-
Genealogy
V
→
Wilhelm (s. 2);
Ov
→
Jacob (s. 1),
→
Ludw.
Emil (s. 4);
B
→
Gg.
Rudolf (1831?89),
Reg.rat
,
Vf.
patriot. Gedichte (s.
Kosch, Lit.-Lex.
);
?
Berlin 1859
→
Gisela (1827?89),
Vf.
v.
Marchen u. Dramen (
Ps.
Marilla Fitchersvogel, Allerlei Rauh),
T
d. Dichters
→
Achim
v.
Arnim (
†
1831, s.
NDB
I) u. d.
Bettina Brentano (
†
1859, s.
NDB
I); kinderlos;
N
Irene Forbes-Mosse (
†
1946), Dichterin (s.
NDB
V).
-
Biographical Presentation
G.
verlebte seine Kindheit in Gottingen und Kassel und besuchte nach 1841 das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Berlin. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaft und Philologie in Berlin und Bonn lebte er als freier Schriftsteller in Berlin. 1868 wurde er in absentia durch die Universitat Leipzig promoviert und habilitierte sich dann 1870 an der Universitat Berlin, an der er 1873 die fur ihn neu eingerichtete Professur fur Neuere Kunstgeschichte erhielt.
G.
wuchs in der Tradition der klassischen deutschen Literatur heran, deren Gipfel fur ihn zeitlebens Goethe war. Er kannte noch die Mitlebenden:
Marianne von Willemer, die ihm ihren Anteil am ?West-ostlichen Divan“ entdeckte,
Bettina von Arnim, seine Schwiegermutter, Kaiserin Augusta, geborene Prinzessin von Sachsen-Weimar,
Alexander von Humboldt, den Maler
Cornelius, den Bildhauer
Rauch. Daraus entwickelte sich ihm, dem Nachlebenden und Nacherlebenden, Gefuhl und Wissen um geistige Große. Das stille Wirken des Vaters und des Onkels war
G.
das Vorbild ordnender wissenschaftlicher Arbeit. Mit dieser den Maßstab geistiger Große zu gewinnen, war er bemuht. Schon der Erzahler und Dramatiker, als der
G.
begann, suchte sich Stoffe welthistorischen Maßes (Armin, Drama, 1851; Demetrius, 1854 in Berlin uraufgefuhrt) oder entscheidender Situationen im Leben Einzelner. In dem Roman ?Unuberwindliche Machte“ (1867) ist Goethes Wirkung das innere Thema.
G.
versucht mit ihm zwischen dem aristokratisch-monarchischen Europa und dem burgerlich-republikanischen Amerika auszugleichen, zu vermitteln. Amerika lernte
G.
mit den Augen
R. W. Emersons kennen, dessen Schrift uber Goethe und Shakespeare er 1857 ubersetzt hatte und dem er 1859 seine erste Sammlung eigener ?Essays“ widmete. Sie wechselten gelegentlich Briefe, doch nur fur einen Tag, im Marz 1873 haben sich
G.
und Emerson uberraschend getroffen ? in Florenz! ? In
G.
bildete sich die Vorstellung aus, daß der Psalmist David, Homer,
→
Dante, Shakespeare und Goethe ? zwei unter ihnen sind Germanen, betonte er ? als ?Reprasentanten der Menschheit“ (Emerson) und als Ausdruck einer ?nationalen bildenden Phantasie“ aufzufassen seien. Maßstab ihrer Große war in
G.
s Augen die Wirkung, die sie auf ihr jeweiliges Volk ausgeubt hatten und auf die Gegenwart des Menschengeschlechtes auszuuben vermochten. Zu ihnen hat er Raffael als ?Weltmacht“ gesellt. Goethe und Raffael stellten sich ihm als Kulturzentren dar, die ihm unzertrennbar schienen. Dennoch hatte sich
G.
in seiner ersten Biographie Michelangelo zugewandt; dieser hatte sich am ehesten in ein umfassendes Zeit- und Kulturgemalde einzeichnen lassen. Mit der gleichen Auffassung von Zeit und Personlichkeit trat er dem homerischen Problem gegenuber und behauptete, daß Ilias und Odyssee von einem Dichter stammen mußten. Dichter und Nation, der Genius und seine Zeit waren das Thema seiner Goethe-Vorlesung, mit der
G.
sein Berliner Ordinariat antrat. Der Reichtum bedeutsamer Bezuge im Schaffen
G.
s macht seine Schrift uber Leonore d'Este aus Goethes Tasso interessant; sie war
G.
s Geschenk zur Goldenen Hochzeit des Großherzogs
Karl Alexander von Sachsen-Weimar und seiner Gattin Sophie (1892) ? ein Bekenntnis zur Einheit, die Weimar, Renaissance und Orient umfaßte und fur Goethe ihr Urbild hatte in der fernen ?Zeit der Barmekiden“.
Die fast priesterliche Auffassung von geschichtlicher Große machte
G.
nicht blind fur das wissenschaftlich-literarische Schaffen und das politische Denken seiner Zeit. Auch hierin ist er Goethe ahnlich. Von seinem Weltbilde aus mußte er sie, die er in seine Betrachtungen einbezog, vor allem menschlich deuten:
Alfieri und
Byron,
Treitschke und
→
Bismarck,
Cornelius und
Wiertz, von
Carstens und
Schadow bis zur Berliner Sezession. Hier werden die Grenzen seines Urteils deutlich. Gewiß ist das Kunstwerk fur ihn Zeugnis gestaltender Große, die mehr ist als der Mensch, der es in der Vergangenheit schuf. Aber er sieht nicht die Form, er denkt sich den Geist der Kunst. In diesem Sinne verbindet er eingehende Werkinterpretation mit umfassender Quellenkenntnis. Von dorther richtet er seinen ernsten Blick auf das Personliche geistiger Eminenz. Fernab der von ihm als demokratisch bezeichneten Entwicklungsdeutung der Kunst, die mit seinem Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl,
H. Wolfflin, die Kunstwissenschaft beherrschen sollte, blieb er der aristokratischen Auffassung personaler Leistung treu.
