Die
Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung
war eine deutsch-russische Organisation in
Munchen
, die in
Bayern
Anfang der 1920er Jahre bestand und sich aus germanophilen Monarchisten und russischen Emigranten zusammensetzte. Erklartes Ziel der 1920/1921 von
Max Erwin von Scheubner-Richter
in Munchen gegrundeten Vereinigung war die Forderung der Zusammenarbeit nationaler wirtschaftlicher und politischer Kreise, um die vorrevolutionare Ordnung in Europa, insbesondere in
Russland
, wiederherzustellen.
[1]
Uber Aufbau und deren Mitglieder gelangten Gedankengut der extremen Rechten in Russland und der
Bolschewiki
, aber auch Erfahrungen mit den letzteren in die
NSDAP
.
[2]
[3]
[+ 1]
[* 1]
Grunder und Geschaftsfuhrer war Max-Erwin von Scheubner-Richter. Als Prasident und Vizeprasident agierten Freiherr
Theodor von Cramer-Klett junior
bzw. Furst
Biskupski
.
[4]
Die 150 Mitglieder bestanden aus bayerischen Monarchisten und vor allem
Deutsch-Balten
sowie russischen und ukrainischen Emigranten.
[1]
Weitere Mitglieder dieser multinationalen Vereinigung waren Vladimir Kleppen und Boris Brazol, die wichtige amerikanische Kontakte hatten und Georgi Nemirovi?-Dan?enko, ein ehemaliger Presseleiter General
Pjotr Nikolajewitsch Wrangels
auf der Krim, der Experte fur Fragen zur Ukraine war.
[* 2]
Der ukrainische Oberst
Ivan Poltavec-Ostranica
, der mit den deutschen Streitkraften wahrend deren
Besetzung der Ukraine
zusammengearbeitet hatte, trat der Organisation 1921 bei.
Die Mitglieder dieser
antibolschewistischen
,
antisemitischen
, aber nicht
antislawischen
Organisation,
[* 3]
hatten zum großen Teil selbst Erfahrungen mit den Bolschewiki gemacht.
[* 4]
Außerdem befanden sich unter den russischen Fluchtlingen fruhere Mitglieder der protofaschistischen
Schwarzen Hundertschaften
wie
Fjodor Wiktorowitsch Winberg
, Biskupski und
Schabelski-Bork
.
[* 5]
Letzterer gab sich als Patensohn der Schriftstellerin
Elsa von Schabelsky
aus, hatte laut einem Bericht der Gestapo die antisemitische
Fiktion
[5]
Die
Protokolle der Weisen von Zion
bei seiner Reise nach Deutschland mitgefuhrt und sie dem Publizisten
Ludwig Muller von Hausen
gegeben, der sie ubersetzen ließ und veroffentlichte.
[* 6]
Zu den deutschbaltischen Mitgliedern zahlten
Alfred Rosenberg
und
Arno Schickedanz
, die die Revolution in Moskau miterlebt hatten,
[* 7]
[6]
Otto von Kursell
, der in der russischen Armee gedient hatte,
[* 8]
und
Max Erwin von Scheubner-Richter
, ein Reichsdeutscher, der in
Riga
aufgewachsen war und deutscher Vizekonsul im turkischen
Erzerum
war. In dieser Position verfolgte er 1915 den
Volkermord an den Armeniern
mit und erstattete daruber Bericht. Spater war er Leiter der Pressestelle
Ober Ost
in Riga. Nach dem Einmarsch der Bolschewiki in die Stadt wurde er verhaftet und zum Tode verurteilt, konnte sich aber mit maßgeblicher Hilfe seiner Frau befreien und entkam nach Deutschland.
[7]
Zu den deutschen Mitgliedern zahlten General
Erich Ludendorff
, sein Mitverschworer im Kapp-Putsch Oberst
Max Bauer
und der Geschaftsfuhrer der NSDAP,
Max Amann
.
[* 9]
Zwischen der Jahrhundertwende und 1917 gab es in Russland rechtsextreme Gruppen, die als ?Schwarze Hundertschaften“ bezeichnet werden. Zeitlich waren sie zwischen den reaktionaren Bewegungen des 19. und den rechtsextremen Bewegungen des 20. Jahrhunderts angesiedelt, und sie verfugten uber enge Verbindungen zu Monarchie und Kirche. Im Unterschied zu fruheren, vergleichbaren Bewegungen hatten sie die Bedeutung der Massenmobilisierung erkannt. Diese Gruppen verbreiteten politische Propaganda, verubten aber auch Pogrome und politische Morde.
