Die schonsten Sympathietrager der Werbung sind dick, alt, faltig ? und frohlich. Der Hersteller der Pflegeserie ≫dove≪ wirbt seit geraumer Zeit mit Frauen, die nicht dem gangigen Schonheitsideal entsprechen ? und hat damit riesigen Erfolg. Die Frauen sind Helden der Reklame, fehlbar und so unvollkommen wie jedermann, keine Stereotype, Schauspieler oder Comic-Figuren. Erst war es nur ein Versuch, doch inzwischen folgt eine dove-Kampagne der nachsten.

Wie fortschrittlich das ist, zeigt ein Blick auf die beliebtesten Werbefiguren der vergangenen Jahrzehnte. Es sind nicht Verona Pooth oder Dieter Bohlen, auch nicht Claudia Bertani ? mehr zu der rockschwingenden Kirschtesterin spater. Der traditionelle Held deutscher Werber ist eher dick um die Huften, behaart und sieht, Verzeihung, kein bisschen erotisch aus, obwohl er steif und fest behauptet: ≫Nichts geht uber Barenmarke!≪ Der Barenmarkenbar macht sich seit 1892 zum Handlanger gezuckerter Milchpulvermilch, und bis heute hat er nichts von seinem Och-ist-der-suß-Eindruck eingebußt. Es scheint, als kauften die Kunden Barenmarke vor allem wegen ihrer Identifikationsfigur ? und nicht etwa wegen ihres Geschmacks.

Baren eignen sich tatsachlich ganz besonders gut als Sympathietrager, was nicht zuletzt die Begeisterung furs Berliner Eisbarenbaby Knut bewiesen hat: Baren gelten als knuddelig, aber auch als autoritar groß, als schmusig-weich und als verlasslich. Mithin wurden Eis- und Braunbaren nicht nur zum Kondensmilch-Star. Sie preisen Toilettenpapier (Charmin), Filmrollen (Agfa) und Knabbergeback (Pombar) an. Sogar zum Maskottchen von Landminen-Opfern wurden sie (Rotes Kreuz). Allerdings mit einem verkruppelten linken Bein, so viel Plusch-Authentizitat muss sein.

Werbefiguren sind immer mehr als niedliche Darsteller eines Konsumproduktes, sie spiegeln auch die Angste und Sehnsuchte der Gesellschaft, selbst die Angste, um deren Existenz diese bisher noch gar nicht wusste. Und wenn sie gut sind, liefern sie dessen Losungen gleich gratis mit. Kann Toilettenpapier reißen? Ja, aber nicht, wenn man Charmin nimmt.

Wer erinnert sich noch an die Ace-Oma, die die Welt mit Hilfe ≫milder Bleiche≪ (das ist so ahnlich wie kalorienarmes Fett oder gesunde Cola) retten wollte, oder die verwegenen Calgon-Manner ohne Furcht und Tadel, die ihren taglichen Kampf mit dem ≫Lochfraß≪ aufnahmen?

Wer liebte nicht Peter von Frosta, den Sarotti-Mohren oder diesen quietschdummen Ultje-Mann (≫Kaum steh ich hier und singe…≪)? Die meisten Kinder mochten Lurchi, Zentino oder Flat Eric. Frauen finden eher den ≫kleinen Hunger≪ von Muller zum Knuddeln, Manner werden bei besagter Claudia Bertani schwach. Wahrscheinlich kennt jeder mehr Werbehelden als Schwippschwager, Nenncousins und angeheiratete Onkel dritten Grades. Vor allem aber haben die Heilsbringer des guten Konsums langst die Aufgaben einer gut funktionierenden Großfamilie ubernommen und sind im Laufe der Jahre zu ganz privaten Bildungstragern mutiert. Keine Produktbotschaft funktioniert margarineglatt, wenn es nicht eine Figur gibt, die sie verkorpert, buchstablich und metaphorisch zugleich. Wer will schon Produktargumente verbreiten, wenn es uber den Bauch viel emotionaler und wirksamer funktioniert?

Werbefiguren lehren etwas uber Psychologie (dass es kein erholsameres Sich-fallen-lassen-Durfen gibt als bei Tilly und ihrer Palmolive-Flussigseife) und sind standige Begleiter des gesellschaftlichen Uber-Ichs. Gepflegte Hande? Aber sicher! Okotrophologie? Aber nur mit einem Hauch Erotik: Bei Ferrero sitzen die Kirschtester also nicht mit weißem Papierhutchen und Hygienekittel an einem langweiligen Resopaltisch, sondern sie schwingen erotisch wie Frau Bertani durch italienische Anbaugebiete (Piemont), verdrehen ein paar Bauern den Kopf und testen die Bissfestigkeit mittels Saug-lutsch-Bewegung. Das Ganze lasziv am Baumstamm lehnend.

