Osterreichische Unabhangigkeitserklarung

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Basisdaten
Titel: Unabhangigkeitserklarung
Langtitel: Proklamation uber die Selbstandigkeit Osterreichs
Typ: unklar [1] ; teilweise als Bundesverfassungsgesetz [2] bezeichnet
Geltungsbereich: Republik Osterreich
Rechtsmaterie: Bundesverfassung [2]
Fundstelle: StGBl. Nr. 1/1945
Datum des Gesetzes: 27. April 1945
Inkrafttretensdatum: 1. Mai 1945
Gesetzestext: ris.bka
Bitte beachte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung !

Als osterreichische Unabhangigkeitserklarung wird die am 27. April 1945 im Wiener Rathaus von Vertretern der drei Grundungsparteien der Zweiten Republik ( SPO , OVP und KPO ) unterzeichnete Proklamation uber die Selbststandigkeit Osterreichs bezeichnet, mit welcher der ? Anschluss “ der Republik Osterreich an das Deutsche Reich vom 13. Marz 1938 fur null und nichtig erklart wurde. [3] Die Erklarung war als politische sowie verfassungs- [4] und staatsrechtliche Willenserklarung [5] Basis fur die am gleichen Tag erfolgte Konstituierung der Provisorischen Staatsregierung unter Vorsitz von Karl Renner . [6]

Am 29. Marz 1945 hatte die Rote Armee , aus Ungarn kommend, die deutsche Reichsgrenze und ehemalige osterreichische Staatsgrenze uberschritten. Am 13. April konnte sie den Kampf um Wien , bei dem rund 19.000 Wehrmachts - und 18.000 sowjetische Soldaten starben, fur sich entscheiden. Im spaten April und Anfang Mai drangen zudem die Westalliierten von Westen her in die ?Donau- und Alpenreichsgaue“ vor, so dass zum Zeitpunkt der Kapitulation der deutschen Streitkrafte am 8. Mai 1945, die den Zweiten Weltkrieg in Europa beendete, weite Teile des heutigen Osterreichs unter der Kontrolle der vier Siegermachte standen.

In der Moskauer Deklaration von 1943 hatten die Alliierten ( USA , Großbritannien und Sowjetunion , wenig spater auch das ? Franzosische Komitee fur die Nationale Befreiung “) festgelegt, dass sie den Anschluss Osterreichs und des Sudetenlandes 1938 an das Deutsche Reich fur null und nichtig erachten und die Befreiung Osterreichs eines ihrer Kriegsziele sei. Schon seit 1941 gab es sowjetische Plane, nach Kriegsende den Staat Osterreich wiederherzustellen. Vor der Ubereinkunft der Alliierten hatte es, vor allem in Großbritannien, auch andere Denkmodelle gegeben, die neben einem eigenen Staat auch einen foderalistischen ?Alpenstaat“ mit Bayern oder eine ?Donaukonfoderation“, ahnlich der ehemaligen Donaumonarchie , beinhalteten.

Am 3. April 1945 hatte Karl Renner , der erste Staatskanzler der Ersten Republik , Kontakt mit den sowjetischen Truppen aufgenommen, die in das Burgenland vorgedrungen waren. Von den Sowjets erhielt er die Zustimmung zur Bildung einer neuen osterreichischen Regierung. In der Folge kam es am 14. April zur Grundung der SPO (aus Sozialdemokraten und ?Revolutionaren Sozialisten“) in Wien sowie am 17. April der OVP (Christlichsoziale und Landbund) und der KPO .

Am 27. April 1945 ? also noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges ? wurde von diesen drei Parteien die Unabhangigkeit Osterreichs erklart. Am gleichen Tag trat die neu gebildete provisorische Staatsregierung zusammen (zehn Vertreter der SPO, neun der OVP, sieben der KPO und drei Unabhangige). Die Vertreter der KPO kamen zumeist direkt aus Moskau, wo sie im Exil gelebt hatten; die Vertreter der beiden anderen Parteien waren im Land verblieben, ihre ins westliche Ausland gefluchteten Gesinnungsgenossen konnten erst ab Sommer 1945 nach Wien zuruckkehren. Renner, der ursprunglich nur bei der Konstituierung behilflich sein wollte, wurde Vorsitzender der Regierung und somit Staatskanzler. Ziel der Regierung war die Wiederherstellung der Osterreichischen Republik auf der Grundlage der Verfassung von 1920 und der Novelle von 1929.

