Wunderkind

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Die venezolanische Pianistin Teresa Carreno (1853?1917) trat schon im Alter von acht Jahren in New York auf

Wunderkind ist eine Bezeichnung fur ein Kind , welches auf bestimmten Gebieten Fahigkeiten zeigt, die in aller Regel erst im Erwachsenenalter oder gar nicht erreicht werden. In der Umgangssprache werden hochbegabte Kinder mit herausragenden Fahigkeiten in speziellen Disziplinen haufig als Wunderkind bezeichnet.

Verwendung des Begriffs

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Immanuel Kant nannte den 1721 geborenen Christian Henrich Heineken , der zweijahrig schon Lateinisch und Franzosisch beherrscht und mit drei Jahren eine Geschichte Danemarks verfasst haben soll, in Mathematik brillierte und mit viereinhalb Jahren starb, ein ?fruhkluges Wunderkind von ephemerischer Existenz“ und eine der ?Abschweifungen der Natur von ihrer Regel“. [1] Der Ausdruck setzte sich im 19. Jahrhundert vor allem im Konzertbetrieb durch. Besonders gelaufig ist bis heute die Beschreibung Wolfgang Amadeus Mozarts als ?Wunderkind“. [1] Beispiele als ?Wunderkinder“ gefeierter Musiker im 20. Jahrhundert sind Yehudi Menuhin , Ruggiero Ricci oder Anne Sophie Mutter . [1] Als mathematische ?Wunderkinder“ galten zum Beispiel der 1806 in England geborene George Parker Bidder [2] und der 1873 in Ungarn geborene Moritz Frankl , [3] die im Kindesalter als lebende Rechenmaschinen ( Rechenkunstler ) herumgereicht wurden.

Der Begriff ?Wunderkind“ wird heute meist in den Medien verwendet. Gemaß der Beschreibung ?als Genie wird man geboren, zum Wunderkind gemacht“ [4] werden vor allem solche Kinder als ?Wunderkinder“ bezeichnet, die vor Publikum auftreten. [1] Deshalb ist die Bezeichnung vor allem mit Musikern verbunden. [1] Auch im Schach wird regelmaßig uber ?Wunderkinder“ berichtet, so uber Samuel Reshevsky , Bobby Fischer oder Judit Polgar . Hochbegabte Kinder, die besondere Leistungen in Mathematik , Naturwissenschaften oder Sprachen erbringen, tauchen dagegen seltener in den Medien auf. Rezipiert wird der Begriff auch in der Literatur und im Film, besonders bekannt ist die Kurzgeschichte Das Wunderkind von Thomas Mann .

Die Wissenschaft meidet den Begriff ?Wunderkind“ dagegen ebenso wie den Geniebegriff. Nur sehr selten taucht er, weitgehend synonym zur Hochbegabung, auf, um Kinder zu beschreiben, die in einem Fachgebiet die Leistung Erwachsener erreichen, bereits weitgehend eigenstandig die Regeln und Methoden ihres Fachgebietes anwenden und dabei oft innovative Problemlosungen entwickeln. [5] Handelt es sich bei den Kindern um junge Savants , dann gehen mit den besonderen Fahigkeiten mitunter Einschrankungen in anderen Bereichen einher. Wahrend einige ?Wunderkinder“ ihre Leistungshohe halten, verlieren andere ihre kreative Unbefangenheit. [1]

Die Inszenierung hochbegabter Kinder als ?Wunderkinder“ war haufig mit erheblichen Einnahmen verbunden, deshalb wurden diese nicht selten Opfer ehrgeiziger Eltern. [1] Litt bereits Wolfgang Amadeus Mozart unter seinem Vater, so wurde sein Zeitgenosse, der Cellist Zygmontofsky, von seinem Vater mit Hunger und Schlagen so gefugig gemacht, ausgelaugt und verbraucht, dass er schon mit elf Jahren starb. [1] Bereits fruh gab es die Kritik, die Kinder wurden wie dressierte Affen als Zirkusnummer oder Jahrmarktattraktionen vorgefuhrt. [1] [6] Eine seltene Ausnahme war die Haltung des Vaters von Georg Friedrich Handel . Dieser sperrte sich gegen eine Gewinn bringende Forderung seines talentierten Sohnes, ?weil sie blosserdings zu nichts anders, als zu Belustigung und Ergetzlichkeit diene“. [6] Erst auf Intervention Herzog Johann Adolphs von Sachsen-Weißenfels lenkte er ein. [6] In jungerer Zeit wurden Kinderstars wie Michael Jackson mit der Problematik in Verbindung gebracht. [6]