[8]
Vor der Revolution hatten die Schwarzen Hundertschaften das Schreckbild verbreitet, dass die Juden der Untergang des russischen Reiches seien.
[9]
[* 10]
Tatsachlich aber gab es in judischen Kreisen vor 1917 nur geringe Sympathien fur die Bolschewiki und trotz der starken Diskriminierung der Juden in Russland waren vor 1917 unter den Mitgliedern der Bolschewiki weniger als 1000 Juden.
[10]
Eine Karriere in Verwaltung und Armee war Juden bis zum Ersten Weltkrieg versperrt und sie durften nur in dem als
Ansiedlungsrayon
bezeichneten begrenzten Gebiet Russlands wohnen.
[11]
Die Entwicklung nach der
Oktoberrevolution
aber schien das Schreckbild zu bestatigen, da die judische Emanzipation in Russland mit den Auswirkungen der Oktoberrevolution und somit mit Millionen von Toten durch Krieg, Misswirtschaft und Vernichtungspolitik zeitlich zusammenfiel.
[11]
(Die Vernichtungspolitik sei, so
Robert Conquest
, Ausdruck einer Bereitschaft, die in der Einstellung der Bolschewiki gegenuber dem Klassenkampf angelegt sei, denn bereits vor der Oktoberrevolution hat
Felix Edmundowitsch Dserschinski
Uberlegungen formuliert, wonach eine Vernichtungspolitik ein potentielles Instrument des Klassenkampfes sei
[12]
und
Sinowjew
sagte 1918 die Vernichtung von 10 % der Bevolkerung voraus.
[12]
[13]
[14]
)
Die Rechtsextremen nutzten den uberproportional hohen Anteil von Personen mit judischer Abstammung unter den politischen Fuhrern der Bolschewiki, der den Mythos einer judischen Verschworung zu belegen schien
[15]
und verwiesen auf einen uberproportional hohen Anteil von Juden unter den Mitarbeitern der Tscheka.
[16]
Beim Burgerkrieg in der Ukraine waren Mitarbeiter mit judischer Abstammung in der Tscheka sogar zahlenmaßig vollig in der Uberzahl,
[17]
was den Antisemitismus dort gefordert hat.
[16]
Die
Protokolle der Weisen von Zion
, denen viele Rechtsextreme vor der Revolution noch skeptisch gegenuberstanden, wurden jetzt als Weissagung interpretiert.
[18]
[19]
Mit dem
Friedensvertrag von Brest-Litowsk
wurde die Ukraine als selbstandiger Staat anerkannt, der dann in die deutsche Interessensphare ruckte. Als sowjetische Streitkrafte nach dem Frieden in der Ukraine aufmarschierten, erfolgte der Einmarsch deutscher und osterreichischer Truppen. Dies fuhrte zu einer Zusammenarbeit von deutschen und
weißen
Offizieren. Diese Zusammenarbeit hatte eine vertrauensbildende Wirkung und beim Ruckzug der deutschen Truppen aus der Ukraine Ende 1918 folgte eine großere Anzahl von weißen Offizieren mit.
[* 11]
Unter ihnen waren auch Rechtsextreme und fruhere Mitglieder der schwarzen Hundertschaften.
Die Zusammenarbeit zwischen deutschen und weißen Militars in der Ukraine hatte Vorbildcharakter.
[* 12]
Deutsche
Freikorps
kampften im
Baltikum
gemeinsam mit russischen Verbanden und teilweise auch unter russischer Fahne (
Eiserne Division
) in der
Westrussischen Befreiungsarmee
.
[20]
Die Fuhrung der Freikorps betrachtete
Lettland
als einen Bruckenkopf fur Militaroperationen gegen die
Sowjetunion
. Man erhoffte sich eine gegen die Alliierten gerichtete Annaherung zwischen Deutschland und einem kunftigen, restaurierten, antikommunistischen Russland. Eine wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit sollte die außenpolitische Isolation nach dem Ersten Weltkrieg beenden helfen.
