Marcel Francois Marie Joseph Lefebvre
CSSp
(*
29. November
1905
in
Tourcoing
,
Nord-Pas-de-Calais
,
Frankreich
; †
25. Marz
1991
in
Martigny
,
Schweiz
) war ein
romisch-katholischer
Erzbischof
und ein Anfuhrer
katholischer Traditionalisten
, die wesentliche Reformen des
Zweiten Vatikanischen Konzils
(1962?1965) ablehnten: darunter die Theologie und die praktischen Folgen von
Nostra Aetate
, den
Okumenismus
und die
Liturgiereformen
seit 1965.
1969 grundete Lefebvre deshalb die
Priesterbruderschaft St. Pius X.
1976 wurde er wegen Priesterweihen ohne
Weiheentlassschreiben
von
Papst
Paul VI.
suspendiert
, 1988 zog er sich unter Papst
Johannes Paul II.
wegen unerlaubter
Bischofsweihen
die
Tatstrafe
der
Exkommunikation
zu.
Marcel Lefebvre wurde am 29. November 1905 geboren. Seine Eltern waren der Industrielle Rene Lefebvre und Gabrielle Lefebvre, geborene Watine. Rene Lefebvre leitete einen großen
Spinnereibetrieb
. Wahrend des
Ersten Weltkrieges
arbeitete er im englisch-belgischen Botschaftsdienst. Wahrend des
Zweiten Weltkrieges
war er im Geheimdienst tatig und geriet wahrend der deutschen Besetzung Frankreichs, auch wegen der Aufnahme von Fluchtlingen, im Jahr 1941 in deutsche Gefangenschaft. Marcel Lefebvres Mutter Gabrielle zeichnete sich durch intensives kirchliches Engagement in mehreren katholischen Organisationen aus. Das Paar hatte gemeinsam acht Kinder, von denen die funf altesten in katholische Orden eintraten.
[1]
Im Oktober 1915 kam Marcel ins Gymnasium des Herz-Jesu-Kollegs (Institution libre du Sacre-Cœur) in
Tourcoing
bei
Roubaix
im
Bistum Lille
. Sein Vater starb am 4. Marz 1944 im nationalsozialistischen
Konzentrations- und Arbeitslager Sonnenburg
in der
Neumark
, wo er wegen seiner Aktivitaten im Widerstand gegen das
Deutsche Reich
und wegen Unterstutzung der
Alliierten
durch Spionageaktivitaten sowie Fluchthilfe fur judische Burger inhaftiert war. Einer der Bruder Marcel Lefebvres, Rene, wurde wie Marcel Priester bei den ?Vatern vom Heiligen Geist“, drei Schwestern, Jeanne (Kongregation der Suhneschwestern Mariens), Bernadette (Kongregation der Schwestern vom Heiligen Geist) und Christiane (
Unbeschuhte Karmelitin
) wurden
Nonnen
.
[1]
Christiane Lefebvre errichtete in Belgien mehrere traditionalistische Karmelitinnenkonvente.
Lefebvre wandte sich ebenfalls dem Studium der Theologie zu. Er war seit Oktober 1923 Schuler am
Pontificium Seminarium Gallicum in Urbe
(?Gallicum“) in Rom,
[2]
das von dem
Spiritaner
Henri Le Floch
(1862?1950) mit antimodernistischer, antiliberaler, antikommunistischer und antidemokratischer Zielsetzung geleitet wurde. Lefebvre studierte an der
Papstlichen Universitat Gregoriana
in Rom, u. a. bei dem
Jesuiten
Kardinal
Billot
, und
promovierte
dort 1925 zum
Dr. phil.
sowie 1929 zum
Dr. theol.
Im selben Jahr empfing er am 21. September 1929 mit knapp 24 Jahren in Lille die
Priesterweihe
. Anschließend wurde er Kaplan in
Lomme
, einem Vorort von Lille.
Marcel Lefebvres theologische Ausbildung war durch den franzosischen Militardienst in Frankreich unterbrochen. Nach seiner Grundausbildung in
Mourmelon-le-Grand
wurde er im Dezember 1926 dem 509. Panzerregiment in
Valenciennes
als Unteroffizier zugeteilt. Danach nahm er seine Studien im franzosischen Seminar in Rom im November 1927 wieder auf.
