Hans Magnus Enzensberger
? Porträt zum 70. Geburtstag des Schriftstellers - Person und Werk
Hans Magnus Enzensberger wurde
am 11.11.1929 in Kaufbeuren, Allgäu, als ältester von vier Söhnen
eines gutbürgerlichen Elternhauses geboren und feiert in diesem Jahr
seinen 70. Geburtstag. Seine Kindheit verbrachte Enzensberger in Nürnberg,
wo er auch die traumatisierenden Kriegsjahre erlebte. Mit 16 Jahren wurde
er 1945 noch zwangsweise für den ?Volkssturm? rekrutiert, obwohl er
wie seine Eltern die nationalsozialistische Ideologie verachtete. Nicht
zuletzt diese Erlebnisse prägten sein Gesellschaftsverständnis:
Enzensberger selbst sagt von sich, daß er Geschichte vorrangig als
Katastrophe erfahren hat und seitdem von dieser Sichtweise nicht abgewichen
ist.
Der weitere Lebensweg Enzensbergers
führte ihn über das Abitur in Nördlingen zum Studium in
Erlangen, Freiburg i. Br., Hamburg und Paris (Germanistik, verschiedene
Sprachen und Literaturen, Philosophie). Während des Studiums engagierte
er sich für studentisches Theater, nach seiner Promotion im Jahr 1955
(über Clemens Brentanos Poetik) arbeitete Enzensberger zunächst
als Rundfunkredakteur bei Alfred Andersch (?Sansibar oder der letzte Grund?)
in Stuttgart und lehrte dann als Gastdozent an der Hochschule für
Gestaltung in Ulm. 1957 besuchte Enzensberger die USA und Mexiko und veröffentlichte
seinen ersten Gedichtband ?verteidigung der wölfe?, mit dem er zum
ersten Mal Aufsehen erregte.
Danach lebte er für einige
Zeit als freier Schriftsteller in Norwegen, wo auch seine Tochter geboren
wurde, die heute noch dort lebt. Ab 1959 lebte er in Italien, 1960 dann
erschien der zweite Gedichtband ?landessprache?. Bis 1961 arbeitete Hans
Magnus Enzensberger als Lektor beim Suhrkamp-Verlag, zog sich aber dann
wieder zum nach Skandinavien zurück. 1963 erhielt er den Georg-Büchner-Preis
und besuchte zum ersten Mal die Sowjetunion. 1964 erschien der dritte Gedichtband,
?blindenschrift?, der die Erfahrungen des norwegischen ?Exils? spiegelt.
Nach eigener Aussage brauchte Enzensberger diese häufigen Ortswechsel,
um die Fixierung an die Problematik deutscher Gegenwart und Vergangenheit
zu lockern und aus der kritischen Distanz zu arbeiten.
Im Jahr 1964/65 hatte Enzensberger
eine Gastdozentur an der Frankfurter Goethe-Universität inne. Im Anschluß
daran reiste er nach Südamerika, zog nach West-Berlin und gründete
dort die geschichtsträchtige Zeitschrift ?Kursbuch?, das wichtigste
Organ der Außerparlamentarischen Oppositions- und Studentenbewegung;
bis 1970 war der alleinige Herausgeber, zog sich dann aber mehr und mehr
zurück.
1967 wurde der Schriftsteller
mit dem Kulturpreis der Stadt Nürnberg ausgezeichnet. Im selben Jahr
war er Fellow an der Wesleyan University, USA, kündigte dort aber,
um 1968 protestierend ins sozialistische Kuba Fidel Castros zu gehen. Durch
die Reisen in die Sowjetunion hatte Enzensberger zahlreiche Kontakte mit
Regimekritikern des Ostblocks , die ihn dazu veranlaßten, den Sozialismus
nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Realität zu prüfen.
In den frühen siebziger
Jahren hielt sich Hans Magnus Enzensberger wieder für längere
Zeit in den USA, in New York, auf. 1980 gründete der Schriftsteller
eine weitere Zeitschrift, ?TransAtlantik?, an der er bis 1982 mitarbeitete.
Seit 1985 ist er Herausgeber von "Die Andere Bibliothek" (Eichborn Verlag),
1987 erhielt er den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Künste.
Mit seiner zeitkritischen Lyrik,
die sich vor allem durch eine schmucklose, klare Sprache auszeichnet, wurde
Hans Magnus Enzensberger sehr bekannt. Seit dem Erscheinen des ersten Gedichtbandes
hat dieser Schriftsteller die literarische und intellektuelle Diskussion
in der Bundesrepublik entscheidend mitbestimmt. Hans Magnus Enzensberger
trat hervor als zorniger junger Mann der deutschen Literatur, wurde eine
chamäleonhafte Leitfigur unter den bundesrepublikanischen Intellektuellen:
ein politischer Rebell und spätavantgardistischer Poet mit dem Gespür
für neueste Trends in Kultur und Gesellschaft.
Zuerst kam Enzensbergers Angriff
auf die saturierte Konsumentenmentalität im wiederaufgebauten Nachkriegsdeutschland.
Danach folgte das Einschwingen in die sozialutopische Bewegung der 68er
Generation, der Schriftsteller wurde zum Vordenker der Studentenbewegung
in den sechziger Jahren, etwa als Gründer und Autor des legendären
"Kursbuch". Schließlich dann der Abgesang auf den Fortschrittsoptimismus
der wissenschaftlich-technischen Zivilisation - Enzensbergers politische
und poetische Stellungnahmen, die immer auch das Menschenrecht auf eine
selbstverantwortete Individualität eingeklagt haben, trafen die Nervenpunkte
des aktuellen Zeitgeschehens. Enzensbergers kritische Stimme wurde leiser,
blieb aber stets vernehmlich: mit Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen,
Reisereportagen, mit seiner Arbeit als Herausgeber, seinen Essays und seinen
provozierenden politischen Artikeln.
Seine Schilderungen sind satirisch,
aber nicht übertrieben grimmig. Der Schriftsteller überredet
nicht zu Gedanken, sondern er macht das Denken so anziehend, daß
man sich in seinen Reflexionen nicht nur verliert, sondern zuweilen sogar
aufgibt.
Hans Magnus Enzensberger hat
die Vorzüge der Literatur von Anfang an anderswo gesehen; für
ihn hat Poesie immer gesellschaftlichen Charakter und existiert nicht aus
reinem Selbstzweck. Enzensberger ist überzeugt davon, daß die
kunstvoll verarbeitete Sprache immer im Kontext der gesellschaftlichen
Realität steht und deshalb nie unpolitisch sein kann, sie transportiert
Utopien, läßt sich aber nicht für politische Zwecke instrumetalisieren,
sondern steht über der Politik.
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