Wir betrachten die Euromunzen und Euroscheine
(Bargeldmittel),
die bekanntlich die Werte
-
haben
(um nicht immer von Munzen bzw. Scheinen sprechen zu mussen, nennen wir diese Zahlen schlicht Eurozahlen).
Einen zu zahlenden vollen Betrag, beispielsweise
Euro, kann man auf viele verschiedene Weisen
(ohne Ruckgeld)
begleichen, etwa durch
-Euro Munzen oder durch
-
oder durch
-
Wir fragen uns, ob es stets eine ?optimale“ Art gibt, einen gegebenen Betrag zu begleichen, ob sie eindeutig ist und wie man sie finden kann. Ein naheliegender Ansatz ist es, diejenige Bezahlung als optimal anzusehen, bei der die wenigsten Munzen bzw. Scheine verwendet werden. Im Beispiel kommt die zuletzt genannte Moglichkeit mit vier Munzen/Scheinen aus. Gibt es eine bessere Moglichkeit? Wie kann man an eine solche Frage herangehen? Wenn jemand eine Darstellung mit nur zwei oder drei Munzen/Scheinen finden wurde, ware die Frage direkt negativ entschieden, denn dann gabe es eine bessere Moglichkeit. Wenn man ein bisschen rumprobiert und keine bessere Moglichkeit findet, so sagt das relativ wenig, wenn man sich nicht sicher sein kann, dass man alle Moglichkeiten systematisch uberpruft hat. Ein solches systematisches und nachvollziehbares Uberprufen ist eine
mathematische Argumentation
. Wenn die mathematische Argumentation eine prazise formulierte Aussage begrundet, so spricht man von einem
Beweis
(fur diese Aussage).
Unsere Aussage ist also
?Die Zahl
lasst sich nicht als eine Summe
(wobei Wiederholungen erlaubt sind)
von weniger als vier Zahlen aus den Eurozahlen
darstellen“.
Wie kann man das systematisch begrunden? Grundsatzlich konnte man alle Summen mit einer Eurozahl, alle Summen mit zwei Eurozahlen und alle Summen mit drei Eurozahlen ausrechnen und dann feststellen, dass nie
rauskommt. Das ist durchfuhrbar, aber sehr aufwandig. Zu einer guten mathematischen Argumentation gehort auch, dass sie geschickt und okonomisch ist, dass sie abwegige Situationen schnell ausschließt und sich auf wesentliche Gesichtspunkte konzentriert. Im Beispiel heißt das, dass man Summen, in denen ein Schein mit einem Wert von mindestens
vorkommt, gar nicht betrachten muss, da eine solche Summe immer großergleich
und somit großer als der Zielbetrag
sein wird. Hier fallt sofort eine typische Eigenschaft einer mathematischen Argumentation auf: Sie nimmt Bezug auf schon etablierte oder bekannte oder allgemein anerkannte Eigenschaften, hier namlich die Eigenschaft, dass eine Summe von naturlichen Zahlen großergleich jedem Summanden der Summe ist. In einer mathematischen Argumentation geht man nicht immer ?zuruck auf Los“, sondern man verwendet Bekanntes, das seinerseits irgendwann durch eine mathematische Argumentation begrundet worden ist.
Eine weitere Beobachtung, die das rechnerische Uberprufen von sehr vielen Summen erubrigt, geht folgendermaßen: Man betrachtet den
-Euro-Schein. Das ist der großte Schein, von dem man noch nicht weiß, ob und wie oft er verwendet wird. Wie oft kann/konnte er verwendet werden? Zunachst darf er hochstens einmal verwendet werden, da ja
-
schon zu groß ist. Muss er in einer minimalen Darstellung verwendet werden? Hier begegnen wir einer typischen Denkfigur im Rahmen einer mathematischen Argumentation: Wir zeigen, dass in einer minimalen Darstellung der
mit Eurozahlen die
vorkommen muss, indem wir zeigen, dass eine Darstellung ohne den
-Schein nicht minimal sein kann. Man spricht von einem
Beweis durch Widerspruch
. Dabei formuliert man eine Annahme, die dann durch die mathematische Argumentation als unhaltbar erwiesen wird, also als widerspruchlich zu den gegebenen Voraussetzungen der Aussage. Wir machen also die Annahme:
Es ist moglich, die
als eine Summe mit maximal drei Summanden aus den Zahlen
(also ohne die
!)
darzustellen.
Durch die Abschatzung, die ihrerseits auf Rechengesetze der naturlichen Zahlen Bezug nimmt,
-
sieht man aber schnell, dass dies nicht moglich ist. Die Annahme ist also falsch und eine jede Darstellung der
mit maximal drei Eurozahlen muss die
verwenden, und zwar genau einmal.