[3]
Wahrend der Militarzeit Lefebvres geriet Henri Le Floch in die Auseinandersetzung um die von dem
rechtsextremen
franzosischen Schriftsteller
Charles Maurras
gegrundete
Action francaise
. Nach der Lehrverurteilung durch Papst
Pius XI.
im Jahr 1926, war Le Floch gezwungen, sein Amt als Rektor des ?Seminaire Pontifical Francais de Rome“ im Juli 1927 aufzugeben, was Lefebvre zutiefst bedauerte.
[4]
Im Jahr 1931 wurde er, wie sein Bruder Rene, Mitglied im Orden der Spiritaner, um Missionar in Afrika zu werden. Von 1932 bis 1945 war er Missionar in
Gabun
und
Professor
fur
Dogmatik
und
Exegese
am Priesterseminar
Libreville
; ab 1934 ? im Alter von 28 Jahren ? zusatzlich dessen
Regens
. Im Jahr 1938 starb Marcel Lefebvres Mutter Gabrielle. Im selben Jahr wurde er zur Mission nach Donguila,
Lambarene
und N’djole geschickt, wo er bis 1945 verblieb. In Lambarene machte er die Bekanntschaft von
Albert Schweitzer
.
[5]
Im Oktober 1945 wurde Marcel Lefebvre Leiter des Philosophie-Scholastikats der Priesterausbildung in
Mortain
in der
Normandie
, einer Studienanstalt seiner Kongregation. Hier war seine Lehrtatigkeit stark von der
scholastischen
Theologie des
Thomas von Aquin
gepragt.
[4]
Am 12. Juni 1947 wurde Lefebvre im Alter von 41 Jahren zum
Apostolischen Vikar
in
Dakar
ernannt. Der Bischof von Lille, Kardinal Lienart, weihte Lefebvre am 18. September 1947 in seiner Heimatpfarrei Tourcoing zum Bischof. Sein Wahlspruch ?Et nos credidimus caritati“ (deutsche Ubersetzung: ?Und wir haben an die Nachstenliebe geglaubt.“) bezieht sich auf
1 Joh
4,16
EU
. Am 16. November 1947 nahm Lefebvre seinen Dienst im mehrheitlich
muslimischen
Dakar, der damaligen Hauptstadt von
Franzosisch-Westafrika
, auf. Sein Amtsvorganger im
Apostolischen Vikariat Dakar
, Auguste Francois Louis Grimault, war aufgrund seiner Zusammenarbeit mit dem
Vichy-Regime
politisch nicht mehr tragbar gewesen. Bereits im Jahr 1948 wurde Lefebvre zum Apostolischen Delegaten fur die franzosischsprachigen Kolonialgebiete in Afrika berufen und zum
Titularerzbischof
von
Arcadiopolis in Europa
(heute
Luleburgaz
in der
Turkei
) ernannt. Anschließend versah er diverse Dienste als Titularerzbischof und Apostolischer Delegat fur Franzosisch-Afrika, grundete bis zur Errichtung des Erzbistums Dakar 62 Bistumer, leitete vier
Bischofskonferenzen
und entsprach dem papstlichen Wunsch, nach mehreren Jahrhunderten der ausschließlich europazentrierten Missionsarbeit nun einen einheimisch-afrikanischen Klerus heranzubilden.
Am 14. September 1955 wurde Marcel Lefebvre durch
Papst
Pius XII.
zum ersten
Erzbischof
von Dakar ernannt. In seiner Amtszeit forderte er in besonderem Maße die Priesterausbildung, errichtete zahlreiche Missionen und Kirchen sowie Bildungseinrichtungen und Krankenhauser. Zum Zwecke der Christianisierung der afrikanischen Bevolkerung organisierte er die Entsendung mehrerer europaischer Missionsorden in den
Senegal
. Der
Dekolonisation
Afrikas stand Lefebvre ablehnend gegenuber, da er sie als eine vom expandierenden
Kommunismus
initiierte Bewegung erachtete. Hinsichtlich seines rigiden Antikommunismus befurwortete Lefebvre vor dem Hintergrund des
Kalten Krieges
vollstandig das Dekret von Papst Pius XII. uber die Haltung der katholischen Glaubigen gegenuber der kommunistischen Partei vom 1. Juli 1949, in dem der Papst die Mitgliedschaft in kommunistischen Parteien und Organisationen oder deren Forderung sowie die Herausgabe, Verbreitung und das Lesen von kommunistischen Schriften unter die Strafe der
Exkommunikation
stellte. Im Jahr 1959 außerte sich Lefebvre offentlich gegen die
kommunistische Ideologie
, die Bewegung der
Aufklarung
sowie die Werte der
Franzosischen Revolution
mit ihrer
Erklarung der Menschen- und Burgerrechte
und brandmarkte diese als antichristliche Haresie. Diese Haltung wurde innerhalb von Teilen des katholischen Klerus Frankreichs mit Skepsis betrachtet, da man mit einer gewissen kompromissbereiten Haltung die linksorientierte Arbeiterschaft des Landes fur den Katholizismus nicht vollstandig verlieren wollte.
