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Crossmedia - wie Medienmacher die Zukunft des Journalismus sehen | Videojournalismus
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080428073004/http://www.mediale-aufmerksamkeit.de:80/blog/home/texte/crossmedia/

Crossmedia - wie Medienmacher die Zukunft des Journalismus sehen

In einem Journalistenforum wurde kurzlich uber ein Aufmacherbild von Spiegel Online diskutiert, das ein geschwollenes Gesicht in Großaufnahme zeigte. Die Frau war offenbar bei einem Polizeiverhor in den USA misshandelt worden. Um mehr uber den Vorfall zu erfahren, hatte man sich das verlinkte Video anschauen mussen. Eben das wollten einige der Journalisten, die in dem Forum diskutierten, nicht tun. Es sei sensationsheischend, dieses Foto ohne erklarende Hintergrunde so prominent auf der Seite zu platzieren und miese Taktik, die Besucher auf ein vermutlich nicht besseres Video leiten zu wollen. Naturlich konne man Letzteres erst mit Gewissheit sagen, wenn man das Video auch gesehen habe. Nur sei bisher kaum ein angeklickter Videoclip auf irgendwelchen Medienseiten annahernd journalistisch relevant gewesen, warum sollte es diesmal anders sein?
Nun beaugt man die eigene Zunft sicherlich immer ganz besonders kritisch und Spiegel Online im Besonderen, doch die Richtung, in die die Kritik geht, wird deutlich: Den Online-Angeboten von Verlagen, die mit Bilderstrecken und Videoclips die werberelevanten Besucherzahlen (Visits) und Seitenaufrufe (Page Impressions) hoch treiben mochten, wird ihre journalistische Kernkompetenz abgesprochen, namlich relevant zu sein.
Ob Relevanz allerdings nur in Textform erzielt werden kann, ist eine andere Geschichte. Keine Frage, die Verlage nahren diesen Eindruck mit sinnfreien Bilderstrecken und Videoclips. Aber vielleicht lohnt sich ein Blick in die benachbarten Fernseh- und Horfunkstationen. Hier gehort die tagliche Lekture von Zeitungen und inzwischen einigen Online-Angeboten zum Pflichtprogramm. Man weiß durchaus zu schatzen, was die Print- und Onlinekollegen da ausgraben - und fur sich zu nutzen. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass in diesem Moment ein klassischer Zeitungs-Journalist eine Recherche abschließt, die ein Fernsehredakteur morgen mit Gewinn lesen und daraus seine Geschichte machen wird. Die Frage ist, was macht die eigene Online-Redaktion damit? Will sie uberhaupt etwas damit machen?
Die Bundeszentrale fur politische Bildung hat Anfang Marz ein Seminar zur crossmedialen Moglichkeiten von Lokalredaktionen veranstaltet. Referenten waren neben Medienwissenschaftlern Chefredakteure, Verleger und Geschaftsfuhrer von Regionalzeitungen. Folgt man ihren Ausfuhrungen, sind folgende Antworten auf diese Frage denkbar:

  1. die Geschichte erscheint ausschließlich im gedruckten Blatt, weil man mit dem Online-Auftritt die eigene Zeitung nicht kannibalisieren mochte;
  2. die Geschichte wird online kurz angerissen, ist in Ganze aber nur in der Zeitung zu lesen;
  3. der Beitrag wir online gestellt, aber kostenpflichtig;
  4. der Beitrag erscheint zuerst online, dann in der Zeitung;
  5. wenn der Autor zusatzliche Bilder und ein Video anbietet, nimmt man es gern an, wird ihn aber im Fall, dass er freier Mitarbeiter ist, nicht zusatzlich honorieren;
  6. die Online-Redaktion mochte die Geschichte mehrmedial aufbereiten, hat aber keine qualifizierten Redakteure;
  7. es gibt qualifizierte Redakteure, aber die mehrmediale Aufbereitung wird vom Verlag als unverhaltnismaßig teuer abgelehnt;
  8. es gibt qualifizierte Redakteure, aber die arbeiten an eigenen Formaten und Rubriken, die abgesehen von den “Breaking News” kaum Bezug zu exklusiven oder aktuellen Themen haben;
  9. es wird ein “Spezial” zum Bericht mit einfach gehaltenen Bilderstrecken und vielleicht einem Video gemacht.

