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Genealogie
Aus bis ins 16. Jahrhundert in Hessen nachweisbarem Geschlecht, dessen Vertreter vielfach Bader und Wundarzte waren;
V
Ernst (1786?1861), Arzt in Goddelau und Darmstadt, zuletzt Medizinalrat,
S
des Arztes Jakob in Reinheim (Hessen) und der
Math.
Vorwerk aus Mannheim;
M
Luise Caroline (1781?1858),
T
des Spitalverwalters und Regierungsrats Georg Reuß in Hofheim im Ried;
B
→
Wilhelm (1817?92), Pharmazeut, spater Besitzer der 1. Ultramarinfabrik in Pfungstadt, Abgeordneter im hessischen Landtag und im Reichstag,
→
Ludwig s. (3),
→
Alexander (1827?1904), Novellist, Professor der Literatur und der deutschen Sprache an der Universitat Caen (Frankreich);
Schw
Mathilde (1815?1888),
→
Louise (1821?78), Schriftstellerin und Frauenrechtlerin; ledig.
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Biographie
Nach Besuch des Gymnasiums in Darmstadt 1825-31 studierte
B.
von Herbst 1831 bis Sommer 1833 Naturwissenschaften, insonderheit Zoologie und vergleichende Anatomie in Straßburg. In jener Zeit verlobte er sich mit
Luise Wilhelmine (Minna, 1810?80), der Tochter des Pfarrers
Johann Jakob Jaegle, in dessen Haus er wohnte. Seine fortgesetzte Ausbildung, die sich nun vorwiegend der praktischen Medizin zuwendete, betrieb er an der hessischen Landesuniversitat Gießen. Im Zusammenhang mit dem in Gießen sich manifestierenden politischen Interesse linksradikaler Art beteiligte sich
B.
an der Grundung der ?Gesellschaft fur Menschenrechte“. Gemeinsam mit
August Becker und dem Butzbacher Rektor
Friedrich Ludwig Weidig gab er im Juni 1834 anonym den ?Hessischen Landboten“ heraus, eine an die Bauernschaft sich richtende revolutionare Flugschrift. Eine infolge dieser Publikation eingeleitete polizeiliche Untersuchung ergab die Autorschaft
B.
s, der im Marz 1835 nach Straßburg floh und seit Juli steckbrieflich verfolgt wurde, zur großen Erbitterung des freiheitlich denkenden, aber unrevolutionar sich verhaltenden Vaters. In Straßburg fuhrte
B.
die medizinischen Studien fort, beschaftigte sich mit Cartesius und
→
Spinoza, verdeutschte die Dramen Victor Hugos ?Lucretia Borgia“ und ?Marie Tudor“ (erschienen 1835). Gegen Jahresende begann die Arbeit an der Abhandlung ?Memoire sur le systeme nerveux du barbeau“, die er im April und Mai 1836 in der Societe d'Histoire Naturelle, deren Mitglied er geworden war, vorlas. Die Vorlage dieser Arbeit bewirkte vier Monate spater die Promotion
B.
s zum
Dr. phil.
der Universitat
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Zurich, wo er nach Abhaltung einer Probevorlesung (?Uber Schadelnerven“) zur Privatdozentur auf dem Gebiet der Naturgeschichte zugelassen wurde. Eine am 2.2.1837 sich bemerkbar machende typhose Erkrankung endete todlich (als Todesursache wurde ?Nervenfieber“ angegeben). Die Bestattung erfolgte am 21.2. auf dem Zurcher Friedhof Zum Krautgarten.
Das Schicksal von
B.
s Nachruhm wurde stark bestimmt durch die Politisierung der ihn betreffenden Auffassungen. Konservative Betrachter haben lange
B.
s Werk, sofern es nicht ganz oder halb verschwiegen wurde, eher unterschatzt als gewertet, linksradikale Kritiker es als fruhe sozialistische Kampfdichtungen unter Verzicht auf jede asthetische Kritik vorbehaltlos gepriesen. Solche vorurteilsvolle Einschatzung ubersah die Tatsache, daß sich
B.
s kurzes Leben zu einer Ganzheit gerundet haben durfte, die zwar intensiven revolutionaren Elan in sich schloß, aber auch dessen schopferische Uberwindung.
B.
, der Herausgeber der ersten kommunistischen Zeitschrift Deutschlands, scheint im Ablauf seiner dichterischen Entwicklung das Fazit jugendlicher Revolutionstraume gezogen zu haben und gab vielleicht schon mit seinem ersten Drama eine Antwort auf diese, die Selbstanklage war. Aus dem letzten Lebensabschnitt
B.
s liegen schwerwiegende Briefstellen sowie Zeugnisse von ihm nahestehenden Personen vor, die zum mindesten die Vermutung rechtfertigen, daß er sich einem eher konservativ gearteten Weltbild zugewendet habe, welches in Widerspruch mit den fruheren politischen (doch nicht mit seinen antiidealistisch-naturwissenschaftlichen, von Tendenzen zum Nihilismus durchsauerten) Anschauungen stand. In engster Bahn hat er den vollen Kreis des Daseins durchsturmt. Es durfte daher kaum zutreffend sein, die Episoden des ?Hessischen Landboten“ und der politischen Emigration vorbehaltlos zu verabsolutieren.