[4]
Im Jahr 1958 enthob Papst
Johannes XXIII.
Lefebvre seines Amtes als Apostolischer Delegat.
[6]
Lefebvre blieb aber Erzbischof von Dakar. Im Juni 1960 wurde Lefebvre in seiner Funktion als Vorsitzender der Westafrikanischen Bischofskonferenz durch den Papst in die zentrale Vorbereitungskommission fur das Zweite Vatikanische Konzil berufen. Daruber hinaus verlieh ihm Johannes XXIII. die Wurde eines
Papstlichen Thronassistenten
, worauf Lefebvres neu verliehener heraldischer Wappenschmuck mit zwanzig Quasten hinwies. Im Jahr 1962 bewog der Papst den 56-jahrigen Lefebvre zum vollstandigen Amtsverzicht in Afrika zugunsten seines einheimischen Schulers
Hyacinthe Thiandoum
. Danach war Lefebvre vom 23. Januar bis zum 11. August 1962 fur sieben Monate Bischof von
Tulle
(Frankreich), wo er erstmals in verstarktem Maße mit der im Ruckgang befindlichen kirchlichen und religiosen Praxis der Glaubigen infolge des Sakularisierungsprozesses konfrontiert wurde.
[6]
Die Entmachtung Lefebvres in Afrika und seine Versetzung in die eher unbedeutende Diozese Tulle konnte als eine gewisse kirchliche Maßregelung durch Papst Johannes XXIII. zum Zweck der Forderung einer kompromissbereiteren Haltung gedeutet werden.
[4]
Im September 1962 wurde Lefebvre dennoch zum
Generaloberen
der Spiritaner ? einer Kongregation, die damals uber 60 Bischofe zahlte ? gewahlt und zum Titularerzbischof von
Synnada in Phrygia Salutaris
(heute
?uhut
in der Turkei) ernannt. In dieser Eigenschaft intervenierte er mehrfach erfolglos gegen liberalere Reformvorhaben des Konzils, das am 11. Oktober 1962 eroffnet worden war; unter anderem gegen die
Kollegialitat der Bischofe
und die kirchliche Anerkennung der
Religionsfreiheit
.
[7]
Die wahrend dreier Jahre in der Vorbereitungszeit des Konzils erarbeiteten Konzilsschemata wurden zu Lefebvres Entsetzen gleich zu Beginn des Konzils verworfen. Insbesondere gegen liberale Konzilsteilnehmer aus Lefebvres Heimatland Frankreich, den meinungsbildenden Vorkampfern der sogenannten
Nouvelle theologie
wie
Yves Congar
,
Marie-Dominique Chenu
oder
Henri de Lubac
, entwickelte sich eine Konfrontation, da diese die Frage nach der Unveranderlichkeit und der
Geschichtlichkeit
der
Wahrheit
sowie das Verhaltnis zwischen
Natur
und
Gnade
neu bestimmen wollten und den Umgang mit dem
Marxismus
und den nichtchristlichen
Religionen
und deren Gotteserkenntnis neu aufs theologische
Tapet
brachten. Eine Relativierung des alleinigen Wahrheitsanspruches der katholischen Kirche hinsichtlich ihres Verhaltnisses zu den anderen Religionen und den christlichen
Konfessionen
sowie eine kompromissbereitere, pastoral orientierte Offnung des Katholizismus gegenuber den Fragen der modernen Zeit, wie sie etwa
Helder Camara
vertrat, kam fur Lefebvre nicht in Frage. Nach Ansicht von Lefebvre widersprach die neue religionstolerante Haltung der Kirche der bisherigen christlichen Missionspraxis und dem
Missionsauftrag
Jesu (
Mt
28,19?20
EU
).
Den theologischen Umbruch wahrend des Konzils, der von Lefebvre als Dammbruch verstanden wurde, verglich er mit den gesellschaftspolitischen Umbruchen der
Franzosischen Revolution
und ihrem Leitmotto ?
