한국   대만   중국   일본 
Einleitung
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20070519022239/http://www.cx.unibe.ch:80/~ruetsche/japan/Japan4.htm
Überblick über die Verfassungsgeschichte Japans

von Prof. Dr. Andreas Kley und Dr. Roger Mottini
 

Zurück zur Einstiegsseite
 

Inhalt:

1. Übersicht

2. Der japanische Spätfeudalismus der 'Edo'-Zeit (1603-1867)

3. Krise und Zusammenbruch des Shôgunats im 19. Jahrhundert

4. Die Meiji-Restauration

5. Die Meiji-Verfassung von 1889

6. Die Taishô-Periode (1912-1926)

7. Die Shôwa-Periode (1926-1989)

8. Die neue Verfassung vom 3. November 1946
 
 

1. Übersicht

Die Probleme der verfassungsmässigen politischen Ordnung Japans haben ihren Ursprung im ungelösten Spannungsverhältnis der langen feudalen Vergangenheit, die im 19. Jahrhundert einer überstürzten und nachvollzogenen Modernisierung weichen musste. Die Umwertung aller bis dahin gültigen Werte wurde von einer kleinen politischen Elite unter dem Eindruck eines Belagerungszustandes durch die westlichen imperialistischen Mächte vorgenommen, ohne dass daraus eine bürgerlich-demokratische Gesellschaftsordnung entstand. Die japanischen Versuche in den 20er Jahren, von der technisch-wirtschaftlichen Modernisierung zu einer demokratischen Ordnung zu gelangen ( Taish ô -Demokratie) blieben im Ansatz stecken und das Land geriet in der Folge immer mehr auf die abschüssige Bahn eines aggressiven Nationalismus, der sich teilweise auch als Antwort auf die politische Diskriminierung durch die westlichen Mächte verstand.

Nach dem Scheitern der Demokratiebewegung ermöglichten es die in der ersten japanischen Verfassung ( Meiji-Verfassung) angelegten Strukturen den japanischen Militärs, sich politisch immer mehr in den Vordergrund zu spielen. Ihr Weg des ultranationalistischen Militarismus endete schliesslich in der Katastrophe des pazifischen Krieges.

Unter dem Eindruck jenes Krieges diktierten die amerikanischen Sieger Japan eine bis heute gültige neue Verfassung (MacArthur-Verfassung), die von der Absicht getragen ist, ein Wiederaufleben des japanischen Militarismus zu verhindern und dem Land eine bürgerlich-demokratische Ordnung nach amerikanischem Vorbild zu geben.
 

2. Der japanische Spätfeudalismus der 'Edo'-Zeit (1603-1867)

Der japanische Spätfeudalismus ist nur sehr beschränkt mit dem Feudalsystem im alten Europa vergleichbar, da ihm wesentliche Merkmale jenes Systems fehlten. In erster Linie ist dabei das Fehlen einer der Kirche vergleichbaren Institution zu erwähnen. Die katholische Kirche im feudalen Europa übte als monopolistische Sachwalterin eines transzendenten moralischen Wertekanons einen beträchtlichen politischen Einfluss aus; eine damit vergleichbare Institution sucht man im japanischen Feudalismus hingegen vergeblich. Die Macht der bewaffneten Tempel war Ende des 16. Jahrhunderts gewaltsam gebrochen worden. Dies änderte sich auch nicht mit der Ankunft der Portugiesen als Händler und Missionare im Jahre 1543; der von den Jesuiten zunächst erfolgreich verbreitete christliche Glaube wurde von der japanischen Kriegerelite sehr bald als eine ideologische Bedrohung wahrgenommen und im 17. Jahrhundert blutig ausgerottet.

Mit seinem entscheidenden Sieg in der Schlacht von Sekigahara im Jahre 1600 konnte sich Tokugawa Ieyasu 1 (1542-1616) durchsetzen und als shôgun (Militärherrscher) mit eiserner Hand die notorischen Kämpfe zwischen den zahlreichen daimyô (Teilfürsten) beenden. Mit ihm begann die fast dreihundert Jahre währende Periode des Tokugawa-Shôgunats ( Edo-Zeit 1603-1867) . Er verwies die Portugiesen und Spanier des Landes, und unter seinen Nachfolgern wurde das Christentum in Japan endgültig vernichtet.

Im Verlauf der Edo-Zeit bildete sich eine einzigartige Feudalstruktur aus, die auf dem bereits bestehenden Dualismus von tennô (japanischer Kaiser) und shôgun aufbaute. Die mit dem göttlichen Ursprungsmythos Japans verbundene Institution des japanischen Kaiserhauses basierte auf der Vorstellung, dass die, im Gegensatz zu China, ununterbrochene Linie der Kaiser(-innen) eine direkte Verbindung zur japanischen Götterwelt verkörperten. Politisch machtlos aber unantastbar, residierte der Kaiser in Kiôto, während der shôgun in Edo (heute: Tokio) die Macht in dessen Namen ausübte. Im feudalen japanischen Staatsverständnis war es die göttliche Autorität des tennô, von der die Legitimation zur Herrschaft über Japan auszugehen hatte.

In dem Bemühen, ausländische Störeinflüsse, die die Macht des Shôgunats gefährden könnten, auszuschalten, schottete sich Japan im Verlaufe des 17.Jahrhunderts fast völlig von der Aussenwelt ab. Die Schiffahrt hatte sich auf die Küstengewässer zu beschränken, der Bau hochseetauglicher Schiffe wurde untersagt, und ausländische Schiffe durften die japanischen Küsten nicht anlaufen. Das Tokugawa-Shôgunat machte dabei allerdings zwei Ausnahmen: neben chinesischen Kaufleuten war es auch den nicht missionierenden Holländern erlaubt, von Deshima aus ? einer künstlichen Insel im Hafen von Nagasaki ? die Handelswünsche Japans zu befriedigen. Während fast dreihundert Jahren blieb diese kleine Insel das einzige Fenster Japans zur Aussenwelt. Gleichzeitig genoss das Land allerdings auch die längste Friedensperiode seiner Geschichte und sah ein lebhaftes Aufblühen von Kunst und Kunsthandwerk.

