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Einen Tag vor dem Prozess, der am 26. Juni 1952 im Landgericht Halle, Hansering, stattfand, besuchte mich ein Herr in einem offiziellen Besucherraum, der sich als Rechtsanwalt Dr. EBERLE aus Gardelegen vorstellte. Er teilte mir mit, dass der Prozess am nachsten Tage stattfinden wurde und er als Pflichtverteidiger bestellt worden sei. Obwohl in den Akten ein Haftbeschluss vom 17. April 1952 mit den Unterschriften der Volkspolizei-Rate STANGE und SCHUMANN sowie dem Chefinspektor WEIGERT vorliegt, habe ich weder einen schriftlichen Haftbefehl noch eine Anklageschrift zu Gesicht bekommen. Beides habe ich, genauso wie das schriftliche Urteil, erst nach dem Ende der DDR 1995 in den BStU-Akten in Berlin einsehen konnen.
Die Gerichtsverhandlung der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts fand in einem großen Saal in Anwesenheit von Rundfunk und Presse als Schauprozess statt. Die etwa 60 Personen Offentlichkeit waren geladene Delegationen vermutlich aus Berlin, wie aus einem Fernschreiben der Stasi vom 24. Juni 1952 hervorgeht. In einem Aktenvermerk teilte der Landesstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt mit, dass auf Wunsch der EB (Ermittelnde Behorde?) und einer anderen nicht genannten Stelle das Verfahren nicht in erweiterter Offentlichkeit durchgefuhrt werden soll, was von den Zuhorern moniert worden sei. Zeugen oder Sachverstandige waren nicht geladen. Angeklagt waren die 6 Studenten:
Otto Kruper , stud. ing. aus Mittweida * 1929 Osterburg/Altmark Karl Weber , stud. math. Halle * 1929 Osterburg/Altmark Hans-Dieter Dell , stud. chem. Halle * 1931 Halle Friedhelm Thiedig , stud. geol. Halle * 1933 Blumberg(aus Erfurt) Hans-Joachim Fischer , Chemie-Praktikant, Halle * 1932 Berlin-Karlshorst Herbert Bartels , Lehrerpraktikant Krs. Osterburg * 1928 Osterburg
Anwesend waren der 1. Vorsitzende, Oberrichter BLUMRICH , als Beisitzende Richterin die Landrichterin DIERL , Friedrich ERDAPFEL (Halle), Margarete MENDE (Halle) und Richard SCHATZ (Halle) als Schoffen, der Staatsanwalt FLUCKE und der Justizangestellte HINKE als Beurkunder der Geschaftsstelle. Als Pflichtverteidiger waren die Rechtsanwalte KOLBERG (Halle) fur KRUPER , H. HERZFELD (Halle) fur WEBER , DELLIN (Halle) fur DELL , Dr. EBERLE (Gardelegen) fur THIEDIG , SCHIRMER (Gardelegen) fur FISCHER und Dr. HANISCH (Dessau) fur BARTELS in der Strafsache 1Lg 71/52 gegen KRUPER u. a. erschienen.
Die Anklage lautete: Strafsache wegen Vergehen III A III KD (Kontrollrats-Direktive), Artikel 6 der Verfassung der DDR.
Sogenannte Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen wurden als Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches gekennzeichnet und geahndet. Damit hatte die SED die rechtlichen Voraussetzungen zur strafrechtlichen Verfolgung jeglicher Opposition geschaffen. Diese Grundrechte der Verfassung dienten als Instrument des Klassenkampfes , ( SCHRODER 2000, KAFF /Kos 1998). Oppositionelle wurden als politische Gefangene, die es offiziell naturlich gar nicht gab, durch die Strafjustiz der DDR kriminalisiert (Justizverwaltungen der Lander 1996, BRAUCKMANN 1998, ENGELMANN / VOLLNHALS 1999).
Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches
Instrument des Klassenkampfes
Dazu mochte ich aus dem Anhang der Broschure des Verbandes Deutscher Studentenschaften Dokumentation des Terrors (1962, S. 169 und 172) folgende Passagen und die Texte der Gesetze zitieren, nach denen wir angeklagt und verurteilt wurden: Die Verurteilungen in der SBZ erfolgten in den ersten Nachkriegsjahren durch Sowjetische Militar-Tribunale (SMT), die anfangs bei jeder großeren Militareinheit bestanden und spater der Landereinteilung angeglichen wurden. Das Gesetz, nach dem dort abgeurteilt wurde, war fast ausschließlich der Artikel 58 des Strafgesetzbuches der Sozialistischen Foderativen Sowjet-Republik. Nach Ubergabe verschiedener hoheitlicher Rechte an die sowjetzonalen Behorden wurden ab 1950 die Urteile nach Artikel 6 der Verfassung der DDR, meistens in Verbindung mit der Kontrollratsdirektive 38 gefallt. Mit dem Erlass des Gesetzes zur Erganzung des Strafgesetzbuches, dem sogenannten Strafrechtserganzungsgesetz (StEG) vom 11. Dezember 1957 wurde dieses die Grundlage fur alle politischen Urteile in der DDR.
Die Verurteilungen in der SBZ erfolgten in den ersten Nachkriegsjahren durch Sowjetische Militar-Tribunale (SMT), die anfangs bei jeder großeren Militareinheit bestanden und spater der Landereinteilung angeglichen wurden. Das Gesetz, nach dem dort abgeurteilt wurde, war fast ausschließlich der Artikel 58 des Strafgesetzbuches der Sozialistischen Foderativen Sowjet-Republik. Nach Ubergabe verschiedener hoheitlicher Rechte an die sowjetzonalen Behorden wurden ab 1950 die Urteile nach Artikel 6 der Verfassung der DDR, meistens in Verbindung mit der Kontrollratsdirektive 38 gefallt.
Die scheindemokratische Rechtfertigung dieser Gesetze darf nicht uber ihren Unrechtscharakter hinwegtauschen. Die nach dem Willen der SED parteilich urteilenden Gerichte fanden in diesen Gesetzen die Handhabe, jeden der Staatspartei unbequemen Opponenten als Staatsfeind zu verurteilen. Politische Ziele wurden erstrebt ohne Beachtung rechtsstaatlicher Grundsatze und unter Missachtung der elementarsten Menschenrechte – den nachfolgend aufgefuhrten Gesetzen haftet dieser Charakter politischer Zweckmaßigkeit an.
parteilich
Staatsfeind
Kontrollratsdirektive 38, Art. III A III: Aktivist ist auch, wer nach dem 8. Mai 1945 durch Propaganda fur den Nationalsozialismus oder Militarismus oder durch Erfindung und Verbreitung tendenzioser Geruchte den Frieden des deutschen Volkes oder den Frieden der Welt gefahrdet hat oder moglicherweise noch gefahrdet. Artikel 6 der Verfassung der DDR : Alle Burger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt. Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Volkerhass, militarische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausubung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze. Wer wegen Begehung dieser Verbrechen bestraft ist, kann weder im offentlichen Dienst noch in leitenden Stellen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben tatig sein. Er verliert das Recht, zu wahlen und gewahlt zu werden [Aberkennung burgerlicher Ehrenrechte, Erg. v. Verf.].
DDR
Die Vorfuhrung vor dem Richter fand einzeln statt, weil der Staatsanwalt die getrennte Vernehmung beantragt hatte, [...] um eine wahrheitsgemaße Darlegung des Sachverhaltes zu garantieren [...] , lediglich der Hauptangeklagte durfte der Vernehmung der anderen Angeklagten beiwohnen. Außer Karl WEBER habe ich alle Mitangeklagten zum ersten Mal nach der Einzelvernehmung gesehen und damit von deren Existenz erfahren.
[...] um eine wahrheitsgemaße Darlegung des Sachverhaltes zu garantieren [...]
Die Gerichtsverhandlung begann am fruhen Vormittag und dauerte bis in die Nacht hinein, wofur die Rechtsanwalte um die Erhohung der Gebuhr fur unsere Verteidigung auf je 100 Mark baten, [...] weil die zur Aburteilung stehende Straftat von besonderer Bedeutung war und sich die Hauptverhandlung bis 22.15 Uhr hingezogen habe [...] .