Die unterschiedliche Gewichtung hangt vor allem an einer Frage: Ist der Online-Auftritt uberbewertet oder unterschatzt? - und hier gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Der Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, Paul-Josef Raue, sagt:?uberschatzt, Urs Gossweiler, Chefredakteur und Verleger der Jungfrau Zeitung aus der Schweiz, glaubt:?unterschatzt. Irgendwo dazwischen, manchmal auch nah dran, sind die?im folgenden?Video zu Wort kommenden?Medienmacher- und Analysten: die Chefredakteurin der Netzeitung, Domenika Ahlrichs, der Geschaftsfuhrer der Munich Online GmbH, Raimondo Sanna,?der Leitende Redakteur der Main-Post,?Folker Quack, der Chefredakteur der Lahn-Dill-Gruppe, Dirk Lubke, Medienberater Steffen Buffel, die Wissenschaftlerin Dr. Sonja Kretzschmar und Clemens Helldorfer, Redakteur der Nurnberger Nachrichten:

 

Wer sich tiefer in die Materie einarbeiten mochte, dem seien folgende Vortrage empfohlen.

Urs GossweilerUrs Gossweiler , Verleger und Chefredakteur der Jungfrau Zeitung aus Interlaken:
Optimistische Studien sagen, wir nutzen statistisch funf Internetportale, realistische sagen, es sind drei. Ein Platz geht an Google, der zweite an den Internetprovider, bei dem man seinen E-Mail-Account hat. Wenn es die Verlage nicht schaffen, sich den dritten Platz zu sichern, haben sie keine Zukunft. Die Jungfrau Zeitung bringt ausschließlich lokale Inhalte, die augenblicklich ins Netz gestellt werden. Zwei Mal in der Woche erscheint die Jungfrau Zeitung zudem als kostenpflichtige gedruckte Ausgabe, die die Beitrage enthalt, die zuvor im Netz veroffentlicht wurden. Gossweiler ist uberzeugt, dass sich auch deutsche Verlage nur mit lokalen Themen den dritten Platz sichern konnen, denn nur im Lokalen konnen sie noch exklusive Inhalte bieten. Fur alles andere gibt es Spiegel-Online. Und die Verleger mussen sich beeilen. Wenn sie es nicht machen, macht es jemand anderes - Google Local kommt.

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Raimondo SannaRaimondo Sanna , Geschaftsfuhrer der Munich Online GmbH, ein Unternehmen der Mediengruppe Munchner Merkur/tz:
Vor zehn Jahren bauten Portale wie mobile.de, immonet.de oder der Scout-Gruppe Portale auf, die den Verlagen das Anzeigengeschaft im Bereich der Rubrikenmarkte streitig machten. Jetzt begehen die Verlage den zweiten großen Fehler. Sie nehmen kein Geld in die Hand, um ihre Online-Portale gebuhrend auszubauen und sie investieren kein Geld, um ihre Mitarbeiter fur die Anforderungen des Online-Journalismus auszubilden. Damit unterschatzen sie die Konkurrenz im Netz, sagt Raimondo Sanna. Die Zeiten seien endgultig vorbei, wo sich die Verlage nur mit anderen Zeitungen messen mussten, die die selbe Region oder die selben Zielgruppen bedienten. Die Konkurrenz im Netz sei um vieles großer und nur einen Klick vom eigenen Angebot entfernt. Sanna erzahlt in dem Vortrag ausfuhrlich, wie der Munchner Merkur und die Munchner tz an ihrem Online-Angebot basteln und welche Schwierigkeiten er sieht. Bemerkenswert ist unter anderem die Rolle, die den Videojournalisten zukommt. Bei tz und Munchner Merkur ubernehmen die Volontare diesen Job. Sie drehen laut Sanna im Auftrag des Verlages neben den journalistischen Beitragen auch Videos fur Werbekunden. Daruber hinaus werde daruber nachgedacht, ob sie verstarkt Fotografen ersetzen konnen. Nach Sannas Angaben weigern sich die freien Fotografen, ihre Fotos fur Online-Veroffentlichungen kostenlos zur Verfugung zu stellen. “Diese “Unbereitschaft”, sagt er, fuhrt nun zu der Uberlegung, verstarkt Fotos aus dem gedrehten Videomaterial der Volontare zu ziehen.