Der Preis für diesen Frieden bestand in einer rigorosen und allumfassenden sozialen Kontrolle, der die ganze Gesellschaft Japans während der Edo-Zeit unterworfen wurde. Ein rigides und streng hierarchisches Vierklassensystem, das ausserdem in eine Unzahl von Unterklassen zerfiel, wies jedem Mitglied seine exakt definierte gesellschaftliche Position an. Zuoberst in der sozialen Hierarchie stand die Kriegerklasse ( samurai ), darunter folgten die Bauern , danach die Handwerker und zuunterst standen die Kaufleute . Die letzteren wurden im agrarischen Selbstverständnis des japanischen Feudalismus als unproduktiv angesehen und genossen ein entsprechend niedriges Sozialprestige. Dieses stand allerdings in auffallendem Gegensatz zur faktischen Bedeutung der Kaufleute in der japanischen Feudalgesellschaft als Geldgeber des Schwertadels. Innerhalb dieser vier Hauptklassen bestanden unzählige Abstufungen und für jede dieser Positionen gab es genaue soziale Verhaltensvorschriften im Bezug auf Beruf, Wohnung, ja selbst Kleidung und Sprachgebrauch. Die Einhaltung dieser Sozialnormen wurde durch ein Prinzip kollektiver Verantwortlichkeit ( goningumi) gewährleistet, das ein abweichendes Verhalten nur um den Preis des Ausschlusses aus der Gemeinschaft erlaubte. Erst gegen Ende der Edo-Periode wurden die starren Klassengrenzen durchlässiger. Trotz dieser strengen sozialen Kontrolle, war der japanische Spätfeudalismus keine Schreckensherrschaft; gewaltsame Aufstände hatten vorwiegend ökonomische Ursachen.

Ganz ausserhalb dieses Klassensystems standen die eta oder burakumin, eine Gruppe von sozial Geächteten (keine Sklaven), die sich mit Arbeiten befassten, welche als unrein angesehen wurden (Schlachten, Lederverarbeitung, Abfallentsorgung), und die sich in eigenen Ghettos weitgehend autonom organisierten. Unter dem Regime des Shôgunats war nicht nur die soziale Mobilität ausser Kraft gesetzt, auch die physische Bewegungsfreiheit der Menschen wurde drastisch beschnitten. Für jeden grösseren Ortswechsel mussten Bewilligungen eingeholt werden.

Die japanische Geistlichkeit (Buddhisten und Shintôisten) hatte die Aufgaben einer religiösen Gesinnungspolizei gegen ein Wiederaufleben des Christentums wahrzunehmen; die Tempel führten ausserdem die Einwohnerregister und stellten die Ausweispapiere aus.

Gegenüber den etwa 260 Daimyaten (Feudaldomänen, han ) übte das Shôgunat nur eine indirekte Kontrolle aus. Die daimyô besassen die Steuerhoheit in ihren Domänen und waren autonom, was die deren innere Angelegenheiten betraf. Jeder dieser daimyô verfügte ausserdem über seine eigene Armee, deren Samurai nur ihm allein Loyalität schuldeten. Die militärische Übermacht des shôgun stützte sich ökonomisch auf das Steueraufkommen seiner Ländereien, das in Reis gemessen wurde und mit dem die Samurai entlohnt wurden. Diese Basis ermöglichte es dem shôgun, die grösste Streitmacht zu unterhalten und einer eventuellen Koalition feindlicher daimyô jederzeit überlegen entgegentreten zu können.

Eine Reihe von weiteren Massnahmen sicherte die Macht des Shôgunates ab. Den daimyô von zweifelhafter Loyalität wurden Lehen an der Peripherie des Landes zugeteilt. Daneben hatten sich diese zweitrangigen Feudalherren ( tozama oder "Herren der Ferne" genannt) auf eigene Kosten jeweils abwechselnd in Edo, der Residenzstadt des shôgun, oder in ihren Domänen aufzuhalten ( sankink ô tai -System). Für die standesgemäss reisenden und residierenden daimyô stellte diese Verpflichtung eine kostspielige Angelegenheit dar, die sie wirtschaftlich schwächte. Während die daimyô auf ihren Domänen waren, mussten deren Familien unter der Aufsicht des Shôgunats in Edo zurückbleiben.

Die zentrale Staatsorganisation des feudalen Japan wurde von Vasallen des shôgun und loyal ergebenen daimyô getragen, sie übte eine subsidiäre Rechtsprechung aus und war insbesondere mit der Verwaltung eines ausgedehnten Spitzeldienstes befasst.

Dieses Feudalystem ( bakuhan- System ) der vorwiegend indirekten Kontrolle gewährleistete aber letztendlich nicht mehr als eine prekäre Machtbalance zugunsten der Tokugawa-shôgune und war anfällig gegenüber jeder Art von gesellschaftlichen oder äusseren Veränderungen. Shôgunale Handelsprivilegien und hohe Reissteuern trugen ebenfalls nicht zur Stabilität des Systems bei und im Gefolge von Missernten kam es immer wieder zu Bauernaufständen, die gewaltsam niedergeschlagen wurden.
 

3. Krise und Zusammenbruch des Shôgunats im 19. Jahrhundert

In der Wissenschaft Japans bildete sich im 18. Jahrhundert ein Dualismus zwischen dem ursprünglich vorherrschenden klassischen Studium des chinesischen Konfuzianismus und dem Studium Europas und seiner Wissenschaften heraus. Die Beschäftigung mit Europa blieb im feudalen Japan lange Zeit nur einem kleinen Kreis von ausgewählten Gelehrten und Intellektuellen, zumeist aus dem Umkreis des Tokugawa-Clans, vorbehalten. Diese Intellektuellen, der holländischen Sprache mächtig, agierten oft auch als Dolmetscher im Verkehr mit den Holländern auf Deshima. Für diese Art der modernen Bildung existierte im feudalen Japan eine besondere Bezeichnung: rangaku (Holländisches Lernen, oder Holländische Wissenschaft). Im Rahmen dieses rangaku , befassten sich die japanischen Intellektuellen insbesondere mit holländisch abgefassten Schriften auf den Gebieten der Medizin, der Naturwissenschaften, der Geographie, Geschichte, Kriegstechnik und Astronomie. Die wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften des Abendlandes verfehlten ihre Wirkung auf die japanischen Gelehrten nicht. Unter dem Einfluss ihrer zumeist noch jungen intellektuellen Berater kamen dann auch immer mehr der führenden Vertreter des japanischen Schwertadels zu dem Schluss, dass Europa mittel- und längerfristig eine eigentliche Gefahr für Japan darstellte, der das herrschende bakuhan- System nicht gewachsen sein würde.

Auf die zunehmenden Versuche westlicher Mächte im 19.Jahrhundert, mit Japan Kontakt aufzunehmen, reagierte das Shôgunat abweisend. Erst im Jahre 1854 gelang es dem US Admiral Matthew Calbraith Perry (1794-1858) mit seiner Flotte das Shôgunat derart unter Druck zu setzen, dass es einen Vertrag mit den USA abschloss, dem innert kurzer Zeit weitere Abkommen mit europäischen Mächten folgten. In diesen Verträgen räumte das aussenpolitisch unerfahrene Shôgunat dem Ausland weitreichende Handelsprivilegien und Exterritorialrechte ein. Die Verträge stipulierten die Einrichtung exterritorialer ausländischer Wohngebiete, die Konsulargerichtsbarkeit für Ausländer in Japan und einen tiefen Einfuhrzoll von 5% ohne entsprechendes Gegenrecht. Seit 1864 gehörte auch die Schweiz als erstes Binnenland zu den Vertragspartnern Japans; wobei auch sie von den einseitigen Vorteilen der ungleichen Verträge profitierte. Im Gefolge der ungleichen Verträge litt das Land unter einer hohen Inflation, hervorgerufen durch die grosse Auslandsnachfrage nach japanischen Produkten, die mit den traditionellen Produktionsmethoden nicht befriedigt werden konnte. Der ungebremste Zustrom billiger ausländischer Industriewaren bedrohte zudem das japanische Handwerk in seiner Existenz. Als Folge davon wurde die Stimmung in Japan durch Ausländerfeindlichkeit und eine zunehmende Opposition gegen das Shôgunat geprägt.

