Geschichte der Juden in Munchen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
(Weitergeleitet von Judisches Leben in Munchen )
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Zwar wohnten bereits im Mittelalter Juden in Munchen , doch wurden sie in Pogromen mehrmals vertrieben und konnten sich aufgrund der besonders restriktiven antijudischen Politik der bairischen Wittelsbacher erst ab etwa 1800 etablieren. Insofern dann einerseits einige bedeutende Personlichkeiten aus der Munchner judischen Gemeinde hervorgingen und andererseits der Antisemitismus gerade von Munchen als ? Hauptstadt der Bewegung “ aus wirkte, ist die Geschichte der Juden in Munchen von besonderer, mehr als nur lokaler Bedeutung. Das gilt auch noch fur die Zeit nach 1945.

Die neue Hauptsynagoge in Munchen im Judischen Zentrum Munchen ; rechts im Hintergrund das Judische Museum
Gedenkstein fur die ehemalige Hauptsynagoge Munchen (Herzog-Max-Str.)
Gedenktafel am Ort der von den Nazis zerstorten Ohel Jakob Synagoge in der Herzog-Rudolf-Str. 1 in Munchen.
Toraschrein der Munchner Hauptsynagoge am Jakobsplatz
Synagoge am Jakobsplatz, Munchen ? Kuppel mit Davidsternmotiv (innen)
Judisches Zentrum und Judisches Museum am Jakobsplatz, Munchen
Mahnmal im Rathaus zur Erinnerung an der Deportation von 1000 Munchner Juden nach Kaunas im Jahr 1941
Gang der Erinnerung, der das Gemeindehaus unterirdisch mit der Synagoge am Jakobsplatz, Munchen, verbindet

12. Jahrhundert: Beginn judischen Lebens in Munchen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Juden lebten seit dem Mittelalter in Munchen. [1] Zwar ist die Quellenlage nicht frei von Zweifeln, dennoch sind sich Historiker daruber einig, dass sich erste Juden bereits bald nach der Stadtgrundung von Munchen (1158) dort ansiedelten.

Urkundlich wird ihr Aufenthalt 1229 erstmals erwahnt. Der in diesem Jahr genannte erste namentlich bekannte Jude in Munchen hieß ?Abraham de Municha“ bzw. ?Abraham der Municher“. Am 12. Oktober 1285 kam es zum ersten Pogrom , nachdem eine Frau ? gestand “, die Munchner Juden hatten ein getauftes Christenkind getotet und sein Blut getrunken. Eine aufgebrachte Volksmenge zundete die Synagoge an, wobei 180 Juden, die sich in den ersten Stock gefluchtet hatten, in den Flammen umkamen. Zwei Jahre danach durften die Juden in die Stadt zuruckkehren. Es folgten weitere Pogrome gegen Juden in Munchen in den Jahren 1345, 1349, 1413, 1442 und 1715, die urkundlich dokumentiert wurden.

14. und 15. Jahrhundert: Wachstum, Pogrome, Vertreibung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Das 14. und 15. Jahrhundert waren gepragt von Phasen des Wachstums der judischen Gemeinde und von Pogromen gegen Juden. 1381 baute die Gemeinde ein im Jahr zuvor erworbenes Haus in der Judengasse (spater: Gruftgasse) zur Synagoge in der Judengasse um. 1442 wurden jedoch alle Juden aus Munchen und Oberbayern auf Befehl Herzog Albrechts III. vertrieben. Die Synagoge in der Judengasse wurde zu einer Marienkapelle (Gruftkapelle) umgebaut und umgewidmet, die nach 1803 verschwand.

18. Jahrhundert: Ruckkehr judischen Lebens nach Munchen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nach uber 300 Jahren siedelten sich wieder Juden in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts in Munchen an. Ihre Stellung in der Gesellschaft war schwierig. Auch die Judische Emanzipation , die sich im Zuge der Franzosischen Revolution entwickelte, konnte die Situation der Juden in Munchen nur langsam verbessern. 1802 stellten Abraham Uhlfelder und Abraham Wolf Wertheimer den Rabbiner Hessekiel Hessel an.