Werbefiguren gibt es, seitdem es Werbung gibt. Sie vermenschlichen Produktinformationen und helfen damit, in Kontakt mit dem Beworbenen zu treten: Je menschlicher ein Konsumartikel ist, desto bindender ist der Impuls, ihn auch zu kaufen.

Ruhrend, wie vielen Muttis der Herr Kaiser uber die Straße half

Deshalb sind die meisten Werbetrager weder nur schon noch nur klug, sondern lediglich mit einem Hauch Sympathie ausgestattet.

Schon die ersten Werbetrager nach dem Krieg sind nicht erschaffen worden, damit der Zuschauer am Bildschirm sitzt und schmollt: Och Mensch, die sind so toll, so mochte ich auch gern sein.

1956. Mann und Frau essen in einem Restaurant, dem Mann hopst ein Stuck Essen aufs Tischtuch, die Frau weist ihn gerauschvoll zurecht: ≫Xaver, da schau her, was d’ wieder gemacht hast. Also, also, du bist doch a richtiger Dreck…≪ Nun mosert der Mann retour: ≫Sprich’s nicht aus, wir sind nicht daheim.≪ Und die beiden kabbeln sich, bis der dicke Wirt anrollt. Mit einem Blick hat er die Situation im Griff: ≫Mahlzeit, die Herrschaften. Oh, ein kleines Malheur. Gisela! Serviette!≪ Er preist und lobt ≫das gute Persil≪ und zieht wieder ab, und der Mann setzt zum Finale an: ≫Siagst, Lieserl, das ist eben der Unterschied zwischen dir und dem feinen Mann. Der gebildete Mensch sagt nur ?Persil? ? ?Persil? und nichts anderes.≪ Danach zieht Mister Benimm gerauschvoll die Nase hoch, und der Funfziger-Jahre-TV-Konsument lernt derweil dreierlei: Wer in der damaligen Zeit seinen Gatten bevormundet, wird unerwartet von hoherer Instanz zurechtgewiesen. Persil ist mehr als ein Fleckenmittel: Es ist Ehekitt. Und: Die damaligen Knodel sind vermutlich mit zu viel Starke gekocht worden, dass sie so glitschig sind, sodass sie vom Teller hopsen.

Dieser Persil-Spot war 1956 eine geniale Kooperation zwischen dem Bayerischen Rundfunk und dem Waschmittelkonzern Henkel. Weil Henkel ein Grundstuck besaß, auf dem der BR gern einen Sendemast aufstellen wollte, wusch sozusagen und buchstablich eine Hand die andere. Der BR verpflichtete sich, den Spot auszustrahlen, und damit sahen 2,5 Millionen Zuschauer den legendaren Ehestreit zwischen Xaver und Lieserl.

Die folgenden Jahrzehnte bußten nichts von dieser fruhen und engen Spießburgerlichkeit ein: Die Werbehelden der sechziger und siebziger Jahre waren vor allem Apostel der Ordnung und des Anstandes. Herr Kaiser (Hamburg-Mannheimer), Frau Sommer (Jacobs Kronung) oder der vor Seriositat platzende Nachrichtenmann von Persil (≫…da weiß man, was man hat. Guten Abend≪) haben nicht nur ein Produkt beworben, sondern auch gleich noch die Deutschen in ihrem Familiensinn erzogen: ruhrend, wie den viel beschaftigten Muttis dieser Republik nur Versicherungsexperte Kaiser uber die Straße half. Wahrscheinlich stunde sonst immer noch ein Millionenheer alltagsuntauglicher Frauen am Bordstein und wartete.

Selbst die quirlige Klementine, die mit Karohemd und weißer Latzhose die Ariel-Trommel an die dicke Hufte klemmte, musste immer wieder mahnen: Hausfrau, wasch deine Wasche ≫nicht nur sauber, sondern rein≪. Auch wenn die Klementine-Schauspielerin Johanna Konig schon in unzahligen Interviews erklart hat, dass sie den Unterschied zwischen ≫sauber≪ und ≫rein≪ selbst nicht kenne.

