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Pete Seeger (1919-2014): Folk-Denkmal oder Stalins Singvogel?
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28 Januar 2014

Pete Seeger (1919-2014): Folk-Denkmal oder Stalins Singvogel?

Autor Bluespfaffe , Slider Biografien Musik ,

Aktualisierte und erganzte Fassung eines 2009 erstmals veroffentlichten Artikels

Pete Seeger (1919-2014): Folk-Denkmal oder Stalins Singvogel?

Mit Woody Guthrie steht der 1919 geborene Pete Seeger am Beginn des amerikanischen Folk-Revivals. Mit The Weavers hatte er in den 50ern Hits gesungen, bevor er als Kommunist aus der Offentlichkeit verdrangt wurde. Bei der ersten Amtseinfuhrung von Prasident Obama sang er gemeinsam mit Bruce Springsteen Woody Guthries ?This Land Is Your Land“. Noch mit neunzig Jahren trat er live auf. Am 27. Januar 2014 starb der Sanger und Songwriter im Alter von 94 Jahren in einem Krankenhaus seiner Geburtsstadt New York. 


Mit ihrer Fassung von Leadbelly's "Good Night, Irene" okkupierten The Weavers 1950 fur 13 Wochen Platz 1 der Hitparade. Die Band um Pete Seeger zahlte zu den erfolgreichsten Bands des fruhen Folkrevivals. Doch Seeger selbst war zu dem Zeitpunkt schon lange musikalisch aktiv, vor allem im Bereich der Gewerkschaftsbewegung und im Umfeld der amerikanischen Kommunisten. Seine Songs wie If I Had A Hammer oder Where Have All The Flowers Gone wurden weltweit nachgesungen.

Geboren wurde Pete Seeger am 3. Mai 1919 in New York in eine außerst musikalische Familie. Sein Vater, Charles Louis Seeger war Komponist und Musikwissenschaftler, der unter anderem die amerikanische Volksmusik erforschte. Als Dirigent wirkte er aber beispielsweise auch in Koln am dortigen Opernhaus. Seine Mutter Constance de Clyver Edson war klassische Violinistin und Musiklehrerin. Und seine Großmutter Ruth Crawford Seeger zahlt zu den bedeutendsten Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Als Pete sieben Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden.

Auch wenn seine Eltern beide musikalisch waren, drangten sie ihren Sohn nicht, ein Instrument zu erlernen. Irgendwann begann er, die Ukelele zu erlernen und damit seine Klassenkameraden zu unterhalten. 1936 horte er erstmals das funfsaitige Banjo beim Mountain Dance and Folk Festival in Asheville, North Carolina. Die nachsten Jahre war er damit beschaftigt, dieses fur ihn neue Instrument zu erlenen. (Spater veroffentlichte er auch Lehrbucher fur das Banjo und entwickelte das "Seeger-Banjo" mit einem drei Bunde langeren Hals.) In spateren Jahren griff er immer haufiger auch zur zwolfsaitigen Gitarre.

Mit einem Teilstipendium begann er am Harvard College zu studieren. Doch seine Aktivitaten in Sachen Folkmusik und radikaler Politik hinderten ihn am Lernen. Und so verlor er sein Stipendium und verließ 1938 das College wieder und traumte von einer Karriere als Journalist. Letztlich bekam er eine Stelle beim von Alan Lomax (ein Freund seines Vaters) geleiteten Archive of American Folk Song bei der Library of Congress. Hier sollte er in den von den Plattenfirmen veroffentlichten "race"- (Blues, Gospel) und "hillbilly"-Platten  (Country etc) nach Beispielen fur die traditionelle Folkmusik suchen. Lomax ermunterte Seeger auch, seiner Berufung als Folksanger nachzugehen. Und bald gehorte er zu den regelmaßigen Gasten der wochentlichen Show "Back Where I Come From" von Columbia Broadcasting. Hier trat er gemeinsam mit Lead Belly, Josh White aber auch mit Woody Guthrie auf. Das ohne Rucksicht auf Rassenfragen zusammengestellte Programm schaffte es 1941 bis ins Weiße Haus. Eleanor Roosevelt veranstaltete im Marz 1941 einen "Evening of Songs for American Soldiers".