Ein 1805 veroffentlichtes ?Regulativ uber die hiesige Judenschaft“ setzte auf Emanzipation nur unter dem Vorbehalt der Besserung, was bedeutete, dass die Emanzipation in die Hande von Burokraten gelegt wurde. Den standigen Aufenthalt garantierte nur die Aufnahme in die neu zu erstellende Matrikel , wobei die zugeteilte Nummer auf nur ein Kind ubertragen werden konnte. Der Zutritt in die zunftischen Gewerbe blieb Juden verwehrt. Erlaubt waren ihnen jetzt immerhin Ansiedlung im ganzen Stadtgebiet und Religionsausubung . 70 judische Familien erhielten Bleiberecht; 37 Familien mussten Munchen verlassen. Außerhalb der staatlichen Judengesetzgebung stand die kleine Schicht von Bankiers und Großhandlern, die durch Geschaftstatigkeit und Finanzanleihen ihre Nutzlichkeit fur den bayerischen Staat bewiesen hatten; sie bewegten sich ganz selbstverstandlich innerhalb des Hofes und der hoheren Beamtenschaft.

Eine Aufforderung der Munchner Polizeidirektion, die judische Gemeinde solle eigene judische Schulen errichten, lehnte Gemeindevorsteher Uhlfelder mit der Begrundung ab, er konne den Mitgliedern nicht vorschreiben, in welche Schule sie ihre Kinder schickten; vermogende judische Eltern stellten fur ihre Kinder Hauslehrer ein. 1804 wurde den Juden der Eintritt in die hoheren und niederen Lehranstalten der christlichen Konfessionen gestattet. 1806 wurde aus dem Bedurfnis, dem traditionellen religiosen Leben eine breitere Basis und zugleich eine Organisationsform zu schaffen, die ?Chewra Talmud Tora “ gegrundet.

1806 bis 1871: Rechtssicherheit, Grundung der IKG, Friedhof und Synagogenbau [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im Jahre 1806 wurde der Wittelsbacher Maximilian I. Joseph der erste Konig des Konigreichs Bayern . Der Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde Munchens war der erste im Konigreich Bayern , der sich ohne Vorbehalt auf den Boden der neuen Zeit stellte und die noch in den Ministerien schwebenden Verhandlungen und Beratungen zu beeinflussen versuchte durch eine von Abraham Uhlfelder als Vorsteher sowie vier Deputierten unterzeichnete ?zur allerhochsten Stelle gerichtete Immediateingabe“ vom 8. April 1812. [2] Nach den ublichen schmeichlerischen Einleitungsfloskeln wagten sie, den Konig ?um die Emanzipation unserer Glaubensgenossen im ganzen Konigreiche allerunterthanigst anzuflehen und um den Genuss der staatsburgerlichen Rechte aller devotest zu bitten, indem wir zugleich die treueste und heiligste Erfullung aller staatsburgerlichen Pflichten ohne Ausnahme geloben.“ Dann folgt die rhetorisch gemeinte Frage: ?Ob die Juden in Rucksicht ihrer Religion des Genusses der Burgerrechte fahig und wurdig sind?“ Weiter heißt es, diese Frage sei theoretisch und auch praktisch ? affirmativ beantwortet“ durch die erfolgreiche Judenemanzipation in Napoleons Kaiserreich und einer ganzen Reihe deutscher Staaten. ?Und in Baiern sollten wir zuruckstehen? ... Nicht moglich! Die Constitution und mehrere fruhere und spatere Gesetze und organische Edicte sprechen zu bestimmt vollkommene Religions- und Gewissensfreyheit aus, als dass wir von dieser Seite etwas zu befurchten hatten.“

Mit dem Judenedikt von 1813 ermoglichte der konigliche Minister Montgelas erstmals die Rechtssicherheit der judischen Gemeinschaft in Bayern. Zwar wurden im Edikt die Freizugigkeit der Juden sowie die Moglichkeit von Familiengrundungen eingeschrankt, da eine Heirat von der Obrigkeit genehmigt werden musste. Es ermoglichte aber dennoch ein geregeltes Leben und fuhrte zu einem deutlichen Anstieg der judischen Gemeinschaft in Bayern.