Zunachst wurde die Regierung einzig von der Sowjetunion anerkannt und war de facto nur in der sowjetisch besetzten Zone im Osten Osterreichs voll wirkmachtig; Renner, dem Stalin zuvor sein Vertrauen ausgesprochen hatte (er kannte Renner noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg), stand bei den Westalliierten sogar im Verdacht, mit den Sowjets zu kollaborieren . Erst am 20. Oktober 1945 folgten die USA, Großbritannien und Frankreich per Beschluss des Alliierten Rates . [7] Am 25. November 1945 fanden die ersten Nationalratswahlen statt.

Die Unabhangigkeitserklarung besteht aus zwei Teilen. In der Praambel wird auf das volkerrechtswidrige Zustandekommen der Vereinigung und auf das ausbeuterische Verhalten des Deutschen Reichs gegenuber Osterreich hingewiesen. Des Weiteren wird auf den Willen der Alliierten hingewiesen, ein freies und unabhangiges Osterreich wieder erstehen lassen zu wollen. Im Anschluss folgt die eigentliche Unabhangigkeitserklarung.

Aus zeitgeschichtlicher Sicht ist bemerkenswert, dass in der Praambel Entrechtung, Beraubung , Vertreibung und Ermordung judischer Osterreicher und anderer ?rassischer“ und religioser Minderheiten (zum Beispiel Roma und Sinti , Zeugen Jehovas ) verschwiegen werden, ebenso die Beteiligung zahlreicher Osterreicher am Terrorregime und am Volkermord .

  • Angesichts der Tatsache, dass der Anschluss des Jahres 1938 nicht, wie dies zwischen zwei souveranen Staaten selbstverstandlich ist, zur Wahrung aller Interessen durch Verhandlungen von Staat zu Staat vereinbart und durch Staatsvertrage abgeschlossen, sondern durch militarische Bedrohung von außen und den hochverraterischen Terror einer nazifaschistischen Minderheit eingeleitet, einer wehrlosen Staatsleitung abgelistet und abgepreßt, endlich durch militarische kriegsmaßige Besetzung des Landes dem hilflos gewordenen Volke Osterreichs aufgezwungen worden ist,
  • angesichts der weiteren Tatsachen, dass die so vollzogene Annexion des Landes sofort mißbraucht worden ist, alle zentralen staatlichen Einrichtungen der ehemaligen Bundesrepublik Osterreich, seine Ministerien und sonstigen Regierungseinrichtungen zu beseitigen und deren Bestande nach Berlin wegzufuhren, so den historisch gewordenen einheitlichen Bestand Osterreichs aufzulosen und vollkommen zu zerstoren, Osterreichs Hauptstadt Wien, die vielhundertjahrige glorreiche Residenzstadt, zu einer Provinzstadt zu degradieren, die Bundeslander aller ihrer geschichtlichen Selbstregierungsrechte zu berauben und zu willenlosen Verwaltungssprengeln unberufener und dem Volke unverantwortlicher Statthalter zu machen,
  • und daruber hinaus angesichts der Tatsachen, dass diese politische Annexion Osterreichs zur wirtschaftlichen und kulturellen Beraubung Wiens und der osterreichischen Bundeslander ausgenutzt und mißbraucht worden ist, die Osterreichische Nationalbank aufzuheben und ihren Goldschatz nach Berlin zu entfuhren, alle großen Unternehmungen Osterreichs reichsdeutschen Firmen einzuverleiben und so das osterreichische Volk aller selbstandigen Verfugung uber die naturlichen Quellen seines Wohlstandes zu berauben; dass dieser Missbrauch endlich dem osterreichischen Volke auch seine geistigen und kulturellen Hilfsquellen verkummert hat, indem er die unermesslichen Kunst- und Kulturschatze des Landes, welche selbst der harte Friede von Saint-Germain durch ein 20jahriges Verbot vor jeder Veraußerung geschutzt hat, der Verschleppung außer Landes preisgegeben hat,
  • und endlich angesichts der Tatsache, dass die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers kraft dieser volligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Osterreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg gefuhrt hat, den kein Osterreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Volkern, gegen die kein wahrer Osterreicher jemals Gefuhle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat, in einen Eroberungskrieg, der von den Eisfeldern des hohen Nordens bis zu den Sandwusten Afrikas, von der sturmischen Kuste des Atlantiks bis zu den Felsen des Kaukasus viele Hunderttausende der Sohne unseres Landes, beinahe die ganze Jugend- und Manneskraft unseres Volkes, bedenkenlos hingeopfert hat, um zum Schlusse noch unsere heimatlichen Berge als letzte Zuflucht gescheiterter Katastrophenpolitiker zu benutzen und kriegerischer Zerstorung und Verwustung preiszugeben,
  • angesichts dieser Tatsachen und im Hinblick darauf, dass durch die drei Weltmachte in wiederholten feierlichen Deklarationen, insbesondere in der Deklaration der Krimkonferenz und in der Konferenz der Außenminister Hull, Eden und Molotow zu Moskau Oktober 1943 festgelegt worden ist: ?Die Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika kamen uberein, daß Osterreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, von der deutschen Herrschaft befreit werden muß. Sie betrachten den Anschluß, der Osterreich am 15. Marz 1938 von Deutschland aufgezwungen worden ist, als null und nichtig. Sie geben ihrem Wunsche Ausdruck, ein freies und wiederhergestelltes Osterreich zu sehen und dadurch dem osterreichischen Volke selbst, ebenso wie anderen benachbarten Staaten, vor denen ahnliche Probleme stehen werden, die Moglichkeit zu geben, diejenige politische und wirtschaftliche Sicherheit zu finden, die die einzige Grundlage eines dauerhaften Friedens ist.“
  • Angesichts der angefuhrten Tatsachen und im Hinblick auf die feierlichen Erklarungen der drei Weltmachte, denen sich inzwischen beinahe alle Regierungen des Abendlandes angeschlossen haben, erlassen die unterzeichneten Vertreter aller antifaschistischen Parteien Osterreichs ausnahmslos die nachstehende Unabhangigkeitserklarung.

