Beispiele in rekonstruiertem und vereinheitlichtem Althochdeutsch:
- Ablautreihe I.a
- r
?
tan ? r
?
tu ? r
ei
t ? r
i
tun ? gir
i
tan
(nhd. reiten, fahren)
- Ablautreihe I.b
- z
?
han ? z
?
hu ? z
?
h ? z
i
gun ? giz
i
gan
(nhd. bezichtigen, zeihen)
- Ablautreihe II.a
- b
io
gan ? b
iu
gu ? b
ou
g ? b
u
gun ? gib
o
gan
(nhd. biegen)
- Ablautreihe II.b
- b
io
tan ? b
iu
tu ? b
?
t ? b
u
tun ? gib
o
tan
(nhd. bieten)
- Ablautreihe III.a.
- b
i
ntan ? b
i
ntu ? b
a
nt ? b
u
ntun ? gib
u
ntan
(nhd. binden)
- Ablautreihe III.b.
- w
e
rfan ? w
i
rfu ? w
a
rf ? w
u
rfun ? giw
o
rfan
(nhd. werfen)
- Ablautreihe IV.
- n
e
man ? n
i
mu ? n
a
m ? n
?
mun ? gin
o
man
(nhd. nehmen)
- Ablautreihe V.
- g
e
ban ? g
i
bu ? g
a
b ? g
?
bun ? gig
e
ban
(nhd. geben)
- Ablautreihe VI.
- f
a
ran ? f
a
ru ? f
uo
r ? f
uo
run ? gif
a
ran
(nhd. fahren)
- Ablautreihe VII.
- r
?
tan ? r
?
tu ? r
ie
t ? r
ie
tun ? gir
?
tan
(nhd. raten)
Flexionsformen starker Verben am Beispiel
werf
an
(Infinitiv)
Modus
|
Numerus
|
Person
|
Pronomen
|
Prasens
|
Prateritum
|
Indikativ
|
Singular
|
1.
|
ih
|
wirf
u
|
warf
|
2.
|
d?
|
wirf
is
/wirf
ist
|
wurf
i
|
3.
|
er, siu, iz
|
wirf
it
|
warf
|
Plural
|
1.
|
wir
|
werf
em?s
(werf
?n
)
|
wurf
um
(wurf
um?s
)
|
2.
|
ir
|
werf
et
|
wurf
ut
|
3.
|
sie, siu
|
werf
ent
|
wurf
un
|
Konjunktiv
|
Singular
|
1.
|
ih
|
werf
e
|
wurf
i
|
2.
|
d?
|
werf
?s
/werf
?st
|
wurf
?s
/wurf
?st
|
3.
|
er, siu, iz
|
werf
e
|
wurf
i
|
Plural
|
1.
|
wir
|
werf
?m
(werf
em?s
)
|
wurf
?m
(wurf
?m?s
)
|
2.
|
ir
|
werf
?t
|
wurf
?t
|
3.
|
sie, siu
|
werf
?n
|
wurf
?n
|
Imperativ
|
Singular
|
2.
|
|
wirf
|
|
Plural
|
werf
et
|
Partizip
|
werf
anti
/ werf
enti
|
gi
worf
an
|
Beispiel:
werfan ? wirfu ? warf ? wurfun ? giworfan
(nhd. werfen) nach der Ablautreihe III. b
Die schwachen Verben des Althochdeutschen lassen sich morphologisch und semantisch uber ihre Endungen in drei Gruppen einteilen:
Verben mit der Endung
-jan-
mit kausativer Bedeutung (etwas machen, bewirken) sind fur das Verstandnis der im Mittelhochdeutschen sehr haufig und auch heute noch teilweise vorhandenen schwachen Verben mit
Ruckumlaut
elementar, da hier das /j/ in der Endung den oben beschriebenen Primarumlaut im Prasens bewirkt.
Formen schwacher Verben mit der Endung
-jan-
mit kausativer Bedeutung und fur denominative Bildungen am Beispiel *
taljan
→ ahd.
zellen
?(auf-, er-, zu-)zahlen, (aus-)sagen, sprechen‘.