Ein weiterer wichtiger Schritt fur die Juden in Munchen war im Jahre 1815 die Grundung der ?Israelitischen Kultusgemeinde Munchen“. Schon ein Jahr spater wurde der judischen Gemeinde die Erlaubnis erteilt, einen judischen Friedhof anlegen, worauf 1816 der Alte Israelitische Friedhof angelegt wurde.

Die erste neuzeitliche Munchner Synagoge wurde 1824 bis 1826 an der Westenriederstraße gebaut, unter massivem Druck der Obrigkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt trafen sich die Munchner Juden in vielen kleinen privaten Betraumen, die es uber die ganze Stadt verteilt gab. Diese Situation missfiel den Behorden, da sie glaubte, dass in den Betraumen unkontrollierbare Winkelzusammenkunfte stattfinden wurden. So zwangen die Behorden die Gemeinde unter Androhung von Geld- und Arreststrafen zum Bau einer Synagoge. Damit erfullte sich aber auch ein lang ersehntes Ziel der Judischen Gemeinde. Die Synagoge entstand jedoch nur am damaligen Stadtrand, in der heutigen Westenriederstraße 7, was einen reprasentativen Kultbau im Herzen Munchens verhinderte, der als Symbol judischer Emanzipation und Integration hatte gelten konnen.

1872 bis 1900: Rechtliche Gleichstellung und zwei neue Synagogen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Infolge der Grundung des Deutschen Reichs erhielten im Jahre 1872 die judischen Burger endlich dieselben Burgerrechte wie die Christen in Deutschland. Diese rechtliche Gleichstellung war ein entscheidender Impuls fur das judische Leben in Munchen, da ein starker Zuzug von judischer Landbevolkerung aus dem gesamten bayerischen Gebiet und daruber hinaus einsetzte. Viele Fabrikationsbetriebe und Handelsfirmen wurden ab 1872 von Juden in Munchen gegrundet wie z. B. die Gebr. Freundlich . [3] In der Folgezeit entwickelte sich die Judische Gemeinde in Bayern mit großer Geschwindigkeit.

1882 wurde auf Betreiben von Konig Ludwig II. der zu diesem Zeitpunkt bluhenden Judischen Gemeinde ein Grundstuck in der Innenstadt, gegenuber der Maxburg fur den Neubau der Hauptsynagoge zur Verfugung gestellt. Die neue Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße konnte am 16. September 1887 mit vielen offiziellen Gasten feierlich eingeweiht werden und war zu diesem Zeitpunkt die drittgroßte Synagoge Deutschlands ? in unmittelbarer Nahe zur Frauenkirche . Sie gehorte der Gemeinde nach zum Reformjudentum , zahlte zu den schonsten Synagogen in Europa und verlieh der Judischen Gemeinde ein neues Selbstbewusstsein, da sie zugleich ein Zeichen fur die Akzeptanz und die Bedeutung der judischen Bevolkerung fur das politische und gesellschaftliche Leben in Munchen war. Eine Phase der Integration schien angebrochen.

Diese Entwicklung fand jedoch nicht uberall in Europa statt. In Osteuropa mussten viele Juden wegen vieler Pogrome ihre Heimat verlassen und zogen Richtung Westen. Viele von ihnen wanderten in die Vereinigten Staaten aus. Eine Zwischen- und manchmal auch Endstation auf diesem Wege war Munchen.

