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Hildegard Hamm-Brucher im Interview - SZ Magazin

≫Ich bin immer gegen den Strom geschwommen, wollte aber trotzdem hubsch dabei aussehen≪

Sie war schwanger von einem verheirateten Katholiken, versteckte sich zur Geburt in den Niederlanden und kampfte schon fruh fur die Rechte der Frauen. Ein Gesprach mit Hildegard Hamm-Brucher uber Aufmupfigkeit und die Lehren aus einem bewegten Leben.

Hildegard Hamm-Brucher im Jahr 2012, exklusiv fotografiert fur das SZ-Magazin.

Foto: Robert Brembeck und Suddeutsche Zeitung (4)

Wer nur ein paar Kapitel ihres letzten Buches ≫Und dennoch...≪ liest, kann nachvollziehen, was Hildegard Hamm-Brucher erlebt, durchlitten, geleistet hat. Geboren am 11. Mai 1921 in Essen, verlor sie fruh ihre Eltern, wurde als Halbjudin diskriminiert, studierte Chemie in Munchen ? wo sie sich im Umfeld der Weißen Rose bewegte ? und ging 1948 in die Politik: eine 27-jahrige, idealistische, unbeugsame Frau unter lauter machtig arroganten Mannern. Spater saß sie im Bayerischen Landtag und im Bundestag, war Staatsministerin im Auswartigen Amt unter Genscher, 1994 sogar FDP-Kandidatin fur das Amt des Bundesprasidenten. Hamm-Brucher bekam so viele Auszeichnungen und Ehrungen, man kann sie hier nicht aufzahlen. Man muss mit dieser Frau sprechen, um zu kapieren, wie sich unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg verandert und verbessert hat. Mittlerweile ist sie verwitwet und langst nicht mehr in der FDP, aber sie kampft weiter ? fur demokratisches Denken, Frauenrechte und Frieden.

SZ-Magazin: Von Journalisten werden Sie standig als Grande Dame der deutschen Politik bezeichnet. Was ist der Unterschied zwischen einer Dame und einer Frau?
Hildegard Hamm-Brucher: Ach, Dame oder Frau, das ist mir gar nicht so wichtig. Wenn die Menschen das Gefuhl haben, dass eine Frau eigenstandig ist und fur eine Sache einsteht, sagen sie halt Dame. Ich habe das nie kultiviert, im Gegenteil, ich bin immer gegen den Strom geschwommen, wollte aber trotzdem hubsch dabei aussehen.

Das ist ja gerade das Damenhafte: streitbar, aber elegant.
Finden Sie? Trotzdem, fur mich ist das keine Auszeichnung, es macht mich weder hochmutig noch eitel. Die Feministin Gloria Steinem hat mal gesagt: Eine emanzipierte Frau hat vor der Ehe Sex und danach einen Beruf. Dann bin ich emanzipiert, obwohl ich zwischen dem Sex und dem Beruf keinen Zusammenhang sehe. Ich war in den Funfzigerjahren bestimmt nicht die Einzige, die Sex vor der Ehe hatte. Der Krieg hatte doch alles durcheinandergebracht, die Bindungen, die Gefuhle. Viele Frauen hatten einen Lebensgefahrten, weil ihre Manner nicht aus dem Krieg zuruckkamen.

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Als Ihr Sohn 1955 zur Welt kam, waren Sie noch nicht mit Ihrem Mann verheiratet. Ein Skandal?
Es war noch schlimmer. Er war noch nicht mal von seiner ersten Frau geschieden. Stellen Sie sich das mal vor, ein nicht geschiedener, katholischer CSU-Politiker und diese lastige, aufmupfige Ketzerin aus der FDP, das ware ein Knuller gewesen. Damals galt ja noch ein rigides Scheidungsrecht: War der Mann der Ehebrecher, hatte er keine Chance auf Scheidung, wenn die Frau es nicht wollte. Trotzdem war ich wild entschlossen, dieses Kind zu bekommen.

Wie konnten Sie die Schwangerschaft verheimlichen?
Wahrend der letzten Schwangerschaftswochen habe ich bei meinem Bruder in Holland gelebt, die ersten Monate wuchs mein Sohn bei meiner Schwester auf, bis wir 1956 endlich heiraten konnten.

