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Brieftrager und Showmaster | NZZ
Kommentar

Brieftrager und Showmaster

Mit den Schutzmachtmandaten in Kuba und den USA verliert die Schweiz ein diplomatisches Aushangeschild. Fur Gute Dienste bleibt sie pradestiniert ? mit Vorbehalten.

Marcel Amrein
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Am kommenden Montag wird das vielstöckige, etwas grobe Betongebäude an Havannas Uferstrasse Malecón wieder das, was es 1961 aufhörte zu sein: die Botschaft der Vereinigten Staaten in Kuba. Gleichentags wird auch an der Stadtvilla in Washington, wo die kubanischen Diplomaten ihrem Tagewerk nachgehen, das Schild mit dem Vermerk «Schweizerische Botschaft» hinfällig. Die Eidgenossenschaft ist ab jenem Tag ihrer langjährigen Aufgabe entledigt, für die gegenseitige Interessenvertretung der beiden Länder zu sorgen.

Die Symbolik ist weit bedeutender als die Substanz. Längst läuft der diplomatische Verkehr nur noch formell über die Schweiz. Damit unterscheidet sich das Arrangement deutlich vom weit umfassenderen Mandat, das die Schweiz in Iran als Schutzmacht der USA wahrnimmt. Mit dem Atomabkommen von dieser Woche sind zwar auch die Beziehungen zwischen Washington und Teheran in eine neue Phase getreten. Sie bleiben aber von derart tiefem Misstrauen geprägt, dass das Mandat wohl noch auf Jahre hinaus Bestand haben wird.

Nachfrage hat sich gewandelt

Die grosse Zeit der Schutzmachtmandate ist gleichwohl vorbei. Eine Renaissance ist nie ausgeschlossen, doch die Entwicklung scheint eindeutig: Ab nächster Woche wird die Schweiz noch 4 Mandate halten. 1989, im Jahr des Mauerfalls, waren es deren 12 und 1946, nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht weniger als 54. Es ist schlicht aus der Mode gekommen, diplomatische Beziehungen abzubrechen. Zwar gewann die Schweiz 2008 und 2009 zwei frische Mandate hinzu, diejenigen Russlands und Georgiens für den jeweils anderen Staat. Diese Ausnahme dürfte aber eher die Regel bestätigen angesichts der Tatsache, dass in jener Weltgegend die internationalen Beziehungen allzu sehr nach den Gepflogenheiten des 19. statt nach denen des 21. Jahrhunderts ablaufen.

Als «Briefträgerdienste» werden die Schutzmachtmandate in der Schweiz bisweilen belächelt. Doch etwas Wehmut ruft das Ende des amerikanisch-kubanischen Doppelmandats trotzdem da und dort hervor. Die Wahrnehmung fremder Interessen erscheint gleichsam als die klassische Form der Guten Dienste, mit denen die Schweiz traditionell internationale Spannungen zu überbrücken oder zu mindern hilft. Derlei Dienstleistungen sorgen für Ansehen und geben der Schweizer Neutralität einen zusätzlichen, altruistischen Sinn. Im Fall der auslaufenden Mandate mögen sie sogar nostalgische Erinnerungen an die Zeit des Kalten Kriegs wecken, als der Platz der Schweiz in der Welt scheinbar klarer war als heute. Vor Verherrlichung sei gewarnt: Schliesslich forcierte die Schweiz die Guten Dienste vor Jahrzehnten auch deshalb, weil das Prestige der Neutralität nach dem Zweiten Weltkrieg arg angeschlagen war. Die Kuba-Mandate deuten zudem auf den Grundwiderspruch der Schweiz im Kalten Krieg hin, den sie als «westlicher Neutraler» durchlief. Bis 1991 hatte sie nämlich nur das amerikanische Mandat inne. Das kubanische oblag der kommunistischen Tschechoslowakei.