An dieser Stelle tritt eine weitere wichtige Strategie bei einer mathematischen Argumentation auf, die Vereinfachung der Situation unter Verwendung des schon Gezeigten. Wir wissen bereits, dass
genau einmal vorkommt. Wir ziehen daher
ab und gelangen zur Fragestellung, ob es moglich ist, die
als Summe von maximal zwei der Zahlen
darzustellen. In einem gewissen Sinn sind wir jetzt wieder in der Ausgangssituation, wobei allerdings die Zahlen einfacher
(geworden)
sind. Mit der schon verwendeten Strategie kann man hier weiterargumentieren: Man zeigt, dass die
genau einmal in einer solchen minimalen Darstellung vorkommen muss, zieht es wieder ab und gelangt zur Frage, ob man die
als Summe von Eurozahlen mit nur einem Summanden
[1]
darstellen kann, was offenbar nicht moglich ist.
Hier, wie haufig in der Mathematik, hangt also die Gultigkeit einer mathematischen Aussage mit der Gultigkeit einer anderen mathematischen Aussage von gleichem oder ahnlichem Typ zusammen. Von daher ist es sinnvoll, eine moglichst allgemeine mathematische Aussage zu formulieren und diese zu beweisen, wobei man im Beweis zeigt, dass man kompliziertere
(großere Zahlen)
auf einfachere Situationen
(kleinere Zahlen)
zuruckfuhren kann. Ein wichtiges Beweisprinzip entlang dieses Schemas ist der
Beweis durch Induktion
.
[2]
Wir haben also gezeigt
(bewiesen, durch eine mathematische Argumentation begrundet),
dass man mindestens vier Eurozahlen braucht, um die
als Summe darzustellen: Mit weniger als vier ist es nicht moglich, und die eingangs beschriebene Zerlegung
-
zeigt, dass es mit vier Eurozahlen moglich ist.
Die
ist eine Zahl unter vielen, wir hatten gerne zu einer jeden naturlichen Zahl eine entsprechende Aussage. Zunachst gibt es zu jedem vollen Eurobetrag
eine minimale Anzahl an Eurozahlen, mit der man den Betrag als Summe erhalten kann, aus den drei einfachen Grunden, dass (1) uberhaupt jeder Betrag darstellbar ist
(beispielsweise als hinreichend große Summe der
mit sich selbst),
dass (2) es zu jeder Anzahl an Summanden grundsatzlich die beiden Moglichkeiten gibt, dass der Betrag durch eine Summe aus Eurozahlen mit
Summanden darstellbar ist oder nicht, und dass (3) das Minimum einer nichtleeren Menge aus naturlichen Zahlen existiert.
[3]
Wenn wir den Betrag mit
bezeichnen, so kann man die minimale Summandenanzahl als
-
schreiben. Wir fragen uns:
- Ist die minimale Darstellung eines Betrages
eindeutig?
- Wie kann man sie charakterisieren?
- Wie kann man sie finden?
Dabei suchen wir nicht nur nach einer Antwort, sondern diese Fragen sind stets so zu verstehen, wie man mathematisch begrunden kann, dass die Antwort auch richtig ist. Solche mathematischen Fragen konnen im Allgemeinen sehr schwierig sein, und es ist von vornherein nicht klar, ob man eine Losung finden wird. Wir listen einige Herangehensweisen auf.
- Probieren.
- Systematischer Probieren.
- Extremfalle betrachten.
- Hypothese formulieren.
- Voraussetzungen leicht abandern, um mogliche Grunde und Schwierigkeiten zu erkennen.
- Hypothese praziser formulieren.
- Hypothese unter starkeren zusatzlichen Voraussetzungen beweisen.
- Die Perspektive andern.
- Reduktionsmoglichkeiten erkennen.
- Hypothese beweisen.
Wir erlautern dies an der ersten Frage, ob es eine eindeutig bestimmte minimale Darstellung gibt.
- Nehmen wir die
. Es fallt uns keine weitere Darstellung mit vier Eurozahlen ein. Man kann die obige Argumentation, bei der wir gezeigt haben, dass es keine Darstellung mit drei Eurozahlen gibt, etwas abwandeln, und erhalt so eine Begrundung, dass die minimale Darstellung fur die
eindeutig ist. Welche Zahl probieren wir als nachstes? Die
?
- Es ist systematischer, erstmal die kleinsten Zahlen durchzugehen, die
, bei denen man recht schnell erkennen kann, dass die optimalen Darstellungen eindeutig sind.
- Extremfalle sind beispielsweise die einzelnen Eurozahlen selbst, diese sind offenbar durch sich selbst eindeutig minimal darstellbar. Wie sieht es mit der Summe von zwei Eurozahlen aus, kann es fur sie eine weitere Darstellung als Summe von zwei Eurozahlen geben? Warum nicht?