Die Opposition gegen das Shôgunat konzentrierte sich in den peripheren südlichen Daimyaten von Satsuma, Chôshû, Hizen und Tosa. Dort hatten junge, zumeist niederrangige Samurai anhand ihrer 'Holländischen Studien' die Armeen ihrer daimyô nach europäischem Vorbild organisiert, bewaffnet und gedrillt. Mit diesen modernen Streitkräften konnten sie einer allfälligen Konfrontation mit den zahlenmässig überlegenen Shôgunatstruppen nunmehr gelassen entgegensehen.

Auch am kaiserlichen Hof in Kiôto gelang es den shôgunatsfeindlichen Kräften, sich einen dominierenden Einfluss zu sichern. Aus dieser Position heraus traten sie in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts mit dem Schlachtruf sonnô-jôi ("vertreibt die Barbaren ? ehrt den Kaiser") gegen den shôgun und dessen Verbündete an. Den modernisierten Heeren ihrer Gegner hatten die altmodischen Ritterheere des shôgun nichts als ihren Mut entgegenzusetzen. Nach einer Serie von kurzen aber blutigen Kämpfen geriet das Shôgunat ab 1866 endgültig in die Defensive und Ende 1867 bot der letzte shôgun, Tokugawa Yoshinobu, dem Kaiser seinen Rücktritt an, den dieser umgehend annahm.
 

4. Die Meiji-Restauration

Die neuen Herrscher Japans, die nun im Namen des Kaisers die Ära Meiji ("erleuchtete Herrschaft", 1868-1912) einläuteten, standen vor der Herausforderung, das Land so rasch wie möglich aus seiner feudalen Vergangenheit zu reissen und in einen modernen Nationalstaat zu verwandeln, ohne dass es in Chaos oder koloniale Abhängigkeit versank. Kido Takayoshi verfasste ein Programm, um dieses Ziel zu erreichen und legte es dem tennô vor. Dieser erliess am 14. März 1868 den sog. "Fünf-Artikel-Schwur":

"1. Es sollen öffentliche Versammlungen einberufen und die öffentliche Meinung bei der Entscheidung aller Staatsangelegenheiten soll zu Rate gezogen werden.

2. Regierung und Untertanen sollen ihren Willen vereinen und eine Politik zum Erblühen des Staates durchführen.

3. Alle Untertanen, Zivilbeamte und Militärs bis hin zum einfachen Volk sollen ihr Bestes tun und nicht müde werden, die gestellten Ziele zu errerichen.

4. Überkommene schlechte Bräuche sollen beseitigt werden und alles soll auf den gerechten Wegen des Himmels und der Erde basieren.

5. Kenntnisse sollen in aller Welt gesammelt und so die Grundlagen des Kaiserreiches gefestigt werden."

Nach dem letzten Punkt des Schwurs, mussten sich die neuen Machthaber über die Zustände und Institutionen im Westen informieren, wo die neuen Vorbilder zu suchen waren. Zu diesem Zwecke begab sich eine hochkarätige Delegation von Regierungsvertretern unter der Leitung des Fürsten Iwakura Tomomi (1825-1883) im Jahre 1871 auf eine beinah' zweijährige diplomatische Studienreise durch alle Vertragsländer, um die Verhältnisse vor Ort zu studieren. Die westliche Zivilisation präsentierte sich ihnen dabei nicht als einheitliches Modell, sondern wies eine verwirrende Vielzahl von Formen auf. Die unterschiedlichen und widersprüchlichen Institutionen, Glaubensüberzeugungen und Ideologien, mit denen die Japaner in ihrem Studium des Westens konfrontiert wurden, liess sie jedoch erkennen, dass es auch möglich sein musste, selektiv das zu übernehmen und an die japanischen Verhältnisse anzupassen, was ihnen geeignet erschien. Ausserdem erkannten die Teilnehmer der Iwakura-Mission schnell, dass die Modernisierung im Westen erst vor einer Generation eingesetzt hatte, woraus sie folgerten, dass ein solches Unterfangen auch in Japan zu schaffen sein müsste.

Neben den drängendsten Problemen eines neuen Staatsaufbaus, einer einheitlichen modernen Militärorganisation und eines neuen Finanz- und Steuersystems stand von allem Anfang an die Frage nach dem für Japan geeigneten Modell einer politischen Ordnung im strategischen Blickfeld der Meiji-Regierung. Dabei ging es ihr vor allem auch darum, von den ausländischen Mächten als gleichwertig anerkannt zu werden und die ungleichen Verträge im Sinne Japans revidieren zu können. Nur eine moderne Verfassung konnte Japan den Weg aus seiner diskriminierenden Isolation bahnen, in die es von Europa durch seine kulturelle und religiöse Andersartigkeit gebannt sei, wie der Staatsrat (Minister) Itô Hirobumi (1841-1909) bitter anmerkte.

In der Verfassungsdiskussion Meiji-Japans standen die Anhänger eines liberalen, parlamentarischen Modells nach britischem Vorbild den Befürwortern einer autoritären Ordnung nach der Art Preussens gegenüber. Die Debatte wurde aber nicht nur innerhalb der Regierungsoligarchie geführt. In der Diskussion um Japans politische Zukunft spielte sehr früh auch eine weitere Errungenschaft aus dem Westen eine gewichtige Rolle: Die Presse. Der Einführung der ersten japanischen Tageszeitung im Jahre 1870 (" Yokohama mainichi shinbun", Tageszeitung von Yokohama) folgte eine wahre Flut von Druckerzeugnissen. Durch die populären Auslandsdarstellungen, die vom japanischen Publikum begierig aufgenommen wurden, kamen breitere Kreise der Bevölkerung in Berührung auch mit den Ideen eines Verfassungsstaates. Die Anhänger einer liberalen parlamentarischen Ordnung, die Mitte der 70er Jahre aus der Regierung gedrängt worden waren, nutzten in der Folge die Verfassungsdiskussion für ihren politischen Machtkampf und gingen auf Konfrontation mit der Regierung. Die in vielen Zeitungen verbreiteten politischen Ideen und Ansichten kollidierten mit den autoritären Auffassungen der Meiji-Führung und diese bemühte sich umgehend, dem Phänomen Herr zu werden. Bereits 1873 erliess die Regierung Vorschriften, wonach alle Zeitungen eine Druckerlaubnis einzuholen hatten; des weiteren wurden der Presse jegliche Kritik und "Obstruktion" untersagt. Zwei Jahre später dann folgte ein repressives Pressegesetz, das zwar Wirkung zeigte, die Debatte aber nicht zum Erliegen bringen konnte.

