Turchen 6: Zinedine Zidane
von
RM
am
06.12.2013
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Strategischer Spielmacher, effizienter Dribbler, absoluter Siegertyp und ohnehin bester Mann auf dem Platz in jeder Partie. Fur manche ist er darum sogar der beste Spieler aller Zeiten oder zumindest der beste Zehner seiner Generation. Die Rede ist naturlich von Zinedine Zidane. Wobei dieses ?naturlich“ vielleicht gar nicht so naturlich sein sollte.
Stratege und Spielmacher?
Die primar mit Zidane verbundene Eigenschaft durfte seine strategische Spielkontrolle sein. Fur viele ist Zidane der Inbegriff eines Zehners, der seine Mannschaft mit einem tieferliegenden Plan lenkt. Immer wieder wird in seinen Passen ein tieferer Sinn vermutet. Dieser soll dem großen Ganzen gedient haben und langfristige Plane getroffen haben. Doch solche Fahigkeiten sollte man eventuell nicht mit Zidane verbinden.
Zwar ist er durchaus der primare Spielmacher seiner Mannschaften gewesen, war dies allerdings weder in jeder Mannschaft (Juventus in den 90ern), noch war er das konstant (situativ agierte er eher als Durchlaufstation oder als verkappter Sturmer) oder nutzte dabei eine strategische Ausrichtung, wie es zum Beispiel Xavi oder Bastian Schweinsteiger tun.
Vielmehr war Zidane ein allein auf taktische, nicht strategische Aspekte bezogener Spielmacher. Im Grunde bedeutet dies, dass Zidane zwar die gegnerischen Stellungen durchaus mit Bedacht bespielte, ihm aber dieses intuitive Strategiebewusstsein fehlte. So gab es oft Szenen, wo er einfach in Pressingfallen des Gegners spielte, weil er einen offenen Raum erkannte, aber nicht dessen kontextuelle Bedeutung.?Seine Passe bezogen sich nicht auf einen durchgehenden strategischen Plan, sie folgten keinem spielphilosophischen Grundprinzip oder suchten die ideale ubernachste oder uberubernachste Aktion. Stattdessen spielte Zidane einfach, ließ viele Balle tropfen, erhielt sie dann wieder und hielt sie lange, um solche Aktionen machen zu konnen. Mit dieser Spielweise wirkte er phasenweise omniprasent, hatte viele ?Ballkontakte und konnte dank dieser immer wieder geschickte Passe in die Tiefe einbauen.
Gleichzeitig gab es aber auch einige strategische Mangel. Kurzpasse, wo der Raum eigentlich eng wurde, Dribblings, wo Kombinationen angebracht gewesen waren, direkte Kombinationen, wo die Staffelung der eigenen Mannschaft eher eine Ruhephase verlangt hatte oder Abschlusse, wo ein weiterer Pass viel effizienter gewesen ware, sah man oft beim Franzosen.
„Lass uns mal kombinieren“. Hier fuhrt es zu einem einfach abgefangenen Pass. Boksic erhielt in der Partie noch weitere Anspiele dieser Art, wo er einfach eingekesselt wurde. Der einfache Pass auf links war lange Zeit offen und wurde nicht gespielt, ebenso wenig wie ein moglicher Ruckpass.
Zidane war eigentlich ein Instinktfußballer und sein Instinkt suchte Ablagen, Ballverzogerungen und dann schneller werdende Kombinationen. An sich kein Problem, doch in den Medien wurde er wegen der Zahl auf seinem Rucken und seiner Position auf dem Feld immer wieder als der strategische statt als ?nur“ das spielerische Epizentrum seiner Mannschaft dargestellt. Eine ahnliche Fehleinschatzung mit identischen Ursachen gab es bei seinen Dribblings.
Effektivitat und Dribbling?
Seine Fahigkeiten in der Ballbehauptung und reinen Balltechnik, also rein individualtaktische Aspekte, werden namlich zu simplifizierend mit positiven Auswirkungen auf Gruppen- und Mannschaftstaktik gleichgesetzt. Der Aspekt der Pressingresistenz ? Auflosung von gegnerischen Pressingsituationen durch intelligente und schnelle Ballzirkulation, durch raumgreifende und/oder gegnerziehende Befreiungen oder Dribblings ? war bei Zidane namlich nicht in diesem positiven Ausmaß vorhanden wie bei anderen.
