Zahlen
ist eine Handlung zur Ermittlung der
Anzahl
der Elemente einer
endlichen Menge
von Objekten gleicher Art. Das Zahlen erfolgt in Zahlschritten (oft in Einerschritten), wobei die entsprechende Zahlenfolge als Folge von
Zahlwortern
, zum Beispiel ?eins, zwei, drei“ oder ?zwei, vier, sechs, acht“ durchlaufen wird. Die Verwendung einer aufsteigenden Folge wird als ?vorwarts zahlen“ bezeichnet, die einer absteigenden Folge als ?ruckwarts zahlen“. Auch das Bestimmen der Anzahl von unterscheidbaren Objekten durch
Addition
, die einer aufsteigenden Zahlenfolge zugrunde liegt, wird
Zahlen
genannt.
[1]
Das zugehorige Substantiv
Zahlung
bezeichnet den Zahlvorgang oder dessen Ergebnis (z. B. eine
Volkszahlung
). Das Abzahlen der Anzahl von definierten Einheiten (
Normalen
), Objekten oder Ereignissen ist eine Form der
Messung
, die Ermittlung einer
Quantitat
.
Durch archaologische Zeugnisse ist belegt, dass Menschen seit mindestens 50.000 Jahren uber Zahlverfahren verfugen.
[2]
Zahlen wurde bereits in alten Kulturen verwendet, um die Anzahl und Vollstandigkeit von sozialen und okonomischen Zahlobjekten wie Gruppenmitgliedern, Beutetieren, Besitz oder Schulden zu erfassen. Das Zahlen fuhrte mit zur Entwicklung von
Zahlennotation
,
Zahlensystemen
und der
Schrift
.
Zahlen mit Fingern, hier die Zahl 5.
Zahlen ist eine
sprachliche
Fertigkeit, die der
Mensch
vermutlich erst im Lauf seiner
biosozialen
Phylogenese
(Stammesentwicklung) erworben hat. Tiere, etwa Vogel, konnen nach dieser Annahme wohl bemerken, dass bei kleinen Anzahlen (z. B. ihrer Eier) eins ?fehlt‘, konnen diese aber nicht durchzahlen. Da nach
Dieter Claessens
fur den Menschen diesseits des Tier-Mensch-Ubergangsfeldes zunachst buchstablich ?kein Ei wie das andere aussah“,
[3]
gehort zum Zahlen ein gescharftes
Abstraktions
vermogen (siehe auch
Biosoziologie
).
Dass menschliche Korperteile wie Augen, Ohren und Hande paarweise auftreten, muss noch nicht notwendig dazu fuhren, dass Menschen das Zahlen mit Hilfe von
Zahlen
entwickelt haben. Zunachst musste sich ihnen die Doppelung als spezieller Fall korperlich und konkret aufdrangen, ohne dass hierfur notwendigerweise ein Zahlwort fur ?Zwei“ notwendig war. Eine sprachliche Alternative zum Zahlen sind hier der
Paral
oder der
Dual
, zwei Formen der ?Zweizahl“, die neben den
Singular
(die ?Einzahl“) treten und alle Substantiv- und Verbformen entsprechend durchziehen. Man nimmt an, dass die sprachliche Form des Parals bzw. Duals zunachst eng an den achsensymmetrischen Korper des Menschen, wie den fast aller Tiere, gebunden war. Dies und das allgemeine Auftreten des Parals bzw. Duals in allen insoweit erschlossenen indoeuropaischen Sprachen lasst darauf folgern, dass man in seiner Entstehungszeit noch nicht oder nur muhsam uber die Zwei hinaus ?bis
Drei
zahlen“ konnte. Vielerlei
gleich
zusetzen, um es dann zu zahlen, erfordert eine weitergehende Abstraktionsleistung. Man vermutet deshalb, dass der Dual historisch alter als der
Plural
(die ?Mehrzahl“) ist.
Es liegt, auch wenn sich die ?Zweizahl“ in der Uberlebenspraxis als unzureichend bemerkbar macht, die alsbaldige ?Erfindung‘ des ?Plurals“ nicht zwingend nahe. In einigen Sprachen wurden als
Numerus
analog zum Dual erst noch die ?Dreizahl“ (der
Trial
) und der ?kleine Plural“ (der
Paukal
) entwickelt. Eine ?Vierzahl“ (der
Quadral
) ist hingegen in keiner Sprache belegt.