Die Orthodoxe Gemeinde , die sich zunehmend von den Versammlungen der Reformgemeinde fernhielt, erbaute auf eigene Kosten 1891/92 die Synagoge Ohel Jakob in der Herzog-Rudolf-Straße (fruher Kanalstraße).

1900 bis 1919: Zuwanderung aus Osteuropa [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Durch die starke Zuwanderung von Juden aus Osteuropa stieg die Zahl der judischen Bevolkerung in Munchen nach der Jahrhundertwende stark an. 1910 gehorten 11.083 von 590.000 Einwohnern der Stadt dem judischen Glauben an (knapp 2 % der Gesamtbevolkerung). Personlichkeiten wie Lion Feuchtwanger , Bruno Walter , Hermann Levi , Max Reinhardt , Julius Spanier , Otto Bernheimer oder Kurt Eisner trugen zum internationalen Ruf wie auch zum kulturellen, politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Leben Munchens bei.

Weimarer Republik [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nach dem Ersten Weltkrieg begann das Leben der judischen Bevolkerung in Munchen deutlich schwieriger zu werden: So kam es in den zwanziger Jahren zunehmend zu Spannungen und zur rucksichtslosen Ausweisung polnischstammiger Juden. Auch verubten SA -Trupps Ubergriffe auf judische Personen und Geschafte. Zwar wurde 1931 mit der Synagoge an der Reichenbachstraße eine dritte Synagoge eingeweiht, die fur die aus dem Osten vertriebenen Juden bestimmt war, die Munchner Neuesten Nachrichten, die damals großte Munchner Tageszeitung, berichtete jedoch nicht daruber.

1933 bis 1945: Repressionen, Verfolgung, Vertreibung und Tod [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Vor 1933 lebten in Munchen 12.000 judische Burger. Auf die nationalsozialistische Machtergreifung folgten unmittelbar im Januar 1933 staatlich verordnete, massive Repressionen, welche schließlich 1935 zu den Nurnberger Rassegesetzen fuhrten und in der systematischen Vernichtung der europaischen Juden endeten. So hatte die judische Gemeinde in Munchen 1936 noch 9000 Mitglieder, aber schon zwei Jahre spater hatte sich diese Zahl halbiert.

Diese schwere Zeit spiegelt sich auch in der Festschrift der Israelitische Kultusgemeinde zum 50-jahrigen Bestehen ihrer Synagoge am 5. September 1937 wider: ?Die 50. Wiederkehr dieses Tages festlich zu begehen, ist heute nicht die Zeit.“ Bereits neun Monate spater wurde die Hauptsynagoge auf personlichen Befehl Adolf Hitlers am 9. Juni 1938 abgerissen ? funf Monate vor der Reichspogromnacht . Begrundet wurde dies mit verkehrstechnischen Notwendigkeiten eines Parkplatzes, vermutet wird ein Zusammenhang mit dem ?Tag der deutschen Kunst“, der im benachbarten Deutschen Kunstlerhaus begangen werden sollte. [4] Der Abriss wurde bereits zwei Tage spater in Angriff genommen. Die Kosten hierfur wurden der judischen Gemeinde auferlegt. Im Nazi-Organ ? Der Sturmer “ konnte man lesen: ?Ein Schandfleck verschwindet“. Es sollten zwar auch die Gebaude abgerissen werden, die ebenfalls zum Synagogenkomplex gehorten, doch stattdessen kam es zur Umnutzung dieser Hauser: Fortan nutzte die SS diese Raumlichkeiten fur den ? Lebensborn e.V.“.