Pete Seeger im Weißen Haus 1941. In der Mitte des Bildes ist Eleanor Roosevelt.

The Almanac Singers

1941 grundete Seeger gemeinsam mit Millard Lampell und Lee Hays die Almanac Singers als eine Art "singende Zeitung" fur Gewerkschaftsfragen und andere progressive politische Aktivitaten. Zu der Gruppe gehorten zeitweise auch Woody Guthry, Josh White, Bess Lomax Hawes und die Blueser Brownie McGhee und Sonny Terry. Um die Karriere seines Vaters in der Regierung nicht zu gefahrden, trat Seeger bei den Almanacs als Pete Bowers auf. Denn die mit den Kommunisten nicht nur sympathisierende Gruppe wurde durchaus zwiespaltig angesehen. Sie traten zur Unterstutzung von Streiks auf, bei Gewerkschaftstreffen oder machten auch eine Tour gegen einen Kriegseintritt der USA. Nach Pearl Harbour allerdings schwenkten sie vom Pazifismus ab und unterstutzten die Kriegsbemuhungen der USA - was man ihnen wiederum mancherorts ubelnahm.

Seeger war 1936 der Young Communist League und 1942 der Kommunistischen Partei beigetreten. Auch wenn er sich spater von der Partei entfernte, blieb er doch lange Jahre hindurch ein Stalinist. Erst vor wenigen Jahren hat er sich in einer Zeitungsdebatte zu Wort gemeldet und zugegeben, dass er zu lange der leninschen Doktrin der Parteidisziplin anhing.

Auf dem 1941 erschienenen Album Songs For John Doe warfen die Almanacs Prasident Roosevelt vor, eine Marionette fur J.P. Morgan zu sein.  Damit verfolgten sie die offzielle Parteilinie nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts. Noch immer nahmen die Kommunisten Roosevelt ubel, dass er mit einem Embargo eine Bewaffnung der spanischen Republik gegen die Putschisten unter Franco verhindert hatte. Die USA waren damals zwar noch nicht im Krieg, doch sie rusteten deutlich auf. Die Presse verriss Songs for John Doe als Werk von Nazis und/oder Moskautreuen. Das Werk sei ein Fall fur den Staatsanwalt, meinte etwa der in Deutschland geborene Harvard-Professor Carl Joachim Friedrich in einem Beitrag fur Atlantic Monthly. Und er empfahl, hart gegen das Gift der Folkmusik vorzugehen.

Nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion anderte die KP ihre Linie. Songs for John Doe wurde aus dem Handel genommen und ein Großteil der Auflag eingestampft. Prompt brachten die Almanacs ein neues Lied heraus. "Dear Mr. President", gesungen von Pete Seeger, sicherte Roosevelt jetzt die Unterstutzung im Kampf gegen Hitler zu:

Now, Mr. President, / We haven't always agreed in the past, I know, / But that ain't at all important now. / What is important is what we got to do, / We got to lick Mr. Hitler, and until we do, / Other things can wait.//

Now, as I think of our great land . . . / I know it ain't perfect, but it will be someday, / Just give us a little time. // This is the reason that I want to fight, / Not 'cause everything's perfect, or everything's right. / No, it's just the opposite: I'm fightin' because / I want a better America, and better laws, / And better homes, and jobs, and schools, / And no more Jim Crow, and no more rules like / "You can't ride on this train 'cause you're a Negro," / "You can't live here 'cause you're a Jew,"/ "You can't work here 'cause you're a union man."//

So, Mr. President, / We got this one big job to do / That's lick Mr. Hitler and when we're through, / Let no one else ever take his place / To trample down the human race. / So what I want is you to give me a gun / So we can hurry up and getthe job done.

Das beruhigte die Kritiker allerdings nicht wirklich. Das FBI und einige Journalisten machten die Almanacs bei Veranstaltern mit der Begrundung von "John Doe" madig und erreichten so die Auflosung der Gruppe. Seeger diente im Krieg als Flugzeugmechaniker im Pazifik. Doch mehr noch wurde er zur Truppenunterhaltung als Sanger eingesetzt.