Im Einklang mit der Fertigkeit des Zahlens benotigte man sprachliche Mittel, um konkrete Zahlen zu bezeichnen. Zunachst war mutmaßlich uberall der Bedarf fur kleinere Zahlen vorhanden (Eins, Zwei, Drei, Vier …) und mit hoherschreitendem Zivilisationsgrad auch fur zunehmend hohere Zahlen. Jede
Ethnie
war hier vor die Herausforderung gestellt, fur hohere Zahlen entweder neue Zahlworter zu erfinden oder ein System zu entwickeln, mit dem sich hohere Zahlen auf Basis niedrigerer Zahlworter ausdrucken lassen. Es entstanden
Quinarsysteme
auf der Basis 5,
Dezimalsysteme
auf der Basis 10 und
Vigesimalsysteme
auf der Basis 20. Man nimmt an, dass das
Zahlen mit den Fingern
, mit beiden
Handen
, bzw. mit
Fingern
und
Zehen
, der Grund fur die Basis dieser Zahlsysteme ist. In anderen Kulturen kam das Zahlen mit Hilfe der Fingerglieder auf, das einhandig zu
Duodezimalsystemen
(mit der Basis Zwolf) und zweihandig zu Zahlensystemen mit der Basis 60 fuhrte (siehe
Ein- und zweihandiges Zahlen mit Fingergliedern und Fingern
).
Im Allgemeinen wird durch Zahlen die
Anzahl
einer
endlichen Menge
von Objekten festgestellt, indem man, angefangen mit
1
, nacheinander jedem Objekt die
nachstgroßere
naturliche Zahl
zuordnet, bis keine Objekte mehr ubrig bleiben (entspricht einer
Bijektion
). Die zuletzt zugeordnete Zahl liefert die gesuchte Anzahl. Mitunter werden dabei die Hande zur Hilfe genommen, um keine Fehler zu machen. Als mechanische Zahlhilfe kann auch ein
Handzahler
verwendet werden.
Die Große einer
unendlichen Menge
kann nicht mehr durch Zahlen festgestellt werden, als Ersatz dient das mathematische Konzept der
Machtigkeit
. Mathematisch wird dieser Aspekt im Artikel
Kardinalzahlen
behandelt.
Der Mensch ist in der Lage, mehrere Objekte
simultan zu erfassen
, ohne sie abzahlen zu mussen. Das kann ausgenutzt werden, um das Zahlen zu beschleunigen. Hierbei werden Gruppen fester Große (etwa Zweier- oder Funfergruppen) gebildet und von Zahl zu Zahl wird dann nicht 1, sondern die Gruppengroße (etwa 2 oder 5)
addiert
: ?Funf, zehn, funfzehn, zwanzig …“
Ist zusatzlich zu ihrer Anzahl auch die
Reihenfolge
oder der
Rang
der Objekte von Bedeutung, spricht man von
Ordinalzahlen
.
Beim
Nummerieren
(im Gegensatz zum Zahlen) werden Zahlen zum Unterscheiden und nicht zum Zahlen verwendet. In einigen Fallen ist es dann zweckmaßig, Zahlen auszulassen. Die Nummer des Objekts ist dann jedoch nicht mehr identisch mit seinem Rang. Beispiel: In Identifikationsnummern fur Personen (Versicherungen, Personalausweise etc.) werden Geburtsdaten in die Nummer kodiert, wie etwa 10000024121928. Nummern wie 10000032121928 werden nicht vergeben. Derart vergebene Nummern bilden eine
Nominalskala
.
In manchen Situationen in der
Mathematik
und
Informatik
erweist es sich als sinnvoll, mit dem Zahlen oder Nummerieren bei
0
zu beginnen, zum Beispiel bei Speicherzellen oder bei
Arrays
in den meisten
Programmiersprachen
. Dies findet etwa bei den Etagen von Gebauden Anwendung: Das erste Geschoss steht uber dem Erdgeschoss (der 0. Etage). Darunter befindet sich der Keller (?1. Etage). Raumnummern innerhalb einer Etage fangen bei 0 an (00 = Toilette). Bei 100 Raumen pro Etage werden diese jeweils mit Endziffern 0 bis 99 durchnummeriert, sodass die 100er-Stelle der Raumnummern die Etage angibt, ohne dass Nummern ausgelassen werden.
