한국   대만   중국   일본 
Erschreckender UN-Bericht - Wandernden Tierarten geht es schlecht ? wegen uns Menschen - Wissen - SRF
Zum Inhalt springen
Audio
Tierwanderungen stehen unter menschlichem Druck
Aus Wissenschaftsmagazin vom 17.02.2024. Bild: Imago/imagebroker
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 45 Sekunden.

Erschreckender UN-Bericht Wandernden Tierarten geht es schlecht ? wegen uns Menschen

Eine von funf wandernden Tierarten steht vor dem Aussterben. Das zeigt der erste UN-Bericht zum Zustand wandernder Arten.

Milliarden von Tieren wandern. Seit Millionen von Jahren. Tausende von Kilometern liegen zwischen ihren verschiedenen Lebensraumen.

Sie fliegen, gehen oder schwimmen dorthin, wo es Nahrung hat, wo sie rasten, uberwintern und bruten konnen. Zu ihnen gehoren einige der ikonischsten Arten: Wale, Haie, Elefanten, Wildkatzen oder Nachtigallen.

Warum soll mich das Schicksal wandernder Tiere kummern?

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Ziehende Tiere haben in vielen Kulturen eine spirituelle Bedeutung. Sie haben Kunst, Literatur und Musik inspiriert. Der Weissstorch galt bei uns lange als Symbol fur Geburt. Imago Images / SuperStock

Wandernde Tierarten haben eine grosse okologische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung.

Zugvogel, Fledermause und Insekten bestauben Pflanzen und pragen ganze Landschaften, indem sie Samen weiterverbreiten. Ziehende Arten verlagern Nahrstoffe und damit Energie fur anderes Leben am Boden und im Wasser. Wandernde Meeresbewohner binden Kohlenstoff und helfen Lebensraume zu erhalten, die als Kohlenstoffsenken dienen.

Nomadische Tiere regulieren Okosysteme, indem sie Pflanzen oder andere Tiere fressen und sie sind selbst wiederum Nahrung fur andere Tiere. Auch der Mensch ernahrt sich von ihnen. Als okotouristische Attraktion konnen sie eine Einnahmequelle sein fur die lokale Bevolkerung.

Sie haben auch einen emotionalen und asthetischen Wert in der Geschichte der Menschheit. Sie bereiten Freude, wenn sie im Fruhling zuruckkehren. Wer sich erinnert, dass die Schwalben fruher in unseren Stallen zu Hause waren, vermisst sie, ihr schrilles Pfeifen und ihre Tieffluge, die Regen ankundigen.

Ziehende Tiere haben in vielen Kulturen eine spirituelle Bedeutung. Sie haben Kunst, Literatur und Musik inspiriert. Der Weissstorch galt bei uns lange als Symbol fur Geburt.

Die kulturelle Bedeutung und die emotionale Bindung zu einer Tierart konnen dabei helfen, sie zu schutzen. Der Andenkondor ist ein Beispiel dafur. Er ist fur die indigenen Menschen ein spiritueller Bote. Wegen dieses religiosen Bezugs engagiert sich die lokale Bevolkerung fur die Erholung des Kondors.

Doch viele ziehende Tiere sind stark gefahrdet. Die Halfte der 1200 Arten, die in der UN-Konvention zum Schutz wandernder Tiere (CMS) aufgelistet sind, steht unter massivem Druck. Jede funfte Art ist vom Aussterben bedroht. Bei den ziehenden Fischen sind es 80 Prozent.

Wandernde Tiere brauchen intakte Reiserouten

Silke Bauer, Expertin fur das Phanomen der Tierwanderung an der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, erstaunen die Zahlen des ersten umfassenden UN-Berichts nicht. Wandernde Tiere seien besonders verletzlich.

Welche Tiere wandern wie?

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Streifenganse uberfliegen zweimal im Jahr den Himalaya und wurden schon uber dem Mount Everest gesichtet. Imago Images / imagebroker

Unter allen wichtigen Tiergruppen finden sich Wanderer. Gewandert, geflogen, geschwommen und geschwebt wird bei den Saugetieren, Vogeln, Reptilien, Amphibien, Fischen und Insekten. Die meisten Tierwanderungen laufen nach einem regelmassigen und vorhersagbaren Muster ab.

Manche Tiere wie die Meeresschildkroten absolvieren lange einsame Reisen. Andere wie die Vogel fliegen gemeinsam und in grosser Zahl durch die Lufte oder trappeln in Massen wie die Gnus durch die Savanne.

Grauwale schwimmen rund 18'000 Kilometer auf ihrer Wanderung vom fischreichen Beringmeer in der Arktis bis zum Golf von Kalifornien, wo sie ihre Kalber zur Welt bringen. Der amerikanische Monarchfalter fliegt bis zu 4’000 Kilometer von Nord- nach Mittelamerika. Streifenganse uberfliegen zweimal im Jahr den Himalaya und wurden schon uber dem Mount Everest gesichtet ? in einer Flughohe von 9'000 Metern.

Die europaischen Mauersegler fliegen auf ihrer Reise nach Afrika im Schnitt 560 Kilometer am Tag. Sie schlafen und paaren sich in der Luft und verbringen den europaischen Winter im afrikanischen Sommer. Sie uberqueren die Sahara und fliegen gelegentlich bis ans Kap der Guten Hoffnung.

Ziel sind die besten klimatischen Bedingungen, saisonale Futterangebote und optimale Platze zum Uberwintern, Bruten und Aufziehen der Jungen.