 

The Weavers

In den 50er Jahren wurden quasi als eine Neugrundung der Almanac Singers The Weavers gegrundet. Man nannte sich programmatisch nach Gerhart Hauptmanns Drama "Die Weber". Neben Seeger (der jetzt unter seinem eigenen Namen auftrat) gehorten Lee Hays, Ronnie Gilbert, Fred Hellerman und spater Frank Hamilton und Erik Darling zu der Gruppe. The Weavers waren bei weitem nicht so politisch radical wie damals die Almanac Singers. Und politische Botschaften waren in indirekter Sprache versteckt - und vielleicht gerade deshalb aber auch besonders wirkungsvoll. Manchmal traten sie (bei Konzerten in Nachtclubs etwa) sogar im Smoking auf - was bei den Horern aus der extrem linken Fraktion zu ernsthaften Anfragen an ihre politische Glaubwurdigkeit fuhrte. Ein Grund dafur war aber auch, dass ihr Management ihnen untersagte, bie poltischen Veranstaltungen aufzutreten. Die Plattenaufnahmen der Weavers waren zeitweise sehr weit weg vom traditionellen Folk: Die Lieder wurden mit einer Menge Streichern und Choren zugekleistert. Und dennoch meinten Seeger und seine Kollegen, dass dies notig sei, um ihrer Botschaft und ihrer Musik eine moglichst breite Offentlichkeit zu schaffen. Mit ihrer Version von Leadbellys "Goodnight, Irene" begann ihre Serie von Singlehits. Auch mit dem israelischen "Tzena, Tzena", dem Zulusong "Wimoweh (The Lion Sleeps Tonight)" oder Woody Guthries "So Long It's Been Good to Know You" waren sie sehr erfolgreich. Doch ihre Karriere kam auf ihrem Hohepunkt 1953 zu einem abrupten Ende. Sie wurden als bekenndende Kommunisten auf die Schwarze Liste gesetzt. Schließlich war damals die MacCarthy-Zeit, wo man uberall , als sie auf die Schwarze Liste gesetzt wurden. In der MacCarthy-Ara mit ihrer Kommunistenparanoia waren Bands mit bekennenden Kommunisten in Radiostationen nicht mehr zu horen. Und auch schon gebuchte Auftritte wurden mit der Begrundung gecancelt. 1955 und 1959 kam es nochmals zu neuen Tourneen und Plattenaufnahmen (wo sie etwa das Spiritual Kumbaya aufnahmen, was seither an zahllosen Lagerfeuern nicht nur bei Pfadfindern immer wieder gern gespielt wird). Letztlich entschied sich Pete Seeger, weitere Wiedervereinigungen der Band nicht mehr mitzumachen, als die drei anderen Mitglieder der Produktion eines Jingles fur Zigarettenwerbung zustimmten. So erinnerte er sich zumindest in dem 2007 veroffentlichten Dokumentarfilm "Pete Seeger: The Power of Song".

Poltisches Engagement

Seeger setzte in den 50ern seine Unterstutzung fur  Burgerrechte, Rassengleichheit oder die Rechte von Gewerkschaften, die Friedensbewegung und internationale Verstandigung ein. Bis heute ist er auch der Meinung, dass man diese Ziele auch durch das gemeinsame Singen von Liedern erreichen kann. Durch die Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 und die Enthullungen uber Stalins Verbrechen verlor er seine Illusionen uber den sowjetischen Kommunismus. In einer Autobiografie schrieb er er sei seit 1949 von der Kommunistischen Partei der USA "weggedriftet". Doch distanziert hat er sich offentlich nicht von ihr.

Am 18. August 1955 musste er vor dem Kommittee fur Un-Amerikanische Aktivitaten aussagen. Seeger weigerte sich mit der Berufung auf den ersten Verfassungszusatz auszusagen oder Menschen zu belasten. Dies fuhrte zwei Jahre spater zur Einleitung eines Verfahrens wegen Missachtung des Kongresses. Daher musste er die Regierung fur eine Zeit immer uber seinen Aufenthalt informieren, wenn er den Southern District von New York verließ. Im Marz 1961 wurde er zu zehn Jahren Gefangnis verurteilt. Das Urteil wurde allerdings 1962 aufgehoben.