Im Jahre 1874 erreichte die politische Auseinandersetzung in Japan einen ersten Höhepunkt, als der ehemalige Staatsrat Itagaki Taisuke (1837-1919) zusammen mit Gleichgesinnten ein "Memorandum für die Errichtung eines vom Volk gewählten Parlaments" veröffentlichen konnte. Die Zeitung in der das Manifest erschien, gehörte einem Engländer und gegen ausländische Unternehmungen durfte die Regierung aufgrund der bestehenden Auslandverträge nichts unternehmen. Itagaki und seine Getreuen waren im Vorjahr unter Protest aus der Regierung ausgetreten, weil sie mit ihrer Forderung, von den inneren Problemen Japans durch eine aggressive Politik gegenüber Korea abzulenken, nicht durchgedrungen waren und nun die Gelegenheit erkannten, ihren Widersachern in der Regierung erneut entgegenzutreten.

Die von Ôkubo Toshimichi (1830-1878) und Iwakura dominierte Regierung wies das Itagaki-Memorandum umgehend zurück, aber der Funke hatte bereits gezündet. Aus allen Schichten der Bevölkerung ertönte mit einem Mal der Ruf nach Beteiligung am politischen Geschehen, landesweit bildeten sich zahllose Debattier- und Agitationsgruppen. Dieses Phänomen blieb erstaunlicherweise nicht nur auf die Städte beschränkt, sondern erfasste das ganze Land und fand auch in mittleren und unteren Bevölkerungskreisen zahlreiche Anhänger. In diesen Gruppen wurden die liberalen Ideen der westlichen politischen Philosophie, v.a. von Locke, Mill, Rousseau und Bentham eifrig diskutiert und verbreitet. Diese äusserst heterogene, mehr oder weniger spontane Massenbewegung aus dem Volk heraus ging unter dem Sammelbegriff Bürgerrechtsbewegung bzw. Demokratiebewegung ( jiyû minken undô ) in die japanische Geschichte ein. Aus dieser Bewegung heraus entstanden in der Folge auch die ersten politischen Parteien Japans. Als erste Partei, wurde 1881 von Itagaki und seinen Anhängern die liberale Partei (jiyûtô) gegründet; ihr folgte 1882 die Fortschrittspartei (rikkenkaishintô) des liberalen ehemaligen Regierungsmitglieds Ôkuma Shigenobu (1838-1922). Aus der wirtschaftlichen Not der seit 1881 verfolgten Deflationspolitik heraus entstanden zwischen 1883/84 auch zahlreiche Splitterparteien von nur regionaler Bedeutung. Diese öffentliche Auseinandersetzung um Japans politische Zukunft dauerte fast fünfzehn Jahre lang, von 1874 bis 1889. Die Demokratiebewegung machte den Begriff Freiheit (jiyû) in weiten Kreisen der Bevölkerung so populär, dass er selbst zu Werbezwecken eingesetzt wurde und auf Geschäftsschildern erschien (etwa das "Freiheitsbad" [Badeanstalt], die "Freiheitstablette" [Apotheke] oder die Gaststätte "zur Freiheit").

In der intellektuellen Diskussion zur Verfassungsfrage standen sich der liberale unabhängige Denker und Publizist Fukuzawa Yukichi (1835-1901) und der ehemalige Shôgunatsbeamte Katô Hiroyuki (1836-1916) gegenüber. Er war der erste japanische Experte für die deutsche Sprache und seinerzeit als Shôgunatsbeamter im "Amt zur Untersuchung des barbarischen Schrifttums" ( banshô shirabeshô ) tätig. Fukuzawa war die herausragende Figur bei der Vermittlung von Wissen über die westliche Welt, das er sich insbesondere als Mitglied der ersten japanischen Auslandsdelegation des Tokugawa-Shôgunats 1860 in den USA angeeignet hatte. Er übte mit seinen populären Schriften einen grossen Einfluss auf Japans Verständnis des Westens aus. Bereits im Jahre 1867 hatte er ein Buch über die elf Länder, mit denen Japan Vertragsbeziehungen eingegangen war, publiziert. In seiner 1871 erschienenen Schrift, "Empfehlung, Wissenschaft zu betreiben" ( gakumon no susume ) kam die japanische Bevölkerung zum ersten Mal auch mit der Idee der gleichen Rechte der Menschen in Berührung. Das in mehr als 200'000 Exemplaren erschienene Buch begann mit den berühmten Worten: "Der Himmel schafft keine Menschen, die über den Menschen stehen, auch keine Menschen, die unter den Menschen stehen."

Katô entwickelte sich mit seinen Positionen zum einflussreichsten intellektuellen Gegenspieler des liberalen Fukuzawa. Bereits 1861 hatte Katô in seinem Buch Tonarigusa ("Vermischtes aus dem Nachbarland") die politischen Systeme der USA und verschiedener Länder Europas beschrieben. Er unterschied dabei zwischen monarchischen und republikanischen Typen der politischen Herrschaft. Die monarchischen Systeme unterteilte er in solche der absoluten und der konstitutionellen Monarchie. Bei den Republiken differenzierte er zwischen der oligarchischen Adelsrepublik und der auf bürgerlicher Gleichheit basierenden "reinen Republik". Während Katô die monarchischen Systeme (zunächst noch) als inferior ansah, stellte er die reine Republik als die höchste Staatsform dar. Die USA und die Schweiz nannte er als Beispiele für Länder, welche diese von ihm als erstrebenswert angesehene Regierungsform erreicht hätten. In seiner 1868 erschienenen Schrift "Umrisse konstitutioneller politischer Systeme" ( rikken seitairyaku ) erläuterte er seinen Landsleuten auch das föderalistische Wesen dieser Republiken. Beim Föderalismus handle es sich um ein System, bei welchem auch die Teilstaaten ihre eigene Regierung hätten, während für die Politik des ganzen Landes eine "grosse Regierung" zuständig sei. Im Jahre 1872 übersetzte Katô auch das Werk "Allgemeines Staatsrecht" des in Deutschland lehrenden Schweizers Johann Kaspar Bluntschli ins Japanische. Nach seiner anfänglichen Begeisterung für das republikanische System, wandte sich Katô jedoch wieder davon ab. In seiner zweiten Lebenshälfte vertrat er das nationalistische Tennô-System, weil er es als geeigneter für Japan ansah. Er kam zum Schluss, dass das "ungebildete" japanische Volk noch nicht reif genug sei für ein parlamentarisches System nach englischem Muster. Deshalb machte er sich für eine Begrenzung demokratischer Volksrechte stark, zumindest in einer ersten Phase, zugunsten einer in ihrem Handlungsspielraum nicht eingeschränkten, starken Regierung. In der nach 1874 einsetzenden Verfassungsdiskussion übte er mit seinen Schriften zur Rechtfertigung eines Tennô-Systems grossen Einfluss auf die Meiji-Regierung aus. Von Ô i Kentarô ( 1843-1922), einem prominenten Führer der Demokratiebewegung, wurde Katô wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Parlamentarismus heftig angegriffen.