[* 13]
Einige Freikorps-Fuhrer sahen zudem das Baltikum als nutzlichen Stutzpunkt bei einem eventuellen Putsch gegen die deutsche Regierung.
[21]
Die lettische Regierung
Ulmanis
bat um Unterstutzung gegen die
Rote Armee
durch deutsche Freikorps. Mit dem Einverstandnis der deutschen Regierung und Großbritanniens vertrieben die Freikorps die Bolschewiki und das von den ihnen besetzte Riga wurde am 22. Mai 1919 eingenommen.
[22]
Spatere Mitglieder von Aufbau waren an der Operation im Baltikum beteiligt: Von Scheubner-Richter unterstutzte sie in seiner Funktion als politischer Berater von
August Winnig
, dem Generalbevollmachtigten fur die besetzten baltischen Lander.
[* 14]
Arno Schickedanz nahm als Mitglied der
baltischen Landeswehr
an der Einnahme Rigas teil und weiße Emigranten beteiligten sich an der Anwerbung von Russen in Deutschland fur den Militardienst im Baltikum.
[* 15]
Biskupski agierte in Berlin als Vertreter der Westrussischen Befreiungsarmee.
[* 16]
Aus Sicht der deutschen Freikorps war ihre Intervention im Baltikum aus politischen Grunden gescheitert.
[23]
Auf Druck der
Entente
hin sperrte die deutsche Regierung am 6. Oktober 1919 die ostpreußische Grenze und unterbrach den Nachschub.
[23]
Teile der Freikorps unterstellten sich erneut dem deutschen Befehl, beteiligten sich aber nach dem Auflosungsbefehl fur die Freikorps am
Kapp-Putsch
.
[* 17]
[24]
Mehrere der oben erwahnten Russen unterstutzten den Kapp-Putsch.
[* 18]
Außerdem war Scheubner-Richter von
Wolfgang Kapp
als Pressechef der neuen Putsch-Regierung vorgesehen.
[+ 2]
Nach dem Fehlschlagen des Putsches flohen die Beteiligten nach Bayern, wo sie von den Polizeibehorden geschutzt wurden.
Im Oktober 1920, nach der Ruckkehr von einer Reise auf die Krim, wo von Scheubner-Richter mit der Unterstutzung bayerischer Unternehmer ein Abkommen mit General Pjotr Wrangel uber militarische und wirtschaftliche Zusammenarbeit geschlossen hatte, begann von Scheubner-Richter die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung zu organisieren.
[* 19]
Die Statuten waren bewusst vage gehalten, um die Frage, ob das
Russische Reich
als Ganzes wiederhergestellt werden sollte oder ob der Ukraine und den baltischen Landern Autonomie gewahrt werden sollten, zu umgehen. Damit sollte die Organisation sowohl fur Russen als auch fur Minoritaten interessant sein.
[* 20]
Die Vereinigung fuhrte ihre Tatigkeit unter strikter Geheimhaltung durch. Die Mitgliedschaft wurde genau kontrolliert und der Hintergrund von Anwartern auf eine Mitgliedschaft wurde grundlich gepruft. Sie zielte auf entschieden antibolschewistische Deutsche, Russen, Ukrainer und Baltendeutsche als ordentliche Mitglieder, aber auch Personen anderer Nationalitaten konnten als außerordentliche Mitglieder in die Organisation eintreten. Jedes Mitglied musste beim Eintritt 100.000 und danach jahrlich 20.000 Mark bezahlen.
[* 20]
Auf die Vermittlung Rosenbergs hin kam von Scheubner-Richter im November 1920 erstmals mit
Adolf Hitler
zusammen.
[* 21]
Im gleichen Monat trat Scheubner-Richter in die NSDAP ein und im Jahre 1923 wurde er einer der wichtigsten Berater Hitlers.
[+ 3]
Mehrere Mitglieder von Aufbau waren auch Mitglieder der NSDAP Alfred Rosenberg, Arno Schickedanz und Otto von Kursell. Max Amann war nicht nur Geschaftsfuhrer der NSDAP, sondern auch zweiter Schriftfuhrer der Vereinigung.