[...] weil die zur Aburteilung stehende Straftat von besonderer Bedeutung war und sich die Hauptverhandlung bis 22.15 Uhr hingezogen habe [...]
Nachdem ich als dritter von den sechs Angeklagten in den Gerichtsaal gefuhrt wurde, die Vernehmung abgeschlossen war und eine kurze Anklage gegen mich verlesen worden war, erhob sich der RA Dr. EBERLE und verteidigte sich zunachst in einer ausfuhrlichen Rede, dass er als zugeordneter Pflichtverteidiger durch die fortschrittlichen Gesetze der DDR gezwungen sei, selbst solche schweren Verbrechen verteidigen zu mussen, wie wir sie begangen hatten. Dafur mussten wir Angeklagten dankbar sein.
Die Pflichtverteidiger hatten im Grunde nichts oder nur sehr wenig fur unsere Verteidigung vorzubringen. Sie beantragten in drei Fallen eine mildere Strafe oder ein milderes Urteil, einmal eine geringere Strafe als funf Jahre fur ihren Angeklagten, dreimal ein gerechtes Urteil und zweimal die Anrechnung der Untersuchungshaft.
Die Angeklagten hatten dann das letzte Wort: KRUPER bat um ein milderes Urteil fur Karl WEBER und erklarte: Ich bin schuldig. Drei bereuten ihre Tat, einer bekannte sich schuldig und erklarte, dass er beweisen mochte, jetzt anders geworden zu sein. Ich selbst erklarte: Ich bekenne mich schuldig [im Sinne der DDR-Gesetze] und erwarte meine Strafe.
Ich bin schuldig.
Ich bekenne mich schuldig [im Sinne der DDR-Gesetze] und erwarte meine Strafe.
Die Rede zur Urteilsbegrundung des Oberrichters BLUMRICH ist in den Stasi-Akten vermutlich im vorgelesenen Wortlaut maschinenschriftlich mit seiner Unterschrift erhalten. Er sah unsere Taten als Ausdruck und Erscheinungsform der damaligen politischen Situation in der DDR. Hier einige Auszuge aus der insgesamt sechs Seiten umfassenden Rede:
Der Angelpunkt der gegenwartigen Kriegsgefahr ist in der heutigen internationalen Situation Westdeutschlands die Basis des wiederbelebten angriffslustigen deutschen Imperialismus, als Kettenhund des amerikanischen Monopolkapitalismus. Die Tragweite und Gefahrenschwere der letzten internationalen Ereignisse, wie die Unterzeichnung des Generalkriegsvertrages fordern, dass diesen Gefahren in noch großerem Maße als bisher begegnet wird. Eine Drohung wachst von Tag zu Tag, die Drohung des Faschismus [...]. In Westdeutschland bildet sich heute eine neue Form des Faschismus heraus, der Europa-Faschismus, der sich in der europaischen Verteidigungsgemeinschaft seine Waffen schafft, in welcher die Bonner Wehrmacht eingegliedert ist. Das Ziel ist die Erringung der Weltherrschaft, die Zuruckgewinnung der ostlichen Halfte der Erde mit ihren Markten und Rohstoffen. [...] Eine Regierung, die solche Ziele hat, eine solche Politik verfolgt und unterstutzt, greift zur Erringung derselben zu Terror und Hetze gegen die Krafte des Friedenslagers. Mit Hilfe der gefugigen Presse und des Rundfunks in Westdeutschland soll die politische Wirklichkeit in das Gegenteil verkehrt werden. Zu diesem Zwecke werden Agenten, Saboteure, Spione und Diversanten im Gebiet der DDR eingesetzt, um Ordnung und Sicherheit zu gefahrden, die Wirtschaft zu schadigen, den Staat zu sturzen. Gerade diese Verhandlung beweist erneut, mit welch morderischer Kaltblutigkeit und Skrupellosigkeit die Vollbringer der verbrecherischen Aufgaben gesucht, gewahlt und verwendet werden. Fast immer sind es junge Menschen, die den Agenten zum Opfer fallen, um durch diese gleisnerische Propaganda, auf den falschen Weg zu kommen, der zum Verbrechen fuhrt. Gerade diese jungen Menschen werden von den Kopfjagern des 20. Jahrhunderts fur ihre Zwecke missbraucht. Die Wege aller dieser Verbrecher munden in der sogenannten Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit , bei deren Organisation ahnlicher Art und letzten Grundes beim auslandischen Geheimdienst mit seinen imperialistischen Auftraggebern.
Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit
Mosaik an Mosaik, das die Agenten zusammentragen, geben ein großes Bild unserer Wirtschaft, unseres Verkehrs, unseres Neuaufbaus und unserer Politik. Wie Ratten wuhlen sie von unten an dem neuen Staat und seinen Einrichtungen. Die Kampfgruppe ist aus den großen Prozessen bereits zur Genuge bekannt. Ihre Aufgabe besteht darin, einen zukunftigen Krieg vorzubereiten, gegen die Friedenskrafte mit den Mitteln der Verleumdung, der Hetze, Drohung, mit Gewalt und Terror vorzugehen.
Alle Angeklagten waren zugehorig der sogenannten KgU. Deren Aufgaben sind auf Storung, Unterdruckung und Sturz der bestehenden Ordnung gerichtet. Die KgU und ahnliche Organisationen werden demnach gekennzeichnet durch militarische Propaganda und Kriegshetze, die sich in verschiedenen Formen der Hetzpropaganda, in Wort und Schrift, durch personliche Beeinflussungen, Drohungen und Terror bis zur Gewalt steigern. Unlosbar verbunden ist damit der Hass gegen die SU. Danach ist die KgU als verbrecherische Organisation mit den tatsachlich festgestellten und rechtlich als Boykotthetze und Bekundungen von Volkerhass zu wurdigenden Zielen anzusehen, die alle gegen den Art. 6 der Verf. verstoßen. Der Art. 6 der Verf. ist ein Strafgesetz, das die Grundlage unserer antifaschistischen demokratischen Ordnung, ihrer demokratischen Organisationen und Einrichtungen und damit die Staatsordnung der DDR stutzt.
Der vorliegende Tatbestand nach Art. 6 der Verf. der DDR ist nach standiger Rechtsprechung des Obersten Gerichts der Tater auch aus dem Art. IIIAIII der Kontrollrats Direktive 38 zu verurteilen [...].
Geleitet von den hohen Grundsatzen der friedliebenden Politik, die auf Festigung des Friedens und die freundschaftlichen Beziehungen zu den Volkern gerichtet ist, ist es notwendig und ergibt sich aus dem Gewissen und Rechtsbewusstsein der Volker, die im Verlaufe des Lebens einer einzigen Generation die Leiden zweier Weltkriege durchgemacht haben, solche Taten der Kriegspropaganda und Schwachung der Friedensfront wie kriminelle Schwerverbrecher zu bestrafen, diese Tater richten gegebenenfalls nicht einen Menschen, nicht nur ein Volk, sondern ganze Volker zugrunde.
Die Jugend der Angeklagten konnte nur zu einem Teil als strafmildernd angesehen werden. Die Angeklagten waren Studenten und sie hatten die Moglichkeit, sich gesellschaftspolitisch und fachlich ein besonders hohes Wissen anzueignen. Ihnen war es moglich, auf Grund ihrer besonderen Ausbildung ein hoheres geistiges und politisches Niveau zu erreichen, als unsere jungen werktatigen Menschen.
Strafverscharfend war bei allen Angeklagten zu bewerten, dass sie auf Kosten der werktatigen Bevolkerung studierten und besonders das Vertrauen des Volkes missbrauchten, da sie als Beste zum Studium ausgewahlt wurden und die neue fortschrittliche Intelligenz unseres Staates werden sollten. Das Gericht ist aber nicht nur ein strafendes, sondern zugleich auch heilendes Organ. Es hat neben der Aufgabe des Kampfes mit den konkreten Verbrechen die andere nicht minder wichtige und wertvolle Aufgabe: Verhutung und Prophylaxis [...]. Das Gericht dient damit der Propagierung unserer demokratischen Gesetze und der Anerziehung einer neuen Disziplin [...].
Verhutung und Prophylaxis