Innerhalb der Meiji-Regierung entzündete sich die Verfassungsdiskussion bereits im Jahre 1870, als eines ihrer Mitglieder, Etô Shimpei (1834-1874), sein "Memorandum zur Erneuerung des nationalen Systems" vorlegte, in dem er die Errichtung einer legislativen Zweikammerinstitution vorschlug. Innerhalb der Meiji-Oligarchie prallten die Meinungen der am englischen Parlamentarismus orientierten liberalen Fraktion um Ôkuma Shigenobu (1838-1922), und den Anhängern eines graduellen Vorgehens um Itô Hirobumi (1841-1909) und Iwakura aufeinander. Bei den letzteren stand die Sorge um einen Kontrollverlust über den Modernisierungsprozess im Vordergrund. Sie befürworteten im Interesse des "nation building" ausserdem eine starke Stellung des Kaisers als Kristallisationspunkt einer gesamtjapanischen nationalen Identität.

Im Jahre 1878 fiel der inzwischen einem Kompromiss zuneigende Ôkubo Toshimichi (1830-1878), gleichzeitig der einflussreichste der Meiji-Führer, einem Attentat zum Opfer. Danach spitzte sich 1881 die Diskussion innerhalb der Regierungsoligarchie unter dem Eindruck der Bürgerrechtsbewegung und weitverbreiteter Unruhe in der Bevölkerung krisenhaft zu. Als Konsequenz der hohen Steuerlast und der 1881 einsetzenden Deflationspolitik verarmten nämlich viele Kleinbauern, Handwerker und Kleinunternehmer. Schliesslich wurde Ôkuma aus der Regierung ausgeschlossen. Um die Lage im Lande zu beruhigen, liess die Meiji-Führung in einem kaiserlichen Edikt verkünden, bis 1890 eine Verfassung für Japan auszuarbeiten. Angelehnt an das preussische Modell, legte Iwakura die Grundsätze fest, an denen die zukünftige Verfassung ausgerichtet sein sollte. Danach hatte er die folgenden Richtlinien zu beachten: 1. Die Verfassung wird vom tennô bestimmt. 2. Der tennô erhält Oberkommando über die Streitkräfte. 3. Eine Parteienregierung wird abgelehnt. 4. Die Minister sind allein dem tennô verantwortlich, nicht dem Parlament. Diese Punkte entstammten den herrschenden "absolutistischen" Anschauungen und fanden sich dann tatsächlich in der Verfassung wieder.

Aufgrund dieser Vorgaben machte sich eine Verfassungskommission unter der Leitung von Itô Hirobumi an die Arbeit. Itô selbst reiste 1882 nach Europa, wo er 14 Monate lang Verfassungsrecht studierte. In Berlin besuchte er die Vorlesungen der bekannten Verfassungsrechtler Rudolph von Gneist (1816-1895) und Albert Mosse (1846-1925) und in Wien beriet er sich mit Lorenz von Stein (1815-1890). Aufgrund dieser Studien wurde Itô in seiner Haltung bestärkt, dass sich für Japan das preussische Modell am besten für eine Adaption eignete. Die Ergebnisse dieser Studien machten sich in Japan schon bald bemerkbar. Im Jahre 1884 wurde nach preussischem Vorbild eine neue Adelsordnung in fünf Klassen eingeführt, die auch als Basis für ein zukünftiges Oberhaus gedacht war.

1885 führte die Regierung ein Kabinettsystem ein, in dem die Minister nach wie vor dem Kaiser verantwortlich waren. Im Jahre 1888 schuf die Meiji-Oligarchie einen "Geheimen Staatsrat" ( genrôin), ein kaiserliches Beratergremium, dessen Mitglieder vom tennô auf Lebenszeit ernannt wurden; damit sicherten sich die Meiji-Führer einen informellen politischen Einfluss über ihre aktive Zeit hinaus.

Die Ausarbeitung der Meiji-Verfassung geschah unter grösster Geheimhaltung. Itôs Kommission arbeitete ab 1885 unter Mithilfe des an der Kaiserlichen Universität Tokio lehrenden deutschen Rechtsgelehrten Hermann Roesler (1834-1894) an dem Verfassungsentwurf. Der zweite deutsche Mitarbeiter war der Gneist-Schüler Albert Mosse (1846-1925), der Itô 1886 nach Tokio folgte. Neben Itô umfasste die Kommission noch drei hochrangige Beamte: Inoue Kowashi (1844-1895), Itô Miyoji (1857-1934), und Kaneko Kentarô (1853-1942).
 

5. Die Meiji-Verfassung von 1889

Am 11. Februar 1889 wurde die erste Verfassung Japans, im Sinne eines Geschenks des Kaisers an seine Untertanen feierlich proklamiert. Sie war eine bemerkenswerte Synthese zwischen traditioneller japanischer und westlicher, sprich deutscher, Staatsauffassung.

In Anknüpfung an den religiösen Ursprungsmythos Japans stellte die Meiji-Verfassung den tennô nicht nur als absolute Autorität ins Zentrum des Staates (Art. 3 und 4), er war dessen göttliche Verkörperung ( kokutai) . Die von ihm berufenen Minister übten sowohl die Regierungs- als auch die gesetzgebende Gewalt (unter Zustimmung des Parlamentes) in seinem Namen aus und blieben nur ihm verantwortlich (Art. 55).

Dem tennô standen ausserdem umfangreiche Vollmachten zu, die stellvertretend von der Regierung ausgeübt wurden. Der ganze Militärbereich und der Staatshaushalt blieben parlamentarischer Kontrolle entzogen. Auf Anraten Bismarcks hatte Itô eine Bestimmung in die Verfassung eingebaut, die vorsah, dass im Falle einer Ablehnung des Budgets durch das Parlament ( teikoku gikai) der Vorjahreshaushalt seine Gültigkeit behielt (Art. 71). Damit war eine wirksame Finanzkontrolle durch das Parlament ausgeschlossen.

Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte unterstanden dem tennô die Minister des Heeres und der Marine direkt (Art. 11). Weitere wichtige Rechte des tennô betrafen die Einberufung und Auflösung des Parlaments (Art. 7, 45), die Möglichkeit Edikte mit Gesetzeskraft zu erlassen ( chokurei) (Art. 8), die Ernennung der Militärspitzen (Art. 10), das Aussprechen von Kriegserklärungen sowie die Genehmigung von Auslandsverträgen (Art. 13), um nur die wichtigsten zu nennen.