Modus
|
Numerus
|
Person
|
Pronomen
|
Prasens
|
Prateritum
|
Indikativ
|
Singular
|
1.
|
ih
|
zell
u
|
zell
it
a
|
2.
|
d?
|
zell
is
|
zell
it
os
|
3.
|
er, siu, iz
|
zell
it
|
zell
it
a
|
Plural
|
1.
|
wir
|
zell
um?s
|
zell
it
um
|
2.
|
ir
|
zell
et
|
zell
it
ut
|
3.
|
sie, siu
|
zell
ent
|
zell
it
un
|
Konjunktiv
|
Singular
|
1.
|
ih
|
zel
e
|
zel
it
i
|
2.
|
d?
|
zell
?st
|
zel
it
?s
|
3.
|
er, siu, iz
|
zel
e
|
zel
it
i
|
Plural
|
1.
|
wir
|
zel
?m
|
zel
it
?m
|
2.
|
ir
|
zel
?t
|
zel
it
?t
|
3.
|
sie, siu
|
zel
?n
|
zel
it
?n
|
Imperativ
|
Singular
|
2.
|
|
zel
|
|
Plural
|
zell
et
|
Formen schwacher Verben mit der Endung
-?n
mit instrumentaler Bedeutung (etwas benutzen) am Beispiel
mahh?n
?machen‘
Modus
|
Numerus
|
Person
|
Pronomen
|
Prasens
|
Prateritum
|
Indikativ
|
Singular
|
1.
|
ih
|
mahh
о?m
|
mahh
о?t
a
|
2.
|
d?
|
mahh
о?s
|
mahh
о?t
о?s
|
3.
|
er, siu, iz
|
mahh
о?t
|
mahh
о?t
a
|
Plural
|
1.
|
wir
|
mahh
о?m?s
|
mahh
о?t
um
|
2.
|
ir
|
mahh
о?t
|
mahh
о?t
ut
|
3.
|
sie, siu
|
mahh
о?nt
|
mahh
о?t
un
|
Konjunktiv
|
Singular
|
1.
|
ih
|
mahh
o
|
mahh
о?t
i
|
2.
|
d?
|
mahh
о?s
|
mahh
о?t
?s
|
3.
|
er, siu, iz
|
mahh
o
|
mahh
о?t
i
|
Plural
|
1.
|
wir
|
mahh
о?m
|
mahh
о?t
?m
|
2.
|
ir
|
mahh
о?t
|
mahh
о?t
?t
|
3.
|
sie, siu
|
mahh
о?n
|
mahh
о?t
?n
|
Imperativ
|
Singular
|
2.
|
|
mahh
o
|
|
Plural
|
mahh
ot
|
Formen schwacher Verben mit der Endung
-?n
mit durativer Bedeutung (vollziehen, werden) am Beispiel
sag?n
?sagen‘
Modus
|
Numerus
|
Person
|
Pronomen
|
Prasens
|
Prateritum
|
Indikativ
|
Singular
|
1.
|
ih
|
sag
?m
|
sag
?t
a
|
2.
|
d?
|
sag
?s
|
sag
?t
о?s
|
3.
|
er, siu, iz
|
sag
?t
|
sag
?t
a
|
Plural
|
1.
|
wir
|
sag
?m?s
|
sag
?t
um
|
2.
|
ir
|
sag
?t
|
sag
?t
ut
|
3.
|
sie, siu
|
sag
?nt
|
sag
?t
un
|
Konjunktiv
|
Singular
|
1.
|
ih
|
sag
e
|
sag
?t
i
|
2.
|
d?
|
sag
?s
|
sag
?t
?s
|
3.
|
er, siu, iz
|
sag
e
|
sag
?t
i
|
Plural
|
1.
|
wir
|
sag
?m
|
sag
?t
?m
|
2.
|
ir
|
sag
?t
|
sag
?t
?t
|
3.
|
sie, siu
|
sag
?n
|
sag
?t
?n
|
Imperativ
|
Singular
|
2.
|
|
sag
e
|
|
Plural
|
sag
?t
|
Das althochdeutsche Verb
s?n
?sein‘ wird als
Verbum substantivum
bezeichnet, weil es fur sich allein stehen kann und ein Dasein von etwas beschreibt. Es zahlt zu den
Wurzelverben
, welche zwischen Stamm- und Flexionsmorphem keinen Bindevokal aufweisen. Diese Verben werden auch als athematisch (ohne Binde- oder Themavokal) bezeichnet. Das Besondere an
s?n
ist, dass sein
Paradigma
suppletiv ist, also aus verschiedenen Verbstammen gebildet wird (
idg.
*
h₁es-
?existieren‘, *
b?ueh₂-
?wachsen, gedeihen‘ und *
h₂ues-
?verweilen, wohnen, ubernachten‘). Im Konjunktiv Prasens besteht weiterhin das auf *
h₁es-
zuruckgehende
s?n
(die mit
b
-anlautenden Indikativformen gehen hingegen auf *
b?eh₂u-
zuruck), im Prateritum jedoch wird es durch das starke Verb
wesan
(nhd.
war
,
ware
; vgl. auch nhd.
Wesen
) ersetzt, welches nach der funften Ablautreihe gebildet wird.