Am 9. November 1938 lautete Joseph Goebbels mit einer Rede im Alten Rathaus in Munchen die ? Reichspogromnacht “ ein (auch bekannt unter der nationalsozialistischen Bezeichnung ?Reichskristallnacht“). In der Herzog-Rudolf-Straße brannte die Synagoge des orthodoxen Vereins Ohel Jakob aus, und die Synagoge in der Reichenbachstraße blieb nur wegen der dichten Bebauung im Gartnerplatzviertel vom Brand verschont ? fiel aber dennoch dem Vandalismus von SA-Truppen zum Opfer. Bei den judischen Geschaften wurden großtenteils samtliche Fenster eingeschlagen. Am 10. November erklarte dazu die Munchner Kreisleitung der NSDAP:

? Die frechgewordenen Juden sind verhaftet. Das nationalsozialistische Munchen demonstriert heute um 20 Uhr in 20 Massenkundgebungen gegen das Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen [5]

Von da an wurde im Munchner Adressbuch keine Einrichtungen oder Synagogen der Israelitischen Kultusgemeinde mehr aufgefuhrt. Auf dem Papier existierten die Juden in Munchen schon nicht mehr. Viele Munchner Juden wurden in den folgenden Jahren vertrieben.

Im August 1941 lebten noch 3249 als Juden verfolgte Personen in Munchen. In diesem Jahr errichtete die NSDAP ein Sammellager in Milbertshofen , wenig spater eines in Berg am Laim . Am 20. November 1941 wurden 1000 Munchner Juden nach Kaunas deportiert, davon 94 Kinder. Diese wurden nach funf Tagen im IX. Fort von Kaunas ermordet. Im April 1942 wurde das judische Kinderheim zwangsweise aufgelost und die Kinder deportiert. Kurz danach wurde auch das Israelitische Kranken- und Schwesternheim aufgelost und seine zum Teil schwerstkranken Patienten und die Schwestern in die Vernichtungslager transportiert. Von etwa 3000 Munchner Juden ist bekannt, dass sie zwischen Juni 1942 und 23. Februar 1945 deportiert und zu einem großen Teil ermordet wurden. Am 30. April 1945 fanden die amerikanischen Befreier nur noch 84 uberlebende Juden in Munchen vor. Von den etwa 1550 Munchner Personen, die 1945 aus dem KZ Theresienstadt befreit werden konnten, kehrten 160 in ihre Heimatstadt zuruck.

1945 bis heute [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Bereits kurz nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde am 19. Juli 1945 im ehemaligen Altersheim Kaulbachstraße die Israelitische Kultusgemeinde Munchen und Oberbayern (IKG) neu gegrundet, welche am 20. Mai 1947 die wiederhergestellte Synagoge in der Reichenbachstraße 27 einweihen konnte.

Ebenfalls kurz nach der Befreiung folgte die Ruckkehr judischen Lebens in die ehemalige ? Hauptstadt der Bewegung “, da Munchen Auffangstation fur ? Displaced Persons “ (DPs) wurde. Somit kam in Munchen viele Juden und Verfolgte der Nazidiktatur in Wohnquartieren fur DPs unter. Neben Uberlebenden aus Konzentrationslagern kamen viele aus Osteuropa sowie auch ein erheblicher Anteil an judischen Fluchtlingen aus ganz Europa . Fur viele galt Munchen aber nur als Zwischenstation auf ihrem Weg in die USA oder nach Palastina . Trotzdem hatte die Judische Gemeinde Munchens bereits im Marz 1946 wieder etwa 2800 Mitglieder. Allmahlich wurde Munchen fur Juden auch wieder Heimat.