Das Wahlrecht zum Zweikammerparlament war stark eingeschränkt. In das Adelshaus konnte nur Einsitz nehmen, wer vom tennô dazu berufen wurde und dem Adel angehörte. Die Wahlen zum Unterhaus standen nach dem angewendeten Zensussystem (Minimalsteuerleistung von 14 Yen) nur einem winzigen Teil der Bevölkerung (ca. 1,1 % der insgesamt 39 Millionen Einwohner) offen. Das Unterhaus bildete eine Art Diskussionsforum, bei dem sich die Abgeordneten gegenüber dem Kaiser Gehör verschaffen konnten, indem sie vorsichtig Kritik übten. 1900 erfolgte eine Reform des Wahlrechts, indem die Einkommenssteuergrenze von 14 auf 10 yen herabgesetzt wurde. Dadurch verdoppelte sich die Zahl der Wahlberechtigten von 500'000 (1898) auf nahezu eine Million. Das änderte freilich nichts am undemokratischen Charakter dieses Wahlsystems, das nur die oberen Schichten zur politischen Mitbestimmung zuliess.

Die Meiji-Verfassung verankerte und stärkte in Japan die neue bürokratische und streng zentralistische Ordnung, die anstelle des alten Systems eingeführt worden war. Die alte Gemeindeautonomie unter dem Feudalsystem hatte Lokalverwaltungen Platz gemacht, die vom Innenministerium kontrolliert wurden, das auch die Gouverneure in die Präfekturen entsandte (die Daimyate waren bereits 1871 aufgelöst worden).

Trotz dieser Unzulänglichkeiten fand die Meiji-Verfassung die Billigung der japanischen Presse und auch das westliche Ausland äusserte sich überwiegend positiv über das Werk. Damit hatte die Meiji-Führung einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur gleichberechtigten Anerkennung durch den Westen gemacht. Ab 1894 kam es zu den ersten Revisionen der ungleichen Verträge und die Exterritorialrechte für Ausländer wurden abgeschafft. Bis 1911 hatte Japan dann auch seine Zollhoheit wiedererlangt.

Ideologisch sicherte die Meiji-Führung das Tennô-System ab, indem sie den traditionellen Shintô-Glauben (der auf Naturgöttern und Ahnenkult beruhte) auf Kosten des Buddhismus förderte und ihn zu einer Ideologie der Kaiserverehrung erweiterte. Mit dem kaiserlichen Erziehungsedikt vom 30. Oktober 1890 nahm dieser Staatsshintô an Japans Schulen den Platz der buddhistischen Morallehre ein.

Mit der Realisierung einer Verfassung und Volksvertretung war nun auch die Hauptforderung der Demokratiebewegung erfüllt, ohne das Machtmonopol der Oligarchen in Frage zu stellen. Die politische Diskussion verlagerte sich in Japan nun schwergewichtig auf aussenpolitische Themen.

In der aussenpolitischen Strategie Meiji-Japans kam dem wehrlosen, unter der Souveränität eines schwachen China stehenden Korea die Schlüsselfunktion zu. Im siegreichen Krieg von 1894/95 gegen das China der Ch'ing-Dynastie entwand Japan Korea dem chinesischen Einflussbereich und brachte sich ausserdem in den Besitz Taiwans.

Ein Waffengang mit dem in die Mandschurei ausgreifenden, mächtigen Russland endete 1905 mit einem weiteren japanischen Sieg. Dieser Sieg erschütterte das eurozentrische Weltbild der europäischen Kolonialstaaten nachhaltig. Im Friedensvertrag von Portsmouth/USA sicherte sich Japan die Oberhoheit über Korea, die südliche Mandschurei und den Südteil der Insel Sachalin. Mit den militärischen Abenteuern auf dem chinesischen Festland wuchs auch der politische Einfluss der japanischen Militärs, die bereits laut über die Errichtung eines Kolonialreiches auf Kosten Chinas nachdachten. Sie nutzten in der Folge ihr in der Verfassung verbrieftes Recht auf direkten Zugang zum tennô weidlich aus, um ihren Vorstellungen Nachdruck zu verleihen.

Itô erkannte die Gefahr, die von der Politik der Militärs ausging, und warnte davor. Seine Warnungen kamen allerdings zu spät, er wurde 1909 von einem koreanischen Attentäter auf dem südmandschurischen Bahnhof von Harbin ermordet. Die Ermordung Itôs, der auch als Generalgouverneur Koreas amtete, wurde von Japan zum Vorwand genommen, um Korea im folgenden Jahr formell zu annektieren und unter eine brutale Militärverwaltung zu stellen, die bis 1945 dauerte. Nach dem Tode von Itô übte Feldmarschall Yamagata Aritomo (1838-1922), der Schöpfer der modernen japanischen Armee, den grössten Einfluss auf die Politik Japans aus.

Am 31. Juli 1912 starb der Meiji-Tennô und mit seinem Tode fand die Ära Meiji ihr Ende.
 

6. Die Taishô-Periode (1912-1926)

Die kurze Ära unter dem kränklichen Taishô-Tennô war geprägt vom politischen Machtkampf zwischen den Führern der erstarkenden Parteien und den anderen Machtcliquen, d.h. der Beamtenschaft und Aristokratie (mombatsu) , den grossen Firmenkonglomeraten ( zaibatsu) und den Militärs ( gunbatsu) . Unter den zaibatsu sind insbesondere Mitsui und Mitsubishi zu erwähnen; diese traten als Hauptgeldgeber der beiden führenden Parteien auf.

Aus dem ersten Weltkrieg ging Japan wirtschaftlich, als Kriegslieferant für die Entente und Haupthandelspartner Chinas, und auch strategisch gestärkt, auf Kosten der ostasiatischen Besitzungen Deutschlands, hervor. Diese Erfahrung förderte bei den japanischen Militärs den Appetit auf weitere imperiale Expansion. Der im Gefolge der bolschewistischen Machtergreifung ausgebrochene Bürgerkrieg in Russland bot den japanischen Militärs eine willkommene Gelegenheit, als Teil einer multinationalen Unterstützungstruppe für die in Sibirien operierenden antikommunistischen Kräfte, Territorialgewinne zu realisieren. Die kostspielige Expedition scheiterte jedoch am erbitterten Widerstand der Russen, die japanischen Truppen mussten ihre Positionen im russischen Fernen Osten 1922 räumen und gaben 1925 schliesslich auch die Besetzung Nordsachalins auf.

Innenpolitisch gewannen die Parteien nach dem Ende der Oligarchenherrschaft der Meiji zunächst an Bedeutung. Im engen Korsett der Meiji-Verfassung dienten sie ihren Führern allerdings lediglich dazu, in der Regierung an Einfluss gegenüber der Bürokratie und den Militärs zu gewinnen. Abhängig von starken Persönlichkeiten und von den Konzernen, blieben sie anfällig für Spaltungen und Korruption. Nur die linken Parteien konnten ein ideologisches Profil entwickeln, blieben in ihrem Einfluss aber grösstenteils auf intellektuelle Kreise und städtische Arbeiter beschränkt und hatten eine Tendenz zur Radikalisierung. Derart instrumentalisiert, stellten die japanischen Parteien keine Plattformen im demokratischen Wettbewerb der politischen Ideen dar, sondern widerspiegelten lediglich die bestehende faktionelle Cliquenherrschaft. Ihren grössten Erfolg konnten die Parteien 1912 verbuchen, als es ihnen im Verbund mit den Spitzen der Bürokratie gelang, die Forderungen der Militärs nach höheren Verteidigungsausgaben vorübergehend abzuwehren.