Er war keineswegs der unpressbare Superdribbler, der den Gegner in unvorteilhaften Stellungen natztr und dann aufs Tor gehen oder den letzten Pass spielen konnte. Zidane war eher der Typ, der sich aus unangenehmen Situationen zu befreien wusste, aber sich dabei durchaus von seinen Gegnern leiten ließ. Seine Art sich unter Druck zu behaupten ware darum eher als ?pressingausweichend“ zu bezeichnen.
Zidane profitierte dabei naturlich von seiner Beweglichkeit, seiner Koordination und seiner Technik. Wurde er gepresst, hatte er fast immer zwei oder drei Asse im Armel, um sich daraus zu befreien.
Stand man sehr nahe an ihm, dann ließ er den Ball etwas vor sich prallen und verhinderte den Zugriff des Gegners. Wollte ihn dieser uberlaufen, konnte Zidane mit seiner Große, seiner Beinlange und seiner Dynamik reagieren und den Ball wieder zurucknehmen, wodurch er Ballverluste vermied und sich in den freien Raum absetzen konnte.
in diesem Beispiel sieht man aber auch seine strategischen Schwachen im Absetzen in den Raum. Er tauscht einen Schuss an, dreht sich um seinen Gegner und visiert den vermeintlich offenen Raum an, wo er zu dritt isoliert werden kann. Dabei hatte Juventus dahinter eine lockere 5-gegen-2-Situation gehabt. Stattdessen gab es einen Ballverlust.
Wurde er sofort sehr aggressiv angelaufen, legte er sich oft mit seinen ?Roulettes“ und Direktablagen den Ball in offene Raume oder zur ursprunglichen Passrichtung und hatte direkt einen Startvorteil. Probleme hatte er eigentlich nur mit starkem Leiten und Passivitat, einem gut getimten Anlaufen oder in sehr kompakten Raumen, wobei dies auch ein Aspekt war, wieso Zidane in seiner besten Zeit so elegant aussehen konnte.
Die damalige Defensivspielweise erganzte sich hervorragend mit seiner Dribblingweise. Hohe und durchgehende Kompaktheit war nicht gegeben. Leitende Momente im Defensivspiel gab es auch nicht, Zidane hatte man damit vergleichsweise gut bespielen konnen. Eher waren es mannorientierte Raumdeckungen und Manndeckungen, fur welche Zidane im Rahmen seiner Moglichkeiten nahezu perfekt gemacht war.
Er konnte sich darum von seinen Konkurrenten und Mitspielern abheben, weil er sich sehr elegant daraus befreite. Wirklich effektiv waren die Dribblings per se aber nicht. Nur vereinzelt hat Zidane mit seinen Dribblings Raume kreiert oder neue Stellungen erzeugt, auch Solotore erzielte er nicht wirklich viele. In gewisser Weise war er ein Nadelspieler fur große Raume, was zur damaligen Zeit bei richtiger Einbindung durchaus interessant war.
Beispielsweise ruckte Zidane von links immer wieder ins Zentrum und sollte dort die offenen Raume finden, um anderen das Uberladen zu ermoglichen. Unter Del Bosque bei Real Madrid war er hauptverantwortlich fur eine tiefe Anspielstation in langsamer Ballzirkulation mit schnellen Passen nach vorne und als Raumfinder ganz vorne, ein bisschen sogar wie Ozil von der Raumfindung her.
War dies der Grund, wieso Zidane die Ergebnisse seiner Mannschaft so positiv beeinflussten konnte? Nein. So ausschlaggebend war er gar nicht.
Siegertyp und Mr. Konstanz?