Um wahrend der Zeit, wo er auf der Schwarzen Liste stand, Geld zu verdienen, unterrichtete Seeger in Schulen und Sommer Camps Musik. Und er nahm jahrlich bis zu funf LPs auf. Mit Liedern wie "Where Have All The Flowers Gone" oder Turn Turn Turn mit seinem Text aus dem biblischen Buch Prediger erlangte er dabei große Aufmerksamkeit. Diese Songs wurden von zahlreichen Kunstlern interpretiert und in die Hitparaden gebracht.

In den 60er Jahren war Seeger aktiv im Kampf gegen den Vietnamkrieg. Auf satirische Weise griff er President Johnson mit Liedern wie dem 1966 aufgenommenen "Beans In My Ears" an. Eigentlich ist der von Len Chandler geschriebene Song ein Kinderlied. Doch in Seegers auf dem Album Dangerous Songs!? vertretenen Version wird der Vorwurf an Johnson deutlich, er hore nicht auf das, was man ihm sagt. Der Name des Jungen Alby Jay ist eine Verballhornung von Johnsons Spitzname LBJ...

Auch mit der Burgerrechtsbewegung der 60er Jahre war Seeger eng verbunden. Auf sein Engagement geht etwa die weite Verbreitung der Hymne "We Shall Overcome" zuruck, ursprunglich ein Spiritual, das aber schon Anfang des 20. Jahrhunderts etwa bei Streiks gesungen wurde.

Als einer der ersten Musiker engagierte er sich schon 1966 fur den Umweltschutz. Er grundete mit Freunden die Hudson River SloopClearwater-Stiftung, die sich vor gegen die Verschmutzung des Hudson River engagiert. Mit dem Schiff Clearwater, die der Organisation gehort, werden regelmaßig Segeltouren zur Umweltbildung auf dem Hudson durchgefuhrt. Und jedes Jahr wird mit dem zweitagigen Clearwater Festival Geld fur die weitere Rettung des Flusses gesammelt.

Das Folk-Revival

"Woodys Kinder" nannte Seeger als Autor fur "Sing Out!" die neuen politischen Liedermacher, die vor allem im Greenich Village zu Beginn der 60er Jahre ihr Publikum fanden. Dieses stadtische Folk-Revival war eine Fortsetzung von Traditionen, wie er selbst sie etwa mit den Almanacs begonnen und mit Organisationen wie People's Songs nach dem Krieg fortgesetzt hatte. Unter all den jungen Musikern war Seeger so etwas wie eine Vaterfigur. Zudem gehorte er zum Direktorium des Newport Folk Festivals, bei dem Musiker wie Joan Baez oder Bob Dylan auf alte Blueser wie Mississippi John Hurt oder John Lee Hooker trafen.

Schon fruh setzte er sich etwa fur den jungen Bob Dylan ein. Doch als dieser 1965 mit elektrischer Gitarre und den Musikern der Paul Butterfield Blues Band auftrat, da kam es zu einem Eklat. Denn der elektrisch verstarkte Sound irritierte nicht nur die Folk-Puristen. Er war wohl auch einfach grottenschlecht. Als Dylan "Maggies Farm" sang, soll Seeger (so eine beliebte Legende) mit einer Axt versucht haben, das Verstarkerkabel zu zerhacken. Seeger selbst erinnerte sich 2001 in einem Interview allerdings anders:

"Ich konnte die Worte nicht verstehen. Ich wollte die Worte horen. Es war ein großartiger Song, "Maggies Farm", aber der Sound war verzerrt. Ich rannte ruber zu dem Typen an den Reglern und rief: Fix den Sound, damit man die Worte horen kann. Er brullte zuruck: So wollen sie es haben. Ich sagte: Verdammt, wenn ich eine Axt hatte, wurde ich das Kabel jetzt gleich durchhacken. Aber ich war schuld. Ich war der Ansager, und ich hatte dem Teil der Menge, die Bob ausbuhte sagen mussen: Gestern habt ihr Howlin' Wolf nicht ausgebuht. Der war elektrisch! Auch wenn ich noch immer lieber die akustischen Lieder Dylans hore, sind einige seiner elektrischen absolut großartig. Elektrische Musik ist die Mundart der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts, um einen alten Spruch meines Vaters zu zitieren."