1918 stand mit dem bürgerlichen Politiker Hara Takashi (1856-1921) erstmals der Führer der Mehrheitspartei an der Spitze des 1885 eingeführten japanischen Kabinetts. Im März 1925 wurde das allgemeine Männerwahlrecht ab dem 25. Altersjahr eingeführt, damit stieg die Zahl der Wahlberechtigten auf 14 Millionen an. Vom Wahlrecht weiterhin ausgeschlossen blieben die Frauen, die Sozialhilfeempfänger sowie die Einwohner von Korea und Taiwan, die damals ebenfalls zum japanischen Kaiserreich gehörten. Diese Reform des Wahlrechts verwirklichte ein wesentliches Ziel der demokratischen Bewegung des vorigen Jahrhunderts; zudem stärkte es die Autorität der regierenden Parteienkabinette. Diese lösten sich in rascher Folge ab, acht von fünfzehn Premierministern zwischen 1912 und 1932 waren Parteipolitiker, die übrigen kamen aus dem Beamten- oder Militärapparat. Drei der Parteipremiers wurden während ihrer Amtszeit ermordet.

Die Militärs bestanden mit Hinweis auf den kaiserlichen Oberbefehl darauf, dass der Heeres- und der Marineminister ein aktiver Militär sein musste; sie konnten den Premierminister nun unter Druck setzen, indem sie sich weigerten, die beiden Ministerposten zu besetzten.
 

7. Die Shôwa-Periode (1926-1989)

Die Anfänge der neuen Ära waren gekennzeichnet durch den Niedergang der Parteienkabinette. Gegen die zunehmende Radikalisierung der Militärs konnten sich die zivilen Premiers auf Dauer nicht durchsetzen. Insbesondere die Offiziere der japanischen Kolonialtruppen in der südlichen Mandschurei bestimmten durch ihre eigenmächtigen Aktionen immer mehr das Gesetz des Handelns. Ultranationalistische Geheimbünde inspirierten Anschläge auf gemässigte bürgerliche Politiker und Militärs, gegen die Linke ging die Polizei aufgrund der repressiven Gesetze zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vor.

Im Mai 1932 drangen fanatische Offiziere in den Amtssitz des Premierministers ein und erschossen Inukai Tsuyoshi (1855-1932). Er war der letzte Parteipremier, die nachfolgenden Kabinette wurden von Militärs dominiert, denen nur noch die linken Parteien Widerstand entgegensetzten, was schliesslich zu deren Zerschlagung führte.

Im Jahre 1935 verboten die Militärs die von dem Verfassungsrechtler an der Kaiserlichen Universität Tokio, Minobe Tatsukichi (1873-1948), aufgestellte sogenannte "Organtheorie". In der bereits 1911 publizierten Theorie vertrat Minobe die Ansicht, dass der tennô nicht als die Verkörperung des Staates angesehen werden könne, sondern lediglich als oberstes Organ desselben; nach dieser Theorie lag die Souveränität beim Volke. Der Majestätsbeleidigung beschuldigt, musste Minobe seinen Sitz im Unterhaus räumen und wurde mit einem Publikationsverbot belegt.

Gezielte Provokationen der japanischen Militärs in der Südmandschurei führten ab 1931 zu immer weiter eskalierenden bewaffneten Auseinandersetzungen mit China und brachten Japan durch den Angriff auf Shanghai und das Bündnis mit Nazideutschland auf Kollisionskurs mit amerikanischen und britischen Interessen.

Der japanische Angriff am 7. Dezember 1941 auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii führte schliesslich zum Krieg mit den USA. Nach den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima (6. August) und Nagasaki (8. August 1945), trat der tennô aus seinem Schatten heraus, und am 15. August vernahm die japanische Bevölkerung zum ersten Mal seine Stimme über den Rundfunk, wo er erklärte, "das Unerträgliche zu ertragen."

Am 2. September 1945 unterzeichneten japanische Regierungsvertreter an Bord des amerikanischen Kriegsschiffes Missouri in der Bucht von Tokio die Kapitulationsurkunde. Als die Amerikaner in Japan einmarschierten, waren sie vom Ausmass der Zerstörungen überrascht. 2,7 Millionen japanische Soldaten und Zivilisten, etwa vier Prozent der Bevölkerung bei Kriegsbeginn, fielen dem Krieg zum Opfer. Bei Kriegsende waren sechseinhalb Millionen Japaner in den verstreuten Winkeln des ehemaligen Imperiums gestrandet. Neben Millionen von Verwundeten gab es neun Millionen Obdachlose. Ein Viertel der physischen Vermögenswerte des Landes - Transportwege und -mittel, Infrastruktur, Immobilien - war zerstört worden. 64 grössere Städte, darunter Hiroshima und Nagasaki, lagen weitgehend in Trümmern. 65 Prozent von Tokio waren ausgebombt.
 

8. Die neue Verfassung vom 3. November 1946

Als "Supreme Commander for the Allied Powers" (SCAP) leitete der US-General Douglas MacArthur (1880-1964) die Besetzung Japans. Seine starke Persönlichkeit bestimmte die Besatzungspolitik entscheidend, die alliierten Gremien ("Far Eastern Commission", "Allied Council for Japan") blieben im Hintergrund. Er erliess am 11. Oktober 1945 einen Befehl über die Liberalisierung der Verfassung und über die "fünf grossen Reformen". Diese betrafen folgende Forderungen:

1. Die Frauen müssen das Stimm- und Wahlrecht erhalten, müssen zur Politik zugelassen und im gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt werden.

2. Die Arbeitnehmer müssen das Koalitions- und Streikrecht erhalten.

3. Die Unterdrückungsapparate müssen vollumfänglich beseitigt werden.

4. Das Bildungswesen muss liberalisiert werden.

5. Die Demokratisierung der Wirtschaft: Zerschlagung der Grosskonzerne (zaibatsu) und ökonomischer Aufbau auf der Grundlage von Klein- und Mittelbetrieben.