Sie sind nicht auf einen Lebensraum angewiesen, sondern auf viele verschiedene. Lebensraume, die sich aneinanderreihen wie Perlen auf einer Schnur: ≪Wenn nur schon eine dieser Perlen zerstort wird, zerfallt die ganze Kette. Die Route ist unterbrochen.≫

Mobil, aber weniger schnell als der Mensch

Wandernde Tiere haben an sich ein grosses Potenzial, sich neue und besser geeignete Orte zu suchen. Gerade, weil sie so mobil sind. ≪Aber das Problem ist im Moment einfach die Schnelligkeit der Veranderungen und die Vielzahl der Veranderungen≫.

Die Veranderungen sind vom Menschen verursacht. Dazu gehoren der Habitatverlust durch Urbanisierung und landwirtschaftliche Intensivierung. Oder die Fragmentierung naturnaher Raume durch Strassen, Zaune oder Fischnetze.

Die grosste Tierwanderung der Welt

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Weissbartgnus (Connochaetes taurinus), Tierherde bei der Wanderung zum Mara-Fluss. Imago Images / imagebroker

Die Massenwanderung durch die Serengeti ist die grosste Tierwanderung der Welt. Millionen von Gnus, Zebras, Antilopen und Gazellen trappeln auf der Suche nach Wasser und Nahrung durch die Savanne, die sich vom Norden Tansanias bis in den Suden Kenias ins Massai-Mara-Naturreservat erstreckt. Darunter sind einige der weltweit grossten frei lebenden Huftierpopulationen. Die Tiere gehen und stehen manchmal so dicht gedrangt, dass man kaum noch den Boden sieht.

Sie grasen und gebaren auf diesem langen Zug. Sie durchqueren den Mara-Fluss, in dem Krokodile geduldig lauern. Sie sind in Begleitung von Lowen, Hyanen, Wildhunden und Leoparden, die zugreifen, wenn der Hunger kommt. Sie sind eine wichtige Nahrungsquelle fur andere gefahrdete Tiere wie Geparden oder den Afrikanischen Wildhund. Und sie sind zunehmend unter Druck durch den Menschen.

Das Serengeti-Mara-Okosystem ist ein Paradebeispiel fur die Gefahr, die die Ausdehnung der Landwirtschaft, Siedlungen, Strassen oder Zaune fur ziehende Tierarten bedeuten. Fur die Tiere ist diese Landschaft uberlebenswichtig. Sie finden oft nur noch hier Nahrung, wahrend ringsum alles verdorrt ist.

Doch die Bevolkerung wachst und mit ihr die Grosse der Viehherden. Die kenianische Regierung hat die Flachen privatisiert und in kleine Parzellen aufgeteilt, die durch Zaune getrennt sind. Das schrankt die Bewegungsfreiheit traditionell halbnomadisch lebender Massai ein und unterbricht die Wanderrouten der ziehenden Tiere.

Uberjagung und Uberfischung sind die grosste Gefahr

Die grosste Gefahr aber ist die Ubernutzung der Tiere. Jagd und Fischerei bedrohen viele wandernde Tierarten stark. Besonders tragisch: der ungewollte Beifang in der Fischerei. Fur viele marine Arten ist der Beifang eine der haufigsten Todesursachen.

Weitere Bedrohungen sind Verschmutzung, auch Licht- und Larmverschmutzung, invasive Arten und der Klimawandel. Der Klimawandel bringt das komplexe Zusammenspiel verschiedenster Faktoren aus dem Rhythmus. Oft subtil, aber mit existenziellen Folgen.

Reisezeit und Klima geraten aus dem Takt

Silke Bauer schildert diesen Taktverlust am Beispiel der Knutts. Diese Watvogel bruten in der Arktis, ziehen dort im kurzen Sommer ihre Jungen auf und uberwintern in Mauretanien an der Westkuste Afrikas: ≪In der Arktis setzt der Fruhling zunehmend fruher ein. Aber die Knutts kommen weiterhin zur gewohnten Zeit an. Das ist heute zu spat.≫

Wir konnen heute sagen: ?Schaut, diese Gebiete werden in der Zukunft sehr wichtig sein. Man kann und sollte sie daher schon heute schutzen und verbessern.?
Autor: Silke Bauer Forscherin

Die Jungvogel finden weniger Insekten zum Fressen und bleiben geringfugig kleiner als fruhere Generationen. ≪Dann machen sie sich auf den Herbstzug nach Afrika und dort werden Ihre etwas kleineren Schnabel zum Problem.≫ Denn die jungen Tiere erreichen ihre bevorzugte Nahrung im Watt ? Schnecken, Muscheln, Wurmer ? nicht mehr so gut. Ihre Uberlebensrate sinkt.

Heute schutzen, was morgen wichtig ist

Forschende wie Silke Bauer beziehen den Klimawandel in ihre Modellierungen mit ein. Sie prognostizieren, wo die Zugbewegungen der wandernden Tiere in Zukunft verlaufen werden.

≪Wir konnen heute sagen: ?Schaut, diese Gebiete werden in der Zukunft sehr wichtig sein. Man kann und sollte sie daher schon heute schutzen und verbessern.?≫ Denn diese Regionen und Lebensraume sind die Perlen von morgen.

Radio SRF 4 News, 22.02.2024, 05:35 Uhr

Meistgelesene Artikel