Wie haben Sie sich eigentlich in Ihren Mann verliebt?
Wir haben uns im Munchner Stadtrat kennengelernt. Er war bei der CSU, aber sehr progressiv, und hat sich dafur eingesetzt, dass Munchen sozialer und frauenfreundlicher wurde. Gemeinsam haben wir das erste Apartmenthaus fur alleinerziehende, berufstatige Mutter aufgebaut, mit Kindergarten im Erdgeschoss. 

Sie haben sich nie einem Fraktionszwang unterworfen, haben fur Bildung und Gleichberechtigung gekampft und immer ? auch gegen Widerstande ? Ihre Meinung vertreten. Welche Politikerin aus dem Jahr 2012 erinnert Sie an die Hildegard Hamm-Brucher von fruher?
Claudia Roth. Die ist mutig und lasst sich nicht kleinkriegen.

Die promovierte Chemikerin Hildegard Hamm-Brucher im Jahr 1948. Da war sie 27 Jahre und zog fur die FDP in den Munchner Stadtrat ein.

Die große Dame der Liberalen erkennt sich in der FDP-Hasserin Claudia Roth wieder?
Vergessen Sie nicht, dass ich 2002 wegen der antisemitischen Einlassungen Mollemanns aus der FDP ausgetreten bin, nach 54 Jahren. Vor zwei Jahren saß ich fur die hessischen Grunen in der Bundesversammlung und habe fur Gauck, nicht fur Wulff, als Bundesprasidenten gestimmt.

Und es stort Sie nicht, dass die Grunen permanent uber die FDP schimpfen?
Aber nein, in meinem Alter kann ich ganz unbefangen mit den komischen Parteiritualen umgehen. Außerdem, sagen Sie mir doch eine Frau aus einer anderen Partei, die positiv aus dem Rahmen fallt.

Sahra Wagenknecht?
Die kenne ich nicht gut genug. Sie sieht gut aus, ist gebildet, aber sie hatte einen Sozialismus entwickeln mussen, der sich starker von dem der DDR abgrenzt. Ursula von der Leyen fallt mir noch ein, die traut sich was, vor der habe ich Respekt, aber sonst?

Also doch die Frauenquote?
Auf keinen Fall, mit einer Quote wurden wir uns doch wieder in ein Ghetto begeben. Es geht darum, dass Manner und Frauen wirklich ebenburtig sind, und wenn es so weitergeht, werden sie das auch, und zwar ganz naturlich. Die qualifizierten Manner werden weniger, die qualifizierten Frauen werden mehr, die Entwicklung lasst sich nicht aufhalten. Also mir ware es zuwider gewesen, in ein Amt zu kommen, weil die Quote es will.

Was macht Sie so sicher, dass die echte Gleichberechtigung kommen wird?

Wer heute jammert, hat vergessen, wo wir angefangen haben. Ich habe jahrelang dafur gekampft, dass Frauen im Symphonieorchester mitspielen oder die gehobene Beamtenlaufbahn einschlagen durften, das muss man sich mal vorstellen. Auf einer Wahlveranstaltung in Amberg wurde ich mal von einer Frau beschimpft: ≫Pfui Teufel≪, hat sie geschrien, ≫wie kann man was anderes sein als sein Mann?≪ Fur mich ist der Aufstieg der Frauen die großte gesellschaftspolitische Leistung der Bundesrepublik.

Sie haben mal gesagt, dass Sie mehr fur die Frauen getan haben als Alice Schwarzer.
Alice Schwarzer hat tapfer gekampft und viel erreicht, aber sie respektiert nicht, dass man das, woruber man redet und schreibt, auch selbst tun muss. Mein Einwand ist also, dass sie es nicht gewagt hat, selbst in die Politik zu gehen, und teilweise eine Uberheblichkeit gegenuber den Frauen ausstrahlt, die es probiert haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir brauchen Frauen wie Alice Schwarzer, aber wir brauchen auch Frauen, die die Bretter bohren.

Hildegard Hamm-Brucher im Jahr 1962 mit ihren beiden Kindern Florian und Miriam Verena

Ihnen blieb gar nichts anderes ubrig. Sie haben als junges Madchen beide Eltern verloren. Wie war das?
Als mein Vater an einem eitrigen Blinddarm starb, war ich zehn. Ein Jahr spater starb meine Mutter an einem Tumor, es war ein schmerzhafter und qualvoller Tod. Es hat lange gedauert, bis ich diesen Einschnitt in mein Kinderleben wirklich begriffen habe.

