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Nix Fit for Fun - DER SPIEGEL
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Artikel 76 / 123

THEATER Nix Fit for Fun

≫Ein Sportstuck≪ von Elfriede Jelinek (Buch) und Einar Schleef (Regie): Urauffuhrungsmarathon im Wiener Burgtheater
Von Urs Jenny
aus DER SPIEGEL 6/1998

Grandios war die Sache schon durch ihre Lange. Wann je hat denn eine Staatstheaterpremiere uber sechs Stunden gedauert, mehr also, als der schlappste Marathonlaufer fur seine Strecke braucht? Naturlich hatte die Darbietung ebensogut vier oder sieben oder neun Stunden dauern konnen, dafur liefert Elfriede Jelineks ≫Sportstuck≪ Stoff genug, und dem Regisseur Einar Schleef fallt, wenn er seine Truppe erst mal warmtrainiert hat, auch zu wenig Stuck viel ein: immer wohldiszipliniert, immer auf Mittelachse, denn Ordnung muß sein.

Nicht jedermann halt, wie Elfriede Jelinek, den Autor und Theatermacher Einar Schleef fur ein Genie, ≫vielleicht das einzige, das die Deutschen nach 1945 hervorgebracht haben≪. Es genugt auch, daran zu erinnern, daß dieser stets reflexhaft als ≫Buhnenberserker≪ etikettierte Schleef einer aus der kleinen Handvoll von Regisseuren ist, die in der allgemeinen deutschen Theaterdammerung uberhaupt noch einen gewissen Furor hervorzubringen vermogen. In seiner chorisch-rhythmischen Schwerarbeit steckt die ganze große Unerschrockenheit des Uberzeugungstaters; er hat die Kraft, auf einen toten Sack einzudreschen, bis der sich zur Auferstehung bequemt; freilich stapft er auch mit der Wucht einer Ein-Mann-Elefantenherde durch die Theaterseelenlandschaft, und so wachst nach ihm kein Gras mehr.

Merkwurdig, wie dieser dampfende, immer blutwarme, brunftwarme Germane Schleef und die kuhle, beruhrungsscheue, mit allen Stacheln der Eleganz und Ironie gewappnete Osterreicherin Elfriede Jelinek in dieser ≫Sportstuck≪-Unternehmung einen Gleichklang gefunden haben. Chore, Chore, Chore seien ≫das einzige, was unbedingt sein muß≪, hatte die Autorin fur ihr jungstes Buhnenwerk gefordert (ansonsten ≫machen Sie, was Sie wollen"), weshalb sie sich den Choreomanen Schleef als ersten Regisseur wunschte - und er hat sich auf seine bekannte Eigenart revanchiert, indem er sich von den Regieanweisungen oder -vorschlagen ihres Textes nicht das geringste zu eigen machte.

Die Handlung konnte er nicht demontieren, denn, so Jelinek, ≫es gibt eh keine≪. Ihr ≫Sportstuck≪ besteht großtenteils aus pathetisch-ironischen, oft ununterbrochen viele Buchseiten langen Chor-Vortragen oder Tiraden von Einzelfiguren, als deren zentrales Thema der Sport zu erkennen ist. Fazit: Er sei, entgegen landlaufiger Auffassung, nicht gesund. Davon handelt das Stuck, so Jelinek, ≫vielleicht aber auch von was ganz andrem≪.

Durch schiere Monumentalisierung gibt Schleef der Sprodheit dieses monomanen, nur in wenigen Wechselreden dialoghaften Textes Theaterkraft. Er zelebriert das ≫Sportstuck≪ in starren Arrangements als Oratorium, oft akzentuiert durch Gesangseinlagen nach Mozart oder Verdi, Volksliedern oder Schlagern, und er laßt (wie immer) auch ausgiebig exerzieren, die Chorherren gelegentlich nackt, die Damen gern in weitausladenden, entkorperlichenden Krinolinen: Die Verabsolutierung der Geschlechterpolaritat ist ja fur ihn wie fur Jelinek ein Kunsttrieb, wenn nicht Ziel.

Das Lebens- und Schaffensmotiv, in dem Schleef und Jelinek, Mann und Frau, ihren Gleichklang gefunden haben, ist die Vision einer allgegenwartigen, alles uberragenden, so verheißungsvollen wie angstmachenden Mutterfigur (Vater glanzen in dieser Welt immer durch Abwesenheit): Vor ihr krummt der nichtswurdige Sohn sich, um durch Hingabe ihren Haß zu uberwinden; fur sie will er Weltmeister (in was auch immer) werden; ihr liefert er im ≫letzten Liebesakt, den ich ihr schulde≪, seinen Tod. Manchmal verwandelt sich Elfriede Jelinek, mitgerissen von der eigenen Suada, in eine rasende Verbalisierungsmaschine, fur die - vom Liegen zum Lugen, vom Termin zum Terminator, vom Kreuz auf dem Lottozettel zum Grabkreuz - der Assoziationszwang zum Beziehungswahn und zur Sinnstiftung wird. Kunstproduktion (da reicht Schleef ihr die Hand) ist Freisetzung von Vernichtungsphantasien.