Freiheit, Gleichheit, Bruderlichkeit
“. Die Religionsfreiheit und die
Gewissensfreiheit
des Individuums, die noch im 19. Jahrhundert von Seiten des Papsttums verurteilt worden waren, wurden zum Missfallen Lefebvres, der darin grundlegende theologische Irrtumer sah, nun zu konziliaren Grundsatzen erhoben. Ein kirchlich garantiertes Grundrecht auf die Ausubung einer seiner Meinung nach irrigen Religionspraxis konnte es fur Lefebvre nicht geben. Die Forderung einer kollegial geleiteten Kirche lehnte er zugunsten einer mehr autoritaren Form, wie sie in der vorkonziliaren Zeit praktiziert worden war, ab. In dieser Frage geriet Lefebvre in starke Opposition zu
Achille Lienart
, der ihn zum Priester und Bischof geweiht hatte. Lienart betonte, dass die Bischofe an der
Unfehlbarkeit des Papstes
hinsichtlich der Leitung der Kirche teilhatten, und zwar nicht neben dem Papst, sondern mit ihm gemeinsam. Lefebvre hingegen fand in Kardinal
Alfredo Ottaviani
einen prominenten Unterstutzer seiner Position. Beide betonten unter Berufung auf das biblische Christusbekenntnis des
Petrus
und die Zusage Jesu (
Mt
16,13?19
EU
), die sie als Grundung des Papsttums und seiner fuhrenden Position innerhalb der Weltkirche verstanden wissen wollten, den alleinigen
Primat des Papstes
. Ebenso lehnte Lefebvre eine Einschrankung der Entscheidungsgewalt der Bischofe in ihren Diozesen, etwa durch die Einrichtung nationaler
Bischofskonferenzen
, ab. Der
Okumenismus
, wie er in dem am 21. November 1964 von Papst
Paul VI.
promulgierten
Konzilsdokument
Unitatis redintegratio
vertreten wurde, zerstore letzten Endes die katholische Kirche. Das Dokument verweise zwar auf Unterschiede der von Rom getrennten Kirchen und
kirchlichen Gemeinschaften
, wurdige aber in falscher, egalisierender Weise verschiedene Gemeinsamkeiten mit anderen Konfessionen.
[4]
Im Jahr 1963 grundete Lefebvre mit den Kardinalen Alfredo Ottaviani und
Francis Spellman
sowie
Luigi Maria Carli
,
Giuseppe Siri
,
Arcadio Maria Larraona
,
Rufino Jiao Santos
,
Michael Browne
und
Ernesto Ruffini
,
Geraldo de Proenca Sigaud
,
Jose Mauricio da Rocha
und
Antonio de Castro Mayer
aus Enttauschung uber den seiner Ansicht nach fatalen Konzilsverlauf die Vereinigung
Coetus Internationalis Patrum
, der etwa 250 konservative Konzilsvater beitraten und deren Vorsitzender er wurde.
[8]
Auf dem Konzil verfasste Erzbischof Lefebvre zahlreiche ablehnende Stellungnahmen, befurwortete jedoch die Liturgiekonstitution des Konzils
(
Sacrosanctum Concilium
)
und stimmte auch fast allen ubrigen Dokumenten zu. Dem
Coetus Internationalis Patrum
unter Lefebvre gelang die Abanderung einiger Konzilstexte, da Papst Paul VI. eine Zustimmung moglichst aller versammelten Bischofe der Weltkirche anstrebte und somit gezwungen war, Kompromisse mit den Konservativen einzugehen.
Nach dem Abschluss des Konzils trat Lefebvre zunehmend in Opposition zu den Entwicklungen in der romisch-katholischen Kirche. Den sich seit langerem abzeichnenden Sakularisierungsprozess der katholischen Kirche in Westeuropa und Nordamerika mit dem Ruckgang der kirchlichen Praxis sowie zunehmenden Kirchenaustritten, der Schließung von Konventen und Seminaren, den Ruckgang von Priesterweihen sowie die
Laisierung
von katholischen Priestern fuhrte Lefebvre direkt auf die Reformen des Konzils zuruck.
Nachdem die Generalversammlung der Spiritaner im Jahr 1968 weitreichende Reformen im Sinne des Konzils (?