In Bogenhausen, speziell in der Mohlstraße mit allen ihren Seitenstraßen, siedelten sich verschiedene Organisationen an, wie das Munchner judische Komitee und das Zentralkomitee der befreiten Juden, die Jewish Agency for Palestine, die Berufsbildungsorganisation Ort , und die Hebrew Immigrant Aid Society. Es entstand eine judische Apotheke und ein judisches Krankenhaus, spater eine Synagoge , ein judischer Kindergarten und eine judische Schule. Nach der Wahrungsreform im Juni 1948 nahm dort die Wirtschaftstatigkeit enorm zu und es entwickelte sich ein weit uber die Landeshauptstadt bekannter Schwarzmarkt . Von 1949 bis in die 1950er Jahre wurden immer wieder Geldstrafen verhangt, Razzien durchgefuhrt, Festnahmen veranlasst und Hauser abgerissen, um die judischen Ladenbesitzer zu vertreiben und den Marktplatz aufzulosen. Zwischen 1947 und 1960 hielten sich rund 185 Handler auf dem Marktplatz auf. Die große Mehrheit blieb nur fur kurze Zeit. In den ersten Jahren nach dem Holocaust spielten die kleinen Laden eine Schlusselrolle fur das wirtschaftliche Uberleben vieler judischer Familien und damit auch fur den Wiederaufbau judischen Lebens in Westdeutschland. [6]

Vor 1970 waren judische Einrichtungen in Munchen wie andernorts in Deutschland frei zuganglich. Am 10. Februar 1970 wurde bei einem Angriff arabischer Terroristen auf eine von Tel-Aviv gekommene El-Al -Maschine eine Person getotet. Bei einem bislang ungeklarten Brandanschlag am 13. Februar 1970 kurz nach Sabbatanbruch auf das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde starben sieben Menschen. Im Juni 1970 wurden in der Munchner Hauptsynagoge eine Torarolle und andere Kultgegenstande geschandet. Wahrend der Olympischen Sommerspiele in Munchen wurden am 5. September 1972 elf israelische Sportler und ein Sicherheitsbeamter im Rahmen einer Geiselnahme durch arabische Terroristen ermordet, die die Freilassung 200 arabischer Gefangener aus israelischen Gefangnissen forderten. Diese Terrorakte blieben nicht ohne Auswirkung auf das judische Leben in Munchen: Unbefangenheit war ferner unmoglich, zumal in dieser Stadt auch beim rechtsterroristischen Oktoberfestattentat am 26. September 1980 dreizehn Menschen getotet und uber 200 verletzt wurden ? zufallige Besucher des Munchner Oktoberfestes ? und hier die prominentesten Rechtsextremisten Deutschlands, Gerhard Frey und Franz Schonhuber , lebten und wirkten. [7]

Die Judische Gemeinde hatte schließlich Ende der achtziger Jahre etwa 4000 Mitglieder und zehn Jahre spater ungefahr 8000 Mitglieder. Bis 2006 stieg die Zahl immer weiter auf rund 11.000 Mitglieder an ? insbesondere durch die seit den neunziger Jahren starker gewordene Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion . Die Raume des Gemeindezentrums in der Reichenbachstraße genugten daher nicht mehr.

Dem Engagement von Charlotte Knobloch , der Prasidentin der Munchner Gemeinde und vom 7. Juni 2006 bis zum 28. November 2010 Prasidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist es zu verdanken, dass am 9. November 2006, genau 68 Jahre nach der Pogromnacht , in der auch die alte orthodoxe Synagoge Ohel Jakob zerstort wurde, die neue Hauptsynagoge Ohel Jakob (Zelt Jakobs) am Sankt-Jakobs-Platz in der Munchner Innenstadt eroffnet werden konnte. Die neue Synagoge ist Bestandteil des neuen Judischen Zentrums .

Im Marz 2007 konnte die IKG all ihre Einrichtungen (Jugend- und Kulturzentrum mit Judischer Volkshochschule , Sozialabteilung etc.) im Gemeindehaus im Judischen Zentrum am Jakobsplatz zusammenfuhren, nachdem diese vorher uber ganz Munchen verstreut waren.

Zudem ist hier seither auch das Judische Museum Munchen in stadtischer Tragerschaft. Es ist auch ein Verdienst Charlotte Knoblochs , dass dieses Judische Museum ein Teil des neuen Judischen Zentrums wurde, da ihr Einsatz fur die Einrichtung eines solchen Museums eine wichtige Antriebsfeder hierfur war. Davor gab es lediglich ein Provisorium in Form einer kleinen Ausstellung zur judischen Geschichte und Kultur im ehemaligen Gemeindezentrum (Reichenbachstraße).

