Alois Vock
(*
19. Mai
1785
in
Sarmenstorf
; †
15. November
1857
in
Solothurn
) war ein Schweizer romisch-katholischer Geistlicher, Padagoge und
Historiker
.
Alois Vock war der Sohn von Johann Anton Vock († 1794), Muller und wuchs, nach dem Tod seines Vaters, bei seinem Onkel Franz Xaver Vock (1752?1828), Professor am
Gymnasium Solothurn
auf.
Er besuchte das
Gymnasium Solothurn
und das dortige
Lyzeum
, wo er sich mit
Robert Glutz von Blotzheim
anfreundete.
Neben seinen religiosen Beweggrunden ist bei seiner Berufswahl vermutlich der Gedanke als Priester am weitesten hinaus und am tiefsten erzieherisch wirken zu konnen entscheidend gewesen, hinzu kam offensichtlich die Hoffnung, noch Zeit fur wissenschaftliche Arbeit zu finden, und so studierte er im Anschluss an seine schulische Ausbildung im Herbst 1805 Theologie am
Lyzeum Konstanz
, das aus einem Jesuitenkollegium hervorgegangen war, sowie an der
Universitat Landshut
; dort horte er Vorlesungen beim
Theologen
Johann Michael Sailer
, beim
Altphilologen
Friedrich Ast
, beim protestantischen Historiker
Karl Wilhelm Friedrich von Breyer
und bei
Anton Michl
(
Kirchenrecht
und
Kirchengeschichte
).
In
Konstanz
lernte er den
Generalvikar
Ignaz Heinrich von Wessenberg
kennen, befreundete sich mit diesem und machte sich dessen religiosen und kirchenrechtlichen Ideen zu eigen.
Am 10. November 1807 weihte ihn der
Nuntius
Fabrizio Sceberras Testaferrata
in
Luzern
zum Priester und er wurde nach dem Studium
Kaplan
in Sarmenstorf, bis er 1808 Pfarrer der katholischen
Diaspora-Gemeinde
in
Bern
wurde.
Im Herbst 1809 wurde er, auf Empfehlung von Johann Michael Sailer und Ignaz Heinrich von Wessenberg beim Prasidenten der Regierungskommission des
Kantons Sankt Gallen
,
Karl von Muller-Friedberg
, zum Rektor des neu gegrundeten
Gymnasium katholischer Fundation
in St. Gallen ernannt; gleichzeitig war er als Lehrer fur Religion, Philosophie und alte Sprachen tatig. Zu seinen Schulern zahlte damals auch der spatere
Standerat
des Kantons St. Gallen,
Gallus Jakob Baumgartner
.
1812 kam er als
Hofmeister
und Erzieher in das Haus des franzosischen
Gesandten
, Auguste de Talleyrand (1770?1832) nach
Bern
, um dessen funfjahrigen Sohn zu erziehen. In dieser Zeit nutzte er die Gelegenheit zum Studium der
orientalischen Sprachen
, zumal die Aussicht bestand, das Auguste de Talleyrand als Gesandter
Napoleon Bonapartes
nach
Konstantinopel
gehen und Alois Vock ihn als Sekretar und
Dolmetscher
begleiten konnte. Gleichzeitig nutzte er seine Stellung und trat als Vermittler zwischen Ignaz Heinrich von Wessenberg und Auguste de Talleyrand auf, mit dessen Hilfe sie hofften, die Lostrennung der Schweiz vom
Bistum Konstanz
zu verhindern, die von den
Urkantonen
angestrebt wurde, allerdings wurden diese Hoffnungen durch den Sturz Napoleon verhindert.
Anfang des Jahres 1814 nutzte er die Zeit, um drei Monate lang die Institute von
Philipp Emanuel von Fellenberg
in
Hofwil
kennenzulernen, der dort eine ganze Anzahl von Lehr- und Erziehungsanstalten errichtet hatte und mit dessen Schulern Alois Vock griechische und lateinische Autoren las; dort lernte er auch den spateren Rektor der
Kantonsschule Aarau
,
Rudolf Rauchenstein
, kennen.