Zehn Jahre spater zog man die Daumenschraube an: Das Lenor-Gewissen wurde erfunden. Eine gute Hausfrau, die aus einer normalen Hausfrau quasi geistgleich heraustritt und mahnend erinnert: Du hast den falschen Weichspuler. Sollten in 1.000 Jahren Archaologen auf ein paar Videokassetten voller Werbespots stoßen, werden sie meinen, Lenor sei ein krisenfestes Allheilmittel und der Deutschen schlimmster Fauxpas der ≫Halbe-Tassen-Effekt≪ bei Gartenpartys, auf denen die Hausfrau von Welt leider nicht Jacobs Kronung servierte. Lange also ließ es sich der Verbraucher gefallen, in die Mangel genommen zu werden: Los, du Depp, kauf gefalligst unsere wunderbare Warenwelt ? wenn du uberhaupt noch den Hauch einer Chance beim großen Spiel ≫Das Leben verstehen ? leicht gemacht≪ haben willst.

Ruck, zuck ist man damit bei den Promis, die leider nicht immer so uberzeugend das Produkt verkaufen, wie es ihre Gage nahelegt. Aber: Sie tun es. Eine der ersten davon im deutschen Werbefernsehen war Ingrid Steeger, die mit quengelig-depressiver Stimme in die Wohnzimmer hauchte: ≫Manchmal bin ich irre traurig, dass ich kein Mann bin, weil es so viele schone Sachen gibt, die nur fur Manner sind.≪ Keiner der Mitarbeiter der Old-Spice-Firma Procter & Gamble will sich erinnern, ob diese Jagerzaun-Lolita half, auch nur eine Rasierwasserpulle mehr zu verkaufen, ≫das ist ja auch schon so lange her≪, heißt es und: ≫Damals gehorte Old Spice ja noch zu der Shulton Company. Selbst Dauerwerbefiguren wie Boris Becker (Coca-Cola, AOL), Verona Feldbusch/Pooth (Iglo, Telegate, Expo 2000, SOS-Kinderdorfer) oder Franz Beckenbauer (O₂, Paulaner Hefeweizen, Maggi-Suppen) haben noch den Klementine-Charme vergangener Jahre: Ernsthaft und mit großem Impetus erklaren sie der Nation, dass sie dieses oder jenes Produkt (Bier, Spinat, Internetzugang) bevorzugen ? und nie im Leben ein anderes.

Werbung ist nichts anderes als eine Comedyshow mit Tabubruchen

Und wie viele Promis haben schon ihr Treuherzlacheln in die Kamera gebleckt: Jan Ullrich warb fur Musliriegel, Uwe Ochsenknecht fur den Grunen Punkt, Loriot fur das Pharmaunternehmen Dr. Thiemann und Manfred Krug fur die Telekom (auch wenn er sich kurzlich offentlich dafur entschuldigte; so gut ist das mit den T-Aktien an der Borse namlich doch nicht gelaufen).

Die nachste und jungste Generation von Werbehelden ist immer noch prominent, aber mit allem gebotenen Fleiß ehrlich: Heute synchronisiert Harald Schmidt ein Werbeferkel und schließt damit ein Elektrohandelstriptychon der Jahrtausendwende ? von ≫Ich bin doch nicht blod≪ uber ≫Lasst euch nicht verarschen≪ nun zu ≫Sau-, sau-, saubillig≪. Dabei geht es jetzt darum, dem Kunden zu zeigen, dass auch Werbung nichts anderes ist als eine Comedyshow mit tabufreien Tabuwortern: blod, verarschen, saubillig. Kein Wunder, dass Harald Schmidt so viele Werbevertrage hat. Und Oliver Pocher. Ein Wunder ist lediglich, dass Stefan Raab bislang entweder unbestechlich oder zu unglaubwurdig fur die Werbung ist. Er musste ja nicht gleich der neue Dr. Best werden oder der Zahnarztinnengatte, der Perlweiss empfiehlt.

Und selbst bei der viel besungenen Werbe- Individualisierung: Es wird auch in 50 Jahren noch Werbeonkel und Werbefritzen geben. Das Fernsehen bundelt durch seine Reichweite so viele Massen zu einer Zielgruppe, dass immer ein Dieter Bohlen blaue Blasen in die Luft telefonieren (O₂) und immer eine Schauspielergore ≫Fruchtalaaaarm≪ grolen darf. Werbefiguren sind wahrscheinlich treuer als Hunde und sußer als Lillifee-Puppen. Banal? Schockierend? Ernuchternd? Mag sein. Aber wer wird denn deshalb gleich in die Luft gehen?