- Nach diesen Beobachtungen bzw. Uberlegungen formulieren wir die optimistische Hypothese, dass die minimale Darstellung eindeutig ist.
- Wie allgemein konnte eine solche Aussage stimmen? Betrachten wir die gleiche Fragestellung fur eine Wahrung,
[4]
fur die die Bargeldmittel gleich
-
sind. Das sieht auf den ersten Blick nicht so anders aus. Allerdings gibt es hier die beiden verschiedenen Darstellungsmoglichkeiten
-
die beide minimal sind, da man die
sicher nicht mit einer Munze darstellen kann. Die Hypothese kann also nur stimmen aufgrund spezifischer Eigenschaften der Eurozahlen, eine grobe Argumentation wird man somit wohl nicht erwarten und eine Argumentation, die nicht direkt auf die Eurozahlen Bezug nimmt, kann nicht funktionieren. Auch wenn man die Ruckgabe von Geld erlaubt, geht die Eindeutigkeit verloren, beispielsweise ist
-
bei beiden Darstellung werden zwei Scheine bewegt.
- Wir meinen naturlich bei eindeutig ?eindeutig bis auf die Reihenfolge“, naturlich ist
-
Es konnte sich als sinnvoll erweisen, immer mit einer bestimmten Reihenfolge der Summanden zu arbeiten, beispielsweise in absteigender Große.
- Wir beweisen die Aussage zuerst nur fur alle Betrage
oder
oder nur fur alle Betrage, die als Summe von drei Summanden darstellbar sind.
- Wir wollen etwas uber Zerlegungen
-
aussagen. Das kann man von links, also von
aus betrachten, aber auch von der rechten Seite aus. Kann man einer Darstellung
-
ohne Bezug auf den dargestellten Wert ansehen, ob sie minimal ist? Hier gibt es viele Gesetzmaßigkeiten, z.B. kann
nicht
sein, da man andernfalls die beiden
Euromunzen sofort durch eine
-Euromunze ersetzen und so mit einer kleineren Anzahl von Eurozahlen auskommen wurde.
- Hangt die eindeutige Zerlegung fur große Zahlen irgendwie mit der eindeutigen Zerlegung fur kleinere Zahlen zusammen? Eine zweite Darstellung fur
fuhrt zu einer Gleichheit
-
Hier kann man links und rechts, falls eine Eurozahl auf beiden Seiten positiv vorkommt, diese Eurozahl abziehen, und erhalt so eine Gleichheit fur einen kleineren Ausdruck.
- Siehe unten.
In einem mathematischen Buch
(bzw. in der Vorlesung)
werden mathematische Aussagen haufig direkt bewiesen, ohne dass die Voruberlegungen erlautert werden, die zu dem Beweis gefuhrt haben. Dies ist von der Okonomie her begrundet, man mochte einen Beweis haben, und nicht Uberlegungen dokumentieren, die fur sich allein genommen ziemlich aussagelos
(wie das Durchrechnen von einigen Beispielen)
sind und von denen ein Großteil auch in eine falsche Richtung geht. Beim Auffinden von Beweisen und beim Losen von Aufgaben
(zwischen diesen beiden Aspekten gibt es keinen grundsatzlichen Unterschied)
ist der Weg dorthin sehr wichtig, und es sollte viel probiert, Strategien entwickelt und diskutiert werden, auch wenn sich das nicht in der Dokumentation der letztlich gefundenen uberprufbaren Argumentation niederschlagt.
[5]
Nach all diesen Voruberlegungen konnen wir den folgenden Satz beweisen.
Es gelten die folgenden Aussagen.
- Jede naturliche Zahl
besitzt eine eindeutige Summendarstellung
-
(mit
)
mit der Eigenschaft, dass die Gesamtanzahl der Summanden
(also
)
unter allen Darstellungen minimal ist.
- Eine solche Darstellung ist genau dann minimal, wenn die folgenden Koeffizientenbedingungen erfullt sind.
a) Die Koeffizienten
, die sich auf
beziehen, sind
.
b) Die Koeffizienten
, die sich auf
beziehen, sind
.
c) Falls der Koeffizient, der sich auf
(bzw.
bzw.
)
bezieht, gleich
ist, so ist der vorhergehende Koeffizient
(der sich also auf
bzw.
bzw.
bezieht)
gleich
.
- Die eindeutige Darstellung findet man, indem man sukzessive absteigend
bestimmt, wobei man folgendermaßen
[6]
vorgeht
-
definiere
-
-
definiere
-
etc.
Wir zeigen zuerst, dass jede minimale Darstellung von
die in (2) angegebenen Koeffizientenbedingungen erfullt. Es sei also
-
eine minimale Darstellung. Wenn der Koeffizient vor
(also
)
großer als
ware, also mindestens
, so konnte man zwei
-Euromunzen durch eine
-Euromunze ersetzen und hatte eine Darstellung mit weniger Summanden im Widerspruch zur Minimalitat
(ebenso fur den Koeffizienten vor
und vor
).