Am 9. Mai 1814 war er zum Pfarrer der 1803 neu geschaffenen Pfarrei Aarau gewahlt worden, nachdem sein Vorganger
Victor Keller
als
Stiftsdekan
nach
Zurzach
befordert worden war. Die Pfarrei war 1803 in der rein protestantischen Stadt vom Staat fur die katholischen Behordenangestellten und Staatsbeamten sowie ihre Familien gegrundet worden und umfasste in den ersten Jahrzehnten, ausser diesen, noch Dienstboten und Handwerksgesellen; die Pfarrei gehorte zu den ersten katholischen Diasporapfarreien der Schweiz und nutzte fur den Gottesdienst die reformierte
Stadtkirche Aarau
. Unter seinen Zuhorern befanden sich auch
Protestanten
, weil er in seinen Predigten weniger die spezifisch katholischen
Dogmen
als vielmehr die allgemein christlichen Wahrheiten behandelte; ihm war auch ein gutes Verhaltnis zwischen den
Konfessionen
sehr wichtig. Alois Vock blieb dort bis 1830 und wurde in dieser Zeit 1826
Dekan
des
Landkapitel
Mellingen
und versuchte in dieser Aufgabe eine kantonale Pastoralgesellschaft zu begrunden, um die Geistlichen zur steten Weiterbildung anzuregen.
Im Jahr 1814 wurde er von der Regierung in den kantonalen Schulrat und 1815 in die Kantonsschuldirektion berufen und gab an der Kantonsschule auch selbst Religionsunterricht und stellvertretungsweise Unterricht in
Latein
und
Griechisch
. Durch ihn wurden auch
Ernst Munch
, Josef Anton Sebastian Federer (1794?1868) und
Joseph Eutych Kopp
auf Lehrerstellen im
Kanton Aargau
berufen.
1830 wurde er erster residierender
Domherr
des reorganisierten
Bistums Basel
in Solothurn sowie 1832
Domdekan
.
In seiner Heimat Sarmenstorf wurde er am 19. November 1857 zu Grabe getragen. Seine umfangreiche Bibliothek ist durch Schenkung der Erben in die
aargauische Kantonsbibliothek
gelangt.
In der fast vollstandig reformierten, aber toleranten Kantonshauptstadt Aarau suchte er weder die Konfrontation mit der anderen Konfession, noch sonderte er sich ab; er stand vielmehr in intensivem Kontakt mit Reformierten und mit den Exponenten des politischen Lebens, namentlich mit dem
Burgermeister
Johannes Herzog
. Als Mitglied des Kantonsschulrats von 1814 bis 1831 und der Kantonsschuldirektion ab 1815 war er um die Reorganisation der Kantonsschule und den Aufbau des Bildungswesens bemuht, besonders der hoheren Ausbildung am Gymnasium. Er war eine der einflussreichsten Personlichkeiten in diesen beiden Behorden und Vorkampfer des Lehrerseminars Aargau, das 1822 eroffnet wurde und dessen erster Rektor, auf seine Empfehlung hin,
Markus Philipp Jakob Nabholz
(1782?1842) wurde.
Bereits in seinen ersten Aarauer Jahren war er gelegentlich Mitarbeiter der, 1821 eingestellten,
Aarauer Zeitung
.
1816 versuchte er, zusammen mit
Ignaz Paul Vital Troxler
und
Heinrich Zschokke
, mit dem
Schweizerischen Museum
ein historisch-politische Zeitschrift zu schaffen, es blieb allerdings nur bei der Ausgabe des Jahrgangs 1816. Er selbst steuerte anonym zwei großere Aufsatze bei:
- Der Kampf zwischen Papsttum und Katholizismus im 15. Jahrhundert
;
- Zur Geschichte des schweizerischen Nationalbistums
.
Im ersten Aufsatz hat er, mit starker Voreingenommenheit fur die
Konzilsbewegung
des 15. Jahrhunderts, vom Verhalten Roms dieser gegenuber ein einseitig negatives Bild entworfen. Der Aufsatz wurde 1832 von radikaler Seite neu gedruckt und hierbei auch sein Name genannt, dies fuhrte dazu, dass das Werk 1833 von Rom
indiziert
wurde und er eine offentlich Erklarung abgab, das er sich dem Urteil Roms unterwerfe und die papstliche Verurteilung gewisser Satze seiner Schrift selbst als berechtigt anerkenne.
Der andere Aufsatz gibt eine sachlich gehaltene, wohldokumentierte Darstellung der Geschichte der Lostrennung des Landes vom Bistum Konstanz und der ersten Verhandlungen uber die Reorganisation der schweizerischen Bistumsverhaltnisse von 1813 bis Anfang 1816.