(ubersetzt nach David Kupfer, Longtime Passing: An interview with Pete Seeger, Whole Earth magazine, Spring 2001)

Endlich konnte er in den 60ern auch wieder im Fernsehen auftreten. Er prasentierte in seiner in der New Yorker Region ausgestrahlten Sendung "Rainbow Quest" Musiker wie Johnny Cast, Mississippi John Hurt aber auch Donovan oder Judy Collins. Insgesamt 39 Folgen der einstundigen Sendung wurden 1965 und 66 produziert von ihm und seiner Frau Toshi.

Kritik und Selbstkritik

In den letzten Jahren wurde Seeger immer mehr als eine der wichtigsten und einflussreichsten Figuren in der amerikanischen Folkmusik gewurdigt. Auch sein politischer Kampf fand (besonders der Einsatz fur Frieden, Umwelt und Burgerrechte) wurde mit zahlreichen Preisen anerkannt. Doch daneben kommt es immer wieder auch zu kritischen Anfragen an Seeger, die er durchaus auch selbst provoziert hat durch seine lange jahre fehlende Abkehr vom Stalinismus.

 So wurde er 2006 von David Boaz in der britischen Zeitung Guardian  als "Stalins Songbird" kritisiert. Der Autor kritisierte Blatter wie den liberalen New Yorker oder die New York Times, die Seeger groß gewurdigt hatten. Boas zitierte Verse aus Songs for Jon Doe und setzte sie neben "Dear Mr. President" (s.o.). 2007 - ob als Reaktion darauf ist nicht ganz klar nachzuvollziehen - schrieb Seeger "Big Joe Blues", in dem er Stalin erstmals als Verbrecher verdammt. Und er schreibt einen offenen Brief an den Historiker Ron Radosh, einen ehemaligen Trotzkisten und heutigen Autor der konservativen National Review, in dem er bekannte, zu lange blind gewesen zu sein fur Stalins Fehler. "Ich denke, du hast recht", meint Seeger, "Ich hatte danach fragen mussen, die Gulags zu besichtigen, als ich in der UdSSR war."

Mittlerweile ist Seeger vollkommen unbestritten - nicht umsonst durfte er gemeinsam mit Bruce Springsteen (der ihm mit den wunderbaren Seeger Sessions Tribut zollte) bei Barack Obamas Amtseinfuhrung Woody Guthries "This Land Is Your Land" singen.

Mit 89 und danach

Mit einem neuen Studioalbum hatte man kaum noch gerechnet. Und auch Pete Seeger selbst kundigte ?At 89“ als sein letztes an. Fur das 2008 erschienene Werk hatte er unterstutzt von Freunden neue und alte Lieder live im Studio aufgenommen. Das Ergebnis: egnagierter Folk mit teilweise sakraler Anmutung, ausgezeichnet mit einem Grammy.

Ein Lied uber ein Umweltgesetz einer kalifornischen Stadt? Nicht eigentlich das Thema, das den zeitgenossischen Songschreiber sofort anspringen wurde. Doch Pete Seeger zeigt, dass auch die Frage der nachhaltigen Produktion von Gegenstanden ein Lied ergeben kann, das zum Mitsingen reizt (?If it Can‘t Be Reduced“).
Naturlich ist seine Stimme gealtert. Doch auf Banjo und Gitarre kann er noch immer zeigen, dass Alter nicht gleichbedeutend ist mit Erstarrung. Und das innere Feuer, dass Seeger zeit seines Lebens zum Singen und Songschreiben gebracht hat, ist noch immer heiß. Und so finden sich auf ?At 89“ neue Lieder uber aktuelle Fragen ebenso wie noch immer aktuelle Stucke, die schon jahrzehntealt sind. Es finden sich Bearbeitungen von Melodien Beethovens oder Bachs ebenso wie Vertonungen von Gedichten und Neufassungen alter Folksongs aus aller Welt.
So findet sich etwa der alte Hit der Weavers ?Tzena, Tzena, Tzena“, ein israelisches Tanzlied hier in einer Fassung mit hebraischen und arabischen Versen. ?If This Word Survives“ ist ein auf einen Text von Malvina Reynolds geschriebener Chor, der Seegers Hoffnung auf den Punkt bringt. Und ?Alleluya“ ist einfach ein Chor des britischen Barockkomponisten William Boyce.