Irgendwie herrscht die Meinung vor, dass Zidane fur jede Mannschaft ein riesiges Plus war und diese in ungeahnte Hohen katapultierte. ?Ein Zidane macht seine Mannschaft und seine Mitspieler besser, das ist sein Geheimnis“ lautet hierbei der Grundtenor. Dass man Zidane schwer ideal einbinden kann und ? wenn man es tut ? dann oftmals seinen unstrategischen Rhythmus verfolgen muss, wird selten erwahnt.
Dies spiegelt sich ansatzweise in seinen Titeln wieder. 1996 wechselte er zu Juventus Turin und blieb dort funf Jahre. Schon vor seiner Ankunft stand Juventus im CL-Finale, mit ihm taten sie es zweifach., aber gewinnen konnten sie aber beide Male nicht – im Gegensatz zu 1996. Die italienische Meisterschaft holten sie auch nur in zwei von funf Jahren. Bei Real Madrid schaffte er es in funf Jahren ebenfalls nur zu zwei wichtigen Titel: Eine einzige Meisterschaft (2003) und eine Champions League (2002), nachdem die Mannschaft vor seiner Verpflichtung allerdings schon 1998 und 2000 die Champions League gewann und sich 2001 die Meisterschaft geholt hatte.
Zugegeben: Das kann naturlich auch an der Mannschaft liegen. Die Verkaufe Makeleles und Redondos sowie die unpassende Einkaufspolitik der Galacticos sind bis heute legendar. Wie lasst sich also diese Auswirkung messen? Taktisch ist es zwar analysierbar, aber wir haben weder alle Spiele noch sind einzelne taktische Aspekte des Spielers auf seine grundlegende strategische Auswirkung einfach zu bewerten. Darum kummern wir uns um externe Hilfe und haben dazu wie im Artikel zu Roy Keane den ?Goalimpact“ bemuht.
Der Goalimpact ist Folgendes:
Der Goalimpact mittelt nun die Tordifferenz aller Spiele eines Spielers uber alle Vereine, Saisonen und Ligen. Seine vergangene „Durchschnittsgeschwindigkeit“. Nun hangt die Tordifferenz in einem Spiel nicht nur vom Goalimpact des Spielers selbst ab, sondern auch von denen der Mitspieler und der Gegner. Und auch von vielen anderen Faktoren wie Anzahl der Einsatzminuten, Heimvorteil und Erschopfungsgrad (bei Einwechselspielern). Daher wird der Wert um diese Faktoren mit aufwendigen mathematischen Verfahren angepasst, so dass eine moglichst reine Spielstarke ubrig bleibt.
Welchen Wert Zidane wohl besitzt? Der Leser darf gerne raten, bevor er weiter nach unten scrollt. Zur Erinnerung: Andres Iniesta hat beispielsweise einen Goalimpact von 164. Dennis Bergkamp kam auf 158, Roy Keane, der in fast derselben Zeitspanne wie Zinedine Zidane spielte, hat einen Wert von 143, die Top40 der Welt endet zurzeit ungefahr bei diesem Wert. Bei dieser Top40 und Iniesta muss man aber die aktuellen Superclubs und deren Uberlegenheit berucksichtigen.
Bei Zidane wiederum musste man auch bedenken, dass er in seiner Mannschaft eine wichtige Rolle spielte und das Angriffsspiel wohl auf seine Fahigkeiten ausgerichtet war. Außerdem durfte es schwer sein einen Spieler wie ihn zu ersetzen, was seinen Wert womoglich wie bei Cristiano Ronaldo etwas pushen konnte (ubrigens meine Interpretation, nicht jene von Goalimpact).
Dass sein Goalimpact entsprechend der weakest-link-Theorie und einer schwacheren Mannschaft geringer sein konnte, sollte man wegen seinen fruhen Wechsel zu bereits amtierenden Topmannschaften ebenfalls nicht vermuten.
Na, schon eine Idee?
Sein Goalimpact liegt bei… (trommelwirbel)
136. Naturlich kein schlechter Wert, aber wohl doch davon entfernt, was man als besten Spieler der Welt bezeichnen wurde. Wie passt das zu Zidane, seinen Leistungen und seinem Image? Nun, meiner subjektiven Meinung ohne Anspruch auf Richtigkeit nach durfte es bei Zidane der Fall sein, dass er ein potenziell sehr starker Spieler war, der eine Zeit lang nicht ideal eingebunden war und dann das Gluck hatte, dass er in den entscheidenden Spielen 1998 relativ untypisch fur sein Image das Spiel im WM-Finale entschied.