Unabhangigkeitserklarung

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  • Art. I: Die demokratische Republik Osterreich ist wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten.
  • Art. II: Der im Jahre 1938 dem osterreichischen Volke aufgezwungene Anschluss ist null und nichtig.
  • Art. III: Zur Durchfuhrung dieser Erklarung wird unter Teilnahme aller antifaschistischen Parteirichtungen eine Provisorische Staatsregierung eingesetzt und vorbehaltlich der Rechte der besetzenden Machte mit der vollen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt betraut. (Anm.: Die Einsetzung erfolgte am gleichen Tag.)
  • Art. IV: Vom Tage der Kundmachung dieser Unabhangigkeitserklarung (Anm.: 1. Mai 1945) sind alle von Osterreichern dem Deutschen Reiche und seiner Fuhrung geleisteten militarischen, dienstlichen oder personlichen Gelobnisse nichtig und unverbindlich.
  • Art. V: Von diesem Tage an stehen alle Osterreicher wieder im staatsburgerlichen Pflicht- und Treueverhaltnis zur Republik Osterreich.
  • In pflichtgemaßer Erwagung des Nachsatzes der erwahnten Moskauer Konferenz, der lautet: ?Jedoch wird Osterreich darauf aufmerksam gemacht, dass es fur die Beteiligung am Kriege auf seiten Hitlerdeutschlands Verantwortung tragt, der es nicht entgehen kann, und dass bei der endgultigen Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berucksichtigt werden wird.“, wird die einzusetzende Staatsregierung ohne Verzug die Maßregeln ergreifen, um jeden ihr moglichen Beitrag zu seiner Befreiung zu leisten, sieht sich jedoch genotigt, festzustellen, dass dieser Beitrag angesichts der Entkraftung unseres Volkes und Entguterung unseres Landes zu ihrem Bedauern nur bescheiden sein kann.
Wien, den 27. April 1945.
Urkund dessen die eigenhandigen Unterschriften der Vorstande der politischen Parteien Osterreichs:
Fur den Vorstand der osterreichischen Sozialdemokratie, nunmehr Sozialistische Partei Osterreichs (Sozialdemokraten und Revolutionare Sozialisten):
Dr. Karl Renner m. p. [=  Manu propria ]
Dr. Adolf Scharf m. p.
Fur den Vorstand der Christlichsozialen Volkspartei bzw. nunmehr Osterreichische Volkspartei:
Leopold Kunschak m. p.
Fur die Kommunistische Partei Osterreichs:
Johann Koplenig m. p.

Unterzeichner der Unabhangigkeitserklarung

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Die Unterzeichner bildeten den Politischen Kabinettsrat der Provisorischen Staatsregierung, bestehend aus dem Staatskanzler und je einem politischen Staatssekretar [= Minister] von OVP, SPO und KPO.