Vier Jahre spater dann die Uberraschung: Gemeinsam mit dem Freund und Kollegen Lorre Wyatt nimmt Seeger ?A More Perfect Union“ auf. Die Stimme ist noch bruchiger. Doch das Banjo ist immer noch sofort zu erkennen. Und die Songs sind so unzeitgemaß altmodisch-engagiert, dass sie eigentlich schon vor vierzig Jahren entstanden sein konnten: Dass Pete Seeger nochmals ein neues Album vorlegen wurde, damit war eigentlich nicht mehr zu rechnen. Und noch weniger damit, dass dieses Album fernab jeder Peinlichkeit einen kunstlerischen Wert haben konnte. Und doch ist ?A More Perfect Union“ ein Songwriter-/Folkalbum, dass unbedingt horen sollte.
Ein Grund dafur liegt naturlich in der Mitwirkung solch unterschiedlicher Musiker wie Emmylou Harris (?We Are The Boat“), Bruce Springsteen (?God‘s Counting On Me“), Steve Earle (?This Old Man Revisited“) oder Tom Morello (?A More Perfect Union“). Diese tragen die Lieder da weiter, wo Seeger allein zu schwach scheint. Aber - und das ist das eigentlich Entscheidende: Es sind Lieder, ob personlich oder politisch aktuell, die in ihrer scheinbaren Altmodischkeit dennoch den heutigen Horer packen konnen. Ob Seeger und sein Songwriter-Kollege mit ihrem Alter und der Gebrechlichkeit kokettieren (?Old Apples“) oder zum Engagement fur eine bessere Welt aufrufen (?God‘s Counting On Me“, ?Keep The Flame Alive“, ...) Da wird nochmal die Anklage gegen die Tatenlosigkeit der Politiker nach Katrina wiederholt (?Memories Out of Mud“). Oder es gibt humorvolle Lieder uber das Verhaltnis zwischen Mensch und Tier (?Howling For Our Supper“). Klar - irgendwie fragt man sich die ganze Zeit, ob ein typisches Liedermacheralbum (ganz bewußt nehme ich diesen deutschen Begriff mit all seinen Implikationen) wie dieses uberhaupt noch eine Berechtigung haben kann im 21. Jahrhundert. Das sind Lieder, wie sie zuletzt vielleicht in der Friedensbewegung der 80er Jahre eine Massenwirksamkeit gehabt haben konnten. Und es ist nicht zu sehen, dass etwa aus der Occupy-Bewegung heraus wieder eine Singebewegung wie beim Folkrevival in den 50er oder 60er Jahren entstehen wurde. Aber genau dafur waren die Songs naturlich genau richtig.

Musiker wie Seeger gibt es heute nicht mehr. Musiker, denen Engagement wichtiger ist als schnelle Hitparadenerfolge, Musiker die gleichzeitig jeden Saal zum lauten und frohlichen Mitsingen bringen konnen. Das ist etwas, was ganz sicher fehlen wird in der immer oberflachlichen Welt mit ihrer maschinell erzeugten Musik. Seeger wird fehlen wie einem die Abende des gemeinsamen Singens am Lagerfeuer in der Jugend in spateren Tagen fehlen.
 

Bluespfaffe

Autor Bluespfaffe

Der Bluespfaffe heißt mit burgerlichem Namen Raimund Nitzsche und ist Chefredakteur der "Wasser-Prawda".

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