Inzwischen hat die IKG die notige Infrastruktur, um den Erhalt judischer Traditionen und die Religionsausubung zu gewahrleisten. Dies umfasst in Munchen drei Synagogen, ein koscheres Restaurant, eine koschere Metzgerei, zwei Mikwaot (rituelle Tauchbader), einen Kindergarten, eine Grundschule mit Hort, ein Seniorenheim, ein Jugend- und Kulturzentrum mit Bibliothek und judischer Volkshochschule sowie eine Integrationsabteilung fur Neuzuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, eine Sozialabteilung und zwei Friedhofe: der alte israelitische und der neue israelitische Friedhof . Die IKG beheimatet als Einheitsgemeinde judische Mitglieder samtlicher religioser Ausrichtungen und wird entsprechend dem judischen Religionsgesetz, der Halacha , gefuhrt.

Neben der orthodox gefuhrten Einheitsgemeinde gibt es seit 1995 in Munchen die liberale judische Gemeinde Beth Shalom , deren Vorsitzender Jan Muhlstein ist. Die Gemeinde beabsichtigt, eine Synagoge in der Reitmorstraße im Lehel zu bauen, wofur Daniel Libeskind als Architekt gewonnen werden konnte. [8] [9] Auch Chabad [10] ist mit einer eigenen Gemeinschaft in Munchen vertreten.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

(chronologisch sortiert)

  • Piritta Kleiner: Judisch, Jung und Jetzt: Identitaten und Lebenswelten junger Juden in Munchen. Utz Verlag, Munchen 2010, ISBN 978-3-8316-4003-4 .
  • Miriam Magall : ?Wie gut sind deine Zelte, Jakob!“ Spaziergange im judischen Munchen. MunchenVerlag, Munchen 2008, ISBN 978-3-937090-29-0 (Ein Panorama judischen Lebens in Munchen vom Mittelalter bis heute).
  • Gudrun Azar u. a.: Ins Licht geruckt. Judische Lebenswege im Munchner Westen. Hrsg. fur die Geschichtswerkstatt Judisches Leben in Pasing von B. Schoßig . Herbert Utz Verlag, Munchen 2008, ISBN 978-3-8316-0787-7 .
  • Ilse Macek (Hrsg.): ausgegrenzt ? entrechtet ? deportiert. Schwabing und Schwabinger Schicksale 1933?1945. Volk Verlag, Munchen 2008, ISBN 978-3-937200-43-9 (Wurde mit dem Simon-Snopkowski-Preis 2008 ausgezeichnet). [11]
  • Doris Seidel: Die judische Gemeinde Munchens 1933?1945. In: Angelika Baumann, Andreas Heusler (Hrsg.): Munchen arisiert. Entrechtung und Enteignung der Juden in der NS-Zeit. C. H. Beck Verlag, Munchen 2004, ISBN 3-406-51756-0 , S. 31?53.
  • Stadtarchiv Munchen (Hrsg.), bearbeitet von Andreas Heusler, Brigitte Schmidt u. a.: Biographisches Gedenkbuch der Munchner Juden 1933?1945. Eos Verlag u. a., St. Ottilien u. a.
  • Richard Bauer , Michael Brenner (Hrsg.): Judisches Munchen. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. C. H. Beck, Munchen 2006, ISBN 3-406-54979-9 .
  • Beth ha-Knesseth ? Ort der Zusammenkunft. Zur Geschichte der Munchner Synagogen, ihrer Rabbiner und Kantoren. Katalog zur Ausstellung im Judischen Museum Munchen (2. Dezember 1999?31. Mai 2000). Buchendorfer Verlag, Munchen 1999, ISBN 3-934036-09-0 .
  • Stefan Wimmer: Vergangene Tage. Judisches Leben in Munchen. Herausgegeben von StattReisen Munchen. Buchendorfer Verlag, Munchen 1999, ISBN 3-927984-92-2 .
  • Alexander Rauch: Munchens judische Denkmaler. In: Denkmaler judischer Kultur in Bayern. Arbeitshefte des Bayerischen Landesamts fur Denkmalpflege 35. Munchen 1994.
  • Juliane Wetzel : Judisches Leben in Munchen 1945?1951. Durchgangsstation oder Wiederaufbau? Kommissions-Verlag Uni-Druck, Munchen 1987, ISBN 3-87821-218-6 ( Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs Munchen. Miscellanea Bavarica Monacensia 135. Zugleich: Munchen, Univ., Diss., 1986).
  • Hans Lamm (Hrsg.): Von Juden in Munchen. Ein Gedenkbuch. Ner Tamid Verlag, Munchen 1958 (Erweiterte Ausgabe: Vergangene Tage. Judische Kultur in Munchen. Langen Muller, Munchen u. a. 1982, ISBN 3-7844-1867-8 ).
  • Gerd Thumser: Heimweh nach Munchen. Das Schicksal der emigrierten judischen Burger Munchens. 2. Auflage. Wurm, Munchen 1967 ( Munchen im Blickpunkt 3).