Renner wurde noch im gleichen Jahr zum ersten Bundesprasidenten der Zweiten Republik gewahlt. Scharf war zwolf Jahre lang Vizekanzler, bevor er 1957 ebenfalls zum Bundesprasidenten gewahlt wurde. Kunschak wurde zum Prasidenten des Nationalrats gewahlt und blieb dies bis zu seinem Tod 1953. Koplenig war bis 1959, als die KPO aus dem Nationalrat ausschied, Nationalratsabgeordneter.

Bei der Wiedererrichtung der Republik Osterreich wurden, wie bei der Staatsgrundung 1918, vorerst mit dem Wort Staat beginnende Begriffe verwendet (Staatskanzler, Staatssekretar [= Minister], Unterstaatssekretar [= Staatssekretar], Staatsamt [= Ministerium], Provisorische Staatsregierung usw.). Dementsprechend wurde die Gesetzesverlautbarung vorerst noch wie fruher Staatsgesetzblatt (StGBl.) und erst spater als Bundesgesetzblatt fur die Republik Osterreich (BGBl.), je Ausgabe als Stuck bezeichnet. Stuck 1 der Zweiten Republik im Jahrgang 1945 wurde am 1. Mai 1945 publiziert: In diesem wurde als Nr. 1 die Unabhangigkeitserklarung [3] der fortlaufend nummerierten Gesetze verlautbart. Daran anschließend folgte als Nr. 2 die Kundmachung uber die Einsetzung einer provisorischen Staatsregierung [6] und deren Ressortverteilung und Ministerliste, sowie als Nr. 3 die erste Regierungserklarung , [8] ausdrucklich gerichtet an die ?Manner und Frauen von Osterreich!“

Im Gedenken an die Unabhangigkeitserklarung wurde am 25. Oktober 1966 im Wiener Schweizergarten das Staatsgrundungsdenkmal errichtet. Auf dem Boden vor dem Denkmal befinden sich Schriftpulte aus Stein und Beton, die den Text der Unabhangigkeitserklarung aufweisen. Auszuge der Unabhangigkeitserklarung sowie die Namen ihrer Unterzeichner sind auf dem ?Stein der Republik“, einem Teil des 1988 in Wien errichteten Mahnmals gegen Krieg und Faschismus , eingemeißelt.

Einzelnachweise

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  1. Felix Ermacora Die Entstehung , In: Herbert Schambeck (Hrsg.) Das Osterreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung , Duncker & Humblot, Berlin 1980, S. 33.
  2. a b Siehe § 0 Unabhangigkeitserklarung [= Praambel und Metadaten] im RIS : Typ BVG [= ?Rechtsvorschrift im Verfassungsrang (Bundesverfassungsgesetz)“. In: RIS-Abfragehandbuch ? Bundesrecht konsolidiert (PDF; S. 9) in der Fassung Marz 2017, abgerufen am 2. November 2017].
  3. a b Staatsgesetzblatt Jahrgang 1945, ausgegeben am 1. Mai 1945, Stuck 1, Nr.  1. Proklamation uber die Selbstandigkeit Osterreichs (=  StGBl. Nr. 1/1945 ).
  4. Teilweise auch als ?historisch erstes Verfassungsdokument“ bezeichnet, von der die gesamte spatere (Verfassungs-)Rechtslage abgeleitet wurde, vgl. dazu Alexander Balthasar: Die osterreichische bundesverfassungsrechtliche Grundordnung unter besonderer Berucksichtigung des demokratischen Prinzips: Versuch einer Interpretation. Springer, Wien/New York 2006, ISBN 3-211-35435-2 , S. 74.
  5. Vgl. Manfried Welan in: Eintrag zu Unabhangigkeitserklarung im Austria-Forum  (im AEIOU- Osterreich-Lexikon )
  6. a b Staatsgesetzblatt Jahrgang 1945, ausgegeben am 1. Mai 1945, Stuck 1, Nr.  2. Kundmachung uber die Einsetzung einer provisorischen Staatsregierung (=  StGBl. Nr. 2/1945 ).
  7. Adolf Scharf : Zwischen Demokratie und Volksdemokratie. Osterreichs Einigung und Wiederaufrichtung im Jahre 1945. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1950, S. 25.
  8. Staatsgesetzblatt Jahrgang 1945, ausgegeben am 1. Mai 1945, Stuck 1, Nr.  3. Regierungserklarung (=  StGBl. Nr. 3/1945 ).