Beim Zahlen von
Distanzen
innerhalb einer Folge von Elementen verfahrt man, anders als beim Zahlen der Elemente selbst, ublicherweise so, dass man beim
zweiten
Element mit 1 zu zahlen beginnt. Auf diese Weise ergibt sich die korrekte Distanz. Beispiel:
Element:
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
6
|
7
|
8
|
9
|
10
|
Distanz zum ersten Element:
|
(0)
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
6
|
7
|
8
|
9
|
Die Distanz eines Elements zu sich selbst ist 0. Sind die Elemente fortlaufend durchnummeriert, so kann die Distanz auch berechnet werden, indem die Differenz zwischen den beiden Zahlen gebildet wird (
Subtraktion
). Eine mogliche Alternative dazu ist die historische Inklusivzahlung (Siehe unten).
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Bei der von der
Antike
bis in nachmittelalterliche Zeit hinein angewendeten Inklusivzahlung von
Abstanden
(Distanzen) und
Zeit
raumen wurden sowohl das Start- als auch des Endelement der Folge mitgezahlt (also eine Zahlung
inklusive
beider Elemente). Insbesondere bei Zeitraumen verursacht diese Zahlweise manchmal Verwirrung: Die alle vier Jahre stattfindenden
Olympischen Spiele
wurden z. B. als
penteterisch
(πεντητηρικ??, ?alle funf Jahre zu feiern‘) bezeichnet, alle zwei Jahre stattfindende Wettkampfe wurden als
trieterisch
(τριετηρικ??, ?alle drei Jahre zu feiern‘) bezeichnet usw. Siehe dazu auch
Zaunpfahlproblem
.
Diese Vorgehensweise, die beim Zahlen von
Dingen
korrekt ist, ergibt beim Zahlen von
Distanzen
Werte, die nach heutigem Verstandnis immer um 1 zu groß sind. Man kann mit den so gezahlten Distanzen arbeiten, solange man sich der Inklusivzahlung bewusst bleibt und ihre besonderen Eigenschaften berucksichtigt ? zum Beispiel, dass beim Addieren zweier aufeinanderfolgender Distanzen 1 abgezogen werden muss, da das Mittelelement sonst doppelt gezahlt wird.
Beispiele fur die historische Inklusivzahlung, die noch heute unseren Sprachgebrauch bestimmen, sind:
Normalerweise gilt heute fur Angaben wie ?in n Tagen“, dass der laufende Tag nicht mitgerechnet wird. Man sagt zum Beispiel nicht ?in zwei Tagen“, wenn ?morgen“ gemeint ist. Dagegen ist es im deutschen Sprachraum weit verbreitet, ?in acht Tagen“ zu sagen, wenn eine Kalenderwoche gemeint ist. Eine Analogie existiert im Franzosischen mit
dans quinze jours
, ?in funfzehn Tagen“, als Bezeichnung fur ?in zwei Wochen“, ebenso im Griechischen (δεκαπενθ?μερο) und im Spanischen
(quincena)
fur die Zweiwochen-Periode.
Der aktuelle Wochentag wird bei der Inklusivzahlung mitgezahlt:
Wochentag:
|
Montag
|
Dienstag
|
Mittwoch
|
Donnerstag
|
Freitag
|
Samstag
|
Sonntag
|
Montag
|
?Nummer“ des Tages:
|
1.
|
2.
|
3.
|
4.
|
5.
|
6.
|
7.
|
1.
|
Distanz:
|
|
1 Tag
|
2 Tage
|
3 Tage
|
4 Tage
|
5 Tage
|
6 Tage
|
7 Tage
|
Distanz bei Inklusivzahlung:
|
|
2 Tage
|
3 Tage
|
4 Tage
|
5 Tage
|
6 Tage
|
7 Tage
|
8 Tage
|
Weitere Beispiele:
- Im
romischen Kalender
bezeichnete der Begriff
Nonen
(?die neunten Tage“,
Nundinum
) den jeweils neunten Tag vor den
Iden
.