Aggiornamento
“) beschlossen hatte und innerhalb der Kongregation uber die Einfuhrung der Priesterehe sowie die Entsakralisierung des Priesteramtes debattiert worden war, trat Lefebvre, obwohl er fur zwolf Jahre zum Generaloberen gewahlt worden war, unter Protest von seinem Amt zuruck. Als nach den
Protesten und Ausschreitungen des Jahres 1968
der Pariser Erzbischof
Francois Marty
Verstandnis fur die linksorientierte Bewegung und ihre Ziele zeigte, positionierte sich Lefebvre in Predigten deutlich gegen den Kommunismus. Nach der im Jahr 1969 von Papst Paul VI. allgemein angeordneten Einfuhrung der neuen katholischen Messordnung weigerte sich Lefebvre diesbezuglich und blieb bei der Zelebration der
alten Messordnung nach tridentinischem Ritus
in der Fassung der
liturgischen Bucher von 1962
.
[6]
[4]
Kurz darauf baten traditionalistisch eingestellte Seminaristen des
Franzosischen Seminars
in Rom ihn um Hilfe bei der Suche nach einem konservativen Priesterseminar, wo sie an vorkonziliaren Glaubensvorstellungen und Doktrinen festhalten konnten. Er verwies sie zunachst an die
Universitat Freiburg (Schweiz)
. Bis zum Jahr 1972 blieb Lefebvre Konsultor der
Kongregation fur die Glaubenslehre
und lebte in Rom.
[9]
Nachdem Lefebvre im Jahr 1970 gebeten worden war, diese franzosischen Seminaristen personlich zu unterrichten, wandte er sich an den
Diozesanbischof
des
Bistums Lausanne, Genf und Freiburg
,
Francois Charriere
, welcher die Grundung der
Priesterbruderschaft St. Pius X.
(lateinisch: ?Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X.“, Abkurzung ?FSSPX“) als
pia unio
anregte und den vorlaufigen Status eines offiziell errichteten religiosen Institutes oder einer Gemeinschaft des apostolischen Lebens am 1. November 1970, kurz vor seiner Resignation als Bischof, genehmigte. Am 13. Oktober 1972 wurde das ?Internationale Konvikt St. Pius X.“ gegrundet,
[9]
da an der ortlichen Universitat
Freiburg im Uechtland
noch ein theologisch konservativer Geist vorherrschte.
[4]
Francois Charriere hatte den Rechtsstatus der FSSPX zunachst nur fur sechs Jahre
ad experimentum
genehmigt. Der US-amerikanische, theologisch konservativ eingestellte Kardinal
John Joseph Wright
, Prafekt der
Kongregation fur den Klerus
, sandte ein Schreiben, in dem er Erzbischof Lefebvre zur Grundung der Bruderschaft gratulierte.
Lefebvre erklarte 1971 seinen Seminaristen, er lehne die von Papst Paul VI. promulgierte neue Editio typica des
Romischen Messbuches
ab. Die kirchlichen Veranderungen seit dem Konzil seien das Ergebnis eines Komplotts liberaler und
antichristlicher
Machte. Wegen seiner Haltung wuchsen die Spannungen zwischen ihm und verschiedenen europaischen Bischofen. Kardinalstaatssekretar
Jean-Marie Villot
berief eine Kommission ein und gab ihr den Auftrag, die Angelegenheit zu untersuchen. In der Folge veroffentlichte Lefebvre 1974 eine ?Grundsatzerklarung“, in der er schrieb, die FSSPX lehne es ab und habe es immer abgelehnt, dem ?Rom der neo-
modernistischen
und neo-
protestantischen
Tendenzen“ zu folgen. Jeder treue Katholik, dem sein Heil etwas bedeute, musse die neue Messordnung ablehnen.
[10]
Am 13. Februar und 3. Marz 1975 musste sich Lefebvre vor der Kardinalskommission in Rom fur seine Haltung verantworten. Danach erteilte Kardinal
Arturo Tabera
Bischof
Pierre Mamie
, Charrieres Nachfolger, brieflich die Vollmacht, die Piusbruderschaft aufzulosen. Daraufhin entzog Mamie ihr am 6. Mai 1975 die Anerkennung als offizielle katholische Organisation.
[11]
Der FSSPX fehlte nun aus der Sicht Roms die
kirchenrechtliche
Grundlage, um ein
Priesterseminar
zu betreiben. Aus Sicht Lefebvres war die Aufhebung wegen Uberschreitung der Kompetenzen durch Bischof Mamie und weiterer formaler Fehler ungultig.
