Wirtschaftsstruktur

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Unter der Wirtschaftsstruktur versteht man in der Wirtschaftstheorie das Verhaltnis der einzelnen Wirtschaftssektoren zueinander und zur Wirtschaft einer Region oder eines Staates .

Allgemeines [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Struktur ist in diesem Zusammenhang die Aufteilung ( Disaggregation ) einer Gesamtgroße in Teilgroßen, die in sich homogener sind als die Gesamtgroße. [1] Wirtschaftsstruktur ist entsprechend die Aufteilung der Gesamtgroße ? Volkswirtschaft “ in Teilgroßen der Entstehungsseite . [2] Die Wirtschaftsstruktur nimmt eine Gliederung nach Branchen und Sektoren und ihre damit zusammenhangende innere ( intrasektorale ) und außere ( intersektorale ) Verflechtung vor. [3]

Die internationale Wirtschaftsstruktur ist in der klassischen Außenhandelstheorie das Ergebnis komparativer Vorteile . [4] In den EU-Mitgliedstaaten und in Deutschland ist die Wirtschaftsstruktur durch Agglomeration und periphere Regionen gekennzeichnet. [5]

Klassische Wirtschaftsstruktur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die klassische Wirtschaftsstruktur stammt maßgeblich von Colin Clark , der 1940 die Wirtschaft in drei Sektoren, namlich Landwirtschaft / Fischerei / Forstwirtschaft mit abnehmenden Ertragen ( primarer Sektor , bodenintensiv ; im weiteren Sinne heute auch der Bergbau ), Industrie mit zunehmenden Ertragen ( sekundarer Sektor ; kapitalintensiv ) und Dienstleistungen ( tertiarer Sektor , Residualsektor; arbeits- , personal- oder wissensintensiv ) einteilte. [6] Ein Sektor ist die Zusammenfassung von Wirtschaftssubjekten aufgrund gemeinsamer Merkmale. [7] Entsprechend gibt es eine Agrarproduktion , Industrieproduktion und Bereitstellung von Dienstleistungen. Je nachdem, welcher Sektor vorherrscht, gibt es Agrarstaaten , Industriestaaten oder Dienstleistungsgesellschaften .

Jean Fourastie hat diese Drei-Sektoren-Hypothese 1949 verfeinert und zeigte die Rolle auf, die der technische Fortschritt in den einzelnen Sektoren spielt. Technischer Fortschritt fuhre zur ?Vergeistigung der Arbeit“, weil in der Produktionstechnik mehr Arbeitsvorbereitung , Organisation und Planung erforderlich werde. [8] Wahrend im Anfangsstadium der Industrialisierung die Konsumguterindustrie vorherrscht, uberwiegen Walther G. Hoffmann zufolge in den fortgeschrittenen Phasen der Industrialisierung die Kapitalguterindustrien . [9] Clark bezeichnete 1957 in der letzten Auflage seines Buchs die verbleibende Gruppe wirtschaftlicher Aktivitaten ( Residualsektor ) nicht mehr als tertiare Produktion, sondern als ?Dienstleistungsindustrie“ ( englisch service industries ) [10] und zahlte hierzu auch das Baugewerbe , Transport und Verkehr , Handel und Finanzierung , offentliche Verwaltung und private Dienste. [11]

Diese sehr grobe Gliederung vernachlassigt die Veranderungen innerhalb der Sektoren und berucksichtigt nicht den Einfluss der Staatsquote auf die Wirtschaftsstruktur. [12]

Arten [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Es ist zu unterscheiden zwischen sektoraler und raumlicher Wirtschaftsstruktur. Strukturpolitik als Ganzes, also sektorale und regionale Strukturpolitik, ist ein Ausschnitt aus der Wirtschaftspolitik . [13]

Sektorale Wirtschaftsstruktur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Als sektorale Wirtschaftsstruktur bezeichnet man entweder die Anteile einzelner Wirtschaftssektoren am Bruttoinlandsprodukt oder die Verteilung der Erwerbstatigen auf diese Sektoren. [14] Bei der sektoralen Wirtschaftsstruktur werden die Anteile einzelner Sektoren an der Bruttowertschopfung , die Verteilung der Erwerbstatigkeit auf die verschiedenen Sektoren ( sektorale Beschaftigungsstruktur ) oder die Verteilung der Investitionen auf die Sektoren ( sektorale Investitionsstruktur ) untersucht. [15] Unterschiedliches Wirtschaftswachstum in einzelnen Sektoren kann die sektorale Wirtschaftsstruktur verandern; Industrialisierung fordert die Industrie und lasst die Agrarproduktion sinken, Tertiarisierung fordert die Dienstleistungsgesellschaft zu Lasten der anderen Sektoren.