[* 22]
Aufbau wollte die vorrevolutionare Ordnung in Europa, insbesondere in Russland, wiederherstellen, stand aber auch der
Weimarer Republik
außerst feindlich gegenuber. Außerdem ging es um die Revision des
Versailler Vertrags
und den Abwehrkampf gegen die
kommunistische Internationale
.
[+ 4]
Die Organisation war stark antisemitisch und Personen, die die Ideologie von Aufbau pragten, vertraten die Ansicht, dass ?die Juden“ die Russische Revolution bewirkt hatten.
[* 23]
Alfred Rosenberg z. B., der bis 1923 russischer Staatsburger war, setzte (in einer zu jenem Zeitpunkt nicht publizierten Schrift) bereits Mitte 1918 die Juden mit den Bolschewiki gleich.
[25]
[+ 5]
Die Vernichtungspolitik des internationalistischen Regimes der Bolschewiki wurde von Mitgliedern von Aufbau als gezielte Vernichtung der nationalen russischen Intelligenz ausgelegt und verurteilt.
[* 24]
Das Schicksal Russlands drohe auch anderen Landern, so lautete die zentrale Botschaft.
[* 25]
[26]
Ungeachtet dessen, dass Alfred Rosenberg die Vernichtungspolitik verurteilte, bezeichnete er das Vorgehen der Bolschewiki bereits 1922 und 1923 als ?zweckmaßig“.
[* 24]
Obwohl fuhrende Mitglieder der Meinung waren, dass hinter dem Finanzkapital und dem Bolschewismus das sogenannte
Weltjudentum
stehe und dies eine ?todliche“ Gefahr fur Deutschland darstelle, schlug die Vereinigung nicht die Vernichtung der Juden vor.
[* 23]
Der radikale Aufbau-Ideologe Winberg
[* 26]
jedoch, ein enger Freund der ermordeten Zarin, propagierte den apokalyptischen Antisemitismus der Schwarzen Hundertschaften und sprach sich in seinem 1922 erschienenen Buch
Krestnyj Put’
sowie in der Zeitschrift
Lu? Sveta
fur eine Vernichtung der Juden aus.
[27]
[+ 6]
Winberg grundete auch die monarchistische Zeitung
Prizyv.
der großere Aufmerksamkeit zu widmen
Dietrich Eckart
die deutschen Nationalisten mahnte.
[* 27]
Rosenberg, der die Auslegung der Oktoberrevolution seitens der extremen russischen Rechten ubernommen hatte, studierte aufmerksam deren Zeitungen und nutzte sie in großem Umfang fur seine eigene Arbeit.
[18]
Die Mitglieder der Vereinigung deuteten die Ereignisse in Russland und in der Sowjetunion als ein ?Verschworungsphanomen“, und diese judisch-
freimaurerische
Verschworung wurde nicht als rassisch bedingte betrachtet, sondern in nahezu religiosen Termini gedeutet und war eher Folge eines traditionellen Antisemitismus.
[* 28]
Erst spater in der NSDAP wurde die vermeintliche Verschworung in ein rassenkulturelles Phanomen umgedeutet und von Rosenberg mit der entsprechenden Begrundung versehen.
[+ 7]
In der fruhen NSDAP gab es Stimmen, die eine Annaherung an die Sowjetunion befurworteten.
[+ 8]
Demgegenuber war die Sowjetunion fur die Vereinigung ein klarer Feind. Dies war jedoch kein Hindernis dafur dar, dass von Scheubner-Richter das Land im Hinblick auf die Militarisierung der Politik und die Unterdruckung von politischen Gegnern als ein Vorbild ansah.
[* 29]
Die Vereinigung gab die ?Wirtschaftliche Aufbau-Korrespondenz“ heraus. Scheubner-Richter war Schriftleiter dieser Zeitschrift, in der er und russische Emigranten ihre Ideen verbreiteten und Nachdrucke aus rechten Emigrantenzeitungen veroffentlichten.
[+ 9]
Neben Grigorij Nemirovi?-Dan?enko zahlte auch Fjodr Winberg zu den russischen Verfassern von Beitragen in dem Blatt.
[+ 9]
Die Organisation versuchte auch die NSDAP zu beeinflussen, indem sie Winberg beauftragte, mit Adolf Hitler propagandistische Gesprache zu fuhren.