Der Psychiater Andrew Solomon portratierte in seinem Buch Weit vom Stamm: Wenn Kinder ganz anders als ihre Eltern sind primar Kinder mit korperlichen und geistigen Behinderungen, entschied sich aber, auch sogenannte ?Wunderkinder“ und ihre Familien zu portratieren, weil seiner Uberzeugung nach die Tatsache, ein mit seinen Begabungen herausragendes Kind zu haben, eine nicht weniger isolierende, verwirrende und lahmende Erfahrung sein kann als ein Kind groß zu ziehen, das unter einer schweren Behinderung leidet. Solomon kommt zu dem Schluss, dass ein solch hochbegabtes Kind das Kraftespiel innerhalb einer Familie nicht weniger verschieben kann als ein unter Schizophrenie oder Schwerstbehinderung leidendes Kind. [7] Er weist zwar darauf hin, dass viele als Wunderkinder vermarktete Kunstler sehr ich-bezogen sind, dass es haufig aber die Eltern sind, die uber ihr Kind einen narzisstischen Trieb ausleben. Solomon schreibt weiter, dass sie haufig ihre eigenen Hoffnungen und Ambitionen auf ihre Kinder konzentrieren und statt in ihnen Neugier zu kultivieren, jagen sie dem Ruhm nach. [8] Solomon vertritt weiterhin die Ansicht, dass in der klassischen Musikindustrie in den letzten 30 Jahren die Vermarktung von Wunderkindern zugenommen hat, weil viele Manager uberzeugt sind, nur daruber eine Kauferschicht zu erreichen, dies aber haufig zu Lasten einer gesunden mentalen Entwicklung der Kinder gehe. Die von ihm interviewte Pianistin Mitsuko Uchida schlug vor, dass Zuhorer eines Wunderkinds sich fragen sollten, ob sie bereit waren, sich von einem gleich alten hochbegabten Kind vor Gericht vertreten oder von ihm operieren zu lassen. Die Musikkritikerin Janice Nimura vertrat gegenuber Solomon die Ansicht, dass der Auftritt eines Wunderkinds die hofliche Form einer Freak-Show sei. Wahrend es heute als politisch unkorrekt gelte, in einer Sideshow einen Jungen anzustarren, der ein deformiertes Gesicht habe, ist es nach wie vor gesellschaftlich akzeptiert, einen sechsjahrigen Pianisten beispielsweise in der Today Show auftreten zu lassen, ja es gelte sogar als inspirierend, weil man dadurch zeige, zu welchen Leistungen Menschen in der Lage waren. [9] Zu den von Solomon detaillierter portratierten Personlichkeiten, die bereits im Kindesalter als sogenannte Wunderkinder im Zentrum offentlicher Aufmerksamkeit standen, gehoren unter anderen Jewgeni Igorewitsch Kissin , Leon Fleisher , Yefim Bronfman , Lang Lang und Vanessa-Mae und ihre jeweiligen Familien.

  • Gerd-Heinz Stevens : Das Wunderkind in der Musikgeschichte. Munster 1983 (Dissertation).
  • Oliver Vitouch : Erwerb musikalischer Expertise . In Thomas H. Stoffer, Rolf Oerter (Hrsg.): Allgemeine Musikpsychologie . (Enzyklopadie der Psychologie, Bd. D/VII/1, S. 657?715), Hogrefe, Gottingen 2005, ISBN 3-8017-0580-3 . Uberblick uber die Probleme von und Alternativen zu Wunderkind-Theorien
  • Joachim Konietzny, Angelika Konietzny: Das Lubecker Wunderkind Christian Henrich Heineken und der Preußische Hofmaler Johann Harper. Pansdorf 2020, ISBN 978-3-00-065428-2 .
Wiktionary: Wunderkind  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen
Commons : Wunderkinder  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i Unsterblichkeit der Fruhe ( Memento vom 21. Juli 2006 im Internet Archive ) (Suddeutsche Zeitung, Feuilleton, 17. Januar 2004, S. 15).
  2. George Parker Bidder - The phenomenal mental calculation prodigy from Moretonhampstead. Abgerufen am 4. Mai 2023 (englisch).
  3. Wunder, Kinder, Schinder ( Memento vom 21. Juli 2006 im Internet Archive ) (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 22. Januar 2004, S. 35).
  4. Begleitender Text zur Ausstellung Wunderkinder ( Memento vom 15. Oktober 2009 im Internet Archive )
  5. Andreas Lang: Begabte Kinder ? beim Schulanfang im Toten Winkel?: Begabungsforderung in der Grundschule unter besonderer Berucksichtigung des Anfangsunterrichts. Tenea Verlag Ltd. 2004, ISBN 3-86504-064-0 ( eingeschrankte Online-Version (Google Books) )
  6. a b c d Aus Wunderkindern werden selten Wundermanner (Die Welt, 13. Februar 2004)
  7. Solomon: Far From the Tree: Parents, Children and the Search for Identity . Scribner, New York, 2012, ISBN 978-1-4767-0695-5 . Kapitel Prodigies .
  8. Solomon: Far From the Tree: Parents, Children and the Search for Identity . Scribner, New York, 2012, ISBN 978-1-4767-0695-5 . Kapitel Prodigies . E-Book Position 8973. Im Original lautet das Zitat: While many performers are self-involved, it is often the parents of prodigies who are most obviously narcissistic. The may invest own hopes, ambitions, and identities in what their children do rather than who their children are. Instead of cultivating curiosity, they may sprint for fame.
  9. Solomon: Far From the Tree: Parents, Children and the Search for Identity . Scribner, New York, 2012, ISBN 978-1-4767-0695-5 . Kapitel Prodigies . E-Book Position 9023. Im Original lautet das Zitat der Musikkritikerin Janice Nimura: The child prodigy is the polite version of the carny freak. Gawking at the dog-faced boy in the sideshow is exploitative, but gawking at the six-year-old concert pianist on the Today show is somehow okay, even inspiring, demonstrating just how high human potential can soar.