Mit einer von General MacArthur verordneten Bodenreform (Verteilung des Grossgrundbesitzes an die Bauern) kam auch die Nahrungsmittelproduktion wieder in Gang. Die repressiven Polizeigesetze wurden von MacArthur aufgehoben und alle politischen Gefangenen kamen bis Oktober 1945 frei. Der General entschied sich, die Institution des tennô im Interesse einer besseren Durchsetzbarkeit seiner Politik beizubehalten. Am 1. Januar 1946 liess er öffentlich verkünden, dass der tennô kein Gott sei. Im darauffolgenden Jahr begann die Säuberung der japanischen Verwaltung von Militärs und Spitzenbeamten. Am 23.12.1948 wurde Tojo Hideki im Gefängnis des Tokioter Stadtteils Sugamo gehenkt. General Tojo war während des Pazifikkrieges Japans Premierminister. Nach der Niederlage wurde er zum Hauptangeklagten des von den Alliierten durchgeführten Tokioter Kriegsverbrechertribunals. Es heisst, die Amerikaner hätten Tojo geopfert bzw. Tojo habe sich selbst aufgeopfert, um den Showa-Tennô - den Vater des jetzigen Kaisers - und damit die Institution des Tennôtums zu schonen. Tojo übernahm die Verantwortung für den Krieg, nicht der tennô. General MacArthur war überzeugt, dass seine Aufgabe wesentlich erschwert werden würde, wenn das Tribunal den tennô antastete, und liess ihn deshalb ungeschoren. Tojo erscheint nach dieser Interpretation als unschuldiger, aber geopferter Diener seines Herrn. Es ist bis heute ungeklärt, in welchem Masse Tojo oder der tennô tatsächlich die Schuld am Ausbruch des Krieges trägt.

Am 10. April 1946 liess MacArthur entgegen dem Rat seines Hauptquartiers (GHQ) Wahlen aufgrund der alten Verfassung abhalten; er hoffte, dadurch die nötige Legitimationsgrundlage für das Projekt einer neuen Verfassung zu gewinnen, selbst auf die Gefahr hin, dass die alte politische Elite seine Bemühungen torpedieren könnte. Aus den Wahlen ging das erste Nachkriegskabinett unter dem bürgerlichen Politiker Yoshida Shigeru (1885-1954) von der liberalen Partei hervor. Der Parteiführer Hatoyama Ichirô durfte den Kabinettsvorsitz nicht übernehmen, weil das GHQ gegen ihn die Enthebung als Beamter verfügte.

Die Regierung erhielt im Oktober 1945 von MacArthur den Auftrag, den Entwurf einer neuen Verfassung für Japan im amerikanischen Sinne auszuarbeiten. Der Anfang 1946 publizierte Revisionsentwurf ging nach wie vor von der Souveränität des tennô aus und räumte ihm die Oberaufsicht über den Staat ein. Dieser Entwurf wurde jedoch vom GHQ am 13. Februar 1946 in allen Punkten abgelehnt.

Verärgert beauftragte MacArthur seinen Stab, unverzüglich einen eigenen Entwurf zu verfassen, welcher dann der japanischen Regierung präsentiert wurde. Die amerikanische Fassung stipulierte ausdrücklich die Souveränität des Volkes, ordnete der Institution des Kaiserhauses symbolischen Charakter zu und sah den generellen Verzicht Japans auf Krieg und Aufrüstung vor.

Nach zehntägigen Beratungen nahm die japanische Regierung den Entwurf der Amerikaner an, die als einzige Konzession ein Zweikammerparlament (statt dem Unterhaus als einziger Kammer) zugestanden.

Am 6. März veröffentlichte die Regierung die japanische Version der amerikanischen Vorlage als eigene Leistung. Diese "Grundlinien eines Verfassungsentwurfs" wurden in der Öffentlichkeit aufmerksam diskutiert und am 3. November 1946 stimmten beide Kammern des Parlamentes der endgültigen Version beinahe einstimmig zu.

Die bis heute gültige und unveränderte Verfassung Japans beginnt mit den Worten: "Wir, das japanische Volk, handelnd durch unsere rechtmässig gewählten Vertreter...". Dieser klare Hinweis auf die Volkssouveränität unterscheidet sich fundamental von der alten Meiji-Verfassung, die seinerzeit mit den Worten eingeleitet wurde: "Wir, Nachfolger auf dem prosperierenden Thron...".

In Artikel 1 der geltenden Verfassung wird der japanische Kaiser als "Symbol des Staates und der Einheit des Volkes" bezeichnet.

Einzigartig steht Art. 9 der Verfassung Japans da, der wie folgt lautet:

"In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten.

Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegsführung wird nicht anerkannt."

Mit dem Beginn des kalten Krieges begann Japan, ironischerweise unter amerikanischem Druck, eigene bewaffnete Einheiten aufzustellen und verfügt heute über eine Berufsarmee von 239'000 Mann und einem der weltweit höchsten Militärbudgets. Die Militärausgaben sind zwar auf 1% des Bruttoinlandproduktes begrenzt, als Folge des japanischen Wirtschaftswunders erreichten sie jedoch 40.9 Mrd. US $ (Stand 1997). Art. 9 JV wurde indessen nicht angetastet. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des japanischen Militärs wird mit einer kunstvollen Verfassungsauslegung erreicht. Deshalb heissen die Streitkräfte in Japan "Selbstverteidigungsgruppe" ( jieitai, self defence forces). Das Militär hat in der Staatsorganisation nicht den Rang eines Ministeriums, sondern ist eine "cabinet level government Agency", was einem Bundesamt entspricht. Die "Selbstverteidigungsgruppe" ist direkt dem Premierminister unterstellt und strikt unter ziviler Kontrolle. Der japanische Pazifismus und Art. 9 JV geben bei den Einsätzen japanischer Militärs im Rahmen von UNO-Missionen immer wieder Anlass zu hitzigen Diskussionen. Auch in den asiatischen Ländern, die unter dem japanischen Militarismus zu leiden hatten, stösst der Einsatz von Japans Streitkräften regelmässig auf Kritik. Dazu trägt nicht zuletzt die Tatsache bei, dass die japanische Kriegsmarine nach wie vor unter der alten Reichskriegsflagge segelt (Sonnenball mit Strahlenkranz).

Die Diskussion um eine Anpassung der japanischen Verfassung an die geänderten Verhältnisse ist politisch sehr heikel, in der Bevölkerung geniesst die geltende Verfassung nach wie vor uneingeschränkte Unterstützung. Umgekehrt wird von nationalistisch gesonnen Politikern hinter vorgehaltender Hand nicht selten die Auffassung vertreten, die japanische Verfassung von 1946 sei von den Amerikanern oktroyiert worden und müsse durch eine eigene Verfassung ersetzt werden. Dieses Argument gilt allerdings in der Öffentlichkeit als unmöglich und wird in der Regel nicht frei geäussert.

Auch der mit dem verlorenen Krieg zusammenhängende Bereich der Staatssymbolik ist sensibel: Erst im Spätsommer 1999 gelang es der Regierung, ein Gesetz durchzubringen, das die Staatsflagge (hinomaru) und die Nationalhymne (kimigayo) als offizielle Symbole des japanischen Staates festschrieb. Damit sind die staatlichen Schulen angewiesen, sich dieser Symbole zu bedienen, was bei der politisch mehrheitlich links stehenden Lehrerschaft auf Widerstand stösst. Die Erfahrung des verlorenen Krieges und der damit verbundenen Katastrophe zeitigt damit mannigfaltige Wirkungen in der geschriebenen Verfassung wie auch in der japanischen Verfassungswirklichkeit.
 
 

Endnote:

1 Bei japanischen Namen wird der Familienname stets vorangestellt.