[* 30]
Dem franzosischen Nachrichtendienst zufolge hatten Winberg und Hitler spatestens im Oktober 1922 mehrere lange personliche Gesprache gefuhrt und Hitlers Notizen fur einen Vortrag im November 1922 zeigen den Einfluss Winbergs auf sein Denken.
[+ 5]
Hitler bezeichnet die Sowjetunion hier als eine ?judische Diktatur“ und fuhrt Winberg als Quelle an.
[* 30]
Auch in der Sowjetunion wurde mit der Unterstutzung der Vereinigung Propagandamaterial verbreitet. So haben sowjetische Behorden im April 1923 große Mengen von Propagandamaterial der weißen Emigranten beschlagnahmt und die Verteiler inhaftiert.
[* 31]
Dabei handelte es sich in erster Linie um Verlautbarungen des Großfursten
Kyrill Wladimirowitsch Romanows
an das russische Volk und das russische Heer.
Innerhalb der politisch gespaltenen Gruppe russischer Emigranten unterstutzte die Gesellschaft die monarchistische Bewegung um den Großfursten Kirill, einen Neffen des letzten Zaren, der Anspruche auf den russischen Thron erhob und damit zu Großfurst
Nikolai
, der sich in Paris aufhielt, in Konkurrenz trat.
[1]
Die Vereinigung war Mitveranstalter der wichtigsten Versammlung des deutschfreundlichen Teils der monarchistischen Bewegung, die unter dem Tarnnamen ?Kongress zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Russlands“ Mitte 1921 in Bad Reichenhall stattfand. Der Kongress brachte wenig konkrete Ergebnisse, aber bereits ihn zu organisieren war ein Erfolg fur Aufbau. Scheubner-Richter und Biskupski gewannen dadurch an Ansehen.
[* 32]
Ludendorff und Scheubner-Richter organisierten unter der Fuhrung von
Walter Nicolai
einen antibolschewistischen Nachrichtendienst fur Kirill, um verlassliche Nachrichten uber Ereignisse in der Sowjetunion zu erhalten. Nicolai schickte ab Anfang Juli 1922 Berichte an Scheubner-Richter, der diese an die NSDAP weiterleitete.
[* 33]
Im Mai 1922 trafen General Biskupsij und sein personlicher Sekretar Arno Schickedanz eine Vereinbarung mit Ludendorff, wonach Ludendorff das Vermogen der Thronanwarter Kirill und
Viktoria Feodorowna
im Rahmen der Tatigkeit der Organisation nutzen konnte, um die deutsch-russischen Interessen zu fordern.
[* 34]
Die durchlaufenden Summen in Hohe von ca. 500.000
Goldmark
waren hoher als das frei verfugbare Vermogen der Thronanwarter, deshalb ist anzunehmen, dass das Geld auch aus anderen Quellen floss.
[* 34]
Der amerikanische Industrielle
Henry Ford
gab dem Vertreter Kirills in Amerika, dem Aufbaumitglied Boris Brazol, betrachtliche Summen.
[* 34]
Brazol leitete diese an die Thronanwarter weiter.
Biskupski leitete auch Geld von Emigranten direkt an die NSDAP weiter und Scheubner-Richter leitete betrachtliche Summen von Weißen Immigranten an die NSDAP, insbesondere Geld von russischen Industriellen, hier vor allem von Olmagnaten, und von deutschen Geschaftsleuten, Industriellen und Bankiers.
[* 35]
Mitglieder der Vereinigung beteiligten sich an Terroraktionen. Sergej Taborickij und ?abel’skij-Bork, enge Freunde von Winberg, verubten einen Attentatsversuch auf den konstitutionellen Demokraten
Pawel Nikolajewitsch Miljukow
, der dem Attentat jedoch entging.
[* 36]
Bei dem Versuch, den Attentater zu entwaffnen, wurde jedoch der Vater des Schriftstellers
Wladimir Nabokow
todlich verletzt. Da Winberg verdachtigt wurde, an dem Mord an Nabokow beteiligt gewesen zu sein, musste er Deutschland verlassen.
[* 37]
Biskupski und Bauer organisierten einen Auftragsmord an
Alexander Fjodorowitsch Kerenski
, dem Sozialrevolutionar und Leiter der Ubergangsregierung, ein Unterfangen, das scheiterte.