Sind Sie zusammengebrochen?

Uberhaupt nicht. Als Alteste von funf Geschwistern musste ich sofort funktionieren. Ich weiß noch, dass ich die naive Vorstellung hatte, dass meine Eltern mir vom Himmel aus zuschauen, ob ich meine Sache gut mache.

Sie kamen dann von Berlin zu Ihrer Großmutter nach Dresden.

Ja, das waren reiche Leute. Ihr Mann hatte eine große Malzfabrik aufgebaut, war aber schon verstorben. Als wir Waisenkinder auf einmal vor der Tur standen, hat sie ihr ganzes Haus umgekrempelt, sogar unsere Kindermobel ließ sie holen, damit wir uns wie zu Hause fuhlten.

Und dann kam die zweite Katastrophe.
Ja, nach den Nurnberger Gesetzen von 1935 war sie Judin, obwohl sie langst konvertiert war und uns streng evangelisch erzogen hat.

Wurden Sie diskriminiert?
Ja, auf einmal wurde ich nicht mehr zu den Schwimmwettkampfen zugelassen, obwohl ich immer eine sehr gute Schwimmerin gewesen war. Auch ins Schullandheim durfte ich nicht mehr mit. 1942 nahm sich meine Oma dann das Leben. Sie sollte nach Theresienstadt deportiert werden, dabei konnte sie nur noch mit zwei Stocken gehen und sich nicht mal mehr selbststandig an- und ausziehen. Der Selbstmord meiner Oma und die Hinrichtung der Studenten der Weißen Rose haben mich zu dem Vorsatz gefuhrt, dass ich, sollte ich diesen Irrsinn uberleben, mein Leben lang dafur kampfen wurde, dass so was nicht mehr passieren kann. 

Der Krieg, die Armut ? fehlen jungen Menschen heute solche Erlebnisse?
Schwierige Frage, weil man sie ihnen ja kaum wunschen kann. Aber es stimmt schon, das Leben ist heute zu wenig herausfordernd. Jeder Mensch braucht Bewahrungsproben. Ob man sie besteht oder nicht, ist gar nicht entscheidend, aber wenn es uberhaupt keine gibt, entsteht eine gefahrliche Lucke.

Wie lange waren Sie mit Ihrem Mann verheiratet?
52 Jahre. Nur Helmut Schmidt und Loki haben es noch langer geschafft. Die halten den Rekord.

1994 war Hamm-Brucher ? hier neben ihrem Mann Erwin Hamm ? FDP-Kandidatin fur das Amt der Bundesprasidentin.

Was ist das Geheimnis einer so langen Ehe?
Dass sie nie in einen Trott verfallen ist, weil ich standig engagiert war und uberlegen musste, wie wir den Alltag mit den beiden Kindern hinkriegen. Papa kommt von der Arbeit nach Hause und kriegt erst die Hauspantoffeln, dann das Essen vorgesetzt ? das ist todlich fur eine Ehe.

Vielleicht haben Ihre Kinder gelitten, und Sie haben es nicht gemerkt?

Ich kann mit meinen Kindern heute gut uber diese Zeit sprechen. Und ja, sie haben mich oft vermisst, aber sie haben gelernt, dass ihre Mutter das tut, was ihr auch wichtig ist, und sie nicht davon ausgehen konnen, dass jeden Tag automatisch die Betten gemacht sind. Meine Tochter wurde mal auf einem Kindergeburtstag gefragt, von wem sie eigentlich erzogen werde, wenn die Mutter als Staatsministerin standig unterwegs ist. Wissen Sie, was sie geantwortet hat? ≫Bei uns zu Hause wird nicht erzogen.≪

Ihr Mann ist 2008 im Alter von 98 Jahren gestorben. Spater haben Sie in einem Interview gesagt: ≫Die Lucke will und will sich nicht schließen.≪ Schließt sie sich allmahlich?
Sie schließt sich nie, aber das ist kein Verhangnis, das kann man schon ertragen.

In welchen Momenten merken Sie das besonders?
Wenn ich allein bin. Meine Kinder sind so lieb und kummern sich um mich ? aber allein zu leben, das kann hart sein. Wenn man weiß, dass niemand da ist, mit dem man spontan und vertraut reden kann.