Dadurch erarbeitete er sich ein Standing, welches ihm ermoglichte, dass er nach seinem Vereinswechsel 2001 besser eingebunden werden und mehr Einfluss entfalten konnte (Steigerung seines Einflusses bzw. Goalimpacts in seiner Real-Zeit). Zuvor bei Juventus agierte auch in einer etwas unpassenden Rolle. Bei Real hingegen wurde er extrem fokussiert eingebunden und war fur das Team wohl sogar noch etwas wichtiger in der strategischen Ausrichtung, als man es eventuell hatte tun sollen.
Denn dies, sein Weltmeistertitel und beides im Verbund mit dem wundervollen Treffer gegen Bayer 04 Leverkusen 2002 erhob ihn dies in das Pantheon des Weltfußballs ? teilweise aber eher aus emotionalen Grunden als wegen seiner wirklichen konstanten Starke. Ahnliches gab es 1998, wo er bis zum Finale im Schatten anderer Spieler bei der WM stand, oder 2006, wo es einzelne Galaauftritte uber kurze Phasen sowie sein Kopfstoß waren, welche ihm das Rampenlicht brachten. Denn trotz all seiner Klasse war Zidane anfallig fur bestimmte Taktiken und Situationen, er war nicht besonders konstant auf allerhochstem Niveau und rief seine große Klasse nur punktuell ab; was ein weiterer Grund fur seinen Goalimpact sein konnte.
Wer den besten Zidane sehen mochte, der seiner Ausstrahlung auch konstant leistungsmaßig gerecht wird, sollte sich
einzelne Spiele aus den fruhen 2000ern ansehen
oder sich an die Europameisterschaft 2000 zuruckerinnern. Wobei dazu auch gesagt werden muss: Zidane hatte bei diesem Turnier durchaus auch das Gluck in einer schlichtweg exorbitant starken Mannschaft mitspielen zu durfen, welche ihn und seine Starken gut nutzte, woraufhin eine der seltenen gleichzeitig beidseitig positiven Wechselwirkungen seiner Karriere entstand.
Fazit
Eine Analyse Zidanes ist ein schwieriges Unterfangen, wie man wohl unzweifelhaft sehen konnte. Viele seiner spielerischen Fahigkeiten sind schwer zu beschreiben und noch schwieriger von anderen ahnlichen Merkmalen zu trennen. Seine Auswirkung auf die Mannschaft in der Offensive ist ebenfalls schwierig zu bewerten. Teilweise muss das wirklich kritisch (in konstruktiver und moglichst objektiver Hinsicht) betrachtet werden, doch gleichzeitig ist Zidane fur viele wegen seiner Spielweise, seiner Eleganz und den Erinnerungen oftmals befreit von Kritik.
Sein Image hat ihm einen Ruf erschaffen, der das Bild eines Uberfußballers zeigt: Elegant, effektiv, technisch stark, kombinationsstark, Teamplayer und doch Individualist, der letzte echte Zehner. Doch dieses Bild ist nicht in allen Punkten korrekt.?Zidane war ein wunderbarer Techniker und ein hervorragender Individualtaktiker, allerdings hatte er in seinen gruppen-, mannschaftstaktischen und strategischen Fahigkeiten gewisse Mangel ? die teilweise dennoch als seine Starken gesehen werden. Eventuell sollte dieses romantische Bild Zidanes uberarbeitet werden, um zu einer fairen Einschatzung seiner Fahigkeiten, seiner Mitspieler und seiner Konkurrenten zu gelangen.
Artikel von RM
RM ist das FC Barcelona von Spielverlagerung: Seinen Zenit hat er im Herbst 2011 gegen Osasuna erreicht. Funfact: Auf Nachfrage behauptet er immer, er sei MR und nicht RM. Uber das folgende Lob freut er sich dann allerdings mit schlechtem Gewissen.