G.
war mehr ein Lehrender als ein Gelehrter ? oft genug im Streit mit der gelehrten ?Zunft“. Geschichte in die Gegenwart einwirken zu lassen, war das Amt, dem er sich verpflichtet fuhlte. So lehrte er in einer geschichtsbewußten Gegenwart uber eine Vergangenheit, von der er wußte, daß sie unwiederbringlich war. Er bejahte diesen Untergang, weil er glaubte, daß die Zukunft bedeutender sein werde als die eigene Zeit. So hat er den Geist des Wilhelminischen Zeitalters mit gepragt.
|
-
Awards
Dr. jur.
h. c.
(Harvard College, Cambridge/
Mass.
),
Geh.
Regierungsrat (1884), Friedensklasse
d.
Ordens Pour le merite (1896, gleichzeitig mit Bismarck).
-
Works
Weitere
W u. a.
Leben Michelangelos, 2 T., 1860/63,
11
1905,
hrsg.
v.
R. Steig,
Ill.
Jubilaums-
Ausg.
1899,
engl.
London 1865, ²Edinburgh 1865, neue
Ausg.
Boston 1896,
franz.
u.
ital.
1864; Uber Kunstler u. Kunstwerke, 1. u. 2.
Jg.
, 1865 f.
(
P
)
; Goethe, Vorlesungen, 1876, ⁴1887; Das Leben Goethes, neu
bearb.
u.
eingel.
v.
R. Buchwald, 1939, ²1959,
engl.
Boston, Cambridge 1880; Das Leben Raphaels, 1872
(als Kommentar
z.
Raf
Raffaels-Vita
faels-Vita d. G. Vasari)
,
²
Ausg.
d. 1.
Bd.
u. Abschluß in 1
Bd.
1886, ³1896,
engl.
London, Boston 1889; Homer, Ilias, 2 T., 1890/95, ²1907. -
Verz.
d. 1858-97 in
versch.
Ausg.
ersch.
Essays
in: Fragmente, 2
Bde.
,
hrsg.
v.
R. Steig, 1902,
Bd.
2, S. 270-72
(
P
)
; Essays,
hrsg.
u. eingeleitet
v.
R. Welz, 1964; Vorwort
z.
Weimarer
Ausg.
d. Werke Goethes, 1887. -
Briefe:
Correspondence between
Ralph Waldo Emerson u. H.
G.
,
ed.
F. W. Holls, Boston u. New York 1903
(
P
)
;
Ungedr. Briefe:
Lit.
-Archiv d.
Dt.
Ak. d. Wiss.
zu Berlin (an W. Scherer);
Slg.
Ulrich Pretzel, Hamburg (an E. Schmidt); Murhardsche
Bibl.
Kassel; Goethe-Schiller-Archiv, Weimar (an
Ghzgn.
Sophie von Sachsen-Weimar).
|
-
Archival Ressources
Nachlaß:
vgl.
H. Daffis, in: Inventar d.
G.
-Schranke in d.
Preuß.
Staatsbibl.
, =
Mitt.
aus d.
Preuß.
Staatsbibl.
5, 1923.
-
Literature
.
E.
v.
Wildenbruch, Zur Erinnerung an H.
G.
, 1901;
A. Heusler, Kleine
Schrr.
, 1943;
H. Wolfflin, Kleine
Schrr.
(1886?1933),
hrsg.
v.
J. Gantner, 1946, S. 194-97;
W. Waetzold,
Dt.
Kunsthistoriker II: Von Passavant bis Justi, 1924, S. 214-39;
H. Uhde-Bernays, Mittler u. Meister, 1948, S. 68-101;
G. Jenkel,
G.
als Essayist,
Diss.
Hamburg 1949
(
ungedr.
)
;
J. Hofmiller, Letzte Versuche, ²1952, S. 41-47;
G. Kozielek, H.
G.
ub.
s. Drama ?Rotrudis‘, in:
DVjS
38, 1964, S. 139-45
(mit Briefen)
;
R. Steig, in:
BJ
VI, S. 97-111;
Kosch, Lit.-Lex.
(
W
,
L
)
. -
In Vorbereitung:
H. J. Mey, H.
G.
(
Monogr.
)
;
-
Mitt.
v.
E. Redslob u. U. Pretzel, eigene Archivstud.
-
Zu Ehefrau:
L. Dramaliewa,
G.
v.
Arnim, Leben, Personlichkeit u. Schaffen,
Diss.
Leipzig 1925;
Kosch,
Lit.
-
Lex.
-
Portraits
Kassel, Murhardsche
Bibl.
;
F. Behrend,
Gesch.
d.
dt.
Philol.
in Bildern, 1927, S. 65.
-
Author
Wolfgang Freiherr von Lohneysen
-
Citation
Lohneysen, Wolfgang Freiherr von, "Grimm, Herman" in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 79-81 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118697773.html#ndbcontent