Lefebvre ignorierte daher sowohl die Weisungen des Diozesanbischofs als auch die Weisungen Roms und schloss das im Jahr 1970 eroffnete Priesterseminar in
Econe
nicht. Nachdem er am 29. Juni 1976 ohne Weiheentlassschreiben der Diozesanbischofe Seminaristen zu Priestern
geweiht
hatte, wurde er von Papst Paul VI.
suspendiert
. Ihm wurden damit alle Vollmachten seines Priester- und Bischofsamtes entzogen und ihm war kirchlicherseits nicht mehr erlaubt, die Sakramente zu spenden. Am 15. September 1976 empfing ihn der Papst zu einer Unterredung in
Castel Gandolfo
, die aber das Urteil des Papstes gegen Lefebvre nicht mehr andern konnte. Papst Paul VI. warf Lefebvre insbesondere personliche Zweideutigkeit vor, ?Gehorsam“ zum Papsttum zu behaupten, aber unter dem Generalvorbehalt, der aktuelle Amtstrager musse den Vorgaben einer ?Tradition“ entsprechen, uber die Lefebvre subjektiv urteile. Lefebvre seinerseits betonte, nicht selbst uber die Tradition zu urteilen, sondern sich lediglich auf die Dokumente des papstlichen Lehramtes des 19. Jahrhunderts zu berufen. In einem personlich gehaltenen Mahnbrief vom 11. Oktober 1976
[12]
[13]
verurteilte Paul VI. den dogmatischen
Irrtum
des von Lefebvre vertretenen Kirchen- und Traditionsbegriffs.
[14]
In der Folgezeit hielt Lefebvre in zahlreichen Landern offentliche Vortrage und grundete Priesterseminare, Priorate, Exerzitienhauser sowie Schulen zur Unterstutzung seiner Zielsetzung. Eine Schwesterngruppe zur Forderung der Priesterbruderschaft wurde in dieser Zeit von seiner leiblichen Schwester Sr. Marie-Gabrielle geleitet. Seine andere Schwester Sr. Christiane organisierte zudem die Grundung eines traditionstreuen Karmelklosters in Belgien.
[4]
Am 23. September 1979 feierte Lefebvre sein goldenes Priesterjubilaum in Paris in einer Halle vor etwa 20.000 Glaubigen. Er predigte vor allem uber die Bedeutung des Messopfers fur die christliche Kultur.
[15]
Am 5. Mai 1988 war es nach Gesprachen zwischen der Gemeinschaft Lefebvres und der katholischen Kirche zur Abfassung eines Einigungsprotokolles gekommen. Maßgeblich daran beteiligt war der damalige Prafekt der
Kongregation fur die Glaubenslehre
, Joseph Ratzinger, der spatere Papst
Benedikt XVI.
[4]
Doch nachdem der fast 83-jahrige Lefebvre am 30. Juni 1988 entgegen papstlicher Anweisung
Bernard Tissier de Mallerais
,
Richard Williamson
,
Alfonso de Galarreta
und
Bernard Fellay
zu Bischofen geweiht hatte, wobei ihm der mit ihm befreundete brasilianische Bischof
Antonio de Castro Mayer
assistierte, verurteilte Papst Johannes Paul II. diese Bischofsweihen am 2. Juli mit dem Apostolischen Schreiben
Ecclesia Dei Adflicta
als
schismatischen
Akt. Die Bischofsweihen waren nach Ansicht Lefebvres notwendig geworden, da sich sein Gesundheitszustand verschlechterte und das Ende seines Lebens sich abzuzeichnen begann. Ohne die Weihe von Bischofen innerhalb der Gemeinschaft hatten nach dem Tod Lefebvres aus Grunden der fehlenden
apostolischen Sukzession
keine Priester mehr geweiht werden konnen und die Gemeinschaft ware zum allmahlichen Aussterben verurteilt gewesen.
[4]
[16]
Allerdings hatten die unerlaubten Bischofsweihen
ipso facto
die
Exkommunikation
Lefebvres und Castro Mayers sowie der von ihnen zu Bischofen geweihten Priester zur Folge. Nach der Bischofsweihe wendeten sich infolgedessen von den 212 Priestern der Bruderschaft ungefahr 15 von Lefebvre ab und schworen Rom neuen Gehorsam. Die Glaubigen wurden von Rom aufgefordert, den Priestern der Gemeinschaft nicht mehr zu folgen.