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gemeinden und Gemeinschaften
Informationen

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Leo Baerwald : Juden und judische Gemeinden in Munchen vom 12. bis 20. Jahrhundert . In: Hans Lamm (Hrsg.): Von Juden in Munchen. Ein Gedenkbuch . Ner-Tamid-Verlag, Munchen 1958, S. 19?30.
  2. Akten des israelitischen VereinsVorstandes in Furth (Rep. Tit. II Nr. 155), die Verhaltnisse der israelitischen Glaubensgenossen betr. (zitiert nach Eckstein, S. 16 ff.)
  3. Bernhard Koch: Ausgeliefert an willfahrige Vollstrecker. Die Holzhandlung Gebruder Freundlich . In: Gudrun Azar u. a.: Ins Licht geruckt. Judische Lebenswege im Munchner Westen. Hrsg. fur die Geschichtswerkstatt Judisches Leben in Pasing von B. Schoßig . Herbert Utz Verlag, Munchen 2008, ISBN 978-3-8316-0787-7 , S.   85 .
  4. Saskia Rohde: Die Zerstorung der Synagogen unter dem Nationalsozialismus. S. 156. In: Arno Herzig, Ina Lorenz (Hrsg.): Verdrangung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus. Hamburg 1992, ISBN 3-7672-1173-4
  5. Hans F. Nohbauer: Die Chronik Bayerns . Chronik Verlag, Gutersloh/Munchen, 3. aktualisierte und uberarbeitete Auflage, 1994, S. 496
  6. Die Mohlstraße ? ein judisches Kapitel der Munchner Nachkriegsgeschichte , Abteilung fur judische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universitat Munchen. Abgerufen am 27. Mai 2021.
  7. Michael Brenner: Aufbruch in die Zukunft (1970?2006) in: Richard Bauer und Michael Brenner(Hrsg.): Judisches Munchen. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart Munchen 2006; S. 209 ff.
  8. Suddeutsche Zeitung: Der Traum von der eigenen Synagoge. Die liberale judische Gemeinde Beth Shalom sucht ein neues Domizil - Finanzierung ist noch ungeklart , 23. Februar 2009, S. 53
  9. Munchner liberale Gemeinde Beth Shalom ( Memento vom 24. Juni 2012 im Internet Archive ) - BR-Online vom 15. Oktober 2009, abgerufen am 28. Dezember 2009, abgerufen am 11. September 2012
  10. Meron Mendel , Judische Jugendliche in Deutschland, Frankfurt/Main 2010, Seite 101
  11. Simon-Snopkowski-Preis 2008 vom 16. November 2008