Naturlich handelt dieses ≫Sportstuck≪ nicht wirklich von etwas so Blodem und Banalem wie Sport, vielmehr jauchzt die Sportler-Mutter, die ihren Sohn auf Leben und Tod ins Turnier hetzt: ≫Krieg! Krieg! Jubeln! Freuen! Frohlocken!≪ Nur ein toter Sportler ist ein großer Sportler, und deshalb ist das ≫Sportstuck≪, das Schleef mit der Feierlichkeit eines Passionsspiels auffahren laßt, letztlich ein Totentanz.

Es ist ja nicht die Art Elfriede Jelineks, dieser Großmeisterin des Hohnens, sich auf die Ebene der sogenannten Realitaten, zum Beispiel des Sports, hinabzubegeben und sich diskursiv mit Wohl oder Wehe des Phanomens auseinanderzusetzen. Sie hat (und erst das macht sie zur Dichterin) eine Vision, in die nur paßt, was ihr paßt.

So wie zur Frau (nicht weniger hassens- und verhohnenswert) die Idee der Geburt gehort, Mutterschaft also und Mutterlichkeit, so gehort zum Mann die Idee des Todes: ≫Der Tod ist das einzig mogliche Auftreten des Mannes.≪ In dieser Jelinekschen Vernichtungsphantasie (deren reale Vorbilder durchaus zu identifizieren sind) macht es keinen Unterschied, ob ein Hooligan mit der Bierflasche seinem Gegenspieler den Schadel zermatscht, ein Skirennlaufer mit seinem Auto auf der Gegenspur frontal in einen Bus hineinrast oder ein Bodybuilder sich mit Anabolika zum Fleischberg mastet, bis er platzt: Diese Idee hat nichts Olympisches, weshalb ihre beiden fuhrenden Funktionare die Namen Hektor und Achill tragen: Sport ist Krieg, Sport ist Mord.

Der Sport-Gott, der uber allem strahlt, ist Osterreichs großter Sohn, Arnie der Steirermann in Hollywood: In seiner Nachfolge hat sich der (bei Schleef von einer tanzerisch graziosen Frau verkorperte) Bodybuilder an seinem ≫Chemiebaukasten≪ zu Tode gefuttert und traumt nun, wahrend an ihm schon die Maden futtern, von Auferstehung: ≫Wenn Jesus das konnte, dann schaffe ich es auch noch! Ich muß eben noch harter trainieren.≪

Doch es gibt in dieser martialischen Sportsmannerwelt auch eine (bei Schleef von einem Mann dargestellte) Frau: Die große Giftmorderin, die ≫professionelle Witwe≪, die Mann um Mann erst um seine Ersparnisse, dann um sein Leben erleichtert hat: ≫Das Toten ist einfach mein Lieblingssport!≪ Dagegen allerdings setzt das Stuck andeutungsweise den Entwurf einer weiblich-narzißtischen Utopie, das Reich der Megamodels: ≫Claudia, Naomi, Helena, Christy, Amber, Brigitte und Susi≪. Diese Anrufung einer entruckten Amazonenwelt hat Schleef dazu verleitet, im Schlußteil der Auffuhrung ein kritisches Stuck weit uber Jelineks Entwurf hinauszuschießen: Ein wiegender Reigen von Madchen in Rokoko-Krinolinen rezitiert mit Piepsstimmchen Passagen aus Kleists ≫Penthesilea≪.

Am wenigsten, scheint es, hat Schleef den Hohn goutiert, mit dem die Figuren das ganze Stuck hindurch uber ihre Autorin herziehen: ≫Sie, Frau Autor, warum sind Sie denn so aggressiv?≪ Bei der Premiere ist Schleef in der Schlußszene, wo laut Text die beschimpfte Autorin auftreten sollte, in Person auf die Buhne getaumelt, barfuß im Frack, als begnadeter Stammler seiner Ratlosigkeit vor dem Finale. Dieser Schluß sah jedoch, uberraschende Abwechslung, in der dritten Vorstellung anders aus: In der Rolle der ≫Autorin≪ kam Elfriede Jelinek selbst, die angeblich so publikumsscheue, uber die riesige leere Burgtheaterbuhne aufs Publikum zu und trug die letzte Passage ihres Totentanz-Stuckes vor - kein Sport mehr, kein Hohn mehr, sondern elegischer Abschied: ≫Wenn einer tot ist, dann kommt er nicht zuruck.≪

Einar Schleef wird immer ein Primitiver bleiben, weil er Ideen nicht entwickeln, Motive nicht durchfuhren mag, sondern jeden Einfall geballt hinhaut, Bild um Bild, Trumm um Trumm. Bei der Premiere war sein ≫Sportstuck≪ gute sechs Stunden lang, zwei Abende spater auf funf gekurzt, doch eine allumfassende und wahrhaft erschopfende ≫Langfassung≪ soll (laut Programmheft-Ankundigung) erst im Marz auf die Burgbuhne kommen. So oder so: In manchem Sinn kommt eine Sache wie dieses ≫Sportstuck≪ dem Maximum nah, was mit großem Theater noch auf die Beine zu bringen ist: Es ist wahnhaft, es ist ernsthaft, es ist keine Sekunde eitel.

Urs Jenny