[* 38]
Auch andere Umstande deuten auf eine terroristische Tatigkeit der Organisation, wie etwa die Kontakte zur
Organisation Consul
und die Verhaftung Bauers wegen Verdachts auf Planung des Mordversuches an
Scheidemann
.
[* 39]
Seiner antibolschewistischen Zielsetzung entsprechend unterstutzte die Vereinigung Angriffsplane gegen die Sowjetunion, wobei besonderes Gewicht auf eine unabhangige Ukraine gelegt wurde.
Wilhelm Franz von Habsburg-Lothringen
, der sich Vasil Vyshyvaniy nannte und wahrend des Ersten Weltkriegs informeller habsburgischer Thronkandidat fur einen ukrainischen Satellitenstaat war, gab im Sommer 1921 Biskupski den Auftrag, in Bayern ein Heer fur den Einsatz in der Ukraine zusammenzustellen.
[* 40]
Damit setzte er eine Vereinbarung mit Scheubner-Richter und Biskupski um, denen es gelungen war 2 Millionen Mark und 60.000
Schweizer Franken
fur die Thronanwartschaft Vyshyvaniys in einer unabhangigen Ukraine zu beschaffen. General Biskupski schwebte ein Zweifrontenfeldzug mit einem Einsatzfeld im Norden (Baltikum) sowie einem im Suden (Ukraine) vor, und er organisierte zusammen mit General
Peter Wladimir von Glasenapp
und
Pawel Michailowitsch Bermondt-Awaloff
Invasionstruppen fur den Einsatz in Baltikum. Die Plane scheiterten zum Teil aus finanziellen Grunden.
[* 39]
Die Vereinigung unterstutzte zudem Nationalisten in
Ostgalizien
, die fur eine unabhangige Ukraine kampften und damit sowohl Polen als auch der Sowjetunion feindlich gegenuberstanden. Deutsche Offiziere vermittelten in Kursen, die unter anderem von
Ernst Rohm
organisiert wurden, militarische Ausbildung.
[* 41]
Von Scheubner-Richter nahm in den Jahren 1922 und 1923 eine zunehmend zentrale Rolle in rechtsextremen Kreisen ein. Er war Berater von Hitler und Ludendorff
[* 42]
und zugleich Geschaftsfuhrer des
Deutschen Kampfbundes
, dessen Aktionsprogramm er entwarf.
[7]
Ausgehend von den Entwicklungen in der Sowjetunion meinte er, dass ein paar entschlossene Manner etwas verandern konnten, und setzte sich auch fur eine tatkraftigere Vorgehensweise Hitlers ein.
[* 43]
Beim
Hitlerputsch
spielte er eine zentrale Rolle.
Otto Strasser
und
Ernst Hanfstaengl
zufolge war Scheubner-Richter der fuhrende Kopf der Verschworung. Auch von anderer Seite wird angenommen, er sei der eigentliche geistige Kopf des Putsches gewesen.
[28]
Von Scheubner-Richter wurde beim Marsch auf die
Feldherrnhalle
getotet. Mit ihm verschwand der Verfechter der russisch- bzw. ukrainisch-deutschen Zusammenarbeit und sein Tod trug zusammen mit dem Endsieg der Bolschewiki in der Sowjetunion zu einer Umformulierung der nationalsozialistischen Außenpolitik bei.
[+ 3]
Ohne von Scheubner-Richter fiel die Vereinigung in die Bedeutungslosigkeit. Biskupski, der fuhrende Kopf nach Scheubner-Richter, geriet in Schwierigkeiten mit den bayerischen Behorden, die ihn der Mittaterschaft am Putsch verdachtigten.
[* 40]
Die Vereinigung existierte offiziell noch eine Zeit lang unter der Fuhrung von Kursell, der die Schriftfuhrung der Aufbau-Korrespondenz ubernahm. Die letzte Ausgabe erschien am 15. Juli 1924.
[* 40]
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- (+) Johannes Baur:
Die Russische Kolonie in Munchen 1900?1945: deutsch-russische Beziehungen im 20. Jahrhundert.
Harrassowitz, Wiesbaden 1998,
ISBN 3-447-04023-8
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