- In der
Liturgie
bezeichnet
Oktav
einen Zeitraum von einer Woche inklusive des darauf folgenden achten Tages, des Oktavtages. Fur die Datierung mehrerer Feste im
Kirchenjahr
werden Zahlungen von 40 oder 50 Tagen angegeben, bei denen der Tag, auf den das Fest fallt, mitgerechnet wird, etwa
Christi Himmelfahrt
40 Tage nach Ostern,
Darstellung des Herrn
40 Tage nach Weihnachten. Die altgriechische Bezeichnung des
Pfingstfests
,
pent?kost?
, bedeutet ?am funfzigsten Tag“ (nach Ostern).
In der
Historischen Chronologie
gibt es das Problem der Inklusivzahlung. So konnen beispielsweise die uberlieferten Regierungsjahre von Herrschern nicht einfach addiert werden, weil diejenigen Jahre, an denen ein Herrscherwechsel stattfand, doppelt gezahlt wurden.
Um beim Zahlen einen
Sekunden
takt einzuhalten ist es in den
Vereinigten Staaten
, insbesondere bei Kindern, ublich in ?Mississippi“ zu zahlen um bei der Aussprache den Takt einzuhalten:
Ein-Mississippi, Zwei-Mississippi, Drei-Mississippi
.
[4]
Im Deutschen gibt es eine andere Methode, und zwar zahlt man:
Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, ..., Neunundzwanzig, Dreißig-Dreißig, Einunddreißig...
(Dies liegt daran, dass deutsche Sprecher im Schnitt 4
Silben pro Sekunde
sprechen, wenn sie bewusst und deutlich reden ? darum auch die Doppelung ?Dreißig-Dreißig“.) Hier wird aus der inklusiv gezahlten ersten Sekunde also gleich die einundzwanzigste.
Auch bei
musikalischen Intervallen
wird sowohl der Anfangs- als auch der Endton bei der Benennung mitgezahlt. Daher hat die
Prime
den Abstand 0 Tone, die
Sekunde
den Abstand 1 Ton, die
Terz
den Abstand 2 Tone, die
Quarte
den Abstand 3 Tone, die
Quinte
den Abstand 4 Tone, die
Sexte
den Abstand 5 Tone, die
Septime
den Abstand 6 Tone und
Oktave
den Abstand von 7 Tonen.
Sprachlich moglicherweise verwirrend kommt hinzu, dass das lateinische Wort
intervallum
?Zwischenraum“ bedeutet, was eher eine Exklusiv- als eine Inklusivzahlung suggeriert.
Beispiel der
C-Dur
-
Tonleiter
:
Tonname:
|
C
|
D
|
E
|
F
|
G
|
A
|
H
|
c
|
Tonname als Zahl:
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
6
|
7
|
8
|
Abstand zum Grundton:
|
0
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
6
|
7
|
Abstand bei Inklusivzahlung:
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
6
|
7
|
8
|
Dass der in der Musik ubliche Name jedes Intervalls um 1 großer ist, sieht man unter anderem bei der Addition von Intervallen. Eine Quarte und eine Quinte ergeben zusammen eine Oktave. Aber 4 + 5 ist nicht 8 ? vielmehr ist 3 + 4 = 7. Dies deckt sich mit der Tatsache, dass die Oktave aus 7 (und nicht etwa 8)
Stammtonen
besteht.
- August F. Pott
:
Die Sprachverschiedenheit in Europa an den Zahlworten nachgewiesen sowie quinare und vigesimale Zahlmethode.
Halle an der Saale 1868; Neudruck Amsterdam 1971.
- H. Wiese:
Zahl und Numerale. Eine Untersuchung zur Korrelation konzeptueller und sprachlicher Strukturen
(studia grammatica 44). Berlin 1997.
- H. Wiese:
Numbers, Language, and the Human Mind
. Cambridge 2003.
- M. Wedell:
Zahlen. Semantische und praxeologische Studien zum numerischen Wissen im Mittelalter
(Historische Semantik 14). Gottingen 2011.
- ↑
?zahlen“
auf
www.duden.de
- ↑
Howard Eves:
An Introduction to the History of Mathematics.
6. Auflage, 1990, S. 9.
- ↑
Dieter Claessens:
Das Konkrete und das Abstrakte. Soziologische Skizzen zur Anthropologie.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980,
ISBN 3-518-07329-X
.
- ↑
Kurz erklart: Wie man mit Mississippi die Zeit misst.
In:
USA Erklart.
13. August 2021,
abgerufen am 10. Marz 2008
.