Raumliche Wirtschaftsstruktur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die raumliche Wirtschaftsstruktur betrifft die Verteilung der Sektoren in einem geografisch begrenzten Wirtschaftsraum . Dieser kann einen ganzen Staatenbund (etwa die Russisch-Belarussische Union ) oder Staatenverbund ( Europaischer Wirtschaftsraum ) umfassen, einen einzelnen Staat, Regionen eines Staates ( regionale Wirtschaftsstruktur , Regionalpolitik ) oder die kommunale Wirtschaftsstruktur einer einzelnen Gemeinde .

Die EU-Regionalpolitik soll durch Verringerung des Strukturgefalles zwischen den einzelnen Regionen sowie durch die Forderung einer ausgewogenen raumlichen Entwicklung erfolgen. Dazu stehen beispielsweise Kohasionsfonds , Regionalfonds , Sozialfonds oder Strukturfonds zur Verfugung. In Deutschland ist die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur eine Gemeinschaftsaufgabe der Lander mit dem Bund , die nach Art. 91a GG durch Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur stattfindet. Landesentwicklungsprogramme wirken sich auch auf die Wirtschaftsstruktur aus. Regionale Strukturpolitik kann als der auf geographische Raume ausgerichtete Bereich der Strukturpolitik bezeichnet werden. Die kommunale Wirtschaftsforderung hat unter anderem zum Ziel, die kommunale Wirtschaftsstruktur zu optimieren, um die Gemeindesteuern zu stabilisieren oder zu erhohen.

Strukturwandel [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Wirtschaftsstruktur ist keine Konstante , sondern als Ergebnis dynamischer Wirtschaftsprozesse einem standigen Wandel unterworfen. [16] Verandert sich die Wirtschaftsstruktur innerhalb von zwei Vergleichszeitpunkten, liegt ein Strukturwandel vor. [17] Strukturwandel ist die ?nachhaltige, uber-konjunkturelle Veranderung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Sektoren sowie die Zahl und Intensitat ihrer Verknupfungen“. [18]

Der sektorale Strukturwandel ergibt sich aus dem unterschiedlich starken Wirtschaftswachstum einzelner Wirtschaftszweige [19] und vollzieht sich langfristig durch Verwandlung eines Agrarstaates zum Industriestaat (Industrialisierung) und schließlich durch Veranderung des Industriestaates zur Dienstleistungsgesellschaft ( Tertiarisierung ). Der regionale Strukturwandel entsteht durch Schwachen einer Region im Wettbewerb mit anderen vergleichbaren Regionen. In diesem Fall ist haufig die Schließung eines Großunternehmens oder Militarstandortes mit Auswirkungen auf Arbeitsmarkt , Wohnungsmarkt , Pro-Kopf-Einkommen , Subunternehmer und Zulieferer der Ausloser einer strukturellen Krise und Anlass eines Strukturwandels der Region ( kommunale Konversion ). Industrieller Strukturwandel vollzieht sich hauptsachlich durch internationalen Wettbewerb , der sich durch Kostenvorteile ( Kostenfuhrerschaft ), Qualitatsvorsprunge ( Qualitatsfuhrerschaft ), Vorsprunge in der Technologie ( Technologiefuhrerschaft ), Know-how , gute Distributionsketten , Niedriglohne in Niedriglohnlandern oder Steuervorteile in Niedrigsteuerlandern oder Steueroasen zeigen kann.

