Maia Kobabe ist 35 und zeichnet und schreibt über Gender, Queerness oder Sexualität.
Maia Kobabe ist 35 und beschaftigt sich vorwiegend mit Gender, Queerness und Sexualitat.
M. Ruddell

Maia Kobabe hat sehr offene Eltern. Konventionen bedeuten ihnen nicht viel. Sie leben im landlichen Nordkalifornien, die beiden Kinder, Maia und Phoebe, konnen sehr frei und naturverbunden aufwachsen. Das ist der Ausgangspunkt von Kobabes Comic "Gender Queer. Eine nichtbinare Autobiografie".

Trotz dieser Voraussetzungen, der progressiven und sehr behuteten Verhaltnisse, fuhlt sich Maia sehr beschrankt. Alle sehen sie als Madchen an, sie sehen jenes Geschlecht, das in der Geburtsurkunde eingetragen wurde, als Maia auf die Welt kam. Doch mit Maia hat dieses Geschlecht irgendwie so gar nichts zu tun, wie sich rausstellt. Mit jedem Lebensjahr zeigt sich fur Maia immer deutlicher, welche großen Probleme Maia die weibliche Geschlechtsidentitat macht. "Ich will kein Madchen sein. Ich will auch kein Junge sein. Ich will nur ich selbst sein."

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Der Weg dorthin, zum Menschsein, ist hart, verwirrend und voller Herausforderungen, mit denen sich Kobabe oft sehr allein fuhlte. Erste Irritationen gibt es schon, als Maia noch klein ist. Und sei es nur wegen "fur ein Madchen" zu schlichte Klamotten, der Frisur oder eines Verbots, mit nacktem Oberkorper rumzulaufen. Warum? Darauf erhalt Maia keine plausible Antwort. Es ist halt eine der als vollig normal geltenden Kulturtechniken, dass Madchen ihre Brust bedecken mussen, obwohl da weit und breit keine Bruste sind. Und selbst wenn sie da sind, sind die Grunde eher fragwurdig.

Maia Kobabe,
Maia Kobabe, "Gender Queer. Eine nichtbinare Autobiografie". € 21,50 / 240 Seiten. Reprodukt-Verlag, 2024
Reprodukt Verlag

Richtig schlimm wird es fur Maia, als die Periode einsetzt und der erste Besuch bei der Gynakologin ansteht. Gynakologische Untersuchungen sind fur die meisten kein Spaß, bei Maia Kobabe ist es aber ein schier unertraglicher psychischer Schmerz, der in drastischen Zeichnungen dargestellt wird. Auch die standigen Gedanken spater rund um die Frage "Was bin ich?" kosten enorm viel Kraft. Trans? Ein Transgender-Bub, der schwul ist? Oder doch eher bisexuell ist? Oder asexuell?

Des Ratsels Losung: Maia ist nonbinar. Nonbinare Menschen verorten sich zwischen den binaren Polen mannlich und weiblich, sie erleben geschlechtliche Identitat in mehr als diesen zwei Auspragungen. Weder mannlich noch weiblich oder anders gesagt: nicht nur weiblich oder nur mannlich. Die Kampfe, die Maia ausficht, die Abneigung gegen den eigenen Korper ? bis hin zu Ekel ? sind fur nonbinare und auch Transpersonen hart. Aus der Medizin und der Psychologie kommt hierfur der Begriff der "Genderdysphorie", der im Buch "Gender Queer" nur einmal fallt. Das ist erst einmal uberraschend.

Der Begriff ist durchaus hilfreich, dieses Leiden aufgrund bestimmter Geschlechtsmerkmale von Trans- oder nonbinaren Personen abzubilden. Andererseits, und das zeigt Maia Kobabe, ist die geschlechtliche und sexuelle Identitat so personlich und intim, dass es vollig nachvollziehbar ist, dass nonbinare Menschen nicht auf eine Diagnose reduziert werden und ihren Handlungsspielraum betonen wollen.

Ausschnitt aus dem Buch
"Gender Queer" wurde in den USA zu einem der erfolgreichsten Comicbiografien der vergangenen Jahre.
Reprodukt Verlag

Und noch einen guten Grund gibt es, die eigene Identitat nicht als Diagnose formulieren zu wollen: Wir sind mit unseren modernen Lebensweisen nicht an korperliche Merkmale gebunden. Es bestehe zumindest theoretisch die Moglichkeit, Gender nicht als ein derart wichtiges Erkennungsmerkmal, als dominantes Identitatsmerkmal zu bewerten.

Praktisch sieht es anders aus, denn die politische Dimension von Geschlecht ist bis heute groß. Allein die Sichtbarkeit von nonbinaren Menschen hinterfragt konservative und christliche Vorstellungen vom angeblich moralisch guten Leben. Familien seien demnach vor allem Verbindungen zwischen heterosexuellen Mannern und Frauen mit leiblichen Kindern, fertig. Ideale wie diese geben politische wie religiose Krafte nicht so einfach auf.

Reaktionen auf neue Sichtbarkeit

Als in den USA etwa zwei Jahre nach Erscheinen von "Gender Queer" reaktionare Gruppen Wind von dem Buch bekamen, begann der Protest von wenigen, aber gut organisierten Aktivist:innen gegen das Buch. "Gender Queer" landete in den USA auf sogenannten Book-Ban-Listen, die empfehlen, das Comic zu zensurieren. Man richtet sich damit an Bibliotheken, Buchhandlungen oder auch Schuldistrikte und fordert, das Buch aus dem Repertoire zu nehmen. Mit Erfolg: "Gender Queer" wurde zum meistzensierten Buch der vergangenen Jahre in den USA.

Demnach ist die Angst, dass sich die binare Geschlechterordnung und somit klare Rollenbilder von Frauen, Mannern, Sexualitat und Identitat aufweichen, wohl immer noch groß.

Wie viel Aufregung bis hin zu offener Ablehnung allein die Sichtbarkeit von nonbinaren Menschen oder Transpersonen mit sich bringt, zeigte zuletzt auch Nemo, Schweizer Sieger:in des diesjahrigen Song Contest. Nemo outete sich Ende des vergangenen Jahres als nonbinar und kampft auch politisch fur die Moglichkeit eines dritten Geschlechtseintrages in der Schweiz, den es im Gegensatz zu Osterreich dort noch nicht gibt. Die Sichtbarkeit wurde also starker, der ultrakonservative Aktivismus allerdings auch. (Beate Hausbichler, 16.5.2024)