[17]
[4]
Jedoch beruhrte die romische Verurteilung der Bischofsweihen deren
sakramentale Gultigkeit
nicht, da es sich dabei nach romisch-katholischer Sakramententheologie und entsprechendem Kirchenrecht um eine
unausloschliche Einpragung
handelt, welche den
ontischen
Status unverlierbar modifiziert. Dies trifft hier zu, da Apostolische Sukzession und Weiheritus gultig waren. Die Weihe war aber nach romisch-katholischem Recht und dessen rechtskraftiger Anwendung im besagten Einzelfall
nicht legitim
; die Bischofe besitzen demzufolge keine kirchliche
Jurisdiktion
und gehoren nicht zum Episkopat der Romisch-katholischen Kirche.
Am 25. Marz 1991 starb Lefebvre im Alter von 85 Jahren im Krankenhaus von Martigny. Er wurde am 2. April 1991 in
Econe
(
Kanton Wallis
) in einem Wandgrab beigesetzt. Am 24. September 2020 wurden die Gebeine Lefebvres in die Krypta der Econer Seminarkirche uberfuhrt und in einen Sarkophag eingelassen.
[18]
Lefebvre starb als Exkommunizierter unversohnt mit der romisch-katholischen Kirche. Innerhalb der Kirche fuhrte sein Tod zunachst zu einer bedeutenden Schwachung der traditionalistischen Bewegung, die sich in den folgenden Jahren in miteinander konkurrierende oder auch verfeindete romtreue und schismatische Gruppierungen aufspaltete.
[19]
Die
Priestergemeinschaft Marcel Lefebvre
von Richard Williamson benannte sich nach ihm.
Lefebvre außerte in seinem Manifest vom 21. November 1974, dass jeder Katholik sein Seelenheil riskiere, der die Messe nach Maßgabe der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils feiere. Es sei fur gewissenhafte, glaubige Katholiken unmoglich, sich der Liturgiereform ?auch nur im geringsten“ zu unterwerfen.
Er sah sich nicht als Schopfer einer neuen Theologie:
?Ich bin kein Anfuhrer einer Bewegung, noch viel weniger das Haupt einer eigenen Kirche. Ich bin nicht, wie man unaufhorlich schreibt, ?der Anfuhrer der Traditionalisten‘. Ja, man ist sogar so weit gegangen, gewisse Leute als ?Lefebvristen‘ zu bezeichnen, als ob es sich um eine Partei oder ein eigenes theologisches Lehrsystem handelte. Das ist eine unzulassige Redeweise. Ich vertrete auf religiosem Gebiet keine personliche Lehre. Mein ganzes Leben habe ich mich an das gehalten, was man mich auf der Schulbank des Franzosischen Seminars von Rom gelehrt hatte, namlich die katholische Lehre, wie sie das Lehramt seit dem Tod des letzten
Apostels
, der das Ende der
Offenbarung
bedeutet, von Jahrhundert zu Jahrhundert uberliefert hat.“
?
1986
Seine Position hat er wie folgt umrissen:
?Ich habe oft und oft wiederholt: Wenn jemand sich vom Papst trennt, werde nicht ich es sein. Die Frage laßt sich so zusammenfassen: Die Gewalt in der Kirche ist eine hochste Gewalt, sie ist aber nicht absolut und ohne Grenzen, denn sie ist der gottlichen Gewalt untergeordnet, die in der Uberlieferung, in der
Heiligen Schrift
und in den schon durch das kirchliche Lehramt
promulgierten
Definitionen ihren Ausdruck findet. Tatsachlich findet die Gewalt des Papstes ihre Grenzen in dem Endzweck, fur den sie auf Erden dem Stellvertreter Christi verliehen wurde.
Pius IX.
hat diesen Endzweck in der Konstitution
Pastor aeternus
des
Ersten Vatikanischen Konzils
klar definiert. Ich stelle also, wenn ich das sage, nicht etwa eigene Theorien auf. Der blinde Gehorsam ist nicht katholisch; niemand ist der Verantwortung enthoben, wenn er Befehle einer vorgesetzten Behorde, und sei es des Papstes, befolgt, obwohl es sich erweist, daß sie dem Willen Gottes widersprechen, den wir aus der Uberlieferung mit Sicherheit erkennen konnen. […] Man muß zugeben, dass Papst Paul VI. das Gewissen der Katholiken vor ein ernstes Problem gestellt hat. Dieser Papst hat der Kirche mehr Schaden zugefugt als die
Revolution von 1789
. […] Der
Liberalismus
Pauls VI., den sein Freund
Kardinal Danielou
zugegeben hat, genugt als Erklarung fur die Katastrophen seines
Pontifikats
. Der liberale Katholik ist eine Personlichkeit mit zwei Gesichtern, standig in Widerspruche verwickelt. Er will katholisch bleiben, aber er ist besessen von dem Wunsch, der Welt zu gefallen. […] Wir wollen mit Rom verbunden bleiben, mit dem Nachfolger
Petri
, wenn wir auch den
Liberalismus
Pauls VI. aus Treue zu seinen Vorgangern ablehnen.“
?