Das von sehr realistischer Gesinnung erfullte, alle deutschen veristischen Bestrebungen auf dem Gebiet des Dramas vor dem Ausbruch des Naturalismus ubertreffende Stuck ?Dantons Tod“ (1835, Erstauffuhrung 1902 im Berliner Belle Alliance-Theater) hat trotz gewissen Unvollkommenheiten geniale Zuge. Ziel dieses Dramas ist es, die Geschichte unmittelbar, so wie sie wirklich gewesen, widerzuspiegeln, ohne Rucksicht auf Sittlichkeit oder Unsittlichkeit. Der Held Danton ist ein kraftvoller Mensch, der alle Luste der Macht und des Daseins genossen hat und dem, leidenschaftlich im Leben verhaftet, vor dem revolutionaren Fanatismus des selbstgerechten Moralideologen Robespierre zu grauen beginnt. Das nachste Werk, das Lustspiel ?Leonce und Lena“ (etwa 1836 entstanden, Erstauffuhrung durch eine Liebhabertruppe in Munchen 1885) hat geringeren politischen und sozialkritischen Einschlag, ist vor allem eine an Shakespearesche Spielkunst erinnernde serene Komodie romantischer Artung, die mit den keineswegs Sozialrevolutionaren - allerdings ebensowenig burgerlichen oder jungdeutschen - Worten ausklingt: ?Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zahlen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blute und Frucht.“ Die vermutlich 1836 in Straßburg niedergeschriebene Szenenreihe ?Woyzeck“ (nicht ?Wozzeck“, Erstauffuhrung 1913 im Residenztheater zu Munchen) ist trotz ihrem fragmentarischen Charakter voll starkster dramatischer Schlagkraft, hintergrundig-dynamische Gestaltung des Schicksals eines armen und dumpfen Menschen, dessen naiv-opferwilliges Ethos in einer elementaren Verwirrung der Gefuhle verstromt. Bei starkster Wirklichkeitsbezogenheit der meisten Szenen verdichtet sich die magische Kraft eines ?panischen Grauens“ so sehr, daß man hier weniger von einem Werk verfruhten Naturalismus' als von einem Zeugnis vorweggenommener, Menschen und Dinge von innen erhellender Uberwirklichkeitskunst sprechen muß. Ebenso stark hat auf die jungen Generationen seit Anbruch des Expressionismus das stilistisch uberaus verdichtete, Temposteigerung des Vortrags und Prazision der Einlebung verbindende Novellenbruchstuck ?Lenz“ (etwa 1836 entstanden) gewirkt, welches von einem Maximum an Modernitat erfullt ist und nach Jahrzehnten der Nichtbeachtung ein eifersuchtig umworbenes Vorbild ehrgeiziger Erzahler wurde. Ein als Meisterleistung geschildertes ?Pietro Aretino“-Drama hat
B.
s Braut viele Jahre nach seinem Tod aus Abneigung gegen die Familie
B.
vernichtet.
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Werke
Weitere
W
Nachgelassene
Schrr.
, 1850;
Samtl. Werke u.
hs.
Nachlaß,
hrsg.
v.
K. E. Franzos, 1879
(mit Erstdr. d. ?Woyzeck“)
;
samtl. Werke u. Briefe,
hrsg.
v.
F. Bergemann, 1922, ³1940
(maßgebende
wiss.
Ausg.
)
.
-
Literatur
ADB
III;
A. Renker, G.
B.
u. d. Lustspiel d. Romantik, 1924, = Germ.
Stud.
34;
R. Majut,
Stud.
um
B.
, ebenda 121, 1932;
A. Pfeiffer, G.
B.
, 1934;
J. Strohl, L. Oken u. G.
B.
, in:
Schrr.
d. Corona 14, Zurich 1936;
K. Vietor, G.
B.
als Politiker, Bern 1939;
ders.
, G.
B.
, Politik - Dichtung -
Wiss.
, Bern 1949;
P. Schmid, G.
B.
, ebenda 1940;
E. Alker, War
B.
ein revolutionarer Dichter?, in: Neophilologus 27, Groningen 1942;
H. Mayer, G.
B.
u. seine Zeit, 1946;
E. Diehm, G.
B.
s Leben u. Werk, 1946;
L. Buttner, G.
B.
, Revolutionar
|
u. Pessimist, 1948;
H. Oppel, Die trag. Dichtung G.
B.
s, 1951;
G. Lukacs, Der faschist. verfalschte u. d.
wirkl.
G.
B.
, in:
Dt.
Realisten d. 19.
Jh.
, Bern 1951;
s. a.
Korner
, S. 379 f. -
Zu Louise:
ADB
III;
Hess.
Biogr.
I, S. 84;
A. Bousset, 2 Vorkampferinnen f. Frauenbildung L. 3. u. Marie Calm, 1893;
Kosch,
Lit.
Lex.
I
(auch f.
B
Alex.
).
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Portrats
P
Zeichnung
v.
A. Hoffmann (Stadtarchiv Darmstadt)
.
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Autor/in
Ernst Alker
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Zitierweise
Alker, Ernst, "Buchner, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 720-722 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118516906.html#ndbcontent