1823 entstand die Zeitschrift in ahnlicher Form als
Helvetia, Denkwurdigkeiten fur die XXII Freistaaten der schweizerischen Eidgenossenschaft
, als Herausgeber zeichnete nun Josef Anton Balthasar, allerdings lag die
Redaktion
, die es bis 1833 auf acht Bande brachte zeitweilig ganz in den Handen von Alois Vock.
Er selbst veroffentlichte 1830, im 6. Band, seine Arbeit
Der große Volksaufstand in der Schweiz oder der sogenannte Bauernkrieg im Jahre 1653
, die 1831 und 1837 in zweiter und dritter Auflage als selbstandiges Buch nochmals herausgebracht wurde.
1820 lernte er den Publizisten
Joseph Gorres
kennen, der mehrere Monate als politischer Fluchtling mit seiner Familie in Aarau in seiner Nachbarschaft wohnte, mit dem ihn anfangs eine Freundschaft verband
[1]
, die sich jedoch aufgrund der kirchlichen Entwicklung von Joseph Gorres spater wieder aufloste.
1828 grundete er die
Aargauer Zeitung
, die von 1831 bis 1847 auch als
Neue Aargauer Zeitung
erschien, und bis 1858 herausgegeben wurde und eine gemassigt konservative Richtung verfolgte, zu der sich sowohl Reformierte wie auch Katholiken bekannten. Im ersten Jahr ubernahm er noch die Redaktion der Zeitung, gab diese aber spater an
Abraham Emanuel Frohlich
ab.
Alois Vock stand der strengkirchlichen,
ultramontanen
Richtung des Katholizismus ablehnend gegenuber, aber blieb zeitlebens auch ein scharfer Gegner des Radikalismus, vielmehr verharrte er auf dem Standpunkt des politischen
Altliberalismus
der Zeit vor 1830.
Er wunschte sich eine vom
Papsttum
moglichst unbeeinflusste freie Entwicklung nationaler Kirchen, weil er dem Wirken Roms und seiner Nuntien mit starkem Misstrauen begegnete und stets nur Eigennutz und Herrschsucht vermutete; dem Papst sollte nur ein Ehrenrang zustehen. Auch wenn er die Stellung des einzelnen
Bischofs
gegenuber Rom gehoben sehen wollte, war er doch andererseits dafur, dass dieser Bischof von einem gebildeten
Domkapitel
umgeben war, dem nicht nur die Bischofswahl, sondern auch ein Mitspracherecht bei der Leitung des
Bistums
zukommen sollte; regelmassig und haufige
Diozesansynoden
sollten der Demokratisierung der Kirche dienen.
Er vertrat die Ideen von Ignaz Heinrich von Wessenberg, der vom
Gallikanismus
,
Febronianismus
und
Josephinismus
beeinflusst war und warb bei den politisch massgebenden Mannern des Kantons Aargau fur diese Vorstellungen.
Mit tiefem Bedauern nahm er die Abtrennung der Schweiz vom Bistum Konstanz zur Kenntnis, und als 1816 Aargau einen eigenen Entwurf zu einem Bistum vorlegte, stammte dieser im Wesentlichen von Alois Vock. In dem Entwurf wurde die Grundung eines wenigstens alle schweizerischen Gebiete der bisherigen Bistumer Basel und Konstanz zu einem Bistum
Windisch
oder Basel vorgeschlagen; die Wahl des Bischofs sollte den
Domherren
, deren Wahl aber den betreffenden Kantonsregierungen zugedacht werden. Auch die spatere Eingliederung in ein deutsches
Erzbistum
wurde vorgeschlagen. Die Verhandlungen zwischen den an einer Neuregelung der Bistumsverhaltnisse interessierten Kantonen und der
romischen Kurie
fuhrten in den nachsten Jahren zu keinem positiven Ergebnis.