Wenn der Koeffizient vor
großer als
ware, also mindestens
, so konnte man zwei
-Euroscheine durch einen
-Euroschein ersetzen und hatte eine Darstellung mit weniger Summanden im Widerspruch zur Minimalitat
(ebenso fur den Koeffizient vor
).
Wenn der Koeffizient vor
großer als
ware, also mindestens
, so konnte man drei
-Euromunzen durch eine
-Euromunze und einen
-Euroschein ersetzen und hatte eine Darstellung mit weniger Summanden im Widerspruch zur Minimalitat
(ebenso fur den Koeffizienten vor
und vor
).
Wenn eine
-Euromunze doppelt und eine
-Euromunze einfach vorkommt, so kann man dies durch einen
-Euroschein ersetzen im Widerspruch zur Minimalitat der Darstellung, ebenso bei einem doppelten Vorkommen von
oder
.
Wir zeigen nun die Eindeutigkeit der minimalen Darstellung und nehmen an, dass zwei Zerlegungen
vorliegen. Da beide Darstellungen minimal sind, mussen nach der bisherigen Uberlegung die Koeffizienten jeweils die Koeffizientenbedingungen erfullen. Wir werden zeigen, dass es uberhaupt nur eine Darstellung gibt, die die Koeffizientenbedingungen erfullt. Wir mussen also zeigen, dass
-
fur alle
gilt. Wenn fur ein bestimmtes
die Koeffizienten
und
beide
sind, so kann man beidseitig die zugehorige Eurozahl
(eventuell zweimal)
abziehen und erhalt dann eine kleinere Zahl
, fur die zwei Darstellungen vorliegen, die ebenfalls die Koeffizientenbedingungen erfullen. Da man diese Uberlegung fur jedes
durchfuhren kann, gelangt man zu einer Gleichheit, bei der jeweils mindestens einer der Koeffizienten
gleich
ist. Es ist dann zu zeigen, dass auch der andere Koeffizient gleich
ist. Dies zeigen wir absteigend, beginnend mit
bzw.
. Da die Situation symmetrisch
[7]
ist, konnen wir annehmen, dass
ist. Aufgrund der Koeffizientenbedingungen ist
(die Klammern sind suggestiv und sollen die verwendeten Abschatzungen verdeutlichen, die erste ist echt)
Daher kann
nicht großergleich
sein und ist ebenfalls
. So zeigt man absteigend, dass alle Koeffizienten
sind und dass die Darstellung also eindeutig ist.
Wir zeigen nun die andere Richtung aus Teil (2), dass eine Darstellung mit den gegebenen Koeffizientenbedingungen die eindeutige Darstellung sein muss. Mit der gleichen Argumentation wie eben, angewendet auf eine solche Darstellung und die minimale Darstellung, ergibt sich, dass die Darstellungen ubereinstimmen.
Der dritte Teil ergibt sich daraus, dass die entstehende Darstellung die in (2) formulierten Koeffizientenbedingungen erfullen muss.
Die
Aufgabe
zeigt, dass das Verfahren aus
Fakt (3)
nicht bei jeder Bargeldverteilung zur minimalen Darstellung fuhrt.
- ↑
Eine Summe mit nur einem Summanden mag sich sonderbar anhoren. In der Mathematik sind aber solche Grenzfalle wichtig und stets mitzubetrachten, da man bei einer Situationsvereinfachung haufig
- wie hier -
bei einer solchen Extremsituation ankommt.
- ↑
Das Induktionsprinzip werden wir in der siebten Vorlesung genau besprechen, und gelegentlich schon verwenden.
- ↑
Dies ist unmittelbar klar (?). Wir werden in
Fakt
diese Aussage aus dem Induktionsprinzip herleiten.
- ↑
Hier werden also die Voraussetzungen kurz abgeandert, um sie besser verstehen zu konnen.
- ↑
Das gilt auch fur die abzugebenden Aufgaben. Geben Sie ein uberzeugendes Endprodukt der Uberlegungen ab, keine Dokumentation der Uberlegungen.
- ↑
Dies ist ein sogenannter ?gieriger Algorithmus“, da er sich bei jedem Einzelschritt daran orientiert, wie man moglichst viel von dem
(verbleibenden)
Geldbetrag abzahlen kann.
- ↑
Die Situation ist symmetrisch, da die beiden Darstellungen gleichberechtigt sind. In einer solchen Situation bedeutet es keine Einschrankung der Aussagekraft der Argumentation, wenn man eine Umbenennung vornimmt bzw. eine Eigenschaft, die eines der beteiligten Objekte hat, dem ersten zuweist. In einer solchen Situation finden sich haufig Formulierungen wie ?wir konnen annehmen, dass ...“.