Willy Potthoff

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Willy Potthoff (* 22. Oktober 1925 in Altenmelle bei Melle ; † 23. Februar 2006 in Aachen ) war ein deutscher Reformpadagoge .

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Aus einfachen Verhaltnissen stammend ? sein Vater war Fabrikschlosser ?, studierte Potthoff ab 1947 an der Padagogischen Akademie in Bielefeld. 1949 heiratete er Anita Potthoff geborene Kreyer. 1950 wurde er Lehrer an der Petrischule in Bielefeld, einer Volksschule in einem Arbeiterviertel. Zusammen mit engagierten Kollegen formte er in einem mehrjahrigen Entwicklungsprozess das reformpadagogische, besonders am Jena-Plan orientierte Profil der Petrischule (ab 1960 dort als Konrektor).

Von 1963 bis 1965 war er als Ausbildungsleiter in der 2. Phase der GH-Lehrerausbildung in Bielefeld tatig. 1965 wurde er an die Padagogische Hochschule Bielefeld abgeordnet. 1969 schloss er sein nebenberufliches Promotionsstudium ( Padagogik , Soziologie und Psychologie ) an der Westfalischen Wilhelms-Universitat in Munster mit der Dissertation ab und wurde Wissenschaftlicher Assistent an der Padagogischen Hochschule Westfalen-Lippe Abteilung Bielefeld . 1970 wechselte er als Dozent an die Padagogische Hochschule Schwabisch Gmund .

1971 erhielt Willy Potthoff einen Ruf als Professor fur Schulpadagogik an die Padagogische Hochschule Freiburg , zu deren Rektor er 1974 gewahlt wurde. Als Garant von Meinungsfreiheit auch fur die Studentenschaft wurde er 1976 wiedergewahlt. Von 1976 bis 1978 war er gleichzeitig Vorsitzender der Rektorenkonferenz der Padagogischen Hochschulen in Baden-Wurttemberg sowie Initiator und Leiter (ab 1977) der Projektgruppe ?Neue Studiengange“, die zum Lehrerstudium qualitativ gleichwertige, aber auf andere Berufsfelder zielende Studiengange an den Padagogischen Hochschulen in Baden-Wurttemberg entwickelte.

Angesichts einer hohen Lehrerarbeitslosigkeit grundete er 1982 mit anderen die ?Solidargemeinschaft Lehrer und Erzieher Sudbaden e. V.“ (SOLE) , deren Vorsitzender er von 1982 bis 1993 war. Mehrere Hundert arbeitslose Lehrer wurden in Projekten der SOLE beschaftigt; besonders hervorzuheben ist neben der Einfuhrung des Seniorenstudiums in Freiburg (1984) die Grundung von sieben Reformpadagogischen Arbeitsstellen in Sudbaden (1983?1993). Unter der Leitung von Willy Potthoff dienten sie als Informations- und Unterstutzungszentren fur Schulen bei der Einfuhrung von offenen Unterrichtsformen ? insbesondere der materialgeleiteten Freiarbeit .

1988 grundete er die Akademie fur Reformpadagogik (Leitung bis 2006) zur Aus- und Weiterbildung reformpadagogisch orientierter Lehrer als Multiplikatoren .

Nach seiner Pensionierung 1991 hielt er 30 Semester lang weiterhin stark besuchte Seminare an der PH Freiburg. In Zusammenarbeit mit staatlichen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Institutionen fuhrte er in verschiedenen Bundeslandern zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen zu reformpadagogischen Themen durch. Bis zu seinem Tod arbeitete er in seinem Wohnort Freiburg i.Br. am letzten Buch uber padagogische und soziale Projekte, in denen er als Lehrer oder Professor selbst mitgewirkt hat.

Padagogische Leitlinien [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Willy Potthoff hat maßgeblich an der Renaissance reformpadagogischer Ideen seit den 1980er Jahren mitgewirkt (u. a. durch Grundung Reformpadagogischer Arbeitsstellen ab 1983); besonders die Ubertragung damaliger reformpadagogischer Grundschul-Ansatze auf die Sekundarstufe ist sein Verdienst.

Willy Potthoff pragte die Integrierte Reformpadagogik, die nicht dogmatisch den Vorgaben eines einzelnen klassischen Reformpadagogen folgt, sondern der Lehrkraft die Freiheit lasst, Unterricht aus Elementen der Konzeptionen unterschiedlicher Reformpadagogen (z. B. Petersen , Gaudig , Dewey , Montessori , Freinet ) in eigener Kreativitat und Verantwortung zu gestalten. So schrieb er: ?Im Gegensatz zu einigen reformpadagogischen Entwurfen der zwanziger Jahre verstehen wir die heutige Reformpadagogik als ein offenes System, das […] von den einzelnen Lehrerinnen und Lehrern mit ihren Klassen oder den Lehrerkollegien mit der gesamten Schule erst zu situationsangemessenen Handlungsformen entwickelt werden muß“. [1] Dafur lieferte er den Lehrern in seinen Schriften theoretische Grundlagen und praktische Hilfen, indem er kritisch die verschiedenen Modelle und Methoden analysierte. In seinen eigenen konkreten Vorschlagen fur eine kindgerechte Schule haben Projektarbeit und Innere Differenzierung ( Binnendifferenzierung ) des Unterrichts beispielsweise durch Freiarbeit, Lernzirkel und Wochenplanunterricht eine zentrale Bedeutung.