Als 1819 im Aargau, parallel zu dem reformierten
Kirchenrat
, ein katholischer Kirchenrat geschaffen wurde, erhielt Alois Vock eine Berufung als Mitglied und
Aktuar
(Rechtssachverstandiger) dieses Rates. damit erhielt er nun die Moglichkeit seine Auffassungen nicht nur durch personliche Beziehungen, sondern durch seine amtliche Stellung vorzubringen, zumal die Bistumsverhandlungen 1820 in ein entscheidendes Stadium traten. In zahlreichen kirchenratlichen Berichten und Gutachten an die Regierung ausserte er sich zu schwebenden Fragen, so zum umstrittensten Punkt der Wahlart der aargauischen Domherren, da die Kurie das Wahlrecht einem
paritatischen
Staatswesen
wie Aargau nicht zugestehen wollte. Entgegen seiner Ansichten und Empfehlung nahm die Regierung die von der Kurie vorgeschlagene Losung an, allerdings versagte der aargauische
Grosse Rat
am 14. Februar 1828 die
Ratifikation
des
Konkordats
. Die hierauf folgenden neuen Verhandlungen mit der Nuntiatur endeten am 5. Juni 1829 mit der Zustimmung des Grossen Rates zum Anschluss an das neue Bistum Basel. Das Recht, die drei aargauischen Domherren zu wahlen, wurde dem Bischof zugesprochen, der Regierung hingegen nur zugestanden, bei den Ersatzwahl auf der vom Domkapitel aufgestellten Sechserliste hochstens drei Kandidaten streichen zu durfen. Die erstmalige Besetzung der Domherrenstellen hatte das Konkordat zudem dem Papst uberlassen.
Als Kandidat fur das Amt des residierenden Domherrn verwendete sich Burgermeister Johannes Herzog bei der Nuntiatur, die zwar Bedenken hatte, aber
Papst
Pius VIII.
ernannte ihn im August 1830 zum ersten
Residentialkanonikus
des Kantons Aargau in Solothurn. Am 29. Februar 1832 folgte seine Ernennung zum Domdekan durch Papst Gregor XVI.
1835
redigierte
er die
Statuten
des Domkapitels, dies fuhrte zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen ihm und den solothurnischen Domherren, in denen sich die beiden Parteien in umfangreichen gedruckten Abhandlungen stritten. Er verteidigte seinen Standpunkt in zwei Schriften:
- Kirchenrechtliche Erlauterungen uber die Statuten des Domkapitels von Basel
. 1837.
- Gegen die Unwahrheiten des 2. Memorandums.
1842.
Funf Jahre darauf liess er anonym noch die
Urkunden
zur Geschichte des reorganisierten Bisthums Basel
folgen, ebenfalls im Sinne einer Rechtfertigung seiner Auffassungen uber Domkapitel und Bistumsverwaltung, bis der Statutenstreit 1855 durch Rom, kurz nach seinem Tod, gegen ihn entschieden wurde.
[2]
1854 wurde er noch, als Bischof
Joseph Anton Salzmann
am 23. April 1854 verstarb, als Nachfolger-Kandidat zur Wahl gestellt. Der aufgestellten und gewahlte Kandidat
Karl Arnold-Obrist
erhielt 10 Stimmen, Alois Vock 2 Stimmen und
Burkard Leu
1 Stimme.
Er war zeitlebens einer der scharfsten Kritiker der Kirchenpolitik des Radikalismus, und verurteilte, auch wenn er eine Abneigung gegen das Monchtum hegte, die
Klosteraufhebungen im Aargau
, die vom Neffen seiner Schwester,
August Keller
, gefordert wurden.
- In dem 1819 in Aarau gegrundeten Burgerlichen Lehrverein hielt er Abendvortrage uber Schweizer Geschichte.
- Er war Mitglied der Bibliothekskommission und nahm regen Anteil am Ausbau der Kantonsbibliothek, mit dessen Vorsteher Josef Anton Balthasar (1761?1837) er in freundschaftliche Beziehungen trat.
- 1826 wurde er zum Prasidenten der
Helvetischen Gesellschaft
gewahlt und hielt am 16. Mai 1827 auf der in
Schinznach
stattgefundenen Jahresversammlung die Prasidialrede auf den wenige Wochen vorher verstorbenen
Johann Heinrich Pestalozzi
, mit dem er selbst in personlicher Beziehung gestanden hatte. Weil sich der politische Radikalimus in der Gesellschaft bemerkbar machte, trat er 1828 wieder aus.
- Georg Boner
:
Alois Vock
In:
Argovia, Jahresschrift der Historischen Gesellschaft des Kantons Aargau.
Bd. 65, 1953, S. 109?124
- ↑
Monika Fink-Lang:
Joseph Gorres: Die Biografie
. Verlag Ferdinand Schoningh, 2014,
ISBN 978-3-657-77792-1
,
S.
205
f
. (
google.de
[abgerufen am 20. April 2019]).
- ↑
Markus Ries:
Das neue Basler Domkapitel und seine ersten Statuten.
Abgerufen am 20. April 2019
.