Erwin Hamm, der Name Ihres Mannes, steht noch auf dem Klingelschild.
Ich betreibe keinen Kult, ich spreche auch nicht mit ihm oder so. Aber wir haben auf seinem Grab ein Obstbaumchen gepflanzt, genau so eines, wie er es vor dem Fenster seines Arbeitszimmers stehen hatte. Laut Friedhofsverwaltung durfen auf dem Friedhof zwar keine Obstbaume gepflanzt werden, aber fur irgendwas muss es ja gut sein, dass ich Ehrenburgerin der Stadt Munchen bin.

1970 beim Skifahren auf der Zugspitze. Auf dem Skianorak: eine Wahlwerbung, die fur die FDP mehr als zehn Prozent der Stimmen verheißt.

Sie sind immer noch sehr engagiert und erheben Ihre Stimme, erst neulich wieder saßen Sie bei Gunther Jauch. Kommen Sie nicht los von der Politik?
Letztes Jahr habe ich mir bei einem Sturz den linken Oberschenkelhalsknochen gebrochen. Seitdem habe ich jeden Vorsitz und alle Kuratorien abgesagt. Behalten habe ich nur zwei, drei Amter, die mir sehr wichtig sind, zum Beispiel den Co-Vorsitz im Forderverein ≫Demokratisch Handeln≪, den ich mitgegrundet habe.

Also konnen Sie jetzt endlich ausschlafen?
Haben Sie eine Ahnung! Ich wache jede Nacht gegen drei Uhr auf. Ich mache mir dann ein Brot und einen Kaffee, hole die Zeitung von draußen, lege mich zuruck ins Bett und lese. Gegen funf Uhr werde ich wieder mude, dann schlafe ich weiter, bis ich aufwache.

Sie waren Suddeutsche Meisterin im Schwimmen. Machen Sie noch Sport?

Ich wippe jeden Morgen auf dem Trampolin. Fruher bin ich gern ins Bad nach Grunwald, um mich im Warmwasser zu bewegen, aber das geht nicht mehr, weil sich sofort die Blase meldet. Auch Radfahren ist mir mittlerweile zu riskant, dafur fahre ich noch Auto.

Nicht Ihr Ernst.
Doch, doch. Keine weiten Strecken, zum Supermarkt oder zur U-Bahn. Vor Kurzem war ich beim Arzt und habe mein Sehvermogen und meine Reaktionsschnelligkeit testen lassen. Alles in Ordnung.

Schauen Sie fern?
Nur Nachrichten und Parteitage auf Phoenix.

Politische Talkshows?
Die kommen so spat, da bin ich schon im Bett. Außerdem sind die ziemlich ausgelatscht.

Schreiben Sie E-Mails, zum Beispiel an Ihr großes Vorbild Helmut Schmidt?

Ich habe mein ganzes letztes Buch selbst auf dem Computer geschrieben, das geht also noch, aber E-Mails sind mir zu anstrengend. Mir hat mal jemand eine Adresse eingerichtet, aber da muss man ja mehrmals am Tag nachschauen, nein, da mache ich nicht mehr mit.

Also telefonieren Sie mit dem Altkanzler?
Wir sind beide uber 90, das hort auf. Aber er ist ein Freund, den ich bis heute unendlich bewundere, ja fast anhimmle.

Sie wirken so neugierig und heiter. Sind Sie nie melancholisch oder niedergeschlagen?
Es gibt Momente, in denen ich traurig bin. Wenn ich merke, dass ich nicht mehr richtig lesen kann zum Beispiel. Dann sage ich mir: Lieber Gott, vielen Dank fur das schone Leben, aber mach, dass es bald zu Ende geht.

Keine Angst vor dem Ende?

Nein. Ich bin eine frohliche Christin. Und Sie kennen doch das Gedicht von Rilke: Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich uber die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn. So ist es auch bei mir. Ich bin nicht verzagt, sondern gelassen, und habe keine Angst.

kannte die Stunde null vor allem vom Blick auf seinen Radiowecker. Das Gesprach mit Hildegard Hamm-Brucher verdeutlichte ihm nun wieder die eigentliche Dimension des Begriffs in der Nachkriegszeit: die Freiheit, das Aufatmen, die Moglichkeiten!