Gehen die Schutzmachtmandate zur Neige, heisst das keineswegs, dass die Guten Dienste generell passé sind. Unterschiedliche Epochen verlangen unterschiedliche Formen. Bis zum Ersten Weltkrieg engagierte sich die Schweiz stark in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, danach wurde diese Dienstleistung obsolet. Gegenwärtig besteht die offensichtlichste Tendenz darin, dass sich der Bedarf von Guten Diensten von der bilateralen auf die multilaterale Ebene verlagert. Die allerjüngsten Leistungen der Schweiz dürfen sich dabei zweifellos sehen lassen. Namentlich als Gastgeberin bedeutsamer internationaler Konferenzen stach sie hervor, etwa zu Syrien, aber auch zweimal (2013 und 2015) zu Iran, womit sie das Ihrige zum jetzt erreichten Abkommen beitrug. Freilich dem Zufall geschuldet war die andere prominente Rolle der Schweiz, der Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) just im Jahr der beginnenden Ukraine-Krise. Dass es gerade die Schweiz und die Person des damaligen Bundespräsidenten Didier Burkhalter traf, war aber kaum die schlechteste Variante, die sich denken lässt.

Mit ihrem tradierten Know-how, ihrer Reputation und ihrer Infrastruktur hat die Schweiz beste Aussichten, auch in Zukunft bedeutende Gute Dienste zu leisten. Dreierlei Vorbehalte seien aber angebracht. Erstens steht die Schweiz als Anbieterin nicht allein da: Die Konkurrenz hat zugenommen. Deutlich zeigt sich das bei einer speziellen Form der Guten Dienste, der Rolle eines Gaststaats für internationale Organisationen. Das internationale Genf muss sich längst mit Städten wie Wien, Den Haag oder Bonn messen, künftig wohl auch stärker mit aussereuropäischen Metropolen. Nur vermindert oder gar nicht mehr gültig sind etliche der Vorteile, die zu Beginn ihres Aufstiegs vor rund hundert Jahren für die Stadt Genf sprachen – darunter waren etwa die Eisenbahnverbindungen, die Diplomatensprache Französisch und sogar, in den Augen von Völkerbunds-Inspirator Woodrow Wilson, die protestantische Konfession. Hingegen sind gewichtige Nachteile dazugekommen, so das exorbitante Preisniveau.

Zweitens darf das traditionelle Markenzeichen der Schweizer Aussenpolitik, die Neutralität, nicht überschätzt werden. Zumindest deren Kerngehalt spielt bei der Erbringung von Guten Diensten meist eine untergeordnete Rolle. Qualitäten wie die machtpolitische Enthaltsamkeit der Schweiz oder die weitgehend unproblematische Historie sind gewiss bedeutsam, finden sich aber ähnlich auch bei nicht neutralen Staaten – etwa bei Nato-Mitglied Norwegen, das in der Erbringung von Guten Diensten der Schweiz zumindest ebenbürtig ist.

Bereitschaft ohne Aufdringlichkeit

Drittens droht die Diplomatie der Guten Dienste dann zu missraten, wenn sie von der Hybris ergriffen wird. Bei den jüngsten Konferenzen am Genfersee genügte sich die Schweiz weitgehend als Hotelier. Ähnlich mischt sie sich als Schutzmacht meist nicht inhaltlich ein, sondern bemüht sich einzig, den internationalen Verkehr zu erleichtern («Fazilitation», wie es im Jargon heisst). Daneben steht die Schweizer Vermittlertätigkeit, die Mediation. In deren ebenfalls langer Tradition finden sich neben unzweideutigen Erfolgen auch reihenweise Blamagen. Meist hatten sie denselben Ursprung: Die Schweiz überschätzte ihre Rolle. Sie preschte eigenmächtig vor. Sie wollte lieber Showmaster spielen als Briefträger.

Derlei Episoden der Anmassung finden sich zwar auch tief in der Ära des Kalten Kriegs, doch hat die Gefahr mit der verminderten Zurückhaltung der Schweizer Aussenpolitik zugenommen. Die reine Fazilitation reicht der Schweiz oft nicht mehr. Das führte in der jüngsten Vergangenheit zu löblichen Aktivitäten, so zur Vermittlung zwischen der Türkei und Armenien. Mit anderen Bestrebungen hat die Schweiz aber für Verärgerung gesorgt, etwa, indem sie das Schutzmachtmandat in Iran, um nochmals auf dieses zurückzukommen, bisweilen extensiver ausübte, als die Amerikaner mochten.

Die ungefähre Richtschnur ist einfach: Die Schweiz soll vermitteln – aber erst, wenn sie sich vergewissert hat, dass dies bei den massgeblichen Kräften erwünscht ist.