Seit Beginn der 1990er Jahre greifen Europaische Union , Bund und Lander in einem fur die Nachkriegsgeschichte hoheren Ausmaß steuernd in den industriellen Strukturwandel ein. So interveniert die Europaische Kommission bei der zukunftsorientierten Gestaltung der Wirtschaftsentwicklung, um strukturschwache Regionen zu unterstutzen und das europaische Wirtschaftsgefalle abzubauen. [20]

Bedeutung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Wirtschaftsstruktur ist ein wichtiger Bestimmungsfaktor der Leistungsbilanz eines Staates. [21] Zahlungsbilanzdefizite konnten bereits in der ungunstigen Wirtschaftsstruktur einer Volkswirtschaft angelegt sein. [22] Strukturwandel kann zu struktureller Arbeitslosigkeit und diese letztlich zu Strukturkrisen fuhren. Zu ihrer Korrektur sind staatliche Strukturanpassungsmaßnahmen erforderlich. Querschnittstechnologien , Schrittmachertechnologien oder Schlusseltechnologien weisen ein hohes innovatorisches Potential auf und sind von großer Breitenwirkung auf die Wirtschaftsstruktur. [23]

Abgrenzung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Produktionsstruktur unterscheidet sich von der Wirtschaftsstruktur dadurch, dass erstere nur die Struktur der Produktion erfasst und nicht samtliche okonomischen Großen.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Werner Meißner /Werner Fassing, Wirtschaftsstruktur und Strukturpolitik , 1989, S. 11 f.
  2. Annegret Groebel, Strukturelle Entwicklungsmuster in Markt- und Planwirtschaften , 1997, S. 6
  3. Gesellschaft fur Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Verein fur Socialpolitik (Hrsg.), Staat und Wirtschaft , 1979, S. 675
  4. Thorsten Feix, Raumliche Wirtschaftsstruktur und Industriepolitik , 1996, S. 12
  5. Thorsten Feix, Raumliche Wirtschaftsstruktur und Industriepolitik , 1996, S. V
  6. Colin Clark, The conditions of economic progress , 1940, S. 492
  7. Verlag Franz Vahlen (Hrsg.), Vahlens großes Wirtschaftslexikon , 1993, S. 2390 f.
  8. Jean Fourastie, Le Grand Espoir du XXe siecle. Progres technique, progres economique, progres social , 1949, S. 276 f.
  9. Walther G. Hoffmann, Industrialisierung , in: Handbuch der Sozialwissenschaften, Band 5, 1956, S. 224 ff.
  10. Colin Clark, The conditions of economic progress , 1957, S. 375
  11. Wolfgang van Dawen, Gleichgewicht und Ungleichgewicht als Begriffe in der Diskussion uber das Wirtschaftswachstum in den unterentwickelten Landern , 1966, S. 96
  12. Verlag Dr. Th. Gabler (Hrsg.), Gablers Wirtschaftslexikon , Band 6, 1984, Sp. 2325
  13. Stefan Gartner, Ausgewogene Strukturpolitik: Sparkassen aus regionalokonomischer Perspektive , 2008, S. 63
  14. Werner Meißner/Werner Fassing, Wirtschaftsstruktur und Strukturpolitik , 1989, S. 13
  15. Dirk Piekenbrock, Gabler Kompakt-Lexikon Volkswirtschaftslehre , 2009, S. 391
  16. Verlag Franz Vahlen (Hrsg.), Vahlens großes Wirtschaftslexikon , 1993, S. 2390
  17. Annegret Groebel, Strukturelle Entwicklungsmuster in Markt- und Planwirtschaften , 1997, S. 7
  18. Hans-Joachim Siegler, Moglichkeiten und Probleme input-output-theoretischer Analysen der Wirtschaftsstruktur und ihres Wandels , 1983, S. 4
  19. Dirk Piekenbrock, Gabler Kompakt-Lexikon Volkswirtschaftslehre , 2009, S. 390
  20. Wolfgang Schroeder/Bernhard Weßels, Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland , 2003, S. 429
  21. Philipp Ehmer, Wirtschaftsstruktur und Leistungsbilanz , 2017, S. 185
  22. Philipp Ehmer, Wirtschaftsstruktur und Leistungsbilanz , 2017, S. 115
  23. Deutscher Gewerkschaftsbund/Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (Hrsg.), WSI Mitteilungen , Ausgabe 37, 1984, S. 469