1986
In einer seiner letzten Predigten am 1. November 1990 in Econe fasste Lefebvre abermals seine Position zusammen:
?Wegen des Abfalls vom Glauben, der in Rom herrscht, mussen wir mit ansehen, wie die Seelen in Massen der
Holle
zustreben. […] Der
Atheismus
beruht auf der Erklarung der
Menschenrechte
. Die Staaten, die sich seither zu diesem offiziellen
Atheismus
bekennen, befinden sich in einem Zustand dauernder
Todsunde
. […] Mit Recht konnen wir daher sagen, dass sich diese Massen zur Holle hinabbewegen. […] Er will Gott bleiben, nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden. Deshalb will Er fur seine Armee Soldaten.
[20]
“
In seinem
offenen Brief an die ratlosen Katholiken
im Jahr 1986 ubte Lefebvre scharfe Missbilligung an der Position von Papst Johannes Paul II. im interreligiosen Dialog. Er lehnte sowohl den Besuch des Papstes in der
Großen Synagoge von Rom
ab als auch
Weltgebetstreffen
in
Assisi
, wo sich auf Initiative des Papstes Vertreter verschiedener Religionen trafen, um dort fur den Frieden in der Welt zu beten. Des Weiteren enthielt der Brief eine Ablehnung der in der Konzilserklarung
Nostra Aetate
postulierten
Religionsfreiheit
. Nach Lefebvre konne diese Religionsfreiheit nicht auf falsche Religionen angewendet werden.
[21]
Lefebvre fiel offentlich durch Aussagen in
Predigten
auf, wonach unter einem religiosen Gesichtspunkt
autoritare
Machthaber und Diktatoren wie
Philippe Petain
,
Antonio de Oliveira Salazar
und
Francisco Franco
vorbildlich seien. Er wurde von
reaktionaren
Aristokraten
und aus autoritar-republikfeindlichen Kreisen des
Großburgertums
unterstutzt.
[22]
- Ein Bischof spricht: Schriften und Ansprachen 1963?1974.
Kreuz-Verlag, Wien 1976.
- Damit die Kirche fortbestehe. S.E. Erzbischof Marcel Lefebvre der Verteidiger des Glaubens, der Kirche und des Papsttums. Dokumente, Predigten und Richtlinien.
Eine historiographische Dokumentation. Priesterbruderschaft St. Pius X, Stuttgart 1992.
- Geistlicher Wegweiser.
Sonderdruck III aus
Damit die Kirche fortbestehe.
Priesterbruderschaft St. Pius X, Stuttgart 1992.
- Ich klage das Konzil an!
Edition Saint-Gabriel, Schweiz 1979 (Neuauflage: Sarto-Verlag, Bobingen 2009,
ISBN 978-3-93-269165-2
).
- Sie haben Ihn entthront: Vom Liberalismus zur Apostasie ? Die Tragodie des Konzils.
Priesterbruderschaft St. Pius X., Stuttgart 1988 (Neuauflage: Sarto-Verlag, Bobingen 1988
ISBN 978-3-94-385812-9
).
- Offener Brief an die ratlosen Katholiken.
Mediatrix-Verlag Wien, 1986,
ISBN 3-85406-067-X
(Neuauflage: Sarto-Verlag, Bobingen 2012.
ISBN 978-3-94-385807-5
).
- Reinhild Ahlers; Peter Kramer (Hrsg.):
Das Bleibende im Wandel. Theologische Beitrage zum Schisma von Marcel Lefebvre.
Bonifatius Verlag, Paderborn 1990,
ISBN 3-87088-622-6
.
- Yves Congar
:
Der Fall Lefebvre. Schisma in der Kirche?
Herder, Freiburg ? Basel ? Wien 1977,
ISBN 3-451-17887-7
.
- Victor Conzemius:
Marcel Lefebvre.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
- Michael Davies:
Apologia pro Marcel Lefebvre.
Dickinson, Texas 1979 (dt. Ausgabe: 1987),
OCLC
165574039
.
- Rudolf Kaschewsky
:
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