Prasensformen des
verbum substantivum
:
s?n
?sein‘
Numerus
|
Person
|
Pronomen
|
Indikativ
|
Konjunktiv
|
Singular
|
1.
|
ih
|
bim, bin
|
s?
|
2.
|
d?
|
bist
|
s?s, s?st
|
3.
|
er, siu, ez
|
ist
|
s?
|
Plural
|
1.
|
wir
|
birum, birun
|
s?n
|
2.
|
ir
|
birut
|
s?t
|
3.
|
sie, sio, siu
|
sint
|
s?n
|
Im
Germanischen
gab es lediglich zwei Tempora: Das Prateritum fur die Vergangenheit und das Prasens fur die Nicht-Vergangenheit (Gegenwart, Zukunft). Mit Einsetzen der Verschriftlichung und Ubersetzungen aus dem Latein ins Deutsche begann man, deutsche Entsprechungen fur die lateinischen Tempora wie
Perfekt
,
Plusquamperfekt
,
Futur I
und
Futur II
im Althochdeutschen zu entwickeln. Zumindest Ansatze fur das haben- und sein-Perfekt lassen sich schon im Althochdeutschen ausmachen. Die Entwicklung wurde im
Mittelhochdeutschen
fortgefuhrt.
Die Rekonstruktion der Aussprache des Althochdeutschen basiert auf dem Vergleich der uberlieferten Texte mit der Aussprache des heutigen Deutschen, deutscher Dialekte und verwandter Sprachen. Daraus ergeben sich folgende Ausspracheregeln:
[10]
- Vokale sind grundsatzlich kurz zu lesen, es sei denn, sie sind durch einen
Uberstrich
oder
Zirkumflex
ausdrucklich als
Langvokale
gekennzeichnet. Erst im Neuhochdeutschen werden Vokale in
offenen Silben
lang gesprochen.
- Die Diphthonge
ei, ou, uo, ua, ie, ia, io
und
iu
werden als Diphthonge gesprochen und auf dem ersten Bestandteil betont. Dabei ist zu beachten, dass auch der Buchstabe <v> gelegentlich den Lautwert u hat.
- Die Betonung liegt immer auf der Wurzel, selbst wenn eine der folgenden Silben einen Langvokal enthalt.
- Die Lautwerte der meisten Konsonantenbuchstaben entsprechen denen des heutigen Deutsch. Da die
Auslautverhartung
erst im Mittelhochdeutschen erfolgte, werden <b>, <d> und <g> im Auslaut anders als im heutigen Deutsch
stimmhaft
gesprochen.
- Der Graph <th> wurde im fruhen Althochdeutsch als
stimmhafter dentaler Frikativ
[ð] (wie <th> in Englisch
the
) gesprochen, ab etwa 830 aber kann man [d] lesen.
- <c> wird ? ebenso wie das haufiger auftretende <k> ? als [k] gesprochen, und zwar auch dann, wenn es in Verbindung mit <s> ? also als <sc> ? erscheint.
- <z> ist zweideutig und steht teils fur [ts], teils fur das stimmlose [s]. Letzteres ist durch die zweite Lautverschiebung aus t hervorgegangen (wie z. B. ahd.
ezzan
< voralthochdeutsch
*etan
,
wazzar
< vahd.
*watar
).
- <s> wurde geringfugig anders als heute ausgesprochen, namlich wie im Niederlandischen also mit leichter Tendenz zum [?]; nur deswegen wurde es auch in der Schreibung von <z> (< vahd. t) unterschieden. Diese Differenzierung bestand noch in mittelhochdeutscher Zeit.
- <h> wird im Anlaut als [h] gesprochen, im In- und Auslaut als [x].
- <st> wird auch im Wortanlaut [st] gesprochen (nicht wie heute [?t]). Auch in dieser Verbindung wurde
s
wie im Niederlandischen mit Tendenz zum [?] ausgesprochen und auf dieser Grundlage entwickelte sich <st> spater phonologisch zu [?t] (dies erst im spaten Mittelalter, im Ubergang vom Mittelhochdeutschen zum Fruhneuhochdeutschen; in Sudwestdeutschland bereits im 11. Jahrhundert und dort in allen Stellungen).
- <ng> wird [ŋg] gesprochen (nicht [ŋ]).
- <qu> wird geringfugig anders als im heutigen Deutsch (dort: [kv]) ausgesprochen, namlich noch mit Lippenrundung wie im Italienischen (z. B. in
acqua
Wasser oder
quando
wann).
- <uu> (das oft als <w> transkribiert wird) wird wie der englische Halbvokal [
w
]
(water)
gesprochen.
[11]
- Grammatik. Glossen. Texte.
Winter, Heidelberg 1987,
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