Gepragt durch seine fruhen Erfahrungen als Lehrer einer Brennpunktschule wusste er um die Notwendigkeit ? auch fur die demokratische Gesellschaft ? und Moglichkeit, Kinder aus allen sozialen Schichten durch eine gestaltete Lernumgebung in eine individuell optimale Distanz zum Lerngegenstand zu bringen und sie durch mehr Eigenverantwortung in der Schule zu selbstandigen Personlichkeiten reifen zu lassen. ?Normkinder schulen oder Individualitaten zu Personlichkeiten bilden?“ (Potthoff 2001 6 , S. 12)

Bei aller Wertschatzung privater Freier Schulen propagierte und forderte er doch besonders die Umsetzung reformpadagogischer Ideen an offentlichen Schulen durch engagierte Lehrer, moglichst von den Kultusbehorden toleriert und unterstutzt, aber keinesfalls oktroyiert. ?Schulentwicklung von unten mit dem Ziel eines effektiven schulergerechten Unterrichts und eines ausgewogenen Schullebens …“ (Potthoff u. a. 2004, S. 25)

Schriften [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Die Idee der Schulgemeinde. Vorstellungen zur genossenschaftlichen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert , (Padagog. Forschungen. Veroff. des Comenius Instituts) Heidelberg 1971 (Dissertation)
  • Curriculumentwicklung. Modelle und Strategien , Ravensburg (Otto Maier) 1973 (4. Aufl. 1976)
  • Einfuhrung in Strukturbegriffe der Erziehungswissenschaft , Freiburg (Herder) 1974 (4. Aufl. 1981) (zus. mit A. Wolf), ISBN 3-451-09017-1
  • Erfolgskontrolle , Ravensburg (Otto Maier) 1974 (2. Aufl. 1975)
  • Schulpadagogik , Freiburg, Basel, Wien (Herder) 1975 (Hrsg.)
  • Padagogische Konflikte in der Schule , Freiburg (Herder) 1975 (4. Aufl. 1980) (zus. mit A. Wolf), ISBN 3-451-09030-9
  • Schulwissenschaft Live , 3 Bde., Ravensburg (Otto Maier) 1976 (Hrsg.)
  • Methodische Lernhilfen , Ravensburg (Otto Maier) 1976
  • Grundformen des Unterrichts , Freiburg (Herder) 1979
  • Erfolgssicherung im Unterricht , Freiburg (Herder) 1981
  • Grundlage und Praxis der Freiarbeit in der Grundschule , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 1985 (2. Aufl. 1987)
  • Reformpadagogik an offentlichen Schulen , 5 Bde., Freiburg ab 1985 (Hrsg.)
  • Freies Lernen ? verantwortliches Handeln. Der Freiburger Ansatz der Integrierten Reformpadagogik , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 1990 (2. Aufl. 1994)
  • Lernen und uben mit allen Sinnen , Freiburg 1991 (3. erweiterte Auflage 1996 mit dem Zusatz: Lernzirkel im Unterricht der Sekundarstufe ), ISBN 3-925416-15-3
  • Einfuhrung in die Reformpadagogik. Von der klassischen zur aktuellen Reformpadagogik , Freiburg 1992 (4. Auflage 2003), ISBN 3-925416-23-4
  • Einfuhrung in die Freiarbeit , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 1994 (Lernzirkel)
  • Freiarbeit und Lernzirkel im Mathematikunterricht der Sekundarstufe , Freiburg 1995 (zus. mit J. Potthoff), ISBN 3-925416-12-9
  • Veranderte Kindheit ? aktive Schule , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 1995 (Lernzirkel)
  • Wege zur Offnung des Unterrichts , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 1996 (Lernzirkel)
  • Freiarbeit am Gymnasium , Materialien Innere Schulreform 101, Stuttgart (LEU) 1996
  • Gingas Erziehung oder Freiheit und Verantwortung in Elternhaus, Schule und Gesellschaft , Freiburg 1998, ISBN 3-925416-18-8
  • Methoden des offenen Unterrichts , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 1998 (200 Karteikarten)
  • Beobachtung und Beurteilung der Schuler/innen im offenen Unterricht , Freiburg 2000
  • Arbeitsformen des selbst organisierten Lernens , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 2000 (Lernzirkel)
  • Grundlage und Praxis der Freiarbeit. Selbstbestimmtes Lernen in Grundschule und Sekundarstufe , Freiburg 2001 6 , ISBN 3-925416-24-2
  • Reformpaedagogik-Archiv.de (92 Online-Texte) ab 2001 (Hrsg.)
  • Impulse fur die aktive Schule. Vorschlage zur besseren Zentrierung und Profilierung des Bildungswesens nach PISA , Freiburg 2004 (mit J. Schneider und F. Schrage), ISBN 3-925416-27-7
  • Materialien fur Lehrerbildung, Lehrerfortbildung und Schulentwicklung , Freiburg (Reformpadagogischer Verlag) 2004 (6 Module)
  • Padagogische und soziale Projektvariationen , Freiburg 2006, ISBN 978-3-925416-28-6

Quellen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • W. Potthoff: Bericht des Rektors uber die Amtszeit 1974?1978 , PH Freiburg 1979
  • W. Potthoff: Freies Lernen ? verantwortliches Handeln. Der Freiburger Ansatz der Integrierten Reformpadagogik , Freiburg 1990
  • W. Potthoff: Grundlage und Praxis der Freiarbeit , Freiburg 2001 6
  • W. Potthoff; J. Schneider; F. Schrage: Impulse fur die aktive Schule. Vorschlage zur besseren Zentrierung und Profilierung des Bildungswesens nach PISA , Freiburg 2004
  • W. Potthoff: Padagogische und soziale Projektvariationen , Freiburg 2006

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Potthoff 1990, S. 14.