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Steffen Büffel

Steffen Buffel , Medienberater, Trainer, Wissenschaftler und Blogger:
Die Zeitungsverlage unterschatzen die Tragweite des Mediennutzungsverhalten. Jugendliche waren noch nie große Zeitungsleser, aber die Verlage konnten sich doch einigermaßen sicher sein, dass sich einige von ihnen in gesetzterem Alter zunehmend fur das Weltgeschehen und die Ereignisse vor ihrer Haustur interessieren - und die Zeitung abonnieren. Heute liegt der Fall anders. Welche Interessen und Hobbys Jugendliche auch immer haben, sie ziehen sich die fur sie relevanten Informationen aus dem Internet. Werden diese Jugendlichen irgendwann eine Zeitung abbonieren? “Warum sollten sie?”, sagt Steffen Buffel. Diese Frage stellt sich ihnen uberhaupt nicht mehr.

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Dr. Sonja Kretzschmar

Dr. Sonja Kretzschmar , Institut fur Kommunikationswissenschaften der Universitat Munster:
Investigativ recherchieren, fotografieren, drehen, schneiden, schreiben - wenn ein Journalist alles machen soll, ist die Qualitat seiner Arbeit mies und damit auch die Qualitat des Mediums. Multimedial arbeitende Redaktionen sollten sich deshalb Gedanken uber eine sinnvolle Arbeitsteilung machen. Vielversprechend sind aus ihrer Sicht die Erkenntnisse eine multimedial arbeitenden Modell-Redaktion, die vor sechs Jahren von der IFRA, ein internationaler Verband von Unternehmen der Zeitungs- und Medienbranche, an der Universitat South Carolina in Columbia (USA) eingerichtet wurde. Kerry Northrup, der Direktor diesen Newsplex-Programmes, schlagt aus den gemachten Erfahrungen folgende Arbeitsteilung vor: So genannte Newsflow-Editors ubernehmen die Funktion des Chefredakteurs und Chefs vom Dienst. Storybuilder konzentrieren sich auf wenige Themen und deren multimediale Inhalte. News-Resourcer recherchieren Hintergrunde fur Themen, egal fur welchen Kanal sie gedacht sind. Multiskilled Journalisten sind vor Ort und liefern das Audio-, Video- und Textmaterial.

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Jeder einzelne dieser Vortrage enthalt Pladoyers fur die Starkung des Online-Auftritts klassischer Medien. Todd Gittin, Journalismus-Professor an der Columbia University, war nicht Referent dieser Tagung der Bundeszentrale fur politische Bildung. Dafur hat er mit sueddeutsche.de gesprochen und ein wichtiges Argument geliefert, warum die Starkung des Online-Auftritts eine gedruckte Zeitung nicht uberflussig, sondern mehr noch, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, wichtig macht:  

 ?Einer der großen Vorzuge der gedruckten Zeitung ist ja, dass man ganz automatisch und ohne es zu beabsichtigen, auf Themen und Informationen gestoßen wird, von denen man gar nicht annahm, dass sie einen interessieren konnten. Genau dieser Wert des Unerwarteten wird durch das eher zielgerichtete Lesen im Internet ausgehebelt.“

Die Inhalte auf Online-Seiten verandern sich bei vielen Medien inzwischen stundlich, manchmal binnen weniger Minuten.   ?Der Schnee“ von vor ein paar Stunden wandert ins Archiv. Damit lasst sich noch immer von einem potenziell freien Zugang zu den Themen sprechen, sofern die Archive kostenfrei sind.  Aber die Nutzung dieser Archive  setzt beim Nutzer eine Kompetenz voraus, fur die Medien ein ganzes Redaktionsteam bezahlen, namlich nichts anderes zu tun, als Nachrichten zu gewichten und einzuordnen. Wenn Berichte mit dem Vermerk? +++ Eilmeldung +++ auf die Seite gehoben werden, kann der Nutzer die suggerierte Wichtigkeit glauben   - oder nicht. Ob diese Meldung den Aufmerksamkeitsbonus im Vergleich zu dem dafur ins Archiv abgewanderten Bericht jedoch verdient, weiß am Ende vielleicht noch der Leitende Redakteur, die Nachrichtenredaktion oder der Chef vom Dienst, dem Leser aber fehlt bei vielen Medien im Moment